So, Film auch gleich heute gesehen. Eine Übereinstimmung kann ich schon mal herausstellen: Der Film hat auch bei mir einen gemischten Eindruck hinterlassen. Es gab lange keinen Film mehr, bei dem es mir so schwer viel, mich zu einer prägnanten Beurteilung durchzuringen.
Für sämtliche Prädikate von geglückt bis misslungen ließen sich schlüssige Rechtfertigungen finden. Vieles der durchaus harten Kritik ist schlicht nicht von der Hand zu weisen, ebenso wenig wie die Stärken des Films. Ich werde mal versuchen, beidem angemessenen
Raum zu geben.
Zunächst mal ist eins festzustellen: Ja, dem Film fehlt es an Tiefgang. Der Film ist sogar ziemlich oberflächlich und auch noch unkreativ. Er wirkt sehr materialistisch, sehr auf Ereignisse, auf Fakten bedacht. Geistiges gibt es wenig zu bestaunen: kaum Ideen, Gedanken, Motive, Intentionen, Hintergründe, Konflikte. Kurzum: Vieles von dem, was ein gehaltvolles Drama auszeichnet, lässt der Film vermissen. Macht ihn das schon gehaltlos? Mal sehen.
Der Film, der den Stoff aus zehn Jahren bewegter Geschichte auf zweieinhalb Stunden Kino verdichtet, wirkt quasi zwangsweise gehetzt: Es kommt einem so vor, als wollten die Macher möglichst viele Ereignisse aus dieser Zeit auf die Leinwand bringen. Dadurch wirkt der Film größtenteils wie ein durchgezogener Sprint, ein Trip, der einen kaum zu Atem kommen lässt. Ruhigere Momente der Besinnung, die zum kurzen Innehalten und Reflektieren einladen, sind sehr rar. Ausschnitte und Szenen fliegen nur so am Betrachter vorüber, Personen betreten abrupt die Bildfläche und verschwinden ebenso abrupt wieder. Man sollte schon sehr aufmerksam sein, um überhaupt mitzukommen und für vollen Durchblick ist einiges an Vorwissen absolute Voraussetzung.
So beladen bleibt natürlich auch (zu) wenig Zeit für eine ansprechende Charakterisierung der Hauptfiguren. Lediglich Ulrike Meinhof wird eine gewisse Entwicklung vergönnt, ihre Spießgesellen Baader und Ensslin sind völlig statische Figuren ohne Anfang und Ende: Sie tauchen auf, sind, wie sie eben sind, und bleiben es weitgehend bis zu ihrem Tod. Ähnliches trifft auf Mohnhaupt und alle weiteren noch viel stärker zu - von vielen erfährt man nicht einmal die Namen: Sie bleiben unplastische Nebenrollen einer Geschichte wie kleine Zahnräder eines riesigen Uhrwerks.
Es ist eindeutig in erster Linie ein Film über Taten und Ereignisse, nicht über die Menschen, die sie verüben oder daran teilhaben.
Im großen und prominenten Schauspielerensemble, das die Darstellung der enorm zahlreichen Nebencharaktere übernimmt, gibt sich das Who is Who des deutschen Films die Klinke in die Hand, was zwar für durchweg gute Darstellerleistungen sorgt, jedoch ein großes Problem mit sich bringt: Quasi an jeder Ecke, noch in jedem Miniauftritt lauert ein bekanntes Gesicht. Man sieht nicht Studenten, Ermittler, Terroristen, sondern die Lara, den Ferch, die Herzsprung oder den Erceg. Die Person der Schauspieler dominiert häufig die Figur, was ich in diesem Ausmaß einfach nur als störend und ablenkend empfand.
Während man Bruno Ganz als klugen, ja fast weisen, über den Dingen stehenden Chef der BKA-Ermittler noch problemlos akzeptiert, wirkt sich der Bekanntheitseffekt vor allem bei Moritz Bleibtreu als Andreas Baader sehr zwiespältig aus. Er spielt den Baader mit den Qualitäten, die ihn auszeichnen, schnörkellos, locker, mit einem gewissen Charme, eloquent - vielleicht etwas zu eloquent. Dennoch schafft er es letztenendes doch nicht ganz in die Rolle hinein. Letztlich sieht man doch immer einen gut aufgelegten Moritz Bleibtreu, keinen ganzen Andreas Baader.
Man kann auch hier wie an so vielen Stellen von zwei Seiten argumentieren, weil Bleibtreus Auftritt für erheblichen Unterhaltungswert sorgt, ohne zu sehr von den Tatsachen abzuweichen - darauf verlasse ich mich einfach bei einem Berater wie Stefan Aust. Zwar werden auch die dunklen Seiten der Figur eindeutig herausgearbeitet, dennoch hätte es vielleicht auf Kosten des Unterhaltungswerts eine kleine Nuance weniger Coolness sein dürfen.
Die vielleicht größte Schwäche, die man dem Film vorwerfen muss, ist eine sehr subtanzielle: Er weiß nicht so recht, was für eine Geschichte er erzählt. Es fehlt häufig der Punkt, das, worauf man eigentlich hinaus will. Es wird zwischen all den Ereignissen, Menschen und Aktionen keine stringente Handlung erzeugt, was häufig ein Gefühl der Wahllosigkeit bei der Auswahl von Szenen erzeugt: Warum sieht man diesen Banküberfall, diese Festnahme? Die Schemen wiederholen sich ab der Mitte des Films auch ein wenig, so dass man mit dem ein oder anderen Schnitt einiges an Platz für mehr Tiefe hätte schaffen können. Da fehlt mir teils entschieden der Mut zur Lücke.
Doch irgendwo stößt man auch an die Grenzen der Kritikwürdigkeit. Hätte ich einen Film über die RAF so gemacht? Nein, ganz sicher nicht. Ich hätte ihn völlig anders konzipiert und umgesetzt. Aber zehn Menschen haben dazu sicherlich zwölf Meinungen.
Es lassen sich zu diesem Thema hundert Filme machen, die alle irgendwie ihre Daseinsberechtigung haben können.
Und dieser Film hat eine Daseinsberechtigung.
Er hat sich für einen sehr bodenständigen Weg entschieden, die Geschehnisse aufzubereiten, bemüht sich um Realismus, Authentizität und eine Art neutralen Standpunkt - und der schwierige Spagat zwischen den divergierenden Standpunkten, Interessen und Deutungsmöglichkeiten gelingt außerordentlich gut. Ich war geradezu verblüfft, wie gut er gelingt.
Und das ist sicherlich eines der Verdienste einer Darstellung, die sehr auf Taten und Ereignisse, weniger auf Spekulationen und Interpretationen abzielt: Die Tatsachen sprechen für sich.
Natürlich, frei von Interpretation ist der Film nicht, das ist kein Film je gewesen. Aber er versucht sich auf das zu beschränken, was man mit großer Sicherheit weiß. Das mag dem ein oder anderen unoriginell und langweilig entscheiden, aber mal ehrlich: War der Film langweilig?
Ich fand ihn höchst unterhaltsam, mehr noch: Ich fand ihn interessant. Das lag zum einen an der meisterhaften Inszenierung - da stimmt technisch einfach alles - und der permanent dichten und vereinnehmenden Atmosphäre. Zum anderen aber natürlich am Thema und gerade das ist ja eines der Verdienste des Films: Er behandelt ein überaus interessantes und brisantes Thema.
Arbeitet er es auf? Eigentlich nicht, nein. Wie eingangs erwähnt: Es fehlt ihm ein Geist, eine Botschaft, eine klare Vorstellung von dem, was vermittelt werden soll. Doch abgesehen davon, dass es zu eigenen dramaturgischen Problemen führt: Ist das denn so nötig? Ist es intellektuell unbefriedigend?
Was würde den Intellekt denn befriedigen? Eine umfangreiche (und spekulative) Psychologisierung, tiefsinnige Schwadronaden über Für und Wider, Zweck und Mittel, Theorie und Praxis der Revolution, Staatstheorie, Rechtsphilosophie, Ethik?
Warum? Was bringt das? Ich will nicht in Abrede stellen, dass man so etwas sinnvoll und gewinnbringend tun kann, aber warum will man es erzwingen?
Sind denn die Menschen, die da am Werk waren, verkappte Intellektuelle, die einen idealistischen Kampf für Gerechtigkeit führten oder doch eher jugendliche Husaren, die auf sehr brutale und gewaltsame Art ihren Geltungsdrang verwirklichen wollten?
Gibt es überhaupt diesen tieferen Sinn, diese höhere Warte, die solche Menschen antrieb? Oder war es vielleicht doch alles ganz banale verbrecherische Selbstverwirklichung wie sie jeden kleinen Straßengangster leitet? Apropos, ist es ein Mißstand, dass Andreas Baader eher an einen machohaften Kleinganoven als einen kaltblütigen Terrorfürsten erinnert? Oder war er vielleicht genau das?
Ich sage nicht, dass man diese Dinge einfach so entscheiden kann, aber ich bin doch entschieden dagegen, dass man allem und jedem Thema immer und überall so eine geistige Substanz zuweisen muss, wo vielleicht gar keine ist.
Es ist wahr, dass der Film Ideenleitung und Hintergründe der Taten stark übergeht, aber das an sich ist noch keine Schwäche. Er lässt nämlich offen, ob dies aus Faulheit und Verpflichtung gegenüber dem Mainstream geschieht - der Film ist grandioses Popcornkino! - oder ob er einfach nicht spekulieren wollte.
Wahrscheinlich liegt die Wahrheit in der Mitte, ebenso wie der Wert des Films irgendwo in der Mitte zwischen Anspruch und deutschem Hollywoodkino liegt.
Und wenn ein Film bei allen filmerischen Mängeln, die zweifellos vorhanden sind, authentische Geschichtsdarstellung mit einer straffen Inszenierung und hohem Unterhaltungswert verbindet, dann hat er auch einiges richtig gemacht.
Ich habe mich jedenfalls gut amüsiert, einiges mitnehmen können und werde den Film womöglich noch ein zweites Mal anschauen.
Einer Punktwertung würd ich mich hier eigentlich gern enthalten, aber in meine Imdb-History wird der Film wohl mit 7/10 eingehen.