Der Fall Oury Jalloh - Unfall oder Mord?

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Trotzdem gibt es dann noch so Fälle wie den des Topics.
 
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Und wie kommst du auf die haarsträubende Idee, dass sich ein Beschuldigter eines Ermittlungsverfahrens kooperativ verhalten müsste?

Wo schreib ich denn müssen? Es kann schon sinnvoll sein, sich als Beschuldigter kooperativ zu verhalten, insbesondere wenn man ja angeblich unschuldig ist wie du später suggerierst.
Oder aber man wiegt sich in Sicherheit, weil die lieben ermittelnden Kollegen gerne mal was übersehen, behindert Ermittlungen und verschleppt Verfahren. Und das legt nun mal eher ein strukturelles Problem nahe.
 
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Du vermischst fälschlicherweise zwei grundlegende Dinge:

Dass ein sich falsch verhaltender Polizist Möglichkeiten hat, Beweismittel direkt nach der Tat verschwinden zu lassen oder ihm nahe stehende Kollegen auf einmal "Erinnerungslücken" haben wenn Zeugen gesucht werden, ist das eine. Das hat niemand bestritten und das ist nicht nur bei der Polizei so. Aber das bezieht sich alles auf das absolute Nahumfeld innerhalb einer Abteilung, teils sogar innerhalb einer Dienstgruppe wo die Leute sich alle persönlich kennen.

Deine weiteren Ausführungen von wegen "ermittelnde Kollegen übersehen gern was" sind dagegen schlicht falsch. Ermittlungen gegen Polizeibeamte werden grundsätzlich von externen Stellen übernommen und von denen drückt weder jemand ein Auge zu noch übersieht oder unterschlägt der was. Es existiert auch kein Filz zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft, Richterschaft und Politik um einzelnen Polizisten nach Straftaten im Dienst den Arsch zu retten. Die Gründe für marginale Verurteilungsraten sind wirklich simpel:

a) Polizisten wissen 100x besser als der Normalbürger wie wann und was sie bei Vernehmungen und vor Gericht äußern ohne dass ihnen ein Nachteil erwächst
b) Polizisten bekommen in solchen Fällen einen erfahrenen Rechtsbeistand der auf genau solche Fälle spezialisiert ist und das 100x öfter gemacht hat als der Wald&Wiesen-RA von Otto Meier um die Ecke
c) Polizisten werden überdurchschnittlich oft angezeigt (im Verhältnis zum Normalbürger) und im Verfahren stellt sich heraus, dass die bemängelte Maßnahme und Durchführung rechtlich in Ordnung waren
d) Bürger können in Verfahren gegen Polizisten fast nie Tatsachenbeweise einbringen sondern es steht fast immer "Aussage gegen Aussage" wer sich wie verhalten hat und da enden auch Verfahren gegen Nichtpolizisten nunmal fast immer ohne Verurteilung

Alles zusammen ergibt 'ne äußerst geringe Verurteilungsquote und irgendwelche Verstrickungen zwischen Polizisten und Staatsanwälten die "mal eben" Verfahren "einfach so" einstellen sind schlicht herbeigeredet. Gibts im Einzelfall vielleicht, aber nicht Flächendeckend. Wie gesagt, kein Staatsanwalt oder Richter hätte irgend eine Motivation, einem Streifenpolizisten durch irgend eine Art von Vertuschung den Arsch zu retten und dabei seine eigene Zulassung zu riskieren.
 
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"Ermittlungen gegen Polizeibeamte werden grundsätzlich von externen Stellen übernommen"

Ist das tatsächlich so? Die Presse ist voll von Fällen, die einen anderen Schluß nahelegen:

http://www.sueddeutsche.de/panorama...es-polizisten-wir-regeln-das-intern-1.2375588

Zunächst ermittelte das Polizeipräsidium Gelsenkirchen selbst gegen die beteiligten Beamten, also die eigenen Kollegen. Dabei war ein möglicher Interessenkonflikt besonders offensichtlich: In der ermittelnden Direktion arbeitet der Vater eines Beamten, der am Einsatz beteiligt war. Über diese Tatsache wurde der Leiter der Ermittlungskommission erst sechs Tage nach dem Einsatz informiert.

http://www.spiegel.de/panorama/justiz/polizeigewalt-das-grosse-schweigen-a-705422.html

http://www.sueddeutsche.de/panorama...whistleblower-als-kameradenschweine-1.2485586

Dass es selten Beweise gibt und es dann Aussage gegen Aussage steht glaube ich gern. Wenn es wirklich belastendes Material gibt, verschwindet das schon schnell genug. Dass es keinen "Korpsgeist" oder Polizeikultur geben soll, die über die einzelne Dienststelle hinausgeht, erscheint mir wenig glaubwürdig.
 
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"Externe Stelle" muss doch nicht "anderes Präsidium" bedeuten. So ein Präsidium umfasst mehrere tausend, manchmal Zehntausend Beamte und Angestellte. Die Ermittlungen werden aber im Grunde immer von Leuten geführt, die höchstens durch Zufall was mit den Beschuldigten zu tun haben, die sich aber nicht jeden Tag in der Kantine sehen. Dass da auch mal Fälle dabei sind wo es Beziehungen gibt kann man nie ausschließen, das ist aber nicht gewollt und kommt auch nur in Einzelfällen vor. In Deinem Beispiel steht selbst, dass der Leiter der Ermittlungskommission letztlich doch darüber informiert wurde, zu spät, klar, aber das kommt halt vor, sind alles nur Menschen die da arbeiten. In so einem Fall wird der Betreffende dann auch von den Ermittlungen abgezogen und die Staatsanwaltschaft die das Verfahren betreut davon in Kenntnis gesetzt. Die 500 Fälle vorher wo das nicht passiert ist, standen halt nicht in der Presse.

Es mag Dir wenig glaubwürdig erscheinen und das sei Dir natürlich belassen, ich kann Dir nur sagen, dass es heutzutage 'ne totale Scheissidee ist, seinen Dienstausweis zu zücken wenn man grad von zwei "Kollegen" (die man nicht persönlich kennt) bei irgendwas erwischt wurde. Das geht in mehr als 50% komplett nach hinten los. Einen Cop aus Münster interessiert es einen Dreck ob ich Cop in Gelsenkirchen bin oder umgekehrt. Oder meinetwegen sogar vom anderen Ende der Stadt. Erst Recht bei schweren Straftaten. Wie schon gesagt: Vermuteter "Corpsgeist" gegenüber völlig Fremden nur weil die die selbe Uniform tragen ist doch für keinen normalen Menschen 'ne Motivation, den einzigen Kardinalfehler zu machen, den Du als Beamter noch machen kannst um für Deinen persönlichen Untergang zu sorgen: Sich an schweren Straftaten beteiligen oder diese aktiv decken. Das mags im Einzelfall mal geben aber das ist dann fast immer auf 'ne persönliche Beziehung der Beteiligten zurückzuführen. Ausserhalb der direkten Umgebung gibts da keinen Anlass für, zumindest nicht flächendeckend. Es sei denn man möchte unterstellen, Polizeibeamte, Staatsanwälte, Pathologen, Richter und wer noch alles da mit an so einem Fall arbeitet sind durchweg irrational handelnde Menschen die ihr persönliches Wohl, ihre Familie, ihre Zukunft und Karriere für "Kollegen XYZ" wegwerfen würden mit dem sie vielleicht ein paar Mal telefoniert haben.
 
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Den "Corpsgeist" merkt man doch allein daran dass egal was passiert du erstmal davon ausgehst dass die Polizei sicherlich alles richtig gemacht hat und diese Position vehement verteidigst^^
"Das ist zwar ungewöhnlich und nicht nach Vorschrift, wenn man aber bedenkt das in der Realität....."

Dein "Bauchgefühl" ist da am Anfang immer klar. Bei den Kollegen sicher anders
 
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Mein Bauchgefühl ist halt von persönlichen Erfahrungen gedeckt. Vermutungen da wäre flächendeckend die ganz große Vertuschungsverschwörung am Werke die vom kleinen Streifenbeamten bis zum Generalbundesanwalt reicht ist von gar nichts gedeckt ausser extremlinken Feindbildern und ein paar Fällen wo wirklich krasse Scheiße gelaufen ist die dann in den Medien als "Beweise" angeführt werden, dass ja eigentlich alle unter einer Decke stecken.

Wir haben in D eine der am besten ausgebildeten, korruptionsresistentesten, gewaltaversen und bürgernahesten Polizeien überhaupt auf der Welt. Viel besser hat das bisher wirklich kaum ein Land in der Praxis hinbekommen, von ganz wenigen Ausnahmen (Island? Skandinavien irgendwo?) vielleicht mal abgesehen. Dass bei einer Gesamtstärke die in die Hunderttausende geht von Zeit zu Zeit miese Scheiße passiert ist schlicht der Menge an Menschen geschuldet die dort arbeiten und da gibt immer auch ein paar Arschlöcher dabei. Grundsätzlich arbeitet aber die absolut überwiegende Mehrzahl aller Polizisten und deren "Co-Worker" die an Fällen so arbeiten (StA, Pathologen, Labore, Richter etc.) korrekt und da kehrt keiner was gravierendes unter den Tisch. Musst Du ja nicht glauben, wenn Dir die Vorstellung "die machen was sie wollen und vertuschen das eh!" besser gefällt. Meine Erfahrungen sagen das nicht, alles was ich an - zu recht kritikwürdigem - Corpsgeist erlebt habe beschränkte sich auf Fälle wo persönliche Beziehungen im Spiel waren. Und das ist kein polizeispezifisches Problem sondern das gibts überall: im Büro wo man "nichts bemerkt" wenn ein Kollege Material klaut, im Krankenhaus wo man wegsieht wenn sich ein Kollege am Medischrank bedient und und und... Dass bei schweren Straftaten umfangreich ermittelt werden sollte, dagegen hab ich mich nie ausgesprochen, ein per-se-Generalverdacht auf Vertuschung ist aber imho schlicht unangebracht.
 
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Es muss ja gar nicht die ganz große Verschwörung sein. Die These ist halt, dass es Interessenkonflikte gibt zwischen den ermittelnden und beschuldigten Beamten sowie zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei weil diese teils eng zusammenarbeiten bzw. aufeinander angewiesen sind. Man muss dazu ja auch gar nicht aktiv etwas vertuschen. Man muss sich einfach nur keine Mühe geben beim Ermitteln. So kann der Fall dann kaum aufgeklärt werden und wird dann eingestellt.

Es mag Dir wenig glaubwürdig erscheinen und das sei Dir natürlich belassen, ich kann Dir nur sagen, dass es heutzutage 'ne totale Scheissidee ist, seinen Dienstausweis zu zücken wenn man grad von zwei "Kollegen" (die man nicht persönlich kennt) bei irgendwas erwischt wurde. Das geht in mehr als 50% komplett nach hinten los.

Das mag ja sein, aber ist ein solches Szenario denn realistisch? Man ist doch außer vielleicht bei Großeinsätzen grundsätzlich mit Kollegen unterwegs, die man persönlich kennt. Und da passieren dann auch die Verbrechen, die in der Presse landen und oft nicht aufgeklärt werden weil die Kollegen dicht halten obwohl sie eigentlich Strafanzeige hätten erheben müssen. Dass das praktisch nie gemacht wird, mag seine Parallelen im Bürobetrieb haben, wo der Kollege mal ein paar Radiergummis mitgehen lässt, aber es ist schon etwas zynisch, wenn man sowas mit den teils schweren Gewalttaten bis hin zu Tötungsdelikten vergleichen will.

Sprich: Straftaten decken und Beweismittel verschwinden lassen machen die Kollegen, die sich gegenseitig kennen. Halbherzig ermitteln dann im Idealfall die Kollegen von der externen Stelle.

Ich behaupte im Übrigen nicht, dass sowas Alltag der deutschen Polizeiarbeit ist, vielleicht sind es wirklich Einzelfälle. Die aber leider immer wieder auftreten und das auch strukturell bedingt.
 

Deleted_504925

Guest
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-12/oury-jalloh-staatsanwalt-bittmann-mord

wieder eine aktuelle meldung dazu.

Staatsanwalt geht offenbar von Vertuschungstat der Polizei aus
Der Asylbewerber Oury Jalloh könnte angezündet worden sein – das glaubt laut einem Bericht der Dessauer Oberstaatsanwalt. Zuvor soll es ähnliche Todesfälle gegeben haben.
Wie die Mitteldeutsche Zeitung berichtete, verwirft Bittmann in einem Vermerk vom April 2017 nicht nur die These eines Unfalltods Jallohs. Vielmehr beschreibe er konkret ein Szenario, wonach Beamte den Häftling angezündet haben könnten. Zudem habe der Staatsanwalt Parallelen zu zwei weiteren, ungeklärten Todesfällen in der Polizeistelle Dessau gezogen.
wurde ja hier auch schon gemutmaßt.
 
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Zudem habe der Staatsanwalt Parallelen zu zwei weiteren, ungeklärten Todesfällen in der Polizeistelle Dessau gezogen.
Bei sowas kommt einem dann die Galle hoch. Wie kann es sein, dass eine Polizeistelle nach offenbar drei ungeklärten Todesfällen nicht komplett im medialen Mittelpunkt steht? Und damit meine ich keine Vorverurteilung, aber für Publicity und Aufklärungsdruck müssen da auch die Medien sorgen. Aber Hauptsache zur Hochzeit jeden grapschenden Flüchtling auf Seite1 haben.
 
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