Original geschrieben von OgerGolg
Du sagst: "real geschützt werden muss". Ich meine hier liegt der Kernpunkt und unser Streitfall, ich behaupte, diese Realität des Schutzes ist unhintergehbar und verändert somit die "freie Entscheidung" (auch als Marktmechanismus symbolisiert). meine oft geäußerte Aussage: einen Markt (also Handelssystem) gibt es ohne Politik (= Ordnungsform die Kosten verursacht, im ökonomischen) nicht (es gibt natürlich auch einen Markt in der Sklavengesellschaft, aber der negiert natürlich deine Definition der Anarchie)
Genauso könnte ich sagen, dass es keine Politik ohne Markt gibt: Der Staat ist nichts als ein Monopol auf ein bestimmtes Gut.
Das ist eine Definitionsfrage und ohne inhaltliche Bedeutung.
Die freie Entscheidung, von der ich hier spreche, ist eine ethische Kategorie und damit per Definition unabhängig von realer Beeinflussung.
Wie frei die reale Entscheidung unter bestimmten Umständen ist, darüber können wir a priori keine brauchbare Aussage formulieren.
Allerdings können wir sagen, dass sie durch Gewalt eingeschränkt wird.
Original geschrieben von OgerGolg
Zumal ich deine Anarchismusdefinition in ihrer Allgemeingültigkeit anzweifle, ich kenne mich allerdings zu wenig in dieser Theorie aus. Wer Gewalt schon a priori als verwerflich abstempelt, sieht die Welt nur durch die Brille der Moral. Ob damit Veränderung, Wandel, Politik, Wirtschaft, Kapitalismus "neutral" zu erklären sind, ist äußerst fragwürdig.
?
Moral dient nicht dazu, die Welt zu erklären, sondern Entscheidungen zu treffen.
Und moralische Prinzipien (z.B. Gewaltverzicht) müssen natürlich a priori aufgestellt werden. Ohne moralische Prämisse kannst du auch keine moralischen Schlüsse ziehen. Moral lässt sich nicht empirisch herleiten.
Original geschrieben von OgerGolg
Ich frage mich aber wieso du nicht auf "neo"liberalismus eingegangen bist, sondern lediglich eine relativ platte und in meinen Augen wenig gewinnbringende Definition von Anarchismus/Liberalismus präsentiert hast? Ich hab mir extra die Mühe gemacht, bissl genauer zu beschreiben was ich meine
Was soll ich denn dazu sagen?
Ich konnte mir schon denken, was du ungefähr unter dem Begriff verstehst. Dass ich es nun noch etwas genauer weiß, macht ihn für eine Diskussion nicht brauchbarer.
Du sagst ja selbst, dass es nur ein Kampfbegriff ist.
Original geschrieben von OgerGolg
Mich wundert, wieso du in der Erklärung von wirtschaftlichen Sachverhalten immer wieder auf diese "Ethik" zu sprechen kommst. In meinen Augen hat die hier nichts zu suchen, d.h. ist abgekoppelt von der Problematik.
Ethik ist nichts als die Lehre vom Sollen, also von Entscheidungen.
Wann immer wir eine Entscheidung treffen, handeln wir auch unter ethischen Gesichtspunkten, ob wir wollen oder nicht.
Ich frag mich, ehrlich gesagt, mal wieder, worauf du überhaupt hinaus willst.
Um mal direkt am Stellenwert der Ethik anzuknüpfen:
Original geschrieben von Amad3us
Insofern folgt daraus (natürlich etwas übertrieben dargestellt), dass sämtliche Theorien blossen Labor/Geschmackswert besitzen.
Korrektur (laut deiner eigenen Prämisse): empirische Theorien.
Wenn wir die Unbewertbarkeit empirischer Theorien unterstellen, tritt reine Ethik ja noch viel mehr in den Vordergrund.
Es kommt dann also noch viel weniger darauf an, welche Folgen etwas nach sich zieht und noch mehr darauf, wie ich es, unabhängig von den konkreten Folgen, rechtfertigen kann.
=> pro Liberalismus
Original geschrieben von ~XantoS~
Gleichzeitig bedeuten die obigen Eigenschaft auch, dass ein Sozialstaat als erstrebenswert angesehen wird - weniger sogar "für sich selbst" (wie es heute der Fall ist) als aus Überzeugung.
Gar nicht fein: Du unterstellst eine Wertigkeit, ohne sie explizit auszusprechen.
Dass ich etwas nicht für mich selbst will, macht es erstmal weder besser noch schlechter.
Ich halte übrigens deine ganze Charakterisierung für recht verklärt.
Man könnte viele Eigenheiten des deutschen (und vielleicht auch schwedischen, aber da kenn ich mich weniger aus) Politikverständnisses als Relikte des spät abgeschafften Obigkeitsstaates deuten, in dem es eben Grundkonsens war, dass nicht der Mensch selbst, sondern die über ihn herrschende Macht sein Schicksal bestimmen.
Die Autonomie des Individuums hat da nicht denselben Stellenwert wie in den anglo-amerikanischen Gesellschaften.
Das fügt sich im Übrigen auch sehr viel besser in die historische Entwicklung der deutschen Sozialgesetzgebung. Die wurde nämlich eher als politisches Instrument jenes Obrigkeitsstaates als aus irgendwelchen moralischen Motiven heraus geschaffen.
Und unser heutiger Sozialstaat wurde kurz nach dem Ende eines totalitären Regimes von oben aufgesetzt. Wo soll sich darin bitte die moralische Konstitution der Bevölkerung repräsentieren?
Das ist doch kein Vergleich zu einem Staat wie den USA, der sich quasi von unten her über einen langen Zeitraum hinweg erst ganz neu entwickelt hat und dabei auch sein ganz eigenes gesellschaftliches Ideal von Gerechtigkeit finden musste; oder England, wo das bürgerliche Aufbegehren gegen staatliche Autorität die Jahrhunderte geprägt hat.
Original geschrieben von ~XantoS~
Die Produktivitätsnachteile, dadurch, dass in diesen Systemen Leistung nicht maximal gefördert wird, werden durch die Arbeitsmoral & mangelnde Korruption offensichtlich in vielen Bereichen abgefedert oder sogar mehr als ausgeglichen - vergleichen mit dem angelsächsischen Manchester-Liberalismus.
Halte ich auch für eine arg überspannte Interpretation.
Zunächst wäre ich vorsichtig, allzu viele Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und den skandinavischen Ländern zu postulieren.
Dieser Vergleich wird zwar auch in der deutschen Politik recht gern benutzt, geht aber in großen Teilen schlicht an der Realität vorbei, weil die Voraussetzungen völlig andere sind.
Was die Produktivität angeht, kann man sicherlich streiten. Das ist ein sehr komplexes Thema, das ich hier nicht zu detailliert besprechen möchte.
Man sollte allerdings nicht die Leistungsfähigkeit im Spitzenbereich außer Acht lassen, in der Deutschland z.B. massiv abbaut. Wir haben leiden mit ansteigender Tendenz unter einem schleichenden Brain Drain, der Jahr für Jahr für einen Abfluss von Exzellenz und Intelligenz sorgt.
Die Folgen davon werden wir noch früh genug ernstlich zu spüren bekommen.
Original geschrieben von ~XantoS~
Best oft both Worlds wäre quasi ein durch Regeln aber auch Überzeugung korruptionsfreies Land, in welchem der klassische "ehrbare Hamburger Kaufmann" (Zufall, dass Hamburg eine Art Mischung aus Skandinavien, Deutschland und England ist? ) respektiert wird und dank marktwirtschaftlicher, rechtssicherer Grundordnung auch erfolgreich sein kann - und in welchem trotzdem eine hohe soziale Grundsicherung vorliegt.
Da müsstest du auch erstmal zeigen, was an einer hohen sozialen Grundsicherung erstrebenswert sein soll - insbesondere im Kontext einer immer stärker zusammenwachsenden Welt mit offenen Grenzen und globalem Wettbewerb.