wenn ich haftbefehl höre, kann ich mir vorstellen, wie es für meine oma sein muss, wenn sie zufällig mal meine musik ertragen muss.
das kann ich nicht einmal ironisch anhören, wie geht das?
Sooo, meine Freunde, fangen wir mal an.
Wie bereits erwähnt, habe ich Haftbefehl zu Beginn gehasst. Ich hielt ihn für den schlechtesten deutschen Rapper, der in letzter Zeit hochkam und das nicht mal in dem Ausmaße, wie bei Money Boy, sodass man sich zumindest darüber lustig machen konnte, sondern einfach nur wack, schlecht, unnötig. Das fing an bei dem stümpferhaft wirkenden Flow, der übertriebenen Ghetto-Darstellung und den Synthie-Beats, mit denen ich bis dahin rein gar nichts anfangen konnte. Ein Freund und Kommilitone von mir (studiert ebenfalls Deutsch & Religion), der auch primär Rap hört, hat ihn allerdings gefeiert und da ich ihn für jemanden halte, der davon ziemlich viel Ahnung hat, dachte ich mir, ich geb dem ganzen nochmal eine Chance. Tja, war ein Griff ins Klo, ich fand ihn immer noch überwack. Dürfte so Ende 2011 gewesen sein. Irgendwann hab ich mir das dann nochmal angetan und "Ich nehm' dir alles weg" für mich entdeckt. Klar, es war immer noch der Flow & die Beats, die eigentlich nichts für mich sind, aber die Atmosphäre hat mich doch irgendwie gecatcht. Außerdem konnt ich auch über ein paar Lines lachen, vor allem in Kombination mit der Betonung:
"Was ist los, mann?
Das sind Flows, mann!
Hast du ein Problem, Chrouuuuuu?
Ja, dann komm ran!".
Wirklich überzeugen konnte mich das trotzdem nicht. Aber zumindest konnte ich nachvollziehen, warum man es sich anhört. Außerdem erinnerte es mich irgendwie an Aggro Berlin, als sie die Ansage 3 / 4 rausgebracht haben, ich war früher übelst der Backpacker. (Absolute) Beginner, Dynamite Deluxe, Main Concept etc. pp. und trotzdem, wie Aggro Berlin das rüberbrachte, das war halt mal was Neues und interessant und die Atmosphäre war auch wieder was ganz eigenes - einfach ein Gegenstück zu den ganzen Happy-Hip-Hop-Blumentopf-Style.
Aber zurück zu Haftbefehl. Wie gesagt, war ich früher eher Studentenrap-Hörer, irgendwann kam ich dann zu Kollegah und wurde offener gegenüber anderem Rap (bei Kollegah hat es übrigens auch lange gedauert, bis ich ihn gefeiert habe), also hatte dementsprechend auch kein Problem mehr mit Asozialität in Texten (wie bspw. von Hollywood Hank). Trotzdem fehlte noch was und das kam dann eben im Februar 2012, als das Splash-Mag "
THE NOTORIOUS H.A.F.T." releast hat. Meine Lieblingsproduzenten aus Deutschland machen ein Album und remixen Haft-Tracks, also auf ein weiteres Mal, Album geladen und diesmal von Anfang an geflasht sein. Diese 90-Beats im modernen Gewand, in Verbindung mit Haftis Flow, wow, das Ding hat mich direkt geflasht. Plötzlich hat es auch direkt meinen Humor getroffen, allein diese komplett übertriebenen Darstellungen, vermischt mit Wörtern, die sich eigentlich nicht reimen, aber Haftbefehl scheißt darauf:
Triff mich in Hong Kong, wo ich Jet Li boxe
oder in Compton wo ich Warren G klatsche!
Auf gehts nach London, Haft ist in England,
Buckingham Palace - Amoklauf mit der Hand-Gun!
Dazu dieser Sprachenkauderwelsch und eben diesen brutalen Stakkato-Flow - in dem Moment wurde ich zum Haft-Fan. Der oben erwähnte Kommilitone hat derweil schon Celo & Abdi gepumpt, letztlich das selbe wie bei Haftbefehl; ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, fand es aber im Nachhinein ebenfalls so feierbar (wenn nicht sogar noch feierbarer) wie Haftbefehl.
Weitere Alben und Interviews haben mich halt letztlich komplett überzeugt. Es ist einfach was Unverbrauchtes, es langweilt mich nicht, wie mittlerweile jedes Blumentopf-Album, in dem irgendein Mikrokosmos in einem Text zum 100. Mal verpackt wird. Man merkt auch die Weiterentwicklung, zugleich aber diese "Ist mir scheißegal, was ihr davon denkt"-Einstellung. Sie haben ihr eigenes Ding angefangen und ziehen es eben jetzt durch und das gilt eben für die ganzen Leute von Azzlack / Alles oder Nix / etc. pp.
Abgesehen davon, dass in einer Zeit, in der all die Leute, die ich früher hörte auf einmal damit anfingen, irgendwelche beschissenen Live-Versionen ihrer Alben rauszubringen oder ganz tolle, revolutionäre Behindibeats nutzen mussten, sie nun mal darauf kamen, dass die klassischen Rap-Beats in neuem Gewand einfach besser passen.
Trotzdem kann ich nachvollziehen, warum man damit nichts anfangen kann, die Leute sollen mich nur mit Behindi-Gründen in Ruhe lassen wie bspw. dass Haft nicht rappen kann, er der 100. Untergang des Rap-Abendlandes ist, die deutsche Sprache vergewaltigt oder sonst was.
Ich denke, man liebt die Leute oder hasst sie, wer sich ernsthaft damit beschäftigen will, der soll sich das oben erwähnte "NOTORIOUS H.A.F.T." besorgen, das erleichtert definitiv schon einmal den Einstieg. Außerdem empfehle ich SSIOs "Spezialmaterial"-Mixtape und Celo & Abdis "Hinterhofjargon". Wenn einem die drei Alben wirklich gar nicht gefallen, dann ist das halt so, aber das kann man sich schon mal anhören, allein um mitreden zu können. Ach ja, Interviews, v. a. mit Celo & Abdi, sind reine Comedy-Highlights - das
16bars-Koch-Interview mit Visa Vie fand ich dermaßen unterhaltsam und auch ungezwungen (im Gegensatz zu Interviews mit bspw. Prinz Pi, der gefühlt in jedem 2. Satz seine Weltanschauung rüberbringen muss), dass ich mir kaum vorstellen kann, dass man die Typen an sich irgendwie unsympathisch finden kann (noch unterhaltsamer wird es übrigens, wenn man schon die Texte und "Running Gags" von den beiden kennt).
Abgesehen davon, lauf ich automatisch mit dickeren Eiern durch die Gegend, wenn ich mein Hafti-Shirt anhabe und komm direkt gut an, auch einer potentiellen Schlägerei bin ich locker entgangen, nachdem er mich auf mein Shirt ansprach und meinte, ich müsse doch verstehen, warum einem die Mutter heilig ist.
That's it!