Moralische Entscheidungen in Videospielen

Quint

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Vor einiger Zeit spielte ich Hitman Absolution und bin zum ersten Mal seit Jahren ein klein wenig getriggert/überrascht worden.

In der Hitman-Reihe spielt man einen Auftragskiller und tötet Menschen. Da das Gameplay Schleichen belohnt und Kollateral-Schäden in Form von Unschuldigen bestraft, hat es Agent 47 bisher immer durch FSK und USK geschafft. Dazu gab es im Spiel für jede Zielperson eine moralische Rechtfertigung (Drogenbaron, Waffenverkäufer, Russe etc.), sodass man immer mit beruhigten Gewissen das Fleischermesser werfen oder den Häcksler anwerfen konnte.

In Hitman Absolution hat IO Interactive dann zum ersten Mal grau in die Schwarz-Weiß-Welt einfließen lassen.

In der Geschichte trifft man auf Lenny Dexter, den Sohn von Antagonist Blake Dexter. Ohne zuviel vom Plot zu verraten: Man foltert Lenny in einer Mission für eine Information und hat dann die Wahl, ihn zu erschießen oder am Leben zu lassen. Es gibt aber dieses Mal keine eindeutige moralische Erlaubnis dafür ihn umzubringen. Lenny ist geistig zurückgeblieben und noch dazu gehbehindert, er kann also nicht Usain Bolt-mäßig davonflitzen, wie es NPCs in den vorherigen Spielen taten. Noch dazu befindet man sich in der Wüste, es gibt keine Möglichkeit für ihn sich zu verstecken. Er hat keine Waffen. Er stolpert nur langsam vom Spieler weg, es ist nahezu unmöglich, ihn nicht zu treffen.

Tatsächlich hat Lenny in einer vorherigen Cutszene eine unschuldige Person umgebracht, das allerdings eher ungewollt und zufällig. Man merkt eher, dass er unbedingt dazugehören/seinem Vater gefallen will und er nicht wirklich ein Mörder ist.

Der Level hat auf mich vor allem deshalb einen starken Eindruck hinterlassen, weil es eigentlich eine ultimative Power-Fantasie ist, die erschreckend realistisch umgesetzt wurde und den Spieler nach vier vorherigen Spielen zum ersten Mal zweifeln lässt, ob er wirklich das Richtige tut. Ob man Lenny tötet oder nicht hat im Übrigen keine Auswirkungen auf das Spiel. Es ist interessanterweise der einzige Level in der Hitman-Reihe, in der man kein Rating erhält.

End of the Road

Bei welchen Spielen hattet ihr ähnliche Momente, in denen ihr wirklich über eure Entscheidungen nachdenken musstest oder sie im Nachhinein vielleicht sogar bereut habt?
 
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The Witcher 3. Da gibts einige Momente, bei denen man genau weiß, dass jede Entscheidungsmöglichkeit scheiße ist, aber man sich entscheiden muss. Vor allem wird Moral hier durch Narration ins Spiel gebracht und nicht durch irgendwelche blöden Metriken.
 
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Vor allem hat Witcher 3 ernsthafte storytechnische Konsequenzen für gute Entscheidungen. Bei den meisten Games wird man für gute Entscheidungen nur bestraft indem es schwerere Gegner oder ähnliches gibt, was üblicherweise kein Problem ist, weil man eh alles vernichtet.
Böse ist häufig gleichbedeutend mit "komplettes Arschloch", was ich nie gerne gespielt habe.
 
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Am geilsten ist Fallout 4. Da kann man sich meistens gar nicht entscheiden. (Außer zwischen "Ja", "Ja, warum?", "Ja (sarkastisch)" und "Nein, ich meine ja.")
 
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Ich entscheide mich eigentlich immer für die Gute Wahl bzwl. lasse jemanden eher am Leben, als ihn zu töten. Bin vermutlich Rechtschaffen gut, oder vielleicht Chaotisch gut?. In Mass Effect hab ich die Krogan (?) leben lassen, in The Witcher 3 hab ich den Tree Spirit befreit weil ich das irgendwie für fair angesehen habe (hat die Kinder befreit, aber die bösen(?) Dorfbewohner getötet).
Absichtlich böse Entscheidungen treffe ich eigentlich nie und ich bringe es nicht übers Herz, in einem RPG einen bösen Charakter zu spielen.

Schwer fallen mir dann auch Situationen, in denen ich eigentlich nur zwischen zwei Übeln wählen kann. Z.B. in Wolfenstein: The New Order wo man gezwungen wird zu wählen, ob der Junge Private oder der kollegiale Veteran getötet wird. Zögert man mit der Antwort, wird man selber getötet und das Spiel lädt die Szene von neuem. Die Entscheidung ist also so oder so scheisse, weil einer der beiden wird sterben und ich soll entscheiden, wer von den zweien. Jung oder alt? Grünschnabel oder Veteran? Sprössling mit Zukunft oder alter, verdienter Rabauke? Hab mich dann für den Veteranen als Überlebenden entschieden, weil der in seinem Leben mehr geleistet hat und vermutlich für den weiteren Kampf gegen die Nazis aufgrund seiner Erfahrung nützlicher sein wird.
 
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Wähle idR auch eher die helle Seite der Macht. Versuche es im Normalfall konsequent durchzuziehen - auch wenn die "andere" Wahl dann spielerisch mehr Vorteile zieht. Ausnahmen gibt es, wenn das Spiel so angelegt ist, dass man in eine bestimmte Richtung driften möchte und nur mit eindeutigen Entscheidungen der Weg auch so bleibt. Beispiel: Mass Effect 2, da geht leider nur gut oder böse konsequent, wenn man Shepards Persönlichkeit aufbauen will. da man gen Ende entscheidende Optionen nur mit genügend Renegade- oder Paragonpunkten wählen darf.
Sowas weiß man idR auch erst nach einiger Zeit - wobei völlige Handlungsfreiheit ohne x Punkte in irgendwas reinzubuttern schon deutlich cooler ist.

Andererseits ist ME aber auch kein Witcher 3, sondern es ist eben ein Deckungsshooter mit Story (ich mag die Games, wenn auch nur auf dem allerhöchsten Schwierigkeitsgrad, da man da tatsächlich die Fähigkeiten braucht und nicht nur in der Schießbude steht).

Andererseits mag ich es wieder, wenn mich Rollenspiele vor eine Wahl stellen, wo beides blöd ist. Am besten noch mit einem (angemessenen) Zeitlimit, wo man in Ruhe lesen und überlegen kann, sich dann aber entscheiden muss oder sonst alles zusammenbricht. Gab eine 1 oder 2 Nebenmissionen in Deus Ex: Mankind Divided, wo das der Fall war.
 
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Quint, ich hoffe du checkst mal Spec Ops: The Line aus. Das tritt genau in die Kerbe. Sehr geiles Game und auch noch von deutschen Jungs.

Wurde leider von ein paar prätentiösen Reviewern kaputtgeredet und überanalysiert. Wenn man das ignoriert, ists aber wirklich ein super Game mit moralischem Ansatz.
 
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