Ich muss sagen, dass ich Heators Argumentation hier eigentlich ganz gut nachvollziehen kann und er hier auch in Sachen Diskussionskultur momentan die beste Figur abgibt.
1. anstoß dieses ganzen themas war ja das einige (ich hoffe alle) es für durchaus richtig halten gesetze zu brechen, wenn man individuell der meinung ist das die gesetze scheiße sind. da kriegt man dann einen mit dem gesetzteshammer aufs maul, aber das muss man eben abkönnen.
2. durch das (evtl) brechen von gesetzen kann es bei publik werden zur diskussion ob der sinnhaftigkeit der gesetze führen.
3. der druck durch die öffentliche diskussion treibt den gesetzgeber an die gesetze an den derzeitigen gesellschaftlichen stand anzupassen.
es geht nicht darum ob irgendwas in deinen augen zum zivilen ungehorsam zählt oder nicht, das ist nur so ein kleines feigenblatt auf das du dich grade zurückgezogen hast weil 1 - 3 wohl ziemlich eindeutig wahr sind.
Das Brechen eines Gesetzes, weil man ebendieses scheiße findet, ist zuerst einmal eine individuelle Entscheidung, für die das Individuum dann u.U. entsprechende Konsequenzen tragen muss. Wenn diese Handlung in einem rechtsstaatlichen Rahmen stattfindet, ist das zunächst einmal suspekt, insbesondere wenn die Tat zu Lasten Dritter geht. Dann ist sie im Allgemeinen sogar scharf zu verurteilen.
Bsp.:
Michael findet, dass die StVO nicht für seinen Porsche gilt und er durch seinen überlegenen Fahrstil eventuellen Gefahren geschickt ausweichen kann, daher ignoriert er rote Ampeln.
Weniger bedenklich finde ich, wenn Gesetze bewusst übertreten werden, ohne die persönliche Freiheit anderer einzuschränken.
Bsp.: Hans und Klaus haben gleichgeschlechtlichen Verkehr in ihrem Schlafzimmer, obwohl dies vom Gesetzgeber untersagt ist.
Bsp. 2: Claudia raucht auf ihrem Sofa einen Joint.
Hier gilt ja zumeist "Wo kein Kläger, da kein Richter".
Schwieriger wirds, wenn durch den Gesetzesbruch mehrere Rechtsgüter gegeneinander abgewogen werden müssen.
Bsp.: Carola Rackete läuft trotz Verbots in Lampedusa ein, um dort Asylsuchende abzuliefern und gefährdet dabei durch ungeschickte Manöver auch noch dritte Personen. Hier ist das vermutete Leid der mutmaßlich Asylsuchenden, nicht in Italien an Land gehen zu dürfen gegen die Gefährdung der Hafenmitarbeiter und auch gegen die gesellschaftliche Belastung durch illegale Immigration abzuwägen.
Dass die Lage hier nicht glasklar ist, zeigt sich schon durch den gespaltenen gesellschaftlichen Diskurs. In diesem Fall muss durch ein Gericht entschieden werden, ob die Notlage ausreicht, um mildernde Umstände für den Gesetzesbruch geltend zu machen. Die Aktion ist nicht von vorn herein "voll ok", auch wenn man prinzipiell für die Aufnahme von afrikanischen Mittelmeermigranten ist, denn dadurch kommen u.U. andere Personen zu (finanziellem/gesellschaftlichem/körperlichem) Schaden.
Der vernünftige (und rechtsstaatlich vorgesehene) Weg, um zu erreichen, dass z.B. SeaWatch-Schiffe wieder italienische Häfen anlaufen und afrikanische Einwanderer an Land bringen dürfen, wäre dies öffentlich/politisch zum Diskurs zu stellen und ggf. falls die eigene Stimme nicht ausreicht, entsprechende Unterstützung zu mobilisieren.
Das ist in der Tat auch das, was passiert ist, als z.B. homosexuelle Handlungen dekriminalisiert wurden. Wobei ich das als hinkendes Beispiel empfinde, da bei gleichgeschlechtlichem Verkehr im privaten Rahmen in den allermeisten Fällen niemand (Drittes) zu Schaden kommt.
Wenn Carola Rackete nun in den Hafen von Lampedusa brettert, dabei diverse Gesetze verletzt und die potentielle Schädigung von Dritten zumindest billigend in Kauf nimmt, so das mMn nicht der rechtsstaatlich korrekte Weg, eine Änderung herbeizuführen. Denn dieser bietet genug Instrumente, Gesetzesänderungen herbeizuführen, ohne gegen diese dabei zu verstoßen (und ggf. dabei andere zu schädigen).
Daher hat sie sich vor Gericht zu verantworten und das ist völlig in Ordnung. Das ist unabhängig von den ziemlich lächerlichen Anklagen gegen sie ("kriegerische Handlungen"), die ja offensichtlich bereits fallengelassen wurden.
Gleichzeitig ist nicht jeder Rechtsbruch aus eigener Ablehnung der Gesetze eine Demonstration für gesellschaftliche Änderung. Bei Michael geschieht dies z.B. zum eigenen Vorteil und ist nach Abwägung seiner Rechte gegen die der anderen wahrscheinlich zu verurteilen. Völlig korrekt wäre es jedoch, z.B. einen Verein für rotmissachtende Porschefahrer zu gründen und mit diesem strukturellen Hintergrund z.B. über eine anmeldete Demonstration zu versuchen, die Öffentlichkeit für sein Anliegen zu gewinnen. Falls diese Bewegung ausreichend Momentum aufnimmt, beschließt der Bundestag vielleicht, die StVO für Porsches auszusetzen und aus Unrecht wird Recht. (Da die Güterabwägung hier deutlich zu Ungunsten Michaels ausfällt, ist dies jedoch sehr unwahrscheinlich).
Heator hat Recht damit, dass nicht jeder Rechtsbruch weil man ein Gesetz scheiße findet Aktivismus ist.
Wenn man auf dem Pausenhof einen Joint raucht, weil man breit werden will, ist das kein Aktivismus gegen Kriminalisierung von Drogenkonsumenten.
Gleichzeitig könnte das öffentlichkeitswirksame Anstecken eines Joints in den eigenen vier Wänden vor laufenden Fernsehkameras durch z.B. einen Tourette-Erkrankten, der dadurch Linderung erfährt, aber es nicht verschrieben bekommen kann, und die darauf folgende Verhaftung, einen gesellschaftlichen Diskurs anregen.
Wenn er sich stattdessen entscheidet, den Joint in den Räumlichkeiten eines lokalen Kindergartens zu rauchen, muss er sich jedoch deutlich kritischere Fragen (und ggf. Strafverfolgung) gefallen lassen, da dadurch das Recht auf körperliche Unversehrtheit anderer Personen gefährdet wird.