Die beiden großen Parteien, die mehr oder weniger auch die Weltanschauung im Lande prägten, schrumpfen. Damit schwinden Gewissheiten, auch Foren des Austauschs. Der große deutsche Kulturwandel führt, weil niemand ihn vorbereitet hat, er in keine große Erzählung gefasst wurde, zu einer verklemmten öffentlichen Kommunikation. Denn wir tauschen da nicht einfach Statements aus, was man sagt, zeugt von der eigenen Identität. Und die bildet sich aus völlig unterschiedlichen Weltbildern heraus, die sich in den Umbruchserfahrungen der letzten Jahre verfestigt haben.
Wie hat man sich das vorzustellen? Die amerikanische Soziologin Arlie Russell Hochschild hat sich lange mit den Weltbildern beschäftigt, die konservative Amerikaner pflegen. Sie wollte das tiefe kulturelle Deutungsmuster formulieren, das die Mentalitäten weit mehr prägt als einzelne Ereignisse oder gar der Austausch von Argumenten. Sie fand, nach vielen Gesprächen mit konservativen Bürgerinnen und Bürgern, dazu das Bild einer Warteschlange. Die Wähler der Republikaner sehen sich als Menschen, die lange und geduldig anstehen, sich an die Ordnung halten, während die liberale Großstadtelite, die Migranten und die Minderheiten sich auf Sonderrechte berufen und - unter der Obama-Regierung - einfach nach vorn durchgewinkt würden.
Es ist nach dieser Theorie kein Wunder, dass sich die Konflikte zwischen den politischen Lagern derzeit nicht mehr an Verteilungsfragen, sondern an Fragen der Grenzen festmachen. Dass es sogar zum Politikum wird, wenn Wölfe einfach so über die Grenze kommen und deren Durchlässigkeit demonstrieren. Denn im Bild der Grenze wird verhandelt, wer schon immer dazugehört und wer hingegen neu hinzukommt.