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- 28.08.2010
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Mein Name ist Cid. Ich war Mechaniker. Mein Slogan: „Ich repariere alles!“ Bei den wichtigen Sachen hat’s aber nicht geklappt: Werkstatt, Ehe, Leben. Und dann bin ich gestorben. Ich bin frontal in den anderen Wagen geknallt. Ich bin betrunken gewesen und von der Spur abgekommen. Bestimmt hab’ ich die in dem anderen Wagen auch umgebracht. Dafür hätte ich eigentlich in die Hölle kommen müssen, es ist wie immer meine Schuld gewesen. Aber soviel Glück hab’ ich nicht gehabt. Für mich gab’s danach nur den Rummelplatz. Das klingt lustig? Ist’s aber nicht. Er war schlimmer als die Hölle. Mums toller Reverend hätte ihn das Fegefeuer genannt.
Ich hab’ den Namen der Stadt vergessen, aber es war derselbe Rummelplatz, auf dem unsere kleine Christie gestorben ist. Überfahren vom Autoskooter. Ist auch nicht lustig. Dieser Jenseits-Rummelplatz sah aus wie der echte Rummelplatz, war aber eine Bruchbude. Alles vergammelt. Überall Pflanzen. Es war neblig und still, keine Geräusche. Ich hatte keinen Hunger. Ich musste nicht schlafen. Da wurd’s aber eh nicht dunkel. Ich hatte nicht mal Durst. Ich hab’ ab und zu versucht, einfach wegzugehen, aber irgendwie bin ich immer wieder hier angekommen. Zum Kotzen. Einmal, als ich es nicht mehr ausgehalten hab’, bin ich oben von der Achterbahn gesprungen. Ich bin voll aufs Gesicht geknallt, hat aber nichts gebracht.
Und plötzlich ist da der Junge gewesen. Ein Hosenscheißer, blond, Sommersprossen, kurze Hose, T-Shirt. Er ist zu mir gekommen, als ich da flach auf dem Gesicht gelegen hab’, alle Viere von mir gestreckt, und hat gesagt: „Die anderen glauben nicht daran, dass du jemals hier weg kommst. Aber ich schon. Komm, steh auf. Ich will dir helfen. Ich bin Michael.“ – „Junge, welche anderen? Und was machst du hier? Das ist mein Jenseits, such dir selber eins.“ Da hat er gelacht. „Die anderen Engel natürlich. Glaubst du etwa, du stirbst, und von irgendwoher kommt da ein kleiner Junge an? Dieser Körper ist nur ein Symbol. Eine Form, die du verstehst.“ An der Stelle hab’ ich erst geschnallt, dass hier schon lang was lief, was ich nicht mehr geschnallt hab’.
„Jetzt halt mal die Luft an! Was soll das überhaupt? Ich hab’ nie an diesen ganzen Quatsch geglaubt! Tot sein und verschwinden, das reicht doch wohl! Dieser ganze Glaubens-Jenseits-Kack muss echt nicht sein. Ich will endlich alles los werden, den ganzen Scheiß vergessen. Alles, was passiert ist.“ – „Natürlich möchtest du das, aber so funktioniert es nicht. Komm.“ Er hat plötzlich hart geklungen, die Stimme ist unwiderstehlich gewesen. Er ist vorgegangen, ich bin hinterher getrottet, wie ein Köter an der Leine.
„Chance, Bestrafung. Himmel, Hölle, Fegefeuer. Schuld und Sühne, Verdammnis und Erlösung. Sünde und Buße, Beichte und Abbitte. Das sind alles nur andere Worte für dasselbe Konzept: Du machst einen Fehler im Leben und eine höhere Macht gibt dir die Chance, es wieder gut zu machen. Sieh her.“ Er hat mich zurück zum Autoskooter geführt. „Wie alles hier, ist der Autoskooter nur ein Symbol, das du wahrnehmen kannst. Damit du verstehst, was vor sich geht. Der Autoskooter an sich ist nur eine Maschine. Aber dieser spezielle Autoskooter hier ist mehr als das. Was bedeutet er für dich?“ Kurz hab’ ich keinen Schimmer gehabt, was er wollte, bis es mir aufging: „Christie.“ - „Richtig. Hier, auf diesem Autoskooter, starb deine Tochter, und das ist der Ort, an dem dein Leben endgültig aus der Bahn geriet.“ Dabei hat er nach oben gezeigt, auf die Stromschienen des Skooters. „Dieser Autoskooter ist ein Ort des Schicksals für dich. Die Tragödie, die hier passiert ist, ist die Summe von Zufällen und Entscheidungen, die dein Leben bestimmt haben. Etwas führt zu etwas Anderem und setzt ein Drittes in Gang. Verstehst du?“ Ich hab’ genickt, es aber nicht kapiert. Er hat wie der Reverend geredet, oder wie ein alter Lehrer. „Der Autoskooter an sich ist nur eine Maschine. Und du bist an sich ein Mechaniker, der von sich behauptet, er könne alles reparieren. Aber du bist tot, und den Autoskooter gibt es nicht. Ein höhere Macht gibt dir hier die Chance, dein Leben auf eine andere Bahn zu lenken. Finde das Etwas, das zum Anderen führt, das das Dritte in Gang setzt. Dann hast du die Chance genutzt.“ – „Das klingt mehr nach diesem Krama-Dings als nach Buße.“ Da hat er gelächelt. „Du hast es verstanden. Auch ‘Karma’ ist nur ein anderes Wort dafür, dass du dein Schicksal selber in der Hand hast. Ich behalte deine Fortschritte im Auge, kann dir aber nicht helfen. Das wäre gegen die Regeln. Und ich muss noch andere Fälle betreuen. Lass dir Zeit – davon hast du genug.“ Dann ist er verschwunden und hat mich allein gelassen, auf dem kaputten Betonboden, zwischen den Pflanzen und demolierten Autoskootern. Ich hab’ zum Himmel gerufen: „Du hast nicht zufällig was zu trinken, oder?“ Da hab’ ich plötzlich einen harten Gegenstand in der Hosentasche gehabt. Es ist aber nur ein Schraubenschlüssel gewesen. Ich hab’ den Jungen lachen gehört: „Das sind alles nur Symbole. Du brauchst nichts zu trinken, sondern wie ein Skooter einen Schubs in eine Richtung.“
Ich hab’ mich blöd umgeguckt, aber keine Ahnung gehabt, wie ich das machen sollte: Mein Leben auf eine andere Bahn lenken, indem ich diesen Jenseits-Autoskooter reparierte. Ging das überhaupt? Mein Leben war doch schon vorbei. Oder konnten Tote zeitreisen? Da hab’ ich was gemerkt: Am anderen Ende der Bahn hat so ein silberner Wagen gestanden. Genau der Wagen hatte Christie überfahren. Sie war auf die Bahn gelaufen, weil ich sie nicht festgehalten hatte. Und ich hatte sie nicht festgehalten, weil…? Ja, warum eigentlich? Ich bin schnell hingelaufen, gestolpert und vor dem Wagen auf die Knie gefallen. Die Abdeckung am Heck, wo der Stromabnehmer ins Chassis führte, stand offen. Ich hab’ mir den Elektromotor angeschaut. Ich hatte mein Leben lang nur Benziner repariert, aber vielleicht sollte ich jetzt mal was Neues lernen. Hab’ reingepackt und gleich gemerkt, dass da Kontakte lose waren. Also hab’ ich die Schrauben mit meinem Schraubenschlüssel festgedreht, der plötzlich irgendwie ein Schraubenzieher geworden war.
In diesen Moment hab’ ich was gesehen, was ich hier erlebt hatte. Ich hatte Christie nicht festgehalten, weil Sheila und ich uns gestritten hatten. Das Bild ist sofort wieder weg gewesen und ich hab’ nur noch den kaputten Autoskooter gesehen. Den Motor hab’ ich repariert, aber der Stromabnehmer war verbogen und kam nicht mehr bis an die Schiene. Ich hab’ den Hammer genommen und das Ding gradegeklopft. Dann hab’ ich was gesehen. Sheila war sauer gewesen, weil ich immer ein paar junge Dinger, fast noch Teenies, in Hotpants angeglotzt hatte. Warum hatte ich das gemacht? Der Stromabnehmer war wieder grade, aber eins von den Rädern vorne war ab. Das hab’ ich geschweißt. Dann hab’ ich was gesehen. Ich hatte ständig auf diese Weiber geschaut, weil Sheila den ganzen Abend über schon sauer gewesen war. Ich hatte gedacht, dass nach fünf Jahren Ehe nicht mehr bleibt als so was: Man arbeitet lange, und wenn man was mit der Familie unternimmt, macht’s keinen Spaß. Warum war Sheila sauer gewesen?
Der silberne Skooter war repariert. Ich hab’ mich gefragt, ob’s hier noch Strom gab. Also hab’ ich mir den Sicherungskasten angeschaut. Die meisten Sicherungen waren verrostet, ich hab’ sie ersetzt. Dann hab’ ich was gesehen. Es war Christies vierter Geburtstag gewesen. Sheila war sauer, weil ich erst abends mit einer Fahne nach Hause gekommen war. Warum hatte ich das getan? Als der Strom wieder da war, hab’ ich erst die vielen kaputten Lampen bemerkt. Ich hab’ die Leiter aufgestellt und die Birnen ersetzt. Dann hab’ ich was gesehen. Ich hatte mit den Jungs was getrunken und den Anfang vom Spiel geschaut, und mich deshalb zu spät an den Geburtstag meiner Tochter und den Ausflug zum Rummelplatz erinnert. Da hab’ ich verstanden, was Michael gemeint hatte: Ich hab’ hier immer was aus meinem Leben gesehen, über das ich nachdenken sollte. Ich musste das Richtige sehen und den richtigen Gedanken haben, dann…hätte ich diese Chance genutzt. Also musste ich weiterarbeiten. Gut, dass ich wirklich alles reparieren konnte.
Es war anstrengend, auch wenn ich immer das richtige Werkzeug in der Hand hatte. Ich bin aber nie hungrig, durstig oder müde geworden. Trotzdem bin ich zwischendurch immer wieder so kaputt gewesen, dass ich nicht mehr weitermachen konnte. Ich hab’ mir dann immer wieder alles angesehen, was ich geschafft hatte: Ich hatte die Pflanzen rausgezogen, den Boden erneuert, die Wagen gestrichen und ein neues Dach aufgelegt.
Ich hab’ keine Ahnung, wie viele Sachen aus meinem Leben ich gesehen hab’. Ich hab’ aber nicht kapiert, was es war, womit ich mein Leben ändern sollte. Aber es ist kein einzelnes Ding gewesen, sondern alle zusammen, durch die ich’s erst gemerkt hab’: „Ich bin für Sheila und Christie nicht bereit gewesen. Ich hab’ sie nie ernst genommen, weil ich nie erwachsen, sondern immer nur jung sein wollte.“ – „Das ist richtig. Meinen Glückwunsch. Du darfst den Rummelplatz verlassen.“ Plötzlich hat Michael da gestanden. „Was?“ – „Ich sagte: Du darfst gehen. Das war die eine Sache, die du lernen musstest: Leben heißt Verantwortung. Du hast deine Chance genutzt, deine Arbeit hier ist getan.“ Erst da hab’ ich mich wieder umgesehen. Ich hatte alles repariert, ohne es zu merken, und der Autoskooter hat wieder wie an dem einen Tag ausgesehen. Nur die Familien haben gefehlt. „Dann hab’ ich gebüßt?“ Da hat er wieder so gelächelt. „Wenn du dieses Konzept so nennen möchtest. Das Universum jedenfalls hat beschlossen, dass du dein Leben weiterleben solltest. Leb wohl.“
Dann ist alles verschwunden und es ist dunkel geworden. Ich bin in einem Krankenzimmer aufgewacht. Christie und Sheila haben neben meinem Bett gesessen und meine linke Hand festgehalten. Meine Frau hat Tränen in den Augen gehabt und unsere Tochter ein Pflaster auf der Wange. „Was…was ist passiert? Warum seid ihr hier? Das andere Auto…“ – „Schatz, sag nichts, du hast eine Gehirnerschütterung. Weißt du nicht mehr? Die Kleine wollte auf die Bahn vom Autoskooter laufen, du hast sie festgehalten, bist gestürzt und hast dir den Kopf aufgeschlagen. Du warst be-wusstlos, ich hatte richtig Angst um dich.“ Sie hat mich auf die Stirn geküsst und ihr Haar ist auf mein Gesicht gefallen. Und sie hat mich immer wieder einen Helden genannt. Wie hab’ ich diese Frau jemals als Last empfinden können? Wie konnte mir jemals meine kleine Tochter, die sich ganz fest an meine Hand geklammert hat, nicht wichtig sein? Ich hab’s nicht verstanden.
Ich hab’ noch immer versucht, Traum und Wirklichkeit zu trennen. Da hab’ ich zwischen Haarsträhnen durch ein großes, gerahmtes Foto an der Wand gesehen. Ich hab’ mich aus der Umklam-merung meiner Frau befreit, bin aufgesprungen und mit weichen Knien zu dem Foto geschwankt. Es ist ein kaputter Autoskooter gewesen, aber nicht irgendeiner, sondern ein bestimmter: Der, den ich repariert hatte. Ich hab’ das Bild von der Wand genommen und umgedreht: „Nr. 3/12 aus der Reihe ‘Ruinen des Alltags’. Photoatelier Michael Peterson, Mulholland Drive, Los Angeles“ hat da auf einem kleinen Aufkleber gestanden. Mit der Hilfe eines Engels konnte ein Toter vielleicht doch zeitreisen.
Ich hab’ den Namen der Stadt vergessen, aber es war derselbe Rummelplatz, auf dem unsere kleine Christie gestorben ist. Überfahren vom Autoskooter. Ist auch nicht lustig. Dieser Jenseits-Rummelplatz sah aus wie der echte Rummelplatz, war aber eine Bruchbude. Alles vergammelt. Überall Pflanzen. Es war neblig und still, keine Geräusche. Ich hatte keinen Hunger. Ich musste nicht schlafen. Da wurd’s aber eh nicht dunkel. Ich hatte nicht mal Durst. Ich hab’ ab und zu versucht, einfach wegzugehen, aber irgendwie bin ich immer wieder hier angekommen. Zum Kotzen. Einmal, als ich es nicht mehr ausgehalten hab’, bin ich oben von der Achterbahn gesprungen. Ich bin voll aufs Gesicht geknallt, hat aber nichts gebracht.
Und plötzlich ist da der Junge gewesen. Ein Hosenscheißer, blond, Sommersprossen, kurze Hose, T-Shirt. Er ist zu mir gekommen, als ich da flach auf dem Gesicht gelegen hab’, alle Viere von mir gestreckt, und hat gesagt: „Die anderen glauben nicht daran, dass du jemals hier weg kommst. Aber ich schon. Komm, steh auf. Ich will dir helfen. Ich bin Michael.“ – „Junge, welche anderen? Und was machst du hier? Das ist mein Jenseits, such dir selber eins.“ Da hat er gelacht. „Die anderen Engel natürlich. Glaubst du etwa, du stirbst, und von irgendwoher kommt da ein kleiner Junge an? Dieser Körper ist nur ein Symbol. Eine Form, die du verstehst.“ An der Stelle hab’ ich erst geschnallt, dass hier schon lang was lief, was ich nicht mehr geschnallt hab’.
„Jetzt halt mal die Luft an! Was soll das überhaupt? Ich hab’ nie an diesen ganzen Quatsch geglaubt! Tot sein und verschwinden, das reicht doch wohl! Dieser ganze Glaubens-Jenseits-Kack muss echt nicht sein. Ich will endlich alles los werden, den ganzen Scheiß vergessen. Alles, was passiert ist.“ – „Natürlich möchtest du das, aber so funktioniert es nicht. Komm.“ Er hat plötzlich hart geklungen, die Stimme ist unwiderstehlich gewesen. Er ist vorgegangen, ich bin hinterher getrottet, wie ein Köter an der Leine.
„Chance, Bestrafung. Himmel, Hölle, Fegefeuer. Schuld und Sühne, Verdammnis und Erlösung. Sünde und Buße, Beichte und Abbitte. Das sind alles nur andere Worte für dasselbe Konzept: Du machst einen Fehler im Leben und eine höhere Macht gibt dir die Chance, es wieder gut zu machen. Sieh her.“ Er hat mich zurück zum Autoskooter geführt. „Wie alles hier, ist der Autoskooter nur ein Symbol, das du wahrnehmen kannst. Damit du verstehst, was vor sich geht. Der Autoskooter an sich ist nur eine Maschine. Aber dieser spezielle Autoskooter hier ist mehr als das. Was bedeutet er für dich?“ Kurz hab’ ich keinen Schimmer gehabt, was er wollte, bis es mir aufging: „Christie.“ - „Richtig. Hier, auf diesem Autoskooter, starb deine Tochter, und das ist der Ort, an dem dein Leben endgültig aus der Bahn geriet.“ Dabei hat er nach oben gezeigt, auf die Stromschienen des Skooters. „Dieser Autoskooter ist ein Ort des Schicksals für dich. Die Tragödie, die hier passiert ist, ist die Summe von Zufällen und Entscheidungen, die dein Leben bestimmt haben. Etwas führt zu etwas Anderem und setzt ein Drittes in Gang. Verstehst du?“ Ich hab’ genickt, es aber nicht kapiert. Er hat wie der Reverend geredet, oder wie ein alter Lehrer. „Der Autoskooter an sich ist nur eine Maschine. Und du bist an sich ein Mechaniker, der von sich behauptet, er könne alles reparieren. Aber du bist tot, und den Autoskooter gibt es nicht. Ein höhere Macht gibt dir hier die Chance, dein Leben auf eine andere Bahn zu lenken. Finde das Etwas, das zum Anderen führt, das das Dritte in Gang setzt. Dann hast du die Chance genutzt.“ – „Das klingt mehr nach diesem Krama-Dings als nach Buße.“ Da hat er gelächelt. „Du hast es verstanden. Auch ‘Karma’ ist nur ein anderes Wort dafür, dass du dein Schicksal selber in der Hand hast. Ich behalte deine Fortschritte im Auge, kann dir aber nicht helfen. Das wäre gegen die Regeln. Und ich muss noch andere Fälle betreuen. Lass dir Zeit – davon hast du genug.“ Dann ist er verschwunden und hat mich allein gelassen, auf dem kaputten Betonboden, zwischen den Pflanzen und demolierten Autoskootern. Ich hab’ zum Himmel gerufen: „Du hast nicht zufällig was zu trinken, oder?“ Da hab’ ich plötzlich einen harten Gegenstand in der Hosentasche gehabt. Es ist aber nur ein Schraubenschlüssel gewesen. Ich hab’ den Jungen lachen gehört: „Das sind alles nur Symbole. Du brauchst nichts zu trinken, sondern wie ein Skooter einen Schubs in eine Richtung.“
Ich hab’ mich blöd umgeguckt, aber keine Ahnung gehabt, wie ich das machen sollte: Mein Leben auf eine andere Bahn lenken, indem ich diesen Jenseits-Autoskooter reparierte. Ging das überhaupt? Mein Leben war doch schon vorbei. Oder konnten Tote zeitreisen? Da hab’ ich was gemerkt: Am anderen Ende der Bahn hat so ein silberner Wagen gestanden. Genau der Wagen hatte Christie überfahren. Sie war auf die Bahn gelaufen, weil ich sie nicht festgehalten hatte. Und ich hatte sie nicht festgehalten, weil…? Ja, warum eigentlich? Ich bin schnell hingelaufen, gestolpert und vor dem Wagen auf die Knie gefallen. Die Abdeckung am Heck, wo der Stromabnehmer ins Chassis führte, stand offen. Ich hab’ mir den Elektromotor angeschaut. Ich hatte mein Leben lang nur Benziner repariert, aber vielleicht sollte ich jetzt mal was Neues lernen. Hab’ reingepackt und gleich gemerkt, dass da Kontakte lose waren. Also hab’ ich die Schrauben mit meinem Schraubenschlüssel festgedreht, der plötzlich irgendwie ein Schraubenzieher geworden war.
In diesen Moment hab’ ich was gesehen, was ich hier erlebt hatte. Ich hatte Christie nicht festgehalten, weil Sheila und ich uns gestritten hatten. Das Bild ist sofort wieder weg gewesen und ich hab’ nur noch den kaputten Autoskooter gesehen. Den Motor hab’ ich repariert, aber der Stromabnehmer war verbogen und kam nicht mehr bis an die Schiene. Ich hab’ den Hammer genommen und das Ding gradegeklopft. Dann hab’ ich was gesehen. Sheila war sauer gewesen, weil ich immer ein paar junge Dinger, fast noch Teenies, in Hotpants angeglotzt hatte. Warum hatte ich das gemacht? Der Stromabnehmer war wieder grade, aber eins von den Rädern vorne war ab. Das hab’ ich geschweißt. Dann hab’ ich was gesehen. Ich hatte ständig auf diese Weiber geschaut, weil Sheila den ganzen Abend über schon sauer gewesen war. Ich hatte gedacht, dass nach fünf Jahren Ehe nicht mehr bleibt als so was: Man arbeitet lange, und wenn man was mit der Familie unternimmt, macht’s keinen Spaß. Warum war Sheila sauer gewesen?
Der silberne Skooter war repariert. Ich hab’ mich gefragt, ob’s hier noch Strom gab. Also hab’ ich mir den Sicherungskasten angeschaut. Die meisten Sicherungen waren verrostet, ich hab’ sie ersetzt. Dann hab’ ich was gesehen. Es war Christies vierter Geburtstag gewesen. Sheila war sauer, weil ich erst abends mit einer Fahne nach Hause gekommen war. Warum hatte ich das getan? Als der Strom wieder da war, hab’ ich erst die vielen kaputten Lampen bemerkt. Ich hab’ die Leiter aufgestellt und die Birnen ersetzt. Dann hab’ ich was gesehen. Ich hatte mit den Jungs was getrunken und den Anfang vom Spiel geschaut, und mich deshalb zu spät an den Geburtstag meiner Tochter und den Ausflug zum Rummelplatz erinnert. Da hab’ ich verstanden, was Michael gemeint hatte: Ich hab’ hier immer was aus meinem Leben gesehen, über das ich nachdenken sollte. Ich musste das Richtige sehen und den richtigen Gedanken haben, dann…hätte ich diese Chance genutzt. Also musste ich weiterarbeiten. Gut, dass ich wirklich alles reparieren konnte.
Es war anstrengend, auch wenn ich immer das richtige Werkzeug in der Hand hatte. Ich bin aber nie hungrig, durstig oder müde geworden. Trotzdem bin ich zwischendurch immer wieder so kaputt gewesen, dass ich nicht mehr weitermachen konnte. Ich hab’ mir dann immer wieder alles angesehen, was ich geschafft hatte: Ich hatte die Pflanzen rausgezogen, den Boden erneuert, die Wagen gestrichen und ein neues Dach aufgelegt.
Ich hab’ keine Ahnung, wie viele Sachen aus meinem Leben ich gesehen hab’. Ich hab’ aber nicht kapiert, was es war, womit ich mein Leben ändern sollte. Aber es ist kein einzelnes Ding gewesen, sondern alle zusammen, durch die ich’s erst gemerkt hab’: „Ich bin für Sheila und Christie nicht bereit gewesen. Ich hab’ sie nie ernst genommen, weil ich nie erwachsen, sondern immer nur jung sein wollte.“ – „Das ist richtig. Meinen Glückwunsch. Du darfst den Rummelplatz verlassen.“ Plötzlich hat Michael da gestanden. „Was?“ – „Ich sagte: Du darfst gehen. Das war die eine Sache, die du lernen musstest: Leben heißt Verantwortung. Du hast deine Chance genutzt, deine Arbeit hier ist getan.“ Erst da hab’ ich mich wieder umgesehen. Ich hatte alles repariert, ohne es zu merken, und der Autoskooter hat wieder wie an dem einen Tag ausgesehen. Nur die Familien haben gefehlt. „Dann hab’ ich gebüßt?“ Da hat er wieder so gelächelt. „Wenn du dieses Konzept so nennen möchtest. Das Universum jedenfalls hat beschlossen, dass du dein Leben weiterleben solltest. Leb wohl.“
Dann ist alles verschwunden und es ist dunkel geworden. Ich bin in einem Krankenzimmer aufgewacht. Christie und Sheila haben neben meinem Bett gesessen und meine linke Hand festgehalten. Meine Frau hat Tränen in den Augen gehabt und unsere Tochter ein Pflaster auf der Wange. „Was…was ist passiert? Warum seid ihr hier? Das andere Auto…“ – „Schatz, sag nichts, du hast eine Gehirnerschütterung. Weißt du nicht mehr? Die Kleine wollte auf die Bahn vom Autoskooter laufen, du hast sie festgehalten, bist gestürzt und hast dir den Kopf aufgeschlagen. Du warst be-wusstlos, ich hatte richtig Angst um dich.“ Sie hat mich auf die Stirn geküsst und ihr Haar ist auf mein Gesicht gefallen. Und sie hat mich immer wieder einen Helden genannt. Wie hab’ ich diese Frau jemals als Last empfinden können? Wie konnte mir jemals meine kleine Tochter, die sich ganz fest an meine Hand geklammert hat, nicht wichtig sein? Ich hab’s nicht verstanden.
Ich hab’ noch immer versucht, Traum und Wirklichkeit zu trennen. Da hab’ ich zwischen Haarsträhnen durch ein großes, gerahmtes Foto an der Wand gesehen. Ich hab’ mich aus der Umklam-merung meiner Frau befreit, bin aufgesprungen und mit weichen Knien zu dem Foto geschwankt. Es ist ein kaputter Autoskooter gewesen, aber nicht irgendeiner, sondern ein bestimmter: Der, den ich repariert hatte. Ich hab’ das Bild von der Wand genommen und umgedreht: „Nr. 3/12 aus der Reihe ‘Ruinen des Alltags’. Photoatelier Michael Peterson, Mulholland Drive, Los Angeles“ hat da auf einem kleinen Aufkleber gestanden. Mit der Hilfe eines Engels konnte ein Toter vielleicht doch zeitreisen.