Adam Tooze (2007): The Wages of Destruction
Schon vor drei Monaten gelesen und genossen. Tooze hat einfach einen sehr geilen Schreibstil, der einen auch wenn er sich durch alle möglichen Details wühlt, nicht verloren gehen lässt. Am Anfang reißt Tooze kurz einige politische Ereignisse der Weimarer Republik ab, insb. Stresemanns Außenpolitik ist hier wichtig und die Versuche den Versailler Vertrag auf Verhandlungsweg zu lösen. Es geht dann aber recht schnell Richtung "Machtergreifung" und die Wirtschaftspolitik des NS-Regimes, wobei alle möglichen Wirtschaftsbereiche en detail behandelt werden. Ideologische Hintergründe und historische Kontextualisierungen werden dabei nicht vergessen. So wird beispielsweise ausgeführt, dass die Idee einer Kolonisierung Ostdeutschlands durch Deutsche nicht per se von den Nazis erfunden wurde. Die haben das "nur" mit ihrem Herrenrassen- und Lebensraum-Scheiß endgültig eskaliert und überdreht.
Insgesamt zeigt Tooze, dass es extrem beeindruckend ist welche ökonomischen Leistungen das NS-Regime aus der dt. Wirtschaft herausgepresst hat, sowohl vor als auch nach Kriegsbeginn. Jedoch lässt er keinen Zweifel daran - und belegt das mit reichlich Zahlen - dass Deutschland ökonomisch schlichtweg auf verlorenem Posten war. Dass das Reich einen langen Abnutzungskrieg gegen das Vereinigte Königreich oder gar die USA gewinnen könnte, war von Anfang an illusorisch. Für mich neu war, dass sich auch das Regime selbst darüber keine Illusionen gemacht hat. Deswegen hat Hitler auch den Angriff auf die Sowjetunion befohlen obwohl England sich nicht wie erhofft nach der Niederlage Frankreichs zu einem Verständigungsfrieden entschieden hat: Er hat gewusst, dass die einzige Chance, die NS-Deutschland unter diesen Umständen hat, eine schnelle Niederwerfung der SU ist, um deren Ressourcen rücksichtslos auszuplündern. Auch hier schildert Tooze die ekelhaften und jeder Menschlichkeit enthemmten Hungerpläne des NS-Regimes, deren Opferzahlen sogar den Holocaust noch deutlich in den Schatten gestellt hätten.
Auch der Mythos Speer wird ordentlich zerlegt. Tooze zeigt auch hier detailreich und mit Zahlen und Fakten, dass das sog. "Rüstungswunder" vor allem auf gekonnter Zahlenkosmetik und einfach härterer Auspressung von Sklavenarbeitern beruhte und nicht auf einer wundersamen Rationalisierungswelle. Zudem war viel von dem, was produziert worden ist, ganz einfach unbrauchbar. Beispielsweise sind 1944 80 U-Boote vom Typ XXI gebaut worden, von denen aber keins (!) einsatztauglich war. Auch von der ME-262 sind zwar hunderte Exemplare vom Band gelaufen, aber das Flugzeug war einfach noch nicht ausgereift. Das sieht dann zwar auf dem Papier den nackten Produktionszahlen nach beeindruckend aus, hilft aber beim Kriegführen wenig.
Also ich hab das Buch gefeiert, auch wenn ich viele Details natürlich nicht behalten habe. Aber gerade wenn man sich mit dem Themenkomplex Nationalsozialismus und 2. Weltkrieg schon auskennt dürfte es eine echte Bereicherung sein. Daher klare Empfehlung
@Mackiavelli. Die militärische Lage schildert Tooze auch, sofern das für den Kontext erforderlich ist, beschränkt sich aber auf das Nötigste, d.h. als jemand, der mit dem militärischen Aspekt bereits vertraut ist musst du nicht fürchten hier mit Altbekanntem gelangweilt zu werden.