Ketzerei!

Leinad

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ja, sowas solls geben, einen pcgames Artikel der den Character von sc/bw recht ordentlich vermittelt wie ich finde (überraschend passioniert geschrieben).

http://www.pcgames.de/?article_id=601776

www.pcgames.de

Starcraft 2
Warum ich Starcraft 2 ganz toll finde

Mit Echtzeit-Strategie kann man mich jagen. Dieses fürchterliche Abarbeiten schwarzer Flecken auf der Minikarte, dieses zeitraubende Aufstellen riesiger Verteidigungswälle, dieses umständliche Management unterschiedlicher Ressourcen. Es entspricht nicht meiner Vorstellung von Spielspaß, dem Gegner so lange zuzusehen, wie er sich am Defensivwall die Zähne ausbeißt, bis ich selber genügend Einheiten aufgestellt habe, um ihn damit zu überkippen. Natürlich gibt es Spiele, die das von mir Bemängelte entschärfen, aber in seinen Grundzügen hat das Genre derlei Nervfaktoren nie abgestreift.

Starcraft habe ich seinerzeit bloß durchgespielt, weil ich die mitreißende Story zur Konklusion bringen wollte. Die Rendersequenzen, atemberaubend in Ausführung und Dramatik, mögen mich auch angetrieben haben. Später, ich war mit den Einheiten halbwegs vertraut, stieß ich die Tür zum Battle-Net auf - eine Entscheidung, die sich auf mein Leben auswirken sollte.

Ich bekam während meiner ersten Matches fürchterlich auf die Nase, erinnere mich noch gut an die Schockstarre, in die ich verfiel, als mich eine kühle weibliche Computerstimme darauf hinwies, einen nuklearen Abschuss geortet zu haben. Wo war er, der rote Punkt, der die Einschlagstelle kennzeichnete? Ich schob die Maus in meiner Suche schrubbelartig übers Pad, verfiel in eine Panik, begleitet von Symptomen wie beschleunigtem Herzschlag und feuchten Händen.

Dann krachte es, und die meisten meiner Einheiten, die sich über das einstündige Spiel hinweg angesammelt hatten, verpufften in einer Explosion. Ich verließ das Match, überwältigt von dem Gefühl der Wertlosigkeit - hatten die Lehrer, die mich seinerzeit im Werkunterricht für meinen unheilbringenden Umgang mit dem Lötbrenner rüffelten, eben Recht behalten: Ich war in handwerklichen Dingen ein Nichtsnutz, die Bedienung von Maus und Tastatur eingeschlossen.
Doch dann geschah etwas Bemerkenswertes. Statt meine Karriere an den Nagel zu hängen bevor sie überhaupt Konturen angenommen hatte, stachelte mich die Niederlage an. Ich überlegte, woran das liegen könnte, und kam zu einer Erkenntnis: Ich war mir meines Fehlers im Nachhinein bewusst geworden, sah Raum für Verbesserung. Zum nuklearen Abschuss hätte es nicht kommen dürfen. Es war der Preis, den man fürs Einigeln bezahlt.

Defensives Vorgehen bringt in der Einzelspieler-Kampagne voran, gegen Menschen ist es ein Witz, bei dem der andere lacht. Während man sorgsam einen Abwehrturm neben den nächsten setzt, breitet sich der Gegenüber auf der Karte aus, schnappt sich Ressourcenquellen, ohne sie absichern zu müssen. Er weiß das, weil er billige Einheiten zum Ausspähen losschickt, einen Sammler vielleicht, dessen Verlust nicht wehtut. Der Sammler lebt lange genug um zu verkünden, dass man Bunker baut statt Einheiten mobilisiert - ein Freibrief für den Widersacher, sich in aller Ruhe auszubreiten. All das wurde mir rückblickend klar, und nur ein Match reichte für diese Einsicht.

Ich begann, anders zu spielen. Ließ Basen ungeschützt. Verzichtete auf Raketentürme. Bildete Einheiten aus. Schickte diese zu Schlüsselpunkten der Karte. Aufklärung war wichtig. Zu wissen, was der Feind vorhat, ermöglicht den Konter. Wieder schlug man mich vernichtend.

Meine Gegner schienen immer einen Schritt voraus, schienen mehr Geld zu haben, mehr Einheiten, mehr Feuerkraft. Mir war bewusst, dass sich mein Spielstil verbessert hatte; gleichzeitig beschlich mich die ungemütliche Ahnung, dass die anderen eben schneller besser werden als ich. Eines änderte sich nicht: Immer wusste ich nach einer Niederlage genau, welcher Fehler ausschlaggebend war. Dieses Wissen schürte eine Art Obsession in mir. Es MUSSTE doch möglich sein, einmal das Siegertreppchen zu besteigen; ausgenommen der Glückstreffer, die ich gegen totale Anfänger erzielte.

Ich hörte nicht auf zu spielen. Wechselte von den Terranern zu den Protoss, versuchte mich an den Zerg. Landete wieder bei den Terranern. Wandte mich wieder angewidert ab. Ging wieder zu den Protoss über. Es war ein Hin und ein Her, ziellos zuerst. Ich suchte meine Art zu spielen, indem ich experimentierte. Auf allen möglichen Karten. Mit allen möglichen Rassen. Mit allen möglichen Einheiten. Ich feierte Erfolge, wenige zwar, aber immerhin. Gegen bessere Spieler ging ich weiterhin K.O.

Unmerklich verfeinerte sich mein Spielstil. Ich ging stückchenweise davon weg, die Maus als alleiniges Eingabegerät zu verwenden. Einheiten baute ich irgendwann mit den dafür vorgesehenen Hotkeys. Ein paar hundert Spiele später hatte ich diese Bedienung in Fleisch und Blut. Ein paar tausend Spiele später brauchte ich meine Basis nicht mehr im Bildausschnitt, um darin Einheiten zu produzieren. Ich verrenkte meine Finger in für Außenstehende unnachvollziehbare Stellungen und gab die kompliziertesten Updates und Einheiten in Auftrag, während die Kamera aufs Gefecht gerichtet war, fernab jeder Produktionsstätte. Wer mir zusah, fragte irgendwann: Was machst du da eigentlich? Es muss von außen ausgesehen haben, als hämmerte ich wild auf Tasten herum, während die Bilder in rascher Folge wechselten. Gescrollt wurde nur noch sporadisch, ich hatte alle Schlüsselpositionen als Hotkey gespeichert. Starcraft glich einer beschleunigten Diashow; das Rattern auf der Tastatur erinnerte mehr ans Texteschreiben denn ans Spielen.

Irgendwann hatte ich sämtliche Hotkeys soweit intus, dass ich die Zeit, die ich sonst in langwierige Mausarbeit investieren musste, anderweitig einsetzen konnte. Ich entschloss mich, die frei gewordene Kapazität zur Perfektion meines Micro-Managements einzusetzen. Micro-Management bezeichnet die geschickte Lenkung einzelner Einheiten, etwa: Reaver hinter den Kristallen des Gegners abladen, drei Schüsse abgeben, Reaver wieder ins Transportschiff aufnehmen und flüchten bevor der Geschädigte überhaupt weiß, wie ihm geschieht. Schafft man drei Aktionen dieses Kalibers gleichzeitig, darf man allmählich von sich behaupten, das Micro-Management zu beherrschen.

Ich war ein eifriger Lerner. Und ein besessener. Meine Schulnoten wurden immer schlechter, Starcraft wurde immer wichtiger. Micro-Management statt Stochastik!

Bald traf ich Gleichgesinnte, die genauso perfektionistisch waren wie ich, man chattete, man spielte zusammen und gegeneinander, man gründete Kanäle im Battle-Net, um sich zu treffen, fernab aller Newbie-Zonen der Marke DEU-1 oder wie sie alle hießen. Wir spielten untereinander und observierten. Das funktionierte anfangs nur mit einem Trick, nämlich indem man die Terraner auswählte, mit dem HQ abhob und ins Eck flog. Die anderen Spieler gaben einem derweil Ally-Status und Sicht. Später war es einfacher, interessante Matches zu beobachten; es gab speziell dafür eingeführte Observer-Spots. Auf diese Art verfeinerten und analysierten wir Taktiken.

Am Ende waren wir so verbissen, dass wir die Zeit stoppten, die wir brauchten, um die erste Einheit zu bauen. Sekundenbruchteile konnten in Starcraft über Sieg oder Niederlage entscheiden; ich kenne kein anderes Echtzeit-Strategiespiel, das so wenig Glück und soviel Können ist.
Nachts träumte ich von Partien; spielte gedanklich Strategien durch. Ich war nicht nur tagsüber von Starcraft beherrscht, sondern auch darüber hinaus.

Wenn wir nicht gerade versuchten, uns um Nuancen zu verbessern, dann gingen wir in Namen online, die keiner kannte. Wir liebten es, in fremden Zweierteams das Battle-Net aufzumischen. Mein Verbündeter und ich, wir erreichten manchmal dreistellige Sieg-Zahlen - bei null Niederlagen. Natürlich konnten solche Stats nur zustande kommen, wenn man fern blieb von all den anderen Wahnsinnigen, die ebenfalls mit Stoppuhr spielten. Gegen die gewann man manchmal. Manchmal nicht. Lehrreich waren solche Matches immer, aufregend auch. Starcraft kitzelte unsere Nerven mehr als jedes andere Spiel. Weil es fair war, nichts dem Zufall überließ. Dass Einheiten stecken blieben, kam in einer Seltenheit vor, die nicht ins Gewicht fiel.

Wir hatten inzwischen eine Reihe von Taktiken gesammelt. Für jede Situation gab es den passenden Konter, aber soweit wollten wir es für gewöhnlich nicht kommen lassen. Wir wollten agieren, nicht reagieren. Unsere Leidenschaft trieb uns soweit, dass wir irgendwann hauptsächlich über Ahnungen spielten. Wir sahen kurz einen farbigen Punkt auf der Minikarte aufleuchten und mutmaßten darüber, welche Einheit es gewesen sein könnte. Wir wussten, wie weit die Spielzeit fortgeschritten war, und welche Einheiten in diesen Momenten wahrscheinlich, welche weniger wahrscheinlich waren. Wir zogen Spielstil des Gegners, Rasse, Ort des Geschehens in unsere Überlegungen ein und lagen meist richtig mit dem, was wir vermuteten. Irgendwann entwickelt man ein Gespür für die Dinge, die passieren - auch wenn man sie nicht sieht.

Starcraft als einziges Spiel machte das möglich. Kein Warcraft 3, kein C&C Generäle (dt.), kein Age of Empires 2. Warcraft 3 hatte einen hässlichen Zufallsfaktor dadurch, dass Helden Gegenstände finden, außerdem konnte es wegen des strengen Einheitenlimits keine Massenschlachten geben. Generäle verzettelte sich in seiner 3D-Grafik mit zu vielen Variablen. Age of Empires 2 hatte ein katastrophal wankelmütiges Einheiten-Pathfinding, außerdem lagen die Ressourcen so verstreut, dass sie zu managen nicht den Perfektionismus ermöglichte, den Starcraft bot. Schlicht: Starcraft war, für uns, das einzig Wahre.

Deswegen freue ich mich wie ein 8jähriger zu Weihnachten, dass Teil 2 kaum Abstand nimmt vom Vorgänger. Das Terrain mit seinen stufenweisen Erhebungen bleibt bestehen, weil alles andere nicht Starcraft wäre, sondern Verwässerung, die das Spiel um den Faktor Glück erweitert. Keine vierte Rasse kommt dazu, weil es Wahnsinn wäre, dann das Balancing zu wahren - nicht, dass ich es Blizzard nicht zutraute, aber mit Sicherheit müssten wir dann mit einem verzögerten Erscheinungstermin rechnen. Ich sehe Starcraft 2 nicht als Starcraft 2, sondern als Remake, das die Entwickler mit Samthandschuhen anfassen, da sie die Argusaugen einer Legion von Pro-Gamern auf sich spüren.

Starcraft hat mir meinen Abiturschnitt versaut. Ich überlege noch, ob es das wert war.
(Thomas Weiß)
 

EquinoX3

Guest
Gottseidank kommt StarCraft 2 zu spät um meinen Abi-Schnitt zu versauen. Puhhh :top2:

Als Zivi werd ich genug Zeit für des Game haben. :elefant:
 

reh

Guest
Netter Text...
Defensives Vorgehen bringt in der Einzelspieler-Kampagne voran, gegen Menschen ist es ein Witz, bei dem der andere lacht. Während man sorgsam einen Abwehrturm neben den nächsten setzt, breitet sich der Gegenüber auf der Karte aus, schnappt sich Ressourcenquellen, ohne sie absichern zu müssen.
Wie wahr, wie wahr. D:
 
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schön geschrieben, in dem text finden sich hier sicherlich so einige wieder. ;)
 

parats'

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Echt gut geschrieben. :)
 

jayDe(d.S

Guest
kann das mal wer in 5 wörterzusammenfassen?


bitte :angel:
 

FlyingKebab

Guest
Original geschrieben von Ancient
schön geschrieben, in dem text finden sich hier sicherlich so einige wieder. ;)

Definitiv :hammer:


Ich sehe Starcraft 2 nicht als Starcraft 2, sondern als Remake, das die Entwickler mit Samthandschuhen anfassen, da sie die Argusaugen einer Legion von Pro-Gamern auf sich spüren.

#2, genau das ist es, was ich auch hoffe
 
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klingt doch alles sehr vertraut^^
wer ist denn der schreiberling? nach dem was er da so schreibt müsste man ihn doch eigentlich kennen.
 

FlyingKebab

Guest
Thomas Weiss, steht eh iunter dem Text

Den Namen kenn ich noch aus alten Gamestarlesezeiten, der bnet nick wuerd mich auch interessieren ^^
 

Teegetraenk

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Und wo bleibt nun die Ketzerei? Menno.
 
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Hey der Text ist klasse! Weiß beschreibt fast zu 100% die Entwicklung, die auch ich mitgemacht habe und wahrscheinlich fast jeder von euch. (inkl. versautem Abi.... wobei ich wiederholte, um meinen Schnitt wieder rauszuholen :p)


Zudem ist der Text bestimmt sehr lehrreich für Einsteiger. :)


Die 100-0 hab ich übrigens nicht ganz geschafft: Bei 48-0 war Schluss. :8[: Ich Napp!
 

Pinselwicht

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>> wer ist denn der schreiberling? nach dem was er da so schreibt müsste man ihn doch eigentlich kennen. <<

Nachdem mich NiGhTY, ebenfalls ein alter SC/BW-Spieler, auf diesen Thread aufmerksam gemacht hat, will ich diese Frage mal beantworten. Ich hatte eine ganze Menge an Namen, der am längsten währende war, soweit ich mich erinnere, C-hoc - vom Cult-Clan, falls euch das noch ein Begriff ist. Immerhin reicht das ja Jaaahre zurück. Das waren noch jene Zeiten, in denen es Mode war, auf den verrückten Marquis_de_Adulco zu schimpfen. :)

Zu spielen habe ich etwa vor sieben Jahren aufgehört.
 

[57th]@damned@

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Adulco, großes Kino....
Wie war nochmal sein Spruch damals? "Wenn ein Spiel in 5 Minuten nicht entschieden ist...."
 
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Hi damned,

soweit ich es in dem Gameplayvideo erkennen konnte werde ich diese Weisheit auf 3 Minuten korrigieren müssen - schliesslich kann ich meine Zealots nun per Ansturm von creeper zu creeper auf die feindliche Basis hetzen.
 

[57th]@damned@

Guest
Ich bin gespannt auf die ersten Partien :)

Hab noch heute ein Trauma von deinem Nexus-Rush gegen mich....
 
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lol hier kommen gestalten aus dem unterholz gekrochen... einfach nur geil!

ich hoffe nach dem SC2 release wird ein neuer Marquis-Server aufgesetzt, damit endgültig Nostalgiefeeling rüberkommt :)
 
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