Jo, dies. Das ist auch der Grund für meinen "rage" @ uti, wobei es eigentlich gar kein rage sein soll. Mich nervt nur dieses übertriebene Gesundheitsbewusstsein, weil es in meinem Umfeld zumindest bei vielen geradezu krankhaft ist und zu einer völligen Genussfreiheit führt. Dabei werden aber auch Risiken vollkommen übertrieben oder pauschalisiert.
Diabetes hat zum Beispiel einen massiven genetischen Faktor:
Type 2 diabetes mellitus has reached epidemic proportions worldwide and is also becoming increasingly important in pediatrics. Family studies and twin studies have shown that the genetic predisposition has an important impact on the development of type 2 diabetes. Genome-wide linkage studies and...
link.springer.com
Mein letzter Stand war, dass die Quote bei genetischer Disposition um das etwa 4-Fache erhöht ist. Wenn in meiner Familie also kein einziger Diabetes-Fall vorliegt, obwohl Omas teilweise wirklich täglich massen an Bonbons und Kuchen futtern und das seit Jahrzehnten, dann ist das schonmal ein Indiz. Sowas wird von Gesundheitsaposteln halt immer auch gerne übersehen und so getan, als ob alle Menschen gleich wären, was sie nicht sind. Abgesehen davon ist meine ehrliche Einstellung, dass Genuss wichtiger ist als Gesundheit und ein genussvolles aber dafür kürzeres Leben einem langen aber genusslosen Leben vorzuziehen ist. Was jetzt für den einen Genuss ist und was nicht, ist natürlich individuell. Was ich aber (fast) keinem Abkaufe (aber ständig höre) sind so selbsteingeredete Lügen "mir schmeckt Pizza/Burger/Kuchen gar nicht - ich mag am liebsten Salatblätter mit Wasser"!
Und nur zur Klarstellung: es ist natürlich richtig den Kindern den Unterschied zwischen gesünderen und weniger gesunden Lebensmitteln beizubringen. Ich finde es aber gefährlich bestimmte Lebensmittel geradezu zu verteufeln oder als per se gefährlich darzustellen. Zucker ist nicht per se gefährlich. Und es ist auch völlig ok, auch mal etwas "Ungesundes" zu essen (und mit manchmal meine ich nicht 1 mal im Schaltjahr wie so ein Laufstegmodell, dass sich das ganze Jahr auf den einen Tag freut, an dem es ein Stück Kuchen essen wird), weil man einfach Bock drauf hat. Es geht um Maß und Mitte und nicht um Essensgesetze - alles andere ist nach meiner Erfahrung ein Weg in die Essstörung.
Also sorry, aber weiter oben hast du noch was von Pommes mit Mayo, Tiefkühlpizza, sauren Schlangen und Cola geredet, jetzt soll es plötzlich um Genuss gehen.
Toppt industriell produziertes Junkfood neuerdings die Food-Charts unter echten Genießern?
Mir scheint, du verrennst dich hier eher in eine Vorstellung, wonach gesundheitsbewussten Ernährung primär etwas mit Verzicht und Zwang zu tun hat. Ich kenne keine Familie, bei der Essen eine klassische Konfliktzone ist und sehe auch nicht, wie die Kinder gesundheitsbewusster Mittelschichtsfamilien primär die sind, die unter den Folgen unausgewogener Ernährung leiden.
Ich habe hier von niemanden den Eindruck bekommen, dass Süßes, Salziges (oft unterschätzt) oder Genuss verteufelt werden. Im Gegenteil, bewusste und ausgewogene Ernährung ermöglicht imo ein differenzierteres Geschmacksempfinden schon in jungen Jahren. Man bringt Kindern meiner Erfahrung nach auch nichts bei, indem man sie zu Verzicht anhält oder ihnen am laufenden Meter irgendwas verbietet. Für Eltern ergibt es imo Sinn sich primär darüber Gedanken zu machen, was gutes Essen ist und was sie (sich selbst und) ihren Kindern regelmäßig anbieten. Der Witz ist ja, dass man nichts verbieten muss, was einfach nicht da ist. Und wenn Kinder erst gar nicht breiter mit Junkfood in Berührung kommen, entwickeln sie nach dem, was ich so sehe, auch gar kein gesteigertes Verlangen danach. Das Problem beobachte ich dann doch eher bei Kindern, die damit regelmäßig in Kontakt sind und dann tatsächlich oft nicht mehr ohne wollen bzw. können.
Ich finde es auch absurd, einen Standard, der wesentlich durch schlechte Gewohnheiten und den Einfluss der Nahrungsmittelindustrie geprägt ist, als normal zu deklarieren und die Abweichung davon (Verzicht) zu einer radikalen Position zu stilisieren. Umgekehrt wird eher ein Schuh draus: Wir wissen ziemlich gut, was gute Ernährung ist und was nicht und wir erlauben Spielern, die eindeutig andere Interessen haben als dass Menschen sich gut ernähren, viel zu viel Einfluss auf unsere Essenskultur.
Es könnte vielen Kindern und ihren Familien besser gehen, wenn wir - auch politisch - noch viel stärker darauf drängen würden, dass wir in Sachen Ernährung zu Ausgewogenheit und Maß zurückfinden. Man sieht leider, wie schwer sich die Politik damit tut, sich mit der Industrie anzulegen. Und das Proletariat der Republik klatscht noch Beifall, weil das billige Schweinekotelett Ausdruck höchster individueller Freiheit ist.