Die Apfelschlacht (Romanauszug II)

[fN]Leichnam

Literatur-Forum
Mitglied seit
05.10.2004
Beiträge
17.063
Reaktionen
5.547
Einmal gab es einen Tag, da waren die beiden jungen Erntehelfer draußen im Felde allein. Don und Hergat hatten sie raus gebracht und waren dann weiter in die Stadt gefahren, um Verhandlungen zu treiben.
Zunächst ging alles wie gewohnt. Sie arbeiteten fleißig in den Bäumen und die Abwesenheit der beiden Alten machte sie lustig und ausgelassen dabei. Groß war der Spaß, gelungen jeder Witz, so dass sie in eine Stimmung verfielen, die sie gar nicht mehr freigeben wollte. Immer neuere und komischere Gedanken kamen den beiden und es gab gar nicht genug Zeit, dem anderen das alles mitzuteilen! Sie redeten, lachten und riefen durcheinander, sie kringelten sich am Boden, sie mussten sich mühsam in den Ästen halten, um nicht vom Sturm des vereinigten Gelächters hinabgefegt zu werden. Geisha ging auf, was der Alte wohl damals gemeint haben konnte, als er ihr von der Größe des Humors erzählte. Doch war das nur trockene Theorie geblieben. Hier war die wahnsinnige Praxis!

Und wie es so ist, wenn Kinder unbeobachtet sind, kann es manchmal mit dem nützlichen Tun schnell vorbei sein. Das Lachen forderte Tribut. Die komische Welt wollte bestaunt werden und so gab sie dazu ihr bestes Werkzeug her. In diesem Falle war es eine Zaunslatte, die Pedro schwingend vom Rand der Aue herbei trug. Er hieb sie kraftvoll probeweise durch die Luft, fand den Klang des Sausens einfach fabelhaft und brachte sie schließlich, zufrieden unter den Arm geklemmt, herüber zu Geisha. Die betrachtete sein neues Spielzeug. Pedro lehnte die Zaunslatte gegen einen Baum und als er anfing, überreife, herumliegende Äpfel einzusammeln, war dem Mädchen sofort klar, wohin das führen sollte. Noch in durchaus anarchistischer Grundstimmung, denn in nichts anderes versetzt ein so bodenloses Lachen, wie gerade erlebt worden, half sie begeistert mit, die teils schon angefaulten roten und gelben Äpfel in einem fruchtigen Häufchen zu sammeln. Als Pedro mit dem Vorrat vorläufig zufrieden war, nahm er mit feierlichen Schritten Maß und stellte sich rund acht Meter von Geisha entfernt in die Wiese. Das Brettchen vom Zaun hatte er mitgenommen und er befühlte und beklopfte es mit aufmerksamer Prüfung, bevor es losgehen konnte.
„Geisha! Wirf den ersten Apfel!“ rief er.
Sie nickte ihm Bestätigung zu und langte nach unten in die Früchte. Es war eine pralle, rote Fruchtfleischkugel, die sie sich griff, eigentlich durchaus kein Mängelexemplar, aber zum Teufel damit! Das war die Devise des Moments. Und es war ihr bei weitem nicht klar, warum nicht ein kleiner Teil der schönen Äpfel, statt zu ernähren, zur Unterhaltung gereichen sollte. Sie wog den Apfel in der Hand. Pedro zuckte ungeduldig mit der Zaunslatte durch die Luft.
„Bist du bereit?“ fragte sie.
Er sprang in die Luft und schlug mit dem Brettchen heftig ins Nichts.
„Oh ja!“ rief er zugleich. „Pass gut auf! Das wird fein!“

Geisha holte kräftig aus, täuschte zwei, drei Mal den Wurf vor, was den Knaben ersichtlich zur Weißglut trieb und schleuderte dann das saftige Geschoss in seine Richtung. Der erste Versuch war ein jämmerlicher Fehlschlag.
„Noch mal, noch mal!“ drängte Pedro hastig und übte am Bewegungsablauf. Sie langte nach dem nächsten und wieder schleuderte sie das Ding auf den mit der Zaunslatte kräftig ausschwingenden Pedro. Der zweite saß – Volltreffer! Mit lautem Klatschen explodierte der Apfel und zersprang in hundert kleine, mehlig weißgelbe Fruchtfragmente. Einige davon kamen zusammen mit wässrigen Tropfen auf Geisha zugeschossen und klebten ihr nachher an Hose und Oberteil. Andere blieben, zu einem süßen Brei zerschlagen, an der Zaunslatte hängen. Der Großteil aber lag nun gespalten, zersprengt und vernichtet in der grünen Wiese herum. Pedro bejubelte den Erfolg mit einem Aufschrei der Lust. Das Gefühl, als er den Apfel traf, war so voll und rein und gut. Es tat so wohl, dieses weiche, harmlose und wehrlose Ziel in tausend Stücke zu hauen. Gleich verlangte er die Wiederholung, wollte unbedingt noch einmal nach der Frucht ausschwingen und sie mit einem Hieb zu Saft und Unform zerschlagen. Geisha war einverstanden und angetan vom zerstörerischen Spiel und sie feuerte den Nächsten auf das hinklatschende Brettchen. Wieder zerstob der Apfel, eine Hälfte schlug direkt neben Geisha gegen den Baum. Jetzt brauchte Pedro gar nicht mehr fragen, jetzt war es klar. Jetzt mussten wohl oder übel alle die nutzlosen rotgelben Mängeläpfel verfeuert werden. Zack! Wieder klatschte das Brettchen. Apfelfleisch und kleine Hautfetzen der Fruchthülle flogen durch die Wiese. Sie machten weiter. Immer wieder traf der Junge, immer wieder zersprangen die Früchte, so dass die Wiese um die beiden Kinder jetzt mehr und mehr von den Resten und Überbleibseln der gesprengten Wurfgeschosse bedeckt war. Schnell war der erste Vorrat aufgebraucht und sie machten sich lachend und voller Vorfreude daran, neue, überreife Früchte zu Füßen der Bäume aufzusammeln. Sie trugen die wehrlosen Äpfel aufs Spielfeld, die Rollen wurden getauscht, Geisha putzte das Brettchen im Grase ab und es konnte schließlich weitergehen mit der famosen Apfelschlacht.

Der Knabe hatte mehr Kraft im Arm und Geisha war nicht ungeschickt. Schon nach wenigen fehlgegangenen Würfen und einigen fachmännischen Hilfestellungen seitens Pedros, traf sie den Apfel mit solcher Wucht, dass große Teile davon in die Baumkronen schwirrten.
„Hast du das gesehen?“ kommentierte sie den fantastischen Erfolg.
Die Antwort kam in Form eines Fruchtgeschosses. Hingelangt und Treffer! Die Hälfte des Apfels pfiff heftig rotierend durch die Luft. Es folgte Wurf auf Wurf, Schlag auf Schlag, unzählige Treffer und Volltreffer waren zu verbuchen. Das Stück Land um die beiden Kinder sah aus wie in einem makabren Traum. In der Rinde der Bäume klebte das weiße Fruchtfleisch, die Wiese war übersäht mit gelben und roten Hautfetzen, an denen noch verschmutztes und geschundenes Apfelinneres hing.
Pedro hatte unterdes schon wieder ausgeholt, doch Flog der Apfel unbehelligt an Geisha vorbei, denn sie hatte innegehalten und stierte über den Buben hinweg in Richtung der Allee.
In diesem Moment bog nämlich der Wagen in die Wiese, erreichte schnell die beiden Apfelspielspieler und hielt bei ihnen an. Don sprang vom Wagen und schimpfte und fluchte wie es Geisha noch nicht gesehen hatte. Hergat blickte finster auf seinen Schützling.
„Ja, was ist das denn hier?!“ rief der aufgebrachte Bauersmann. „Seid ihr denn noch bei Trost?“
„Papa..“ sprach der Knabe verlegen und seine Stimme ging im rauen Ton des Vaters unter: „Still!“ Don ging auf und ab, betrachtete die Sauerei, betrachtete die Kinder, betrachtete die Sauerei.
„Was soll denn das?“ sagte er schließlich, noch kaum gebremst mit wütend lauter Stimme.
Die Kinder standen betreten mit gesenktem Kopf und schwiegen.
„Habt ihr denn auch gearbeitet?“ wandte sich Hergat an Geisha.
„Ein bisschen.“ antwortete sie schamhaft und zeigte nach den zwei Stiegen, die mit guten, unversehrten Äpfeln gefüllt waren.
„Das ist der Ertrag des Vormittags?“ Don schüttelte ungläubig den Kopf. Jedoch hatte er sich so weit gefangen, dass das Beben, diese Angst erregende Spannung in seiner Rede verflogen war. Er war enttäuscht. Ebenso Hergat. Die Alten konnten nicht verstehen, wie die Kinder die wertvolle Arbeitszeit mit solchem unnützen Quatsch vertaten.
„Ihr räumt jetzt ganz schnell den Mist hier weg!“ sprach Don. „Und dann wird gearbeitet! Wir sind nicht zum Spaß hier draußen.“
Der Knabe und das Mädchen gehorchten aufs Wort. Sie griffen sich jeder einen Korb und fingen an, die Apfelleichen und Apfelleichenteile von der Wiese zu sammeln.
„Ihr habt doch nicht die Guten zermanscht?“ fuhr Don noch einmal auf.
„Nein Papa.“
„Und trotzdem! Wertvolles Tierfutter habt ihr vernichtet! Das gibt Arrest heut Abend!“
Der Junge nahm es gelassen. Unter der Woche war er ohnehin meist zu müde und kaputt, um nach der Arbeit noch Großes zu erleben.
„Ich auch?“ fragte Geisha den Gelehrten.
„Freilich.“ nickte Hergat. „Warum sollst du ohne Strafe davonkommen?“
Die Kinder ergaben sich ihrem Schicksal und nachdem die Wiese vom gröbsten Unfug befreit war, ging es zurück in die Kronen, zu nützlichem Tun. Sie bereuten nichts. Sie arbeiteten jetzt eifrig, versuchten die verlorene Zeit aufzuholen. Aber still und leis erinnerten sie noch einander an die schönen, klatschenden Volltreffer, die mit herrlichem Schwung erlegten Fruchtziele.
 
Zuletzt bearbeitet:
Oben