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Zuvorderst ist die Unterscheidung von Fachkräftemangel und flächendeckenden Fachkräftemangel zu unterstreichen. Erster ist in jeder Volkswirtschaft ständig existent, da es immer Branchen gibt, die offene Stellen nicht besetzen können. Letzterer drohe in Deutschland, so z.B. das BMWI.
Es geht also nicht um ein akutes, sondern ein prognostiziertes Problem. Auf den ersten Blick eine nachvollziehbare Annahme, wirft man einen Blick auf die deutsche Alterspyramide, die viele in Rente gehende Arbeitnehmer abbildet, aber weniger Junge, die nachrücken.
Was in der Gleichung des befürchteten, flächendeckenden Fachkräftemangels ebenso enthalten sein muss, ist eine statistische Anpassung der Definition von Fachkräftemangel. Ich habe die Zahlen nicht mehr exakt parat, also nagelt mich nicht darauf fest . Durfte bis dato bei einer Bewerberanzahl von weniger als vier von einem Mangel gesprochen werden, so sind es nach der Anpassung weniger als sechs. Die Änderung bringt meiner Meinung nach den politischen Willen zum Ausdruck, flächendeckenden Fachkräftemangel propagieren zu können.
Ein zusätzlicher Teil der Gleichung muss die Industrie 4.0 sein. Ich erspare mir an dieser Stelle eine Aufzählung welche Arbeitsfelder zunehmend automatisiert, robotisiert, digitalisiert oder algorithmisiert werden. Unter dem Strich bleibt, dass mehr Arbeitsplätze wegfallen, als entstehen und davon sind zunehmend nicht mehr nur Helfertätigkeiten, sondern auch unterschiedlichste Fachkräfte betroffen.
Ein paar meiner Gedanken:
- Nach meinem Marktverständnis kann einem Fachkräftemangel u.a. mit verbesserten Arbeitskonditionen (z.b. Gehalt, Arbeitsbelastung) begegnet werden. Wenn es also zu wenig Altenpfleger gibt, warum nicht mal ein richtig fettes Gehaltsplus? Die Seniorenindustrie müsste es sich leisten können. Stattdessen wird sich häufig hinter einem „Aber wir zahlen doch Tarif!“ versteckt. Das ist nun mal wenig wert, wenn Gewerkschaften schwach und die Tarifabschlüsse es demnach auch sind.
- Bemerkenswert finde ich die allgemeine Verirrung. Die Mehrzahl der informierten Menschen in Deutschland dürfte davon ausgehen, dass ein flächendeckender Fachkräftemangel bereits herrscht und nicht prognostiziert ist. Die Presse hat ihren Job nicht gut gemacht.
- Der prognostizierte, flächendeckende Fachkräftemangel begründet schwerwiegende politische Richtungsfragen. Mittels Einwanderungsgesetz sollen ausländische Fachkräfte angelockt werden. Fachkräfte, die das bereits wirtschaftlich stärkste Land Europas stützen sollen und gleichsam den Heimatländern verloren gehen. Die erodierende Stabilität der EU nimmt mit dem Abwerben von Fachkräften aus bereits unter Druck stehenden Mitgliedsländern weiter ab. Deutschland wird einmal mehr zum Buhmann der EU (Alleingang Migrationskrise, Exportüberschuss, keine Antwort auf Macron etc.)
Der Schaden bleibt aber nicht nur in den Herkunftsländern, sondern auch in Deutschland gibt es negative Auswirkungen. Lohnstagnation aufgrund des Plus an Arbeitnehmern, Mangel in Deutschland an Wohnungen, Kitaplätzen, Arztterminen etc pp wird verschärft und mMn ein ganz wichtiger Punkt: Die deutsche Gesellschaft spaltet sich weiter. Die einst recht homogene Gesellschaft atomisiert und macht den Erhalt einer Solidargemeinschaft und politischer Willensbildung immer schwieriger.
- Im aktuellen SPIEGEL berichtet ein Maschinenbauunternehmer, dass er über Monate nicht die benötigten Fachkräfte finden konnte und nun, um die Unterbesetzung zu kompensieren, teure Maschinen anschaffen musste. Für mich ein exemplarisches Beispiel der Innovationshemmung in Deutschland. Statt Milliarden in die Weiterentwicklung der Industrie 4.0 zu investieren (zb in KI Entwicklung bis 2025 drei Milliarden Euro, das ist deutlich zu wenig, um international eine Rolle zu spielen), setzt man auf die vermeintlich billige Ressource „Mensch“. Eine Ursache dafür scheint mir die ausbleibende Debatte darüber zu sein, wie die Arbeitsgesellschaft rund um eine Industrie 4.0 aussehen kann. Dass es große Umbrüche geben wird, steht für mich außer Frage (zb Abkehr von der 40 Stunden Woche, eine Art Grundeinkommen sind denkbare Veränderungen) aber ich nehme in der Politik keine substantiellen Debatten dazu wahr. Vielmehr scheint man das Industrie 1.0-3.0 Pferd totreiten zu wollen.
- Der Kapitalismus in der westlichen Welt hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt und ist kaum mehr zu bändigen. Demokratien müssen sich marktkonform verhalten, die Märkte dürfen nicht verunsichert werden, immer mehr private Unternehmen sind systemrelevant. Demnach ist eine logische Konsequenz die Profitmaximierung, welche, zumindest kurzfristig, mit einer möglichst billigen human ressource erreicht wird, was sogar dazu führen kann, dass Industriearbeiter Windeln tragen müssen, um Toilettenzeit einzusparen.
- Absenkung von Standards. Ausbildungen und Studium werden vereinfacht, Hürden zur Anerkennung ausländischer Qualifikationen gesenkt. Das verringert Qualität.
Dieser Tage sind mir nochmal zwei kritische Veröffentlichungen begegnet
https://www.heise.de/tp/features/Di...e-in-einem-so-schlechten-Zustand-4252613.html
https://www.zeit.de/arbeit/2018-12/arbeitsmarkt-fachkraeftemangel-personal-jobsuche
Den Artikel aus dem Print Spiegel, der die Gegenthese vertritt kann ich leider nicht verlinken aber es dürfte im Internet wohl mehr als genug „OH NOES!, Fachkräftemangel!1“ Material kursieren
Es geht also nicht um ein akutes, sondern ein prognostiziertes Problem. Auf den ersten Blick eine nachvollziehbare Annahme, wirft man einen Blick auf die deutsche Alterspyramide, die viele in Rente gehende Arbeitnehmer abbildet, aber weniger Junge, die nachrücken.
Was in der Gleichung des befürchteten, flächendeckenden Fachkräftemangels ebenso enthalten sein muss, ist eine statistische Anpassung der Definition von Fachkräftemangel. Ich habe die Zahlen nicht mehr exakt parat, also nagelt mich nicht darauf fest . Durfte bis dato bei einer Bewerberanzahl von weniger als vier von einem Mangel gesprochen werden, so sind es nach der Anpassung weniger als sechs. Die Änderung bringt meiner Meinung nach den politischen Willen zum Ausdruck, flächendeckenden Fachkräftemangel propagieren zu können.
Ein zusätzlicher Teil der Gleichung muss die Industrie 4.0 sein. Ich erspare mir an dieser Stelle eine Aufzählung welche Arbeitsfelder zunehmend automatisiert, robotisiert, digitalisiert oder algorithmisiert werden. Unter dem Strich bleibt, dass mehr Arbeitsplätze wegfallen, als entstehen und davon sind zunehmend nicht mehr nur Helfertätigkeiten, sondern auch unterschiedlichste Fachkräfte betroffen.
Ein paar meiner Gedanken:
- Nach meinem Marktverständnis kann einem Fachkräftemangel u.a. mit verbesserten Arbeitskonditionen (z.b. Gehalt, Arbeitsbelastung) begegnet werden. Wenn es also zu wenig Altenpfleger gibt, warum nicht mal ein richtig fettes Gehaltsplus? Die Seniorenindustrie müsste es sich leisten können. Stattdessen wird sich häufig hinter einem „Aber wir zahlen doch Tarif!“ versteckt. Das ist nun mal wenig wert, wenn Gewerkschaften schwach und die Tarifabschlüsse es demnach auch sind.
- Bemerkenswert finde ich die allgemeine Verirrung. Die Mehrzahl der informierten Menschen in Deutschland dürfte davon ausgehen, dass ein flächendeckender Fachkräftemangel bereits herrscht und nicht prognostiziert ist. Die Presse hat ihren Job nicht gut gemacht.
- Der prognostizierte, flächendeckende Fachkräftemangel begründet schwerwiegende politische Richtungsfragen. Mittels Einwanderungsgesetz sollen ausländische Fachkräfte angelockt werden. Fachkräfte, die das bereits wirtschaftlich stärkste Land Europas stützen sollen und gleichsam den Heimatländern verloren gehen. Die erodierende Stabilität der EU nimmt mit dem Abwerben von Fachkräften aus bereits unter Druck stehenden Mitgliedsländern weiter ab. Deutschland wird einmal mehr zum Buhmann der EU (Alleingang Migrationskrise, Exportüberschuss, keine Antwort auf Macron etc.)
Der Schaden bleibt aber nicht nur in den Herkunftsländern, sondern auch in Deutschland gibt es negative Auswirkungen. Lohnstagnation aufgrund des Plus an Arbeitnehmern, Mangel in Deutschland an Wohnungen, Kitaplätzen, Arztterminen etc pp wird verschärft und mMn ein ganz wichtiger Punkt: Die deutsche Gesellschaft spaltet sich weiter. Die einst recht homogene Gesellschaft atomisiert und macht den Erhalt einer Solidargemeinschaft und politischer Willensbildung immer schwieriger.
- Im aktuellen SPIEGEL berichtet ein Maschinenbauunternehmer, dass er über Monate nicht die benötigten Fachkräfte finden konnte und nun, um die Unterbesetzung zu kompensieren, teure Maschinen anschaffen musste. Für mich ein exemplarisches Beispiel der Innovationshemmung in Deutschland. Statt Milliarden in die Weiterentwicklung der Industrie 4.0 zu investieren (zb in KI Entwicklung bis 2025 drei Milliarden Euro, das ist deutlich zu wenig, um international eine Rolle zu spielen), setzt man auf die vermeintlich billige Ressource „Mensch“. Eine Ursache dafür scheint mir die ausbleibende Debatte darüber zu sein, wie die Arbeitsgesellschaft rund um eine Industrie 4.0 aussehen kann. Dass es große Umbrüche geben wird, steht für mich außer Frage (zb Abkehr von der 40 Stunden Woche, eine Art Grundeinkommen sind denkbare Veränderungen) aber ich nehme in der Politik keine substantiellen Debatten dazu wahr. Vielmehr scheint man das Industrie 1.0-3.0 Pferd totreiten zu wollen.
- Der Kapitalismus in der westlichen Welt hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt und ist kaum mehr zu bändigen. Demokratien müssen sich marktkonform verhalten, die Märkte dürfen nicht verunsichert werden, immer mehr private Unternehmen sind systemrelevant. Demnach ist eine logische Konsequenz die Profitmaximierung, welche, zumindest kurzfristig, mit einer möglichst billigen human ressource erreicht wird, was sogar dazu führen kann, dass Industriearbeiter Windeln tragen müssen, um Toilettenzeit einzusparen.
- Absenkung von Standards. Ausbildungen und Studium werden vereinfacht, Hürden zur Anerkennung ausländischer Qualifikationen gesenkt. Das verringert Qualität.
Dieser Tage sind mir nochmal zwei kritische Veröffentlichungen begegnet
https://www.heise.de/tp/features/Di...e-in-einem-so-schlechten-Zustand-4252613.html
https://www.zeit.de/arbeit/2018-12/arbeitsmarkt-fachkraeftemangel-personal-jobsuche
Den Artikel aus dem Print Spiegel, der die Gegenthese vertritt kann ich leider nicht verlinken aber es dürfte im Internet wohl mehr als genug „OH NOES!, Fachkräftemangel!1“ Material kursieren