Danke, überzeugt mich leider immer noch nicht. Gerade die im Vergleich zum Gesamttrend größere Differenz zwischen den beiden letzten Gymnasialmessungen macht mich stutzig. Allerdings gebe ich zu, dass es etwas voreilig ist, da anhand einer Messung den Untergang des Abendlandes herbeizubeschwören. Warten wir mal die neuesten Daten ab.
Na ja, so ganz klar ist mir auch nicht, was zu der Verschlechterung 2015 geführt hat. Ich sage bloß: Die Theorie "Schuld ist die Tatsache, dass der Anspruch im Gymnasium gesenkt wurde, damit immer mehr Leute Abitur machen konnten" ist mit ziemlicher Sicherheit falsch. Dafür reicht es quasi, sich die Abiturquote der Pisa-Jahrgänge* anzuschauen:
Pisa 2000: 28,3% im Jahr 2004. Da btw Stabilität seit Mitte der 1990er (1995: 27,7%)
Pisa 2003: 30,2% im Jahr 2007.
Pisa 2006: 33,4% im Jahr 2010.
Pisa 2009: 39,8% im Jahr 2013.
Pisa 2012: 41,1% im Jahr 2016.
Wie hoch die Abiturquote für den Jahrgang sein wird, der bei Pisa 2015 den Rückgang zu verantworten hat, ist natürlich noch nicht zu sagen, da die meisten von ihnen erst dieses Jahr Abitur machen. Aber sollten wir nicht nochmal einen großen Sprung sehen, kann das nicht die Antwort sein, weil die Expansion quasi über den gesamten Zeitraum von Pisa anhält und du bis 2012 für die Scores im Gymnasium nahezu perfekte Stabilität siehst.
*ich vereinfache hier mal leicht bei zwei Sachen: Einerseits indem ich Pisa-Jahrgang +4 als Abiturquote annehme, obwohl ich natürlich weiß, dass man in manchen Ländern schon nach drei Jahren Abitur macht. Andererseits indem ich annehme, dass sich der erhöhte Anteil derjenigen, die in der 9. Klasse im Gymnasium sind, sich nur in der erhöhten Abiturquote niederschlägt
Nach meiner Erfahrung gibt es innerhalb der deutschen Unilandschaft eine starke Varianz. Nach meinem ersten, erfolgreich abgebrochenen Informatikstudium hätte ich dir sofort zugestimmt. Riesige Studierendenzahlen, Profs unerreichbar, Studis sitzen mangels Sitzgelegenheiten in den Sälen auf der Treppe. Bei meinem jetzigen Arbeitgeber hingegen (bei dem ich vorher auch mein Studium absolviert habe) kann ich mich nicht beschweren. Wir bieten zusätzliche fakultative Tutorien mit kleinen Teilnehmerzahlen, und gerade in den Problemfächern auch großzügige Sprechzeiten von Dozenten und Tutorenseite aus an. Nur: Es wird hauptsächlich von denen genutzt, die eh schon gut sind. Damit will ich sagen: Auch wenn ich dir prinzipiell zustimme, mehr Betreuung bei den von mir genannten "Studierunfähigen" ist keine "golden Bullet", sondern nur ein Teil wird dadurch wirklich "gerettet".
Wie gesagt, ich würde einerseits diese Angebote gerne breitflächig auf das Niveau gehoben sehen, das ihr offensichtlich schon erreicht und die Leute andererseits mehr dazu zwingen, sie auch wirklich wahrzunehmen. Eine Möglichkeit wäre bspw. die BAföG-Sätze endlich so anzupassen und zu indizieren, dass die Leute tatsächlich ohne Nebenjob davon leben können und dann stärker finanzielle Anreize für diejenigen zu schaffen, die ihr Studium durchziehen.
Wenn man flächendeckend eine gute Betreuungsituation möchte, brauchen die Unis am Ende schlicht mehr Geld. Ehrlich gesagt stimme ich deshalb auch mit Benrath überein: Sozialverträgliche Studiengebühren sind über alles gesehen eine gute Idee. Als Modell könnte man sich zum Beispiel an den Krediten in Großbritannien orientieren. Weniger betuchte Studenten können so ihr Studium finanzieren, eine Rückzahlung wird aber erst ab einer gewissen Einkommensgrenze fällig. Auch aus moralischen Gründen fände ich es garnicht schlecht, wenn die studierte Elite das Studium finanziert.
In der Theorie stimme ich zu, aber in der Praxis vermute ich dass man die bessere Ausstattung der Hochschulen nicht davon abhängig machen sollte, weil sich das Thema politisch in Deutschland als ziemlich toxisch erwiesen hat. Viel eher sollte man endlich damit aufhören, die Universitäten fast ausschließlich von der Ebene finanzieren zu lassen, die sie sich am wenigsten leisten kann, den Ländern. Die Länder geben 25 Milliarden für Universitäten aus, der Bund sechs. Es würde wirklich niemanden umbringen, wenn das 16 wären; damit würden sich die Aufwändungen um ein Drittel erhöhen.
Also ich würde schon sagen, dass es innerhalb 20%-Gruppe der Studierunfähigen eine erneute 20%-Subgruppe gibt, die in der Tat nicht die kognitiven Fähigkeiten zur brauchbaren Bewältigung des Studiums mitbringt. Nicht alle davon sind faul, manche geben sich sichtbar Mühe, aber sie kriegen es einfach nicht hin. Wenn man sie ein bisschen führt, schaffen sie mit ach und krach eine akzeptabele Interpretation einer Regressiontabelle, aber sobald es alleine gehen soll, ist's vorbei. Nun stimme ich ja zu, dass gerade Bachelorstatistik noch kein Hexenwerk ist, allerdings habe ich auch eins gelernt: Menschen unterschätzen ihre "Talente". Was für mich oder dich trivial ist, muss für andere nicht gelten. Ich habe früher öfter Nachhilfe gegeben, und auch wenn die meisten in der Tat mit entsprechendem Willen in der Lage waren, das wichtigste zu lernen, gibt es einfach eine Minderheit, bei der das auch unter größten Mühen nicht der Fall ist. Es kann nicht jeder Basis-Statistik, genauso wie nicht jeder vernünftige Texte formulieren kann. Die Frage ist: Wie kommen diese Leute überhaupt an die Uni?
Dann gibt es natürlich noch eine Großzahl an anderen Fällen, bei denen prinzipiell was zu retten ist, wenn sie sich denn reinhängen, etwas Unterstützung erhalten und ihre persönlichen Probleme in den Griff bekommen.
Wo du grad den den Loop in R erwähnst: Bei den Erstsemester auch immer wieder gesehen: Frauen, die mehr oder weniger direkt sagen "Ich kann nicht mit Computern", und nicht mal wirklich versuchen, sich mit den Programmen oder auch nur den Basics einer Dateipfadstruktur unter Windows auseinander zu setzen*. Immerhin verflüchtigt sich das Phänomen üblicherweise relativ zügig, trotzdem fand ich diese Art der internalisierten Hilflosigkeit stets interessant.
*Die Leute dazu zukriegen, die Daten in die vorgesehenen Ordner zu speichern, ist stets ein Krampf.
Jor, diese Leute gibt es auch, keine Frage†. Aber das ist sicher auch eine Frage der Höhe der Abbrecherquoten. Ich würde vermuten es ist einfacher, den marginalen Abbrecher in Informatik auf das Niveau zu bringen, das er braucht, um einen Abschluss zu schaffen, wenn die Abbrecherquote 40% ist, als den marginalen Studenten der Soziologie, wo sie vermutlich sowieso ziemlich niedrig liegt, weil man sich sowieso mit puren Laberseminaren durchhangeln kann.
Ich bin im Übrigen auch nicht so sicher, ob in manchen Fächern die Anforderungen im BA nicht eher noch zu hoch sind. Wenn ich die USA (zumindest die Universitäten, die ich jetzt so kenne) mit Deutschland vergleiche, habe ich das Gefühl, dass die Professoren im Grunde genommen die Umstellung von Diplom/Magister auf BA/MA nur sehr widerwillig vollzogen haben; dabei kommt mir die Idee, dass wir eben NICHT jeden so ausbilden müssen, dass er im Zweifelsfall eigenständige Forschung betreiben kann, eigentlich ziemlich sinnvoll vor. Bspw. ist es mir jetzt schon mehrfach passiert, dass Leute (die in den USA an sehr respektablen Universitäten ihren BA gemacht haben) zu mir meinten, dass ein guter Teil dessen, was man früher im Diplom und heute im BA/MA vermittelt bekam, in den USA erst an Grad Students vermittelt wurde, dabei wird in Deutschland quasi vorausgesetzt, dass man den MA macht, wenn man einen "richtigen" Abschluss will, während in den USA der BA der absolute Regelfall ist und man damit auch auf den Arbeitsmarkt kann. Die deutsche Wirtschaft ist damit sicherlich auch nicht schlecht gefahren, weil es gut zu unserem Wirtschaftssystem passt, aber ob das heute und in Zukunft immer noch der Fall ist, kann man zumindest bezweifeln.
†Leute mit Mac, die sagen "Terminal? I don't think my Mac has that"