Schön, dass wir mal anfangen darüber zu sprechen, wen wir eigentlich meinen, wenn "die gesellschaft" eine mitschuld an den kriminellen exzessen einzelner trägt.
Ich bin nämlich genau wie du teil dieser gesellschaft und bestreite, dass ich mit daran schuld bin, wenn irgendein asozialer jemanden totschlägt.
Und ich bin auch gern für maximale intervention: Bürgermeister wusste von solchen zuständen und hat wider besseres wissen nichts unternommen? Bitte zur rechenschaft ziehen!
Wer in politischer verantwortung wider besseres wissen tatenlos zusieht, wie der rechtsstaat mit füßen getreten wird, hats nicht anders verdient.
Die jugendlichen sofort aus ihrem milieu rausholen und woanders unterbringen? Immerzu!
Papa besäuft sich jeden abend und verprügelt sohnemann mit dem gürtel? Polizei hin, papa mitnehmen, gleich dem haftrichter vorführen und erstmal in u-haft stecken.
Einzelne gegenden von großstädten verkommen so sehr, dass die polizei sich kaum mehr reintraut? Bitte ne hundertschaft dafür abstellen, die 24/7 dort patroulliert. Sollte irgend jemand es dort wagen, die polizei bei ihrer arbeit zu behindern: ein paar mannschaftswagen vorbeischicken, alle einkassieren, dem haftrichter vorführen und erstmal in u-haft stecken.
Usw.
Ich weiß nicht, ob so eine strategie helfen würde. Ich wäre auf jeden fall dafür, es mal zu versuchen.
Das problem ist, dass es politisch nicht tragbar ist. Denn genau diejenigen, die wie du immer maximales verständnis für die täter fordern, gehen nicht selten auf die barrikaden, wenn mehr polizisten eingestellt, schneller reagiert und härter durchgegriffen werden soll - ironie des schicksals.
Auf der anderen seite muss es natürlich einrichtungen geben, wo man die kriminellen dann hinbringt. Denn jemanden irgendwo rausholen, ist nicht schwer. Die frage ist: wo soll dann mit ihm passieren? In seinem angestammten milieu kann er nicht bleiben, zu hause eigentlich auch nicht, heime sind auch nicht wirklich besser und allenfalls als übergangslösung geeignet.
Feststeht, dass wir viel mehr geld dort hineinstecken müssten. Dazu fehlt aber der politische wille.
Ich glaube aber, dass du eine sehr romantisierende Vorstellung von gesellschaftlichen Einflüssen hast. Ich zumindest sehe es nicht als selbstverständlich an, wenn es jemand, trotz sehr widriger Umstände, schafft, ein ordentliches Leben zu führen.
Ich auch nicht, aber unsere gesellschaft funktioniert so nicht.
Wenn du dein leben bisher auf die reihe gekriegt hast, trägst du automatisch mehr verantwortung. Baust du scheiße, fliegst von der schule, verlierst deinen ausbildungsplatz, deinen job, was auch immer, dann hast du erstmal verkackt.
Konntest du was dafür oder bist du eigentlich nur opfer der gesellschaft? Kräht kein hahn danach. Du bist für dich selbst verantwortlich, gerade weil du bis dahin unter beweis gestellt hast, dass du diese verantwortung tragen kannst und man es daher von dir erwartet.
Das große mitleid setzt erst ein, wenn du jemandem dem schädel einschlägst. Dann kriegst du für dein rundum verkorkstes leben sozusagen einen bonus.
Und wenn du schon ganz unten bist, hast du auch nicht mehr so viel zu verlieren.
Ich hab auch mitleid mit vielen tätern, weil ich sehe, dass sie es schwer hatten. Aber ich habe auch mitleid mit all denen, die keine täter sind, obwohl sie es schwer hatten.
Und wenn ich die wahl hätte: entweder 100 intensivtätern ein resozialisierungsprogramm bieten, damit sie niemanden totprügeln; oder 100 anderen unterschichtlern, die auch keine besseren chancen hatten, ein sozial-stipendium gewähren, damit sie aus ihrem leben was besseres machen können; dann zögere ich nicht lange.
Ich bin dagegen, dass wir uns erpressen lassen: bringt uns bitte bei, wie wir friedfertig sind, oder wir schlagen immer wieder zu? Nö.
Wenn es zu viel kostet, jemanden halbwegs auf den status eines rechtstreuen bürgers zu heben, dann muss er im zweifelsfall halt sein leben hinter gittern verbringen.
In freiheit zu leben ist ein privileg, das man sich durch die achtung der freiheit und des wohles anderer zu verdienen hat. Es kann nicht angehen, dass dieses verhältnis umgedreht wird, und es plötzlich wir friedfertigen sein sollen, die sich verdienen müssen, dass jemand uns nicht totprügelt.
Und ja, das hat mit gerechtigkeit zu tun.