Green Monkey
Lyric-Contest Sieger 2009, Lyric-Contest Sieger 20
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Le dernier repas
„Und ich habe die freie Auswahl?“ „Alles was Sie nur wollen. Chan ist ein Meisterkoch. Ein echter französischer Meisterkoch.“ „Er ist ein Franzose?“ „Ein echter Franzose.“ „Ein Franzose? Ich meine er sieht nicht...“ „Oh natürlich das. Sie sind wohl ein Naturwissenschaftler, wie? Ein Pass? Eine Geburtsurkunde? Vielleicht ein Stammbaum? Nun, damit kann ich nicht dienen. Chan ist kein Franzose im klassischen Sinn, er ist in China geboren. Er spricht auch nicht besonders gut die französische Sprache. Und er raucht noch nicht einmal. Aber seine Bewegungen, wie er mit dem Messer umgeht... chopchopchopchop, Sie sollten es mal sehen, diese Art ein Gericht zu kreieren, le génie, le génie! Der Geist, verstehen Sie? Er kocht nicht einfach, es ist vielmehr Ballett. Kunst. Französisch. Absolut französisch, ohne Zweifel. Also, was dürfen wir servieren?“
Wahrscheinlich hätte ein Beobachter diese Szene, die sich dort in der Küche abspielte, als skurril bezeichnet. Es befanden sich nämlich drei Männer in besagtem Raum, von denen zwei komplett in schwarz gekleidet waren. Von diesen zwei Männern wiederum hielt nur einer eine Armbrust und zielte mit ihr genau auf jenen dritten, nicht in schwarz gehüllten Mann, der Roberto Frugal hieß. Er wirkte gefasst, doch ein Ausdruck von leichtem Unverständnis umspielte sein Gesicht. Sein Verstand war sich darüber im Klaren, dass jemand wie er sich durchaus den Zorn jener Art Mensch zuziehen könnte, der dann diesen Zorn in Form von schwarz gekleideten Männern an ihm auslassen würde. Allerdings war ihm noch unklar, wieso er nicht direkt erschossen worden war, sondern in einem Gegensatz dazu sich diese beiden Männer sehr zuvorkommend zeigten. Ein Verhalten, dass er nicht unbedingt mafiösen Auftragskillern attribuiert hätte. Überhaupt, diese schwarzen Anzüge, die Armbrust, die Frage was er essen wolle – das alles wirkte sehr befremdlich auf ihn. Den beiden anderen Männern aber schien nichts skurril oder befremdlich. Sie hatten solche Situationen in anderen Küchen schon öfter erlebt, ja eigentlich riefen sie solche Umstände selbst hervor, es gehörte zu ihrem Geschäft, es gehörte zu ihrem Alltag, sie verdienten damit ihr Brot. Und da Pasquale Cantalupo wusste, dass Chan und er in der Regel die meiste Erfahrung im Umgang mit einer solchen Lage hatten, wusste er auch, dass es einiger erklärender Worte an jene eher unfreiwillig involvierte Person bedurfte. Am Ende aber – und das war das Schöne ihrer speziellen Vorgehensweise – waren meistens alle Personen in jenen Küchen irgendwie zufrieden.
Auch diesmal hatte Pasquale das Gefühl, dass Roberto Frugal nicht als unglücklicher Mensch gestorben war. Seine letzte Angst war ihm genommen, als sie offenbarten ihn nicht zu erschießen, sondern dass bereits alles durch ein kleines Mittelchen, welches er unbemerkt über den Wein zu sich genommen hatte, einen geregelten Verlauf annehmen würde. Roberto Frugal hatte sogar noch ein kleines Kompliment ausgesprochen, zum einen für die mehr als freundliche Bewirtung, zum anderen für die Höflichkeit und verständnisvolle Haltung, die diesen an sich doch unangenehmen Schritt fast schon zu einem vergnüglichen Abend hatten werden lassen. Keine Verlegenheit zierte das stumme Nicken von Pasquale Cantalupo, sondern es zeugte von der Zufriedenheit eines Mannes, der ehrliche Anerkennung für seine Leistung erhalten hatte. Kurz darauf sackte Frugal mit seinem Kopf auf den Tisch, seine Atemzüge wurden immer langsamer, sein schwerer Bauch hob und senkte sich in größeren Abständen, der Klang der einströmenden Luft verblich, bis er schließlich vollkommen und für immer verstummte.
„Auf eine gewisse Art war sein letzter Wunsch ungewöhnlich, meinst du nicht auch Pasquale?“ „Ungewöhnlich ja, zweifellos. Ich würde ihn fast ‚extraordinär‘ nennen – er geht über das gewöhnliche hinaus und das, obwohl er sich durch seine außergewöhnliche Gewöhnlichkeit auszeichnet.“ „Sehr treffend, ich verstehe dich. Viele Menschen, denen wir begegneten, verlangten Austern, Trüffel, Kaviar. Für mich sind das alltägliche Gegenstände, sie verlieren einen Teil ihrer Aura wenn ich sie zubereite. Letztlich sind es doch nur Muscheln, Pilze und Fischeier. Es ist kaum möglich Leute zu enttäuschen, die Speisen von vornherein zu Luxus erheben. Roberto Frugals Gericht aber forderte mich durch seine Schlichtheit. Ich meine dennoch ihn nicht enttäuscht zu haben.“ „Ganz gewiss nicht. Ein Brot mit Butter und einer Prise Salz, wie wunderschön archaisch.“
„Und ich habe die freie Auswahl?“ „Alles was Sie nur wollen. Chan ist ein Meisterkoch. Ein echter französischer Meisterkoch.“ „Er ist ein Franzose?“ „Ein echter Franzose.“ „Ein Franzose? Ich meine er sieht nicht...“ „Oh natürlich das. Sie sind wohl ein Naturwissenschaftler, wie? Ein Pass? Eine Geburtsurkunde? Vielleicht ein Stammbaum? Nun, damit kann ich nicht dienen. Chan ist kein Franzose im klassischen Sinn, er ist in China geboren. Er spricht auch nicht besonders gut die französische Sprache. Und er raucht noch nicht einmal. Aber seine Bewegungen, wie er mit dem Messer umgeht... chopchopchopchop, Sie sollten es mal sehen, diese Art ein Gericht zu kreieren, le génie, le génie! Der Geist, verstehen Sie? Er kocht nicht einfach, es ist vielmehr Ballett. Kunst. Französisch. Absolut französisch, ohne Zweifel. Also, was dürfen wir servieren?“
Wahrscheinlich hätte ein Beobachter diese Szene, die sich dort in der Küche abspielte, als skurril bezeichnet. Es befanden sich nämlich drei Männer in besagtem Raum, von denen zwei komplett in schwarz gekleidet waren. Von diesen zwei Männern wiederum hielt nur einer eine Armbrust und zielte mit ihr genau auf jenen dritten, nicht in schwarz gehüllten Mann, der Roberto Frugal hieß. Er wirkte gefasst, doch ein Ausdruck von leichtem Unverständnis umspielte sein Gesicht. Sein Verstand war sich darüber im Klaren, dass jemand wie er sich durchaus den Zorn jener Art Mensch zuziehen könnte, der dann diesen Zorn in Form von schwarz gekleideten Männern an ihm auslassen würde. Allerdings war ihm noch unklar, wieso er nicht direkt erschossen worden war, sondern in einem Gegensatz dazu sich diese beiden Männer sehr zuvorkommend zeigten. Ein Verhalten, dass er nicht unbedingt mafiösen Auftragskillern attribuiert hätte. Überhaupt, diese schwarzen Anzüge, die Armbrust, die Frage was er essen wolle – das alles wirkte sehr befremdlich auf ihn. Den beiden anderen Männern aber schien nichts skurril oder befremdlich. Sie hatten solche Situationen in anderen Küchen schon öfter erlebt, ja eigentlich riefen sie solche Umstände selbst hervor, es gehörte zu ihrem Geschäft, es gehörte zu ihrem Alltag, sie verdienten damit ihr Brot. Und da Pasquale Cantalupo wusste, dass Chan und er in der Regel die meiste Erfahrung im Umgang mit einer solchen Lage hatten, wusste er auch, dass es einiger erklärender Worte an jene eher unfreiwillig involvierte Person bedurfte. Am Ende aber – und das war das Schöne ihrer speziellen Vorgehensweise – waren meistens alle Personen in jenen Küchen irgendwie zufrieden.
Auch diesmal hatte Pasquale das Gefühl, dass Roberto Frugal nicht als unglücklicher Mensch gestorben war. Seine letzte Angst war ihm genommen, als sie offenbarten ihn nicht zu erschießen, sondern dass bereits alles durch ein kleines Mittelchen, welches er unbemerkt über den Wein zu sich genommen hatte, einen geregelten Verlauf annehmen würde. Roberto Frugal hatte sogar noch ein kleines Kompliment ausgesprochen, zum einen für die mehr als freundliche Bewirtung, zum anderen für die Höflichkeit und verständnisvolle Haltung, die diesen an sich doch unangenehmen Schritt fast schon zu einem vergnüglichen Abend hatten werden lassen. Keine Verlegenheit zierte das stumme Nicken von Pasquale Cantalupo, sondern es zeugte von der Zufriedenheit eines Mannes, der ehrliche Anerkennung für seine Leistung erhalten hatte. Kurz darauf sackte Frugal mit seinem Kopf auf den Tisch, seine Atemzüge wurden immer langsamer, sein schwerer Bauch hob und senkte sich in größeren Abständen, der Klang der einströmenden Luft verblich, bis er schließlich vollkommen und für immer verstummte.
„Auf eine gewisse Art war sein letzter Wunsch ungewöhnlich, meinst du nicht auch Pasquale?“ „Ungewöhnlich ja, zweifellos. Ich würde ihn fast ‚extraordinär‘ nennen – er geht über das gewöhnliche hinaus und das, obwohl er sich durch seine außergewöhnliche Gewöhnlichkeit auszeichnet.“ „Sehr treffend, ich verstehe dich. Viele Menschen, denen wir begegneten, verlangten Austern, Trüffel, Kaviar. Für mich sind das alltägliche Gegenstände, sie verlieren einen Teil ihrer Aura wenn ich sie zubereite. Letztlich sind es doch nur Muscheln, Pilze und Fischeier. Es ist kaum möglich Leute zu enttäuschen, die Speisen von vornherein zu Luxus erheben. Roberto Frugals Gericht aber forderte mich durch seine Schlichtheit. Ich meine dennoch ihn nicht enttäuscht zu haben.“ „Ganz gewiss nicht. Ein Brot mit Butter und einer Prise Salz, wie wunderschön archaisch.“