Die Konferenz der ehrlichen Politiker [Romanauszug]

[fN]Leichnam

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05.10.2004
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der letzte stand dieses ewigen miststücks von buch. bin noch nicht zufrieden mit der szene, aber hier isse:

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Auf der Konferenz der ehrlichen Politiker: Ich hatte eigentlich nicht damit gerechnet, dass jemand kommen würde. Mein Pessimismus wurde allerdings gleich beim Eintritt in den großen, der Öffentlichkeit zugänglichen Saal der Lächerlichkeit preisgegeben und stellte sich als vollkommen übertrieben und unangebracht heraus. Lilith beschäftigte sich mit Benny und der Familie Tunichtguts. Sie waren im Freizeitpark.
Der Doktor selbst hatte uns auf die Konferenz aufmerksam gemacht und darauf bestanden, dass wir ihn hierher begleiteten. Aus allen Ländern der Erde waren Vertreter ihrer jeweiligen Nation angereist, um die Probleme der sich rapide ändernden Welt zu besprechen. Sie alle waren der Öffentlichkeit und, davon musste man ausgehen, auch einander bisher unbekannt geblieben. Um die Sache zu erleichtern, gab es eine Pflicht, zumindest die Zugehörigkeit zur eigenen Nation für alle anderen gut sichtbar zu machen. Zu diesem Zweck wurden kleine Fähnchen verwendet, die am Anzug oder auch am Hut angebracht waren. Andere hatten sich extra tätowieren lassen. Ein Antrag des brasilianischen Repräsentanten, permanent die brasilianische Nationalhymne zu pfeifen, und sich auf diesem Wege auszuweisen, wurde dagegen vom Komitee abgelehnt, mit der Begründung, dies könne sich negativ auf die allgemeine Verständigung auswirken.
Als wir an einem der Tische in der Mitte Platz genommen hatten, setzte sich die Konferenz langsam in Gang. Ich suchte nach bekannten Gesichtern der Weltpolitik, konnte aber keines finden. Nebeneinander saßen der amerikanische und der chinesische Vertreter. Sie lachten unentwegt und tauschten immer wieder die Fähnchen aus. Tiere waren keine gekommen, trotzdem musste ich viel an Erich Kästner denken. Die Stimmung war ausgelassen. „Wir halten uns für das wichtigste Land der Erde.“ begann der französische Vertreter. „Bravo!“ Die Reaktionen. „Hört! Hört!“ Der ganze Saal klatschte. „Wir auch.“ drang es aus allen Ecken. „Unsere Nation“, fuhr der Franzose fort, „ist von ganz unvergleichlicher Art und einmaliger Beschaffenheit. Wir fühlen uns kulturell jedem anderen Staat überlegen. Kein Franzose käme auf die Idee, an diesem Fakt jemals zu zweifeln.Wir hatten im Laufe der Jahrhunderte auch schon große Erfolge verzeichnen dürfen, was den Export unserer nationalen Güter anbelangt. Man denke nur an unsere wunderbaren Kolonien und die Begeisterung, mit der wir in aller Welt begrüßt worden sind. 'Endlich !' rief man allerorten. Denn wir wissen, dass in jedem Menschen ein Franzose steckt, der befreit werden will. Oder..“, und hier überschlug sich seine Stimme fast, so sehr war sie von den eigenen Ausführungen ergriffen, „denken Sie an unseren letzten großen internationalen Erfolg: Die Revolution ! Und wie schändlich hattet ihr alle“, er wandte sich an die restlichen europäischen Vertreter, „unseren Gesandten aufzunehmen gewusst !“ Ein Gong ertönte. „Wir wollen den Weltstaat unter französischer Vorherrschaft.“ waren seine abschließenden Worte, bevor er vom Rednerpult zurücktrat und unter lautem Beifall zurück zu seinem Platz schritt. Der Repräsentant Luxemburgs, einen Vorteil gewahr nehmend, machte sich sofort daran, seine um neunzig Grad gedrehte Flagge mit einem geliehenen dunkelblauen Filzstift aufzuwerten.
Unter den Tischen der anderen hindurch kroch der nächste Redner, nur von einigen wenigen Fußtritten belästigt, in Richtung des Pultes. „Ach, wissen Sie, die Hoffnung stirbt immer zuerst.“ begann er, die eidgenössische Beflaggung seines Hutes anscheinend vergessend. „Wir Schweizer halten ja den Rest der Welt ohnehin für total verrückt und hoffnungslos verloren. Das sitzt uns so in der Seele. Der Schweizer wird mit einer großen Verachtung des Krieges und einer lieblichen Zuneigung zum Geld geboren. Der Mensch ist doch nur als Kind wirklich Mensch. Danach wird er zum Raub- oder Beutetier. Wir Schweizer sind Raubtiere. Keine Allesfresser ! Das möchte ich betonen. Wir lauern nicht dem mageren Federvieh auf. Der Schweizer sieht seine Beute gerne gesund und wohlgenährt. Man sagt ja, dass es keinen schmutzigeren Menschen gibt, als den, durch dessen Hände außer Geld nichts anderes geht. Oh, weit gefehlt ! Dies Geld ist bei weitem schmutziger. Und wird bei uns sauberen Schweizern sauber. Sauber wie ein frisches, weißes Tuch in der ersten Frühlingsbrise, meine Damen und Herren. Wie der schneeglänzende Gipfel des Matterhorns.“ Wieder kündigte ein Gong das Ende der knapp bemessenen Redezeit an. „Eines noch. Die Sterbehilfe ist nun für jedermann verfügbar; ausgenommen jener, die wegen zu großer Qualen nicht zurechnungsfähig sind.“ Der Doktor stieß mich in die Seite und feixte, während der Busfahrer und Frau Winter angespannt auf den nächsten Redner starrten. Der deutete mit kurzem Schwung an, den sich entfernenden Schweizer noch verfolgen zu wollen, dass dieser zuckte, und drohte ihm mit erhobener Faust nach. „Eichhorn ernährt sich das Mühsamchen.“ murmelte Frau Winter anerkennend.
„Was in aller Welt geht hier eigentlich vor ?“ begann der neue Redner und warf seine Flagge wütend auf den Boden hinters Pult, sodass sie niemand mehr erkennen konnte. „Ich schäme mich ein Teil dieser Spezies zu sein. Zu den größten Denkleistungen fähig, aber im Inneren so verkommen wie kein anderes Tier auf dem ganzen Planeten. Misstrauen beherrscht alle menschlichen Gesellschaften, alle ! Und es ist angebracht. Oh, es ist angebracht. Der Feind wohnt überall. Auf den anderen Kontinenten, im Nachbarland, in der nächsten Stadt, er wohnt in der Wohnung direkt neben mir !“
„Buh !“ rief Frau Winter laut dazwischen, was den anderen nicht störte, sogleich fortzufahren: „Meine Damen und Herren“, er redete nun leise und eindringlich, „wenn wir so weitermachen wie bisher, ist das Leben auf diesem Planeten in kürzester Zeit Geschichte.“
„Erzähl' uns was neues !“ Zwischenrufe. „Ein ganz Gescheiter !“ Das Publikum brüllte und lachte. Bei Ertönen des Gongs schafften ihn sofort zwei Sicherheitskräfte von der Bühne und hielten ihm dabei mit vereinten Kräften den Mund zu. „Der war komisch.“ meinte der Busfahrer nachdenklich. „Könnte mein Nachbar sein.“ sagte Frau Winter. Nun betraten der Amerikaner und der Chinese die Bühne; Hand in Hand begannen sie eine alte Volksweise zu tanzen. Abwechselnd umklammerten sie sich oder streckten die Arme nach einander aus. Der Amerikaner kniff die Augen und drehte sich unter einem imaginären Schirm, den der Chinese über ihm aufgespannt hatte. Dann flogen Kusshände, die der jeweils andere schmachtend und lächelnd entgegennahm. Zwischendurch warf der Chinese immer wieder seinen großen, breitrandigen, mit Drachen verzierten Cowboyhut in die Luft und tauchte ihm nach, um ihn mit dem Kopf wieder aufzufangen. Dazu sang er mit verblüffend dunkler Stimme: „When I came to Texas“. Jetzt holte der Amerikaner aus und just im Moment des in die Luft geführten Schlages vernahm das entsetzte Publikum einen unfehlbar chinesisch klingenden Gong, worauf die beiden wogend und vor Vergnügen quietschend, aber sanft wie ein lauer Wind, eng umschlungen von der Bühne tanzten. „Meine Fresse.“ sagte Frau Winter nach einer Weile.
Dann stand er knurrend von seinem Platz auf, schob sich die schwarz-rot-goldne Kapitänsbinde am linken Ärmel zurecht, richtete seine Kunstträne und schritt direkt zwischen den Mineralwasserfläschchen über sämtliche Tische hinweg in Richtung der Bühne. Vorn angekommen bewegte er drei Minuten lang stumm die Lippen bis zum Gong. Ein Zuschauer ließ seiner Entrüstung freien Lauf: „Ihr wollt die ehrlichen Politiker sein ? Ihr nutzlosen Halunken, macht endlich was !“
„Was sollen wir tun ? Wir sind doch alle arbeitslos.“ antwortete Frau Winter.
 
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