Geishas Erinnerungen an den Tod (Auszug)

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[fN]Leichnam

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Geishas Erinnerungen an den Tod (Auszug)

„Verzeiht mir, Meister. Meine Schuld ist groß.“
„Verzeiht dem Meister.“
Es schien das Licht vom Leuchter, tanzten die Schatten gegen die kalte Wand.
„Der Meister hört?“
„Ich höre.“
„Vergebt mir. Das Wissen war mit mir. Groß ist es gewesen. Nun, höret! Es war am Tage. Und ich ward frei gesprochen.“
Der Meister nickte.
„Ich bin am Meere gewesen. Wollte mich laben. Ihr wisst? Hinter mir nur Düne. Oh, sie war mit mir, Meister!“
Der Meister schwieg.
„Wellen, so groß wie das Meer. Ihr wisst? Ich hielt sie bei der Hand. Sie hatte Furcht, Meister. Wir gingen ins Nasse. Was ihr gefiel. Und ich musste denken, Meister. Ich warf sie gegen die Welle. Was ihr gefiel. Musste sie auffangen. Sie zappelte in meinem Arm, oh Meister! Darnach kam die Welle und spülte sich über uns. Ganz gleich war sie, so frei. Ihr wisst?“
„Nur weiter.“ sprach der Meister.
„Seht! Da hielt ich das Kleine an die Brust gedrückt und es gurgelte und spuckte. Meister, seht die Welle, die folgte. Ich drehte ihr den Rücken. Und das Kleine, ganz in meinem Schutze. Oh, wie sie war. Meister! Und wie sie es war! Still. Ihr wisst? Gegen die Brust hielt ich es. Das kleine Arme. Und über uns die Welle. So nass. So kahl. Über uns. Sie spuckte mich an. Ins Gesicht. Und lachte dazu. Sie war nackt, Meister. Das Ding zappelte im Arm. Und spuckte weiter. Ich fragte sie. Ich fragte, ob es wohl genug wäre. Das Ding spuckte und schrie nein. Ich konnte nicht. Ihr wisst? Das tat mir wohl. Die nächste Woge kam. Ich hielt sie dagegen. Wie glücklich! Es gurgelte und schluckte und spuckte. So frei! Dem Kinde war es einerlei. Ich fragte wieder. Oh, nein. Es wollte noch lange nicht. Und mir war so gut. Ich warf mich zur Welle, das Ding im Arm. Wie sie jubelte! Und eingetaucht, das Kind bei mir. Ich drückte sie an mich. So fest! Wie still es war im Meere, Meister. Das Kleine tanzte auf mir. Ihr wisst? Ich bäuchlings unterm Meere und das Kind auf mir. Oh, Meister!
Sie trampelte mir den Nabel ein. Spuckte das Meer ins Meer. Und wie es schrie und quiekte dort drunten. Ich hob es aus dem Wasser und gegen die Sonne. Das Ding jauchzte, Meister, und ward trocken, ehe ich es sah. Ich hielt es mir ans Ohr, das Kind. Was es nicht schon sagte! Was es nicht schon wusste! Das Kind gurgelte mir die glücklichen Worte herein, dass es eine Freude war.“
„Weiter.“
„Nun, ich hielt es dort. Es war zu schön. Das Stimmchen, Meister! Und wie es den Kopf nach mir drehte und mich begaffte. Die Äuglein, die kugelten umher in ihren Höhlen. Aber nicht wie beim Kranken oder Wahnsinnigen. Sie hatten Ziel. Ihr wisst? Das Ziel war die Woge, ward der Horizont, der ferne. Ich sah mit ihm. Der Kamm des Wassers, Meister. Das Ziel ward die Sonne. Da schrie es! Und blickte zu mir, noch geblendet. Ich konnte es trösten. Sie hörte auf mich, vertraute mir. Sah mich an. Oh, schön war sie und schön sah sie mich an. Dass auch ich, auch ich Meister, mich schön fühlen durfte. Da tat ich es aus dem Wasser. Das Ding sprang vom Strand in die Wälder und ich hinterher. Es machte sich ein Spiel daraus, vor mir wegzulaufen. Ich spielte mit. Oh, es wäre leicht gewesen, das Ding zu fangen. War es denn falsch von mir, das nicht zu tun?“
„Das hängt vom Ernste des Spiels ab, Hergat. Aber weiter!“
„Ich fing es nicht. Sollte es doch die Freude haben, musste ich denken. Ihr wisst? Das Ding also voran und ich, gewollt und träge, trachtete nach ihm ohne Erfolg. Die dürren Beinchen, Meister. Und wie es hüpfte bei der Flucht. Gesungen hat es dazu. Geschrien! Voll Leben, voll Lust daran. Unwissend wie es war. Das Kind kam zur Ruhe und setzte sich in die Wiese. Die Beinchen hingestreckt, daneben die Hände im Gras. ‚Sonne!’ schreit es. ‚Ich will die Sonne sein!’

Ich setzte mich dazu und hatte meine Freude an dem Ding. Es kugelte sich fort und hinter meinen Rücken und um mich herum. Das kleine Nackte! Sprang auf und stürzte weiter, dass ich mich sputen musste. Ließ sich in die nächste Lichtung fallen und ich, Meister, tat es ihm gleich. Dort lagen wir lange. Die Erde war sehr warm, ihr wisst? Das Kind kratzte darin und hub ganze Mengen davon aus, um sich die nackte Haut damit vollzuschmieren. Ich tat es ihm gleich. Ich, Meister. Es muss mir wie im Traume gewesen sein. Ich dachte, so muss es. Am Ende sahen wir aus wie die Finken. Und lachten. Und hielten uns. Wo noch Haut zu sehen war, da kam der andere und klebte braune Erde darüber. In die Gesichter, Meister. Wie die Erdmännchen selber waren wir. Ganz Erde geworden. Voll mit warmem Weltenfleisch, ihr wisst? Wie ich bereits erwähnte - lange Zeit über hatte uns die Lichtung. Das Kind ließ sich schmirgeln unterm Strahl, auf dass die Erde festbüke, doch bröckelte sie natürlich vor allem und als es das Ding merkte, da hatte es neue Beschäftigung und wischte und schnipste sich alles wieder von der Haut. Oh, wie mir war!

Jetzt machte sich die Kleine daran, Käfer einzufangen und in ihrer Hand tanzen zu lassen. Erst nur einen einzigen. Einen mächtigen Bock. Den griff sie sich aus dem Gras und setzte ihn in die gehöhlte Hand. Dort lief er dann im Kreise die Wändchen hoch und sie drehte und schaukelte sein Verlies und wenn er auszubrechen drohte, gab sie ihm mit dem Finger einen Stoß. Ihr Gesicht, Meister. Man hätte einen Kundigen rufen sollen, um es doch zu malen und zu halten. Der Käfer bekam das Grausen und machte ihr vor Angst in die Hand. Oh, sie war ihm nicht böse. Sie verstand schon. Weil sie doch aber so viel Freude an ihm hatte, wollte sie ihn noch nicht freigeben und nahm stattdessen einen zweiten aus der Wiese und schmiss ihn mit dazu. Die Käferchen waren sich zunächst egal. Aber der zweite beruhigte den ersten ersichtlich, denn sie hockten jetzt, ein jeder in seiner Ecke, ganz ruhig in der Hand des Mädchens. Wie die Faustkämpfer vor dem Scharmützel, Meister. Denn hört, was die Kleine mit ihnen im Schilde führte. Sie schickte mich an, ein Blättchen aufzusuchen. Und zwar ein toll verlaustes! Ihr wisst? Nun, das Vorhaben interessierte mich nun auch und ich lief in die Büsche, eines zu holen. Ich fand einen ganzen Strunk Marmorgras, der unter dem Joch der Läuse schon fast kaum noch zu erkennen war. Den brachte ich zu ihr! Sie hielt die Höhle fest geschlossen und begutachtete das Zeug. Ließ sich geduldig von mir auch einiges erklären. Dann aber verlor sie die Ruhe und rupfte eine reiche Läusekolonie vom Strunk. Sie tat das Blättchen in die Hand und stierte, was geschehen möge. Die dummen Käfer hockten da noch unbewegt. Aber! Wie auf Kommando rannten sie dann los. Das Gewühl der Beine, Meister! Und jeder fraß sich Läuse vom Blatt bis sie sich dann etwa bei der Mitte trafen. Und jetzt! Ihr wisst? Begann die Keilerei! Die öden Käfer zerrten einander an den Beinchen und schnappten und wühlten! Dazwischen rannten Läuse und die Kleine jauchzte dazu. Wie in Rom, Meister! Die Kleine hatte sich ihr eigenes Kolosseum geschaffen. Am Ende unterlag der zweite Käfer und zuckte angefressen in einer Ecke der Hand. Der erste, freilich, bekam den Rest der Läuse zu fassen.

„Zur Belohnung!“ lobte das Mädchen und hob den nächsten Käferkrieger in den Ring. Oh, ein krankes Tier war das. Der konnte noch nicht einmal rennen, geschweige denn fressen. Der war rasch am Ende. Das wurde der Kleinen fad und sie gab neue Läuse dazu und eine ganze Schwadron frischer, gesunder Käferkrieger. Eine feine Schlacht, Meister! Der erste der Käfer, ihr heimlicher Liebling und Veteran, der war ein Wüstling und mordete gleich drei am Stück. Das merkten die anderen wohl und schufen eine Allianz gegen ihn. Der Rest der Horde stürzte sich jetzt im Verbund auf das Tier. Er biss noch einem in den Kopf, verjagte die feigen unter den Angreifern, erlag aber am Ende der großen Übermacht. Da war die Kleine höchst betroffen und baute mit der anderen Hand ein kleines Käfergrab, während die Kämpfe natürlich wieder jeder gegen jeden fortgeführt wurden. Sie hob die Leiche aus dem Ring und verschacherte den Urkäfer im Dreck. Oh, sie war böse auf das Pack! Und schickte mich, ein Spinnentier zu holen. Ich tat wie mir geheißen und holte ein widriges Vieh von Spinne herbei. Sie riss es mir aus den Händen und tat es in die Arena. Meister! Ein Grauen! Die Spinne zerriss die Horden in kürzester Zeit, doch konnte sie natürlich nicht alle auffressen! Nur am Leben ließ sie nicht einen, so dass die Hand jetzt förmlich überquoll von totem Käfergetier. Das widerte das Mädchen an und sie schüttete die ganze, kleine Kampfstatt in die Wiese. Sie war jetzt satt von der Gewalt und verlangte nach Schönem. Ich ging mit dem Ding weit weg. Ich erkannte da schon die feinen Kräfte in ihr und nahm mir vor, so viel, wie mir möglich ist, aus dem Kleinen heraus zu pressen. Was nicht leicht ist für den Schwächeren - mich. Ihr wisst, Meister. Ich nahm das Ding mit mir an die dunklen Ufer im Höhlengarten der Grotte Gattas. Sie fühlte sich unbekümmert beim Eintritt, Meister. Eine Wand voll Grau wölbte sich über uns. Ein Schlund der Tiefe nahm uns entgegen. Die Grotte Gattas. Und wir hinein. Nun, ich kannte die Grotte. Doch sie. Oh, es war ihr ein Rauschen. Sie ward auf der Stelle verliebt in das, was mich dereinst beinahe hat scheitern lassen.“
„Weiter.“
„Ihr kennt die Vorschrift, Meister. Ich ließ sie allein.“
 
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"Mein Topfavorit. Davon wuerde ich gerne den ganzen Text lesen, mir macht es eindeutig Lust auf mehr.
Die Sprache ist teilweise eigentuemlich, aber trotzdem um Dimensionen reifer als die anderen Beitraege.

Inhaltsmaessig ist es keine in sich geschlossene Geschichte, aber trotzdem finde ich es unterhaltsam und ich sehe auch viel Potential."

Yussuf
 
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