Original geschrieben von nyron
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,549604,00.html
ein ziemlich unerwarteter zug der chinesen.
Was heisst unerwartet? Gespräche zwischen den Exil-Tibetern und der chinesischen Regierung gibt es schon seit einiger Zeit. Es gab vor den Unruhen Gespräche mit Vertretern des Dalai Lama und nun sollen sie, nachdem sich die Lage in Tibet aus chinesischer Sicht wieder etwas "stabilisiert hat, halt wieder aufgenommen werden. Würde mich aber nicht wundern, wenn dieser Umstand jetzt hier in den Medien als besonderer Erfolg des "Drucks" des Westens auf China verkauft werden würde.
Bzw. allgemein zum Thema Tibet/Proteste ein meiner Meinung sehr gutes Interview aus dem ZDF-Mittagsmagazin von vor einigen Wochen mit dem Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Prof. Dr. Eberhard Sandschneider, das die Problematik an der derzeitige Situation in Tibet eigentlich sehr gut auf den Punkt bringt.
ZDF-Moderator: Jetzt spinnen wird mal ein bisschen. Ich sage mal, Olympia-Boykott lassen wir mal außen vor. Aber wenn man jetzt eine Art internationalen Wirtschaftsboykott gegen China beschließen würde, welche Konsequenzen hätte das?
Sandschneider: Ich glaube die Frage, sie haben sie ja wunderbar eingeleitet mit dem Satz "Jetzt spinnen wir mal ein bisschen" stellt sich schon deshalb nicht, weil es weder in Deutschland noch in Europa noch transatlantisch auch nur in Ansätzen Einvernehmen geben würde, einen solchen Wirtschaftsboykott wirklich auf den Weg zu bringen. Würde man die Frage ernsthaft andenken, dann ist leicht vorzustellen, wie viele Unternehmen nur darauf warten würden, daß wir uns beispielsweise aus deutscher Sicht aus dem chinesischen Markt zurückziehen, um dann genau in diese Marktlücke hineinzugehen. Im Übrigen, es hängt noch mehr daran. Wir wollen, daß China sich verändert. Wir wollen gleichzeitig, daß China stabil bleibt. Es gibt eine einfache Lehre, die man sich einfach zu Herzen nehmen muss, bei all dem Aktionismus, den wir jetzt auf den Straßen beobachten. Wer in China etwas verändern will, wer vor allem für die Menschen in Tibet etwas verändern will, der muss mit China in Kontakt bleiben. Der Weg zu einer Verbesserung der Situation in Tibet führt über Peking. Wenn man Peking an den Pranger stellt, bewirkt man nichts.
ZDF-Moderator: Ja aber, bei der Vergabe der Olympischen Spiele damals für Peking im Jahr 2001, da hatte ja die chinesische Führung eine stärkere Beachtung der Menschenrechte versprochen. Und spätestens jetzt seit der "blutigen" Unterdrückung der Tibet-Proteste wissen wir, da tut sich nichts oder fast nichts. Aber irgendwie muss doch der Westen darauf reagieren?
Sandschneider: Die Frage ist, wie sie reagieren wollen? Wollen sie darauf reagieren, indem sie sich selbst gut fühlen, weil man das den Chinesen nicht durchgehen lässt, oder will man darauf reagieren, weil man tatsächlich daran interessiert ist in China etwas zu verändern?Wir müssen China dort abholen, wo China seine eigenen Interessen hat. Und das oberste Interesse des Landes, bei allen Debatten um Menschenrechte, ist Stabilität. Und Tibet ist ein hoch sensitiver und wunder Punkt für die chinesische Regierung. Im Augenblick muss man sagen, der Effekt für Menschenrechte durch auch die internationalen Proteste und den Imageverlust, den China erleidet, ist eher negativ als positiv. Für mich ist nicht abzusehen, daß es den Menschen in Tibet auch nur ein Stückchen weit besser geht, weil sie sich auf internationale Solidarität verlassen können, die letztlich bei Worten hängen bleibt. Am Ende ist niemand bereit die harten Boykottschritte tatsächlich in die Tat umzusetzen.
Im Übrigen (was mich an der derzeitigen Diskussion in erster Linie ärgert), vor allem die auch in diesem Interview aufgeworfene Frage, was man denn eigentlich wolle (wirklich etwas für die Menschen vor Ort in Tibet erreichen oder einfach nur - um sich selbst auf die Schulter klopfen zu können - stur auf China "einschlagen"), sollten sich die Befürworter eines harten Konfrontationskurses gegenüber China einmal selbst stellen. Denn mit purer Konfrontation und symbolischen Handlungen gegenüber China erreicht man - und da wird jeder, der sich ein wenig mehr mit der VR China, den Befindlichkeiten der Chinesen und der chinesischen Innen- und Außenpolitik bzw. den Denk- und Verhaltensmustern der KPCh-Kader in Peking etwas mehr auskennt, zustimmen - absolut nichts erreichen. Eher läuft man Gefahr, die Situation dadurch zu verschlechtern.
Die territoriale Einheit des Landes hat für die Führung in Peking höchste Priorität und in keiner Weise verhandelbar, weil die KPCh neben der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes, d.h. der Verbesserung der wirtschaftlichen Lebensbedingungen, unter anderem daraus ihren alleinigen Führungsanspruch im Lande ableitet. Die territoriale Integriät gehört zu den zentralen Gründungsmythen der VR China. Separatismustendenzen (vor allem in Xinjiang und Tibet) wird deshalb mit aller Härte begegnet, "Schwäche" zu zeigen kann sich die KPCh in der nationalistisch geprägten Stimmungslage in China überhaupt nicht erlauben, auch im Hinblick auf Taiwan.
Wer meint, dass man China mit einem reinen Konfrontationskurs und Boykottandrohungen, wirtschaftlicher Art wie auch der Olympischen Spiele, zu Zugeständnissen in der Tibet-Frage zwingen könnte, der irrt sich gewaltig und hat nicht viel Ahnung von China und chinesischer Politik.
Wie gesagt wäre wohl eher das Gegenteil der Fall, wirkliche Boykottmaßnahmen würden das Verhältnis Chinas zum Westen unter Umständen rapide verschlechtern, mit zunächst einmal nicht absehbaren Folgen. In China existieren stark nationalistische Tendenzen, die auch von der KPCh teilweise nur schwer unter Kontrolle gebracht werden können. Siehe dazu auch die Anti-Japanischen Proteste Anfang 2005 innerhalb Chinas oder aktuell die Anti-Französischen Proteste. Das sind keineswegs nur von oben aufoktroyierte Demonstrationen, sondern in gewisser Weise schon Ausdruck eines echten "Volkszorns".
Die Austragung der Olympischen Spiele wird in der Volksrepublik als Teil der endgültigen Rückkehr Chinas in den ihr "angestammten" Platz in der Welt verstanden, den sie durch die "koloniale Ausbeutung" und "Demütigung" durch den Westen "verloren" hätte, Stichwort "Hundert Jahre Demütigung". Ein Boykott der Spiele würde innerhalb Chinas sowohl von der Nomenklatura als auch der Bevölkerung als starke Brüskierung und erneute "Demütigung" durch den Westen aufgefasst werden. An der Haltung Chinas zu Tibet würde ein Boykott, wie schon ausgeführt, aber rein gar nichts (zum Positiven) verändern. Tibet ist nach dem Verständnis der chinesische Führung, aber auch der Bevölkerung integraler Bestandteil Chinas. Und in dieser Frage wird sich die VR zu keinen Zugeständnissen bewegen lassen. Wenn man also von einer Lösung des Tibet-Konflikts spricht, kann diese sich nur im Rahmen einer gewissen beispielsweise kulturellen Autonomie bei weiterbestehender fester Zugehörigkeit zu China bewegen. Desweiteren ist festzuhalten, dass Druck von Aussen auf Basis von offener Konfrontation dem Anliegen der Tibeter eher schadet als nutzt. Darüber sollte man, bevor man plump nach Boykott und ähnlichen populistischen Maßnahmen "schreit", vielleicht mal etwas eingehender nachdenken.