Wenn man wirklich der Meinung ist, Option 2 ist die bessere für einen selbst, muss man imo schon wirklich auf SEHR wohlwollende Berichterstattung vertrauen, um das den meisten Leuten glaubhaft zu machen. Wenn man sich was das angeht auf der sicheren Seite sieht kann ich mir wohl vorstellen, warum man vielleicht glaubt auch mit solchen "der Hund hat meine Hausaufgaben gefressen und aus Scham hat er mir neue geschrieben die nur ganz zufällig klingen wie ChatGPT"-Erklärungen durchzukommen. Scheint nur dummerweise nicht geklappt zu haben, denn selbst in der FAZ und in der Bild (!) sind gestern Artikel gelaufen, die die Ehrlichkeit der FDP in Zwiefel ziehen. Und wenn ich mir das Journalisten-Echo auf Twitter ansehe, scheint es mir auch einige eher FDP-freundliche Medien zu geben, die sich vor den Kopf gestoßen fühlen, wiederholt und so dreist angelogen worden zu sein.
Ich habe es schonmal erwähnt, aber woran mich die Krisenkommunikation der FDP tatsächlich erinnert ist die Krisenkommunikation von amerikanischen Unternehmen, die ich kennengelernt habe. Da weiß man immer woran man ist: Es gibt keinen Anspruch auf Wahrheit sondern nur einen auf Kommunikation der Geschichte, die für einen selbst am besten passt. Wenn das Unternehmen genau weiß dass es eigentlich einen handfesten Skandal produziert hat aber ganz guter Dinge ist, dass der sich nicht gerichtsfest beweisen lässt, lügt man einfach glasklar ins Gesicht und streitet alles ab und wenn sich das ganze hinterher doch beweisen lässt sagt man (und alle akzeptieren es dann auch so), dass man eben primär eine Verantwortung gegenüber den Aktionären hat (die vielbeschworene fiduciary responsibility), nicht gegenüber der Öffentlichkeit. Das Problem ist nur, dass das für Coca-Cola funktionieren kann, weil alle wissen dass die Leute im Zweifelsfall doch weiter ihre Plörre trinken und auf CSR scheißen, aber nicht für Parteien. Aus irgendeinem Grund scheint die FDP nicht zu verstehen, dass politische Parteien auf Vertrauen angewiesen sind und sich fehlendes Vertrauen nicht mit Wahlkampfslogans und Porträts von Christian Lindner auf Wahlkampfplakaten kompensieren lässt. Dazu passt auch gut, dass Christian Reymann, der für die FDP Bundesgeschäftsführer ist und offensichtlich das slide deck bearbeitet hat, natürlich Public Relations studiert hat.
Naja. Um ehrlich zu sein: So schlecht kommt die FDP mit ihrem Narrativ ja aktuell nicht durch in Anbetracht dessen, was da passiert ist. Insofern scheint das Kalkül ex ante nicht so völlig unberechtigt gewesen zu sein.(*)
Ein unbedarfter Beobachter kann der Debatte jedenfalls nicht eindeutig entnehmen, ob es sich dabei jetzt um einen außergewöhnlichen Vorgang handelt oder nicht - was wiederum ein eher trübes Bild unserer demokratischen Öffentlichkeit zeichnet und obwohl ich kein Freund solcher Analysen bin, würde ich hier denen zustimmen, die durch diese ganze Sache unsere Demokratie als solches beschädigt sehen.
Das gilt für den Vorgang selbst, aber nicht zuletzt auch für den Trumpesken Umgang mit dem, was eigentlich für jeden offen einsehbar ist.
Ob das jetzt aber auch bedeutet, dass die FDP davon einen nachhaltigen politischen Schaden hat, wird sich zeigen. Lang ist das Gedächtnis des Wählers im Allgemeinen nicht und da die FDP bereits vor dem Skandal quasi auf den harten Kern ihrer Wählerschaft geschrumpft war, kann sie unmittelbar auch gar nicht mehr dafür abgestraft werden. Eigentlich sollte das Ganze - in Tateinheit mit dem üblichen FDP-Bullshit, den man schon fast gar nicht mehr als Fremdkörper empfindet - ja bei weitem genug sein, um ihren Ausstieg aus dem Bundestag zu besiegeln. Aber selbst da bin ich mir nicht mal sicher.
[Edit]
(*) Es fällt ja schon auf, wie freigiebig die FDP-Spitze mit Informationen über diesen an sich ja sehr peinlichen und schädlichen Vorgang war. Wenn wir jetzt mal nicht davon ausgehen, dass diese Gruppe mit Saboteuren durchsetzt ist, die einfach Lindners Visage endlich loswerden wollen, dann unterstreicht das ja eigentlich genau deinen Befund, dass man sich offenbar in seiner Hybris der Loyalität der Journalisten, mit denen man sowas offen bequatscht, etwas zu sicher war, respektive zu sehr davon ausging, dass die schon alle auf derselben Wellenlänge wären und genau so darüber berichten würden.
In diesem Zusammenhang könnte man gegenüber der "Gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen"-Verteidigung der FDP auch mal direkt die Frage stellen: Wenn es wirklich stimmt, dass das alles so normal ist und die FDP sich da gar nicht von (in diesem Fall) SPD und Grünen abhebt: Wo ist dann die Evidenz dafür? Waren die einfach brainy genug, keine Powerpoint-Slides dazu zu verteilen, sind sie weniger tratschig, weshalb das nicht so ans Tageslicht kam oder haben sie "ihre" Journalisten besser im Griff?
Es gibt einfach wenig, was darauf hindeutet, dass es eine generalstabsmäßig geplante Täuschung seitens der SPD und der Grünen gegeben hat, so wie das bei der FDP offensichtlich der Fall war. Da finde ich es im Gegenzug dann schon befremdlich, wie sehr man der FDP genau dieses Narrativ teils zwar nicht abkauft, aber zumindest durchgehen lässt, obwohl sie überhaupt nichts hat, worauf sie zeigen kann, sondern nur leere Behauptungen.
[Edit2]
Twist: Es gibt eigentlich zwei FDPs. In einer hat der Generalsekretär keine Ahnung, was in seiner Partei so vorgeht und der Geschäftsführer bastelt sich gerne mal abends bei einem Glas Rotwein ein paar Powerpoints als private Denkhilfe. Die andere wird von CL angeführt.
Nach den öffentlich gewordenen Planungen der Liberalen zum Ampel-Aus tritt FDP-Generalsekretär Djir-Sarai zurück. In einem Statement erklärte er, "unwissentlich falsch" informiert zu haben - und entschuldigte sich. Es gibt einen weiteren Rücktritt.
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Immerhin, der Ton wird rauer und damit angemessener:
Die Liberalen beschädigen sich nach dem Ampel-Aus weiter massiv selbst, ihre Glaubwürdigkeit schwindet immer mehr. Ob sich die FDP-Führung mit diesem Scherbenhaufen wird halten können, ist fraglich.
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