Habe nicht die 19 Seiten gelesen, möchte trotzdem mal meine halb-qualifizierten 2 Cents abgeben. Wahrscheinlich wurde dir das auch schon ein paar mal im Thread gesagt. Vielleicht kann ich noch den einen oder anderen hilfreichen Hinweis geben.
Stell dein Leben um.
Standbein 1: Aktivitätenaufbau! RL-Aktivitätenaufbau!!!
Such dir was, das dir offline Spaß macht und das am besten typischerweise in der Gruppe am besten funktioniert. Sport ist nicht jedermanns Sache, aber einfach am erfolgversprechendsten. Jemand, der körperlich sehr fit wird, kriegt dabei automatisch ein ganz anderes Körpergefühl und mit dem Körpergefühl ein ganz anderes Selbstbewusstsein.
Falls du in (der Nähe von) einer größeren Stadt wohnst, gibt es da bestimmt etwas für dich; Sportarten wie Konzentrations-Kampfsportarten, Schwimmen, Klettern, Segeln, Tischtennis, Ultimate Frisbee u.ä. sind da häufig dankbarer für den Einstieg, weil der Leistungsdruck meist weniger hoch ist und die Atmosphäre weniger ruppig. (Wenn du eine Uni in der Nähe hast, gibt's da meistens auch für Externe top viele Sportarten für günstiges Geld.)
Aber es darf auch gerne die Gesellschaftsspiele- oder Billardkneipenrunde, Schach, Geocaching, Improvisationstheater(!), der internationale Begegnungstreff, der Koch-, Fotografie- oder Sprachkurs sein.
Standbein 2: Nicht mit dem Kopf durch die Wand!
Du willst gemocht werden! Wer will das nicht. Du willst Leute ganz schnell davon überzeugen, dass du ein toller, lieber Typ bist. Und das geht eigentlich immer nach hinten los.
Mit >20 haben die meisten Menschen einen relativ festen sozialen Kreis. Leute, die sich teilweise seit Jahren kennen, schätzen und gegenseitig vertrauen. Wenn man nicht gerade ein Studium anfängt, wo alle anderen ebenfalls neu in der Stadt sind und deswegen hoch motiviert, schnell viele Leute gut kennenzulernen, kommt man eigentlich nirgends sehr schnell rein. (Es gibt ein paar wenige Leute, die das können, aber dazu benötigt man viel auf einmal: selbstbewusstes, freundliches Auftreten, Attraktivität, interessante Erlebnisse und Eigenarten, usw.)
Biedere dich nicht an! Ich glaube, das ist für dich das Allerwichtigste. Sei auch nicht übertrieben interessiert. In unseren Kulturkreisen gibt es soziale Regeln beim Kennenlenen und Freundschaftsaufbau, ob man die gut findet oder nicht. Dazu gehört, dass man erst einmal ein paar Belanglosigkeiten austauscht, sich langsam beschnuppert. Man merkt trotzdem schnell voneinander, ob man sich sympathisch findet (rein platonisch) oder nicht. Und wenn nicht, dann hat keine Seite viel investiert und muss daher Angst vor einer Zurückweisung haben. (Jeder normaler Mensch findet es unangenehm, keine Aufmerksamkeit/Zuneigung von jemandem zurückzubekommen, dem man selbige ernsthaft geschenkt hat.)
Die allermeisten Leute haben kein Interesse daran, einer bloßen Bekanntschaft nach kurzer Zeit wichtige persönliche Dinge anzuvertrauen. Dafür hat man die oben genannten langjährigen Beuzgspersonen (und wenn man die nicht hat, ist man wahrscheinlich jemand, der insgesamt nicht mit den Details seiner Gefühlswelt groß hausieren geht). Dazu braucht es Vertrauen, und Vertrauen benötigt Zeit und Arbeit!
Genauso haben die allermeisten Leute auch kein Interesse daran, persönlich wichtige Dinge von bloßen Bekanntschaften zu hören. Wenn du jemandem gleich dein Herz ausschüttest, zwingst du a) Vertrauen auf, dass der Betroffene nach den sozialen Regeln erwidern müsste; b) Verantwortung auf, mit diesem Vertrauen umzugehen. Es gibt Menschen, denen passiert das ständig: Freunde sagen ihnen, dass es ihnen schlecht geht und bitten um Rat; wenn man empathisch ist, nimmt einen das Leid der Betroffenen ebenfalls mit; für gute Freunde, von denen man auch schon viel bekommen hat oder in Zukunft wahrscheinlich bekommen wird, nimmt man das gerne in Kauf - aber für Halbfremde? Oder nimm eine Freundin von mir: Seit sie sich von ihrem langjährigen Partner getrennt hat, haben ihr gleich vier gute Freunde eröffnet, dass sie sich schon lange in sie verliebt haben; diese Freundin von mir hat die Männer alle gern, fühlt für keinen von ihnen aber mehr - was meinst du wie weh es ihr tut die alle zurückzuweisen (und dabei teilweise sogar die ganze Freundschaft zu verlieren)?!
Stell dir den Kennenlernprozess in Stufen vor, sagen wir 30.
1. Namentlich kennenlernen, die Hand schütteln.
2. Sich zufällig (wirklich zufällig) irgendwo wieder treffen, sich grüßen.
3. Sich 30 Sekunden übers Wetter und das letzte Deutschlandspiel unterhalten (völlig ungefährliche Themen, bei denen auf jeden Fall beide einer Meinung sind).
...
5. Sich mehrere Minuten lang über die Arbeit oder ein Hobby unterhalten. Immer noch ziemlich ungefährlich.
...
10. (Nach Wochen) Sich regelmäßig unterhalten (im Sportverein, in der Mittagspause, beim Treffen in der gemeinsamen Clique) und über unpersönliche, aber schon kontroversere Dinge plaudern (Sparpaket & Regierungsbildung, Ausländerintegration, Kindererziehung)
...
15. (Nach Wochen bis Monaten) Sich gegenseitig persönlich zu Video- oder Spieleabenden, Grillpartys und Geburtstagen einladen.
16.-20. Persönliche Dinge langsam mit einbeziehen: Eigene Projekte auf der Arbeit (erst über erfolgreiche, viel später über Stress mit dem Chef oder Kollegen...), der sich langsam entwickelnde Bierbauch, die heiße Kollegin,...
...
...(hier ist auf jeden Fall eine lange Zeitspanne, in der sich alles nur langsam entwickelt)
...
25. Richtige Freundschaft: Über Sorgen & Hoffnungen reden, die Meinung des anderen sehr wichtig finden und sich daran orientieren, bei Problemen um Hilfe bitten bzw. dem anderen Helfen, weil er einem wichtig ist, zusammen in den Urlaub fahren,...
...
30. Siehe quasi 25., nur extremer.
Die Liste stellt natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit. Denn die Stufen sind bei jedem anders und haben vor allem beim Kennenlernen von möglichen Partnern andere Abzweigungen (dort kann starke körperliche Anziehung ein Katapult sein, aber entgegen des von Hollywood und LSZ geprägten Bilds, ist auch das den wenigsten Menschen vorbehalten - um dich zu trösten: je schneller es zusammen geht, desto schneller geht es auch wieder auseinander).
Manchmal sind die Stufen-Unterschiede zwischen den Menschen auch richtig groß: Bei dir kommt das persönliche Anvertrauen offenbar viel, viel früher als bei den meisten anderen, schätzungsweise ungefähr bei Stufe 5. Jemanden, den du damit konfrontierst - der Persönliches erst auf Stufe 15 hat - zwingst du also zu einer Entscheidung: Entweder beschließen, dass du ein richtig großer (freundschaftlicher) Fang bist - megasympathisch! - und 10 Stufen überspringen (zahllose Smaltalks, Diskussionen über die schreckliche Blödzeitung, den Verfassungsfeind Schtoiber, den arroganten Kollegen,...) oder abblocken. Verständlich, dass die meisten Leute abblocken. Oder, wenn sie weniger verantwortungsvoll sind, dein Vertrauen erstmal entgegennehmen (sie denken vielleicht: "der Sache eine Chance geben") und dich dann später zurückweisen (was noch viel mehr weh tut).
Ich denke, es wird klar, worauf ich hinaus will. Alles Gute.