http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg09-002
"Der Beschwerdeführer im Verfahren 2 BvR 1010/08 (Gauweiler), der gleichzeitig Antragsteller im Organstreitverfahren 2 BvE 2/08 ist, macht mit seiner Verfassungsbeschwerde geltend, dass das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon das Demokratieprinzip, den Grundsatz der souveränen Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland und das Prinzip der Gewaltenteilung verletze.
Insbesondere rügt er, dass die Ausweitung der Zuständigkeiten der EU und die Möglichkeit, verbleibende Kompetenzlücken entweder durch eine expansive Rechtsprechung des EuGH oder durch die Anwendung der sog. Flexibilitätsklausel selbst zu schließen, zu einer Kompetenz-Kompetenz der EU führen. Außerdem fehle dem Europäischen Rat die demokratische Legitimität, weil mangelnde Transparenz des Entscheidungsverfahrens und eine zu lange Kette von Vermittlungsschritten der Ableitung der Legitimität von den Mitgliedsstaaten entgegenstünden.
Mit der Erweiterung der Kompetenzen für innere Sicherheit und Strafverfolgung dringe die EU verfassungswidrig in Kerngebiete der Staatlichkeit vor. Auch sei nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbaren, dass die EU zu einem Völkerrechtssubjekt werde und über einen außenpolitischen Apparat sowie über weitreichende außenpolitische Kompetenzen verfüge. Damit werde sie zu einem eigenen Staat, was mit dem gleichzeitigen Verlust der souveränen Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland verbunden sei.
Ebenso sei durch den Vertrag das Gewaltenteilungsprinzip verletzt, weil die Bundesregierung über die europäische Ebene vor allem im Rat schwerpunktmäßig Rechtssetzungsfunktion übernehmen könne und damit als Teil des Rates höherrangiges Recht setze, dass das vom Bundestag erlassene Recht verdränge.
Der Beschwerdeführer meint, dass die Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtscharta im Vertrag von Lissabon auch sein aus dem Grundgesetz resultierendes Freiheits-, Gleichheits- und Justizgrundrecht beeinträchtige, weil insbesondere die Menschenwürde im Rahmen der EU nicht strikt zu beachten sei, sondern der Abwägung mit anderen Rechtsgütern unterworfen werde. Die Bestimmungen der Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon seien ebenfalls nicht mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes vereinbar.
Mit seinem Antrag im Organstreitverfahren (2 BvE 2/08) als Mitglied des Deutschen Bundestages macht er ebenfalls eine Verletzung des Demokratieprinzips, sowie darüber hinaus eine Verkürzung der Mitwirkungsrechte als Abgeordneter des Deutschen Bundestages geltend.
Gleichzeitig rügt er, dass die Kompetenzen des Bundestages durch die Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU ausgehöhlt werden.
Der Beschwerdeführer im Verfahren 2 BvR 1022/08 (Buchner) macht insbesondere geltend, dass die Übertragung von zahlreichen Zuständigkeiten auf die EU, einem "Ausverkauf ureigenster staatlicher Befugnisse" gleichkomme. Dies manifestiere sich insbesondere in der Auflösung der Säulenstruktur und der Schaffung einer einheitlichen Rechtspersönlichkeit der EU, wodurch sämtliches europäisches Recht supranationalen Charakter erhalte. Außerdem sei das Rechtsstaatsprinzip verletzt, da der Vertrag von Lissabon keine Grundsrechtsklage vor dem EuGH vorsehe.
Die von 53 Mitgliedern des Deutschen Bundestages ausdrücklich - ebenso wie vom Beschwerdeführer im Verfahren 2 BvR 1010/08 - als Bürger der Bundesrepublik Deutschland erhobene Verfassungsbeschwerde (2 BvR 1259/08), begründen sie u.a. damit, dass die Menschenwürde nach dem Vertrag von Lissabon zu einem abwägbaren Rechtsgut werde.
Die Bundestagsfraktion "Die Linke" beantragt im Organstreitverfahren 2 BvE 5/08, die Feststellung, dass das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon den Deutschen Bundestag in seinen grundrechtlich geschützten Rechten als gesetzgebendes Organ verletze. Durch Übertragung von Kompetenzen verliere der Deutsche Bundestag u.a. die
Entscheidungsbefugnisse über den Einsatz der deutschen Streitkräfte für den Bereich europäischer Krisenintervention. Außerdem sei es mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, dass der Vertrag militärische Kampfeinsätze außerhalb der Union zur "Konfliktverhütung" und zur "Bekämpfung des Terrorismus" zulasse."