Mooon: Ich messe die Aussagen anderer Leute nicht daran, wie viel Ahnung die Person prinzipiell bei einem Thema hat, sondern an ihrem Wahrheitsgehalt und ihrer Nützlichkeit.
Beim Thema Alkoholabhängigkeit sollte man
bitte wirklich nicht auf Laien oder Möchtegern-Experten hören, weil - ich wiederhole mich - einige sehr wichtige Zusammenhänge der Intuition/Alltagspsychologie stark widersprechen und hier gut gemeinte Tipps nur noch mehr Unheil anrichten würden.
Man sollte sich u.a. fragen, ob es wirklich sein kann, dass ein "dahergelaufener Forenuser" mehr Ahnung hat als Forscher, die wissenschaftliche Erkenntnisse von Jahren bis Jahrzehnten formulieren. Im konkreten Fall des Lübecker Alkoholismus Screening Tests (LAST) haben Rumpf, Hapke und John ein Instrument mit hoher Sensitivität und Spezifizität bei der Identifizierung von Alkoholproblemen entwickelt. Sensitivität und Spezifizität bedeuten grob gesagt, dass bei ehrlicher Beantwortung sowohl fast alle Menschen identifiziert werden, die jemals ein Alkoholproblem hatten, als auch, dass fast keinen Menschen ein irgendwann im Leben vorhandenes, der gängigen Norman nach klinisch relevantes, Alkoholproblem zugeschrieben wird, die in Wirklichkeit keines haben/hatten (bzw. stattdessen ein anderes Problem haben).
Das Problem bei Alkoholismus-Fragebögen ist - wie bei Fragebögen zu sehr vielen die Psyche betreffenden Krankheiten -, dass gerade Betroffene die Fragen oftmals nicht objektiv beantworten können. Das fällt oft auch Gesunden schon schwer, wenn nicht viele zusätzliche Informationen gegeben sind. (Das Verpassen einer Vorlesung ist
kein "Problem am Arbeitsplatz" oder im Studium! Das Nicht-Bestehen einer sehr wichtigen Prüfung (was dann z.B. zur Verlängerung des Studiums um 1 Semester oder gar die Exmatrikulation zur Folge hat) vorwiegend wegen des Alkoholkonsums (und nicht wegen allgemeiner Unlust oder Unfähigkeit)...
das wäre ein Problem. Deswegen sollten solche Fragebögen eigentlich zusammen mit einem Menschen (Arzt/Diagnostiker/Therapeu) beantwortet werden, der die Antworten einschätzen kann. Das vermeidet auch zwei andere Trugschlüsse:
1. Bei diesem Fragebogen ist es afaik nicht so, dass die Sicherheit, mit der ein Alkoholproblem vorliegt, linear mit der Anzahl der mit Ja beantworteten Fragen einhergeht.
2., und noch viel wichtiger:
"Damit bin ich bei 4 Ja's. Macht mich also eindeutig zum Alkoholiker"
Blödsinn! Es steht zwar in fett und rot im selben Satz wie die Anzahl der zu interpretierenden Items, aber trotzdem ist es fast schon verständlich, dass man es überliest oder falsch interpretiert: "Eine Nein-Antwort in der ersten Frage und zwei oder mehr JA-Antwortenin den Fragen 2 bis 9 weisen auf einen möglicherweise
schädigenden Alkoholkonsum hin."
Schädlicher Alkoholkonsum geht nicht zwingend mit Abhängigkeit einher. Die Grenzen sind aber fließend. Die ICD-10 (das in Deutschland für alle Kassenabrechnungen verpflichtende Diagnosemanual) bezeichnet schädlichen Gebrauch von Alkohol als dann vorliegend, wenn alkoholbedingte Schäden auf psychischem oder köperlichem Gebiet nachweisbar sind. Sehr viel genauer ist das DSM-IV (das weltweite Standardmanual für psychische Störungen):
Der Alkoholkonsum führt in klinisch bedeutsamer Weise zu Beeinträchtigungen oder Leiden, wobei sich mindestens eines der folgenden Kriterien innerhalb desselben 12-Monats-Zeitraums manifestiert:
- Wiederholter Alkoholkonsum, der zu einem Versagen bei der Erfüllung wichtiger Verpflichtungen bei der Arbeit, in der Schule oder zu Hause führt (z.B. Arbeitsprobleme s.o., Vernachlässigung von Kindern und Haushalt)
- Wiederholter Alkoholkonsum in Stituationen, in denen es aufgrund des Konsums zu einer körperlichen Gefährdung kommen kann (z.B. Alkohol am Steuer oder das Bedienen von Maschinen unter Alkoholeinfluss)
- Wiederkehrende Probleme mit dem Gesetz in Zusammenhang mit Alkoholkonsum (z.B. Verhaftungen aufgrund 'ungebührlichen Betragens' unter Alkohol)
- Fortgesetzter Alkoholkonsum trotz ständiger oder wiederholter sozialer oder zwischenmenschlicher Probleme, die durch den Alkoholkonsum verursacht oder verstärkt werden (z.B. Streit mit dem Ehegatten über die Folgen oder Intoxikation, körperliche Auseinandersetzungen).
Missbräuchlicher Alkoholkonsum unterscheidet sich von einer klassischen Abhängigkeit nach Sobell & Sobell (2004):
- Tägliches Trinken ist selten.
- Übermäßiges Trinkverhalten wechselt sich mit gemäßigtem Konsum oder Abstinzphasen ab: Ca. die Hälte des Konsums ist in geringen, "sozial angemessenen" Mengen. Andererseits kommt es eben immer wieder zu Trinkexzessen.
- Keine Zeichen einer körperlichen Abhängigkeit.
Man kann dicke Bücher über Alkoholprobleme und -abhängigkeit schreiben, ich könnte hier auch noch ewig weiterreden. Zwei Sachen, die noch nicht gesagt wurden, sind mir sind aber noch besonders wichtig:
1. Alkohol ist eine der häufigsten komorbiden Störungen.
Das bedeutet, dass Menschen mit anderen psychischen Störungen (z.B. Depression, Hyperaktivität, Angststörungen, Schizophrenie, Antisoziale Persönlichkeit,...) sehr sehr häufig auch einen schädlichen Alkoholkonsum oder eine Alkoholabhängigkeit haben. Angstgestörte trinken z.B. häufig zur Beruhigung. Bei diesen Leuten (insbesondere, wenn keine Alkohol-Abhängigkeit besteht) ist das problematische Trinkverhalten viel einfacher zu behandeln, wenn die Hauptstörung geheilt/gelindert wird.
(Natürlich gibt es das auch genau anders herum, dass Alkoholprobleme zu Depressionen, Angststörungen, Schizophrenie,... führen. Das ist aber wohl seltener.)
2. Die Chemie spielt eine entscheidende Rolle.
Das im Detail zu erläutern, würde zu viele neurobiologische Grundlagen voraussetzen, die ich hier wegen ihrer Länge nicht ausbreiten kann. Stark vereinfacht kann man es so ausdrücken, dass Alkoholabhängige ihr körpereigenes Motivations- und Belohnungssystem nicht mehr selbst aktivieren können. D.h., dass ihr Gehirn zwingend Alkohol braucht um sich zu aktivieren, Freude und Stolz zu empfinden,... Wie bei so vielen Substanzabhängigkeiten spielt hier das dopaminerge System eine Rolle, auch das serotonerge, usw.
Bottom Line: Der menschliche Wille ist Gefangener seiner chemischen Vorgänge im Gehirn.
(Bitte keine Diskussion über den freien Willen!) Wer mehr darüber erfahren will (und warum das kein Blödsinn ist), dem empfehle ich die Arte-Dokus "Gehirn unter Drogen", die man leicht bei Youtube findet. Fürs Verständnis der Grundlagen zum hiesigen Thema sind die Filme zu "Kokain und Aufputschmitteln" sowie "Griff zum legalen Gift - Tabak und Alkohol" besonders gut (in der Reihenfolge).