Also die Sache mit der Sprache kann ich so nicht stehen lassen (Studienschwerpunkt Sprachwissenschaft
):
Also erstmal...Sprachpolitik oder eine weitere oder gar erste Amtssprache "Englisch" einzuführen, um eine Einheit künstlich zu schaffen. Nein.
Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass eh innerhalb einer Generation 50% der bekannten ca. 7500 Sprachen auf der Welt aussterben werden, weil sich deren Sprecher notgedrungen an größeren Sprachgemeinschaften orientieren müssen, vor allem Englisch und Russisch. Da die kulturelle Vielfalt derart abnehmen wird, muss man keine künstliche Verknappung herbeiführen, indem man wichtige und traditionsreiche Kultursprachen zugunsten einer willkürlich gewählten Sprache auf den 2. Platz verweist.
Englisch ist, wirklich, weniger komplex und kann viele Sachen einfacher ausdrücken, die in Deutsch extrem umständlich sind: Vergleicht mal ein englisches Buch mit seiner Übersetzung. Das deutsche ist ca. 25% dicker (unabhängig von der Schriftgröße
). Dafür entbehrt die englische Sprache aber der kreativen Möglichkeiten, die zum Beispiel das Italienische aufweist. Ich bin mir sehr sicher, dass 10 Shakespeares in Hinblick auf Sprache und Metaphern niemals das gleiche in einem Werk geschafft hätten wie 1 Dante.
Noch ein paar andere Gedanken zum Gesagten:
- Egobefriedigung der Sprecher "Ich kann was, was andere nicht können, weil meine Sprache so schwer ist. Haha, der hat aber ein mieses Deutsch."
Zweifellos wahr, aber wird sich bei einer Einheitssprache Englisch nicht auch jemand denken "Man spricht der ein Gossenenglisch, was ist das bloß für ein Assi?" wenn der andere was anders sagt? Das gibt es in allen Sprachgemeinschaften auch. In diesem Fall ist aber nicht die Herkunft des Sprechers der Grund, sondern seine soziale Umgebung. Generell bewerten Sprecher eine Sprachform niedriger, wenn sie mit einem niedrigeren sozialen Millieu assoziiert wird.
- mehr Mobilität (umziehen in anderes Land), durch bessere Kommunikation besserer Handel, Forschung,... (in der Forschung läuft ja auch sehr viel über Englisch)
Ebenfalls wahr, aber Englisch IST bereits in diesen Fällen die gängige Sprache, das wird auch nicht besser, bloß weil es auf einmal alle sprechen (müssen). Wer mit ernsten Absichten in ein Land geht, und nicht nur um sich nach 1 Jahr wieder von seiner dortigen Studienbekanntschaft zu trennen, ist auch willens genug, sich über die Sprache zu integrieren (Flüchtlinge und Asylbewerber lasse ich mal außen vor, aber das ist eine ganz andere Diskussion). Das kommt sogar von ganz alleine, wenn der Sprecher eine gewisse strukturierte Anleitung erhält.
- mehr mentale Kapazität wird für wichtigere Sachen frei
Keine Sorge, das Gehirn hat genug mentale Kapazitäten frei für alles, was du je in deinem Leben brauchen wirst. Die beiden Areale (sog. Brocka- und das Wernicke-Zentrum), die für die Sprachproduktion und -rezeption verantwortlich sind, machen keinesfalls mehr als 10% des Volumens aus, tendenziell eher 5% würde ich schätze.
- bessere Eingliederung für geistig Behinderte, Alte und Kranke
(Behinderte müssen keine schweren Regeln lernen, Schlaganfallpatienten brauchen nicht Jahre, um die Sprache neu zu lernen, Alte müssen nicht ständig die neue Modesprache lernen um nen Haltestellenfahrplan lesen zu können)
Zu den geistig behinderten Menschen sage ich nichts sagen, da kenne ich mich nicht mit aus. Sollte im Falle eine Schlaganfalls oder einer Hirnverletzung eines der beiden Areale beschädigt werden, kann (das Gehirn arbeitet hier auf mysteriösem Wege) tatsächlich ein anderer Teil eventuell wieder Sprachfunktionen übernehmen. Warum und wie weiß man bis heute noch nicht.
Die Alten würde man damit vorerst überfordern, weil es ja bereits zu jedem Zeitpunkt Abermillionen Ältere geben wird (>50), die keine weitere Sprache lernen können oder wollen. Die kann man auch nicht zwingen, mit Dolmetscher aufs Rathaus zu gehen.
Außerdem erleben Sprachen eine natürliche Evolution. Erscheinungen wie den "Heizpilz", an dem man ja für die "Clutch" der Sitznachbarin "fremdschämen" muss, wird es auch in einer neuen Amtssprache geben. Gezielte Sprachsteuerung und -fixierung funktionierte noch nie, weil die Sprecher den entsprechenden Institutionen immer voraus sind.
In jedem Fall ist der erneute Erwerb einer Sprache keine Frage von deren Komplexität, sondern des Inputs, der strukturierten Anleitung und der Anwendung.
Das Gehirn, davon geht man heute aus, ist generell so flexibel, dass ein Mensch bis zu einer bestimmten "kritischen Periode", die zeitlich nicht genau bestimmt werden kann, prinzipiell jede Sprache lernen kann, mit deren Benutzern er regelmäßig interagiert oder in der er Unterricht erhält. Nach dieser Periode ist lernen nur noch schlechter möglich, aber auch darüber gibt es zahlreiche Ausnahmen, um etwas Definitives zu sagen.
So, das war jetzt alles etwas lang und mal wieder etwas unstrukturiert. Was ich sagen wollte, ist: Als inoffizielle Verkehrssprachen in Europa Englisch und sogar Französisch: ja bitte. Aber nicht die jetzigen Nationalsprachen zugunsten eines künstlichen Einheitsgefühls nach hinten stellen. Es gibt kaum stichhaltige Gründe für eine offizielle europäische Sprache, aber viele gegen die Abschaffung der Nationalsprachen.
Das sollte jetzt auch nicht unfreundlich, belehrend, arrogant oder besserwisserisch klingen (falls es sich so liest, bitte ich um entschuldigung - das war nicht meine Absicht), ich wollte bloß einige Missverständnisse aufklären, die bezüglich Sprache und Sprachen herrschen. Außerdem musste ich an einen entsprechenden "VSE"-Kommentar denken, den eine junge Journalistin mal in unserer Tageszeitung geschrieben hat und aus dem ersichtlich wurde, dass sie besser erstmal einen Text hätte lesen sollen, bevor sie einen schreibt.
Übrigens ist Mehrsprachigkeit sogar die Regel, nicht nur in Europa, und Einsprachigkeit die Ausnahme.