Alte Tagebuchseite

[fN]Leichnam

Literatur-Forum
Mitglied seit
05.10.2004
Beiträge
16.699
Reaktionen
5.463
Ich liege am Morgen besoffen im Bett, trinke und versuche zu vergessen, wer ich bin. Bäume leuchten sonnig, drüben, gegenüber meiner Seele.
Und hier stehen die Erinnerungen. Direkt im Zimmer. Die schönen, schönen unglaublichen Mädchen, und ihr Lächeln, ihre Einsamkeit und ihre Sehnsucht. Und die Wanderungen bei Nacht, Suff und Vollmond.
Das hat mir alles das Herz gebrochen. Die toten Literaten. Die Musik. Und wir wir hier. Keiner kann dem anderen helfen. Jeder trägt diese Unmengen Glück allein in sein Grab. Gott, was habe ich um euch geheult.

Pia, um dich zum Beispiel, oder deine Freundin Marie, ich habe nichts vergessen, so sehr ich es auch versuchte, dein schwarzes Haar liegt glücklich hier, und ihr blondes weht im Wind unserer Kindheit. Das ist alles noch hier, bei mir, die Begrüßungsrede am Gymnasium, 1995 ja?, all das getürmte Schicksal, mit seinen Monden und Montagen, seinen Sonnen und, puh fuck, Sonntage waren meistens scheiße.

Im Stadtverkehr zum Schwimmunterricht, keine Ahnung, 11 Jahre alt oder so, Wintermorgen, noch total dunkel die Welt, eine komplette fünfte Klasse im Bus.
Als sich die Mädchen im Stadtbad umzogen, jede in ihrer alten, verrotteten Kabine, ließen sie manchmal ein Stück Vorhang offen. Gott, Weiber! Man muss sie ja dafür lieben, oder? Kaum entwickelte Kinder waren wir, aber schon so in die Gesetze der Welt verstrickt. Und wie schön diese nackten, vertrauten, feindlichen Hintern waren, die sie uns zeigten. Kinderärsche, weibliche.

Und danach Mathematik.

Und drei Jahre später, da waren wir alle ineinander verliebt. Sophie, die von meinen "blauen" Augen sprach, und Julia, die mir ihr Herz in die Fresse warf, wieviele Stunden habe ich um dich geheult, Görl - wie haben wir euch geliebt.
Kinder, gesund und froh, mit Zukunft, solche. Ich stand immer zwischen ihnen, unter ihnen, mit melancholischer Erinnerung an ferne Grundschulzeiten.
 
Oben