Zu den Wahrscheinlichkeiten bei medizinischen Tests hier ein kleiner Auszug aus "Der Hund, der Eier legt - Erkennen von Fehlinformationen durch Querdenken" von Dubben & Beck-Bornholdt. Ich hoffe, die Autoren verzeihen mir das Zitieren hier, aber ich glaube ich mache damit auch gute Werbung fürs Buch.
Ohne Panik positiv - Auissagekraft von Früherkennungsuntersuchungen
(...)
Sie sind soeben aus einem herrlichen Urlaub in einem fernen exotischen Land zurückgekehrt. Es ist touristisch noch fast unerschlossen und Sie haben sich prächtig erholt. Während Ihres Aufenthalts haben Sie erfahren, dass es dort eine seltene Erkrankung gibt, die Canine Ovorhoe, auch Bellsucht genannt. Die Ansteckungsgefahr für Touristen ist zwar gering, dennoch entschließen Sie sich, bei Ihrem Arzt einen Test durchführen zu lassen, da die Heilungschancen bei einer Früherkennung deutlich besser sind als nach dem Ausbruch der Krankheit. Ein paar Tage nach der Untersuchung ruft Ihr Arzt Sie an und offenbar Ihnen, dass Ihr Test positiv ist. Es sind also Hinweise auf eine Canine Ovorhoe gefunden worden. Ihr Arzt gibt Ihnen zusätzlich folgende Informationen.
1. Zur Zuverlässigkeit des Tests sagt er Ihnen, dass durch ihn die Bellsucht bei 99 von 100 Menschen, die von ihr infiziert sind, erkannt wird - nur einer wird übersehen. In 99 Prozent der Untersuchungen Erkrankter liefert der Test also ein positives und richtiges Ergebnis, in 1 Prozent der Fälle ein negatives und falsches. Andererseits werden von 100 Nichtinfizierten 98 auch als gesund erkannt. Nur zwei geraten fälschlich in den Verdacht, krank zu sein (und zu denen möchten Sie gehören). Der Test liefert also in 98 Prozent der Untersuchungen Gesunder ein negatives und richtiges Ergebnis, in 2 Prozent ein positives und falsches.
2. Über die Bellsucht erfahren Sie, dass sie nur etwa bei jedem tausendsten Touristen, der in dem exotischen Land war, auftritt, sich aber zunächst durch keine Symptome zu erkennen gibt.
3. Da Ihr Testergebnis positiv war, ist zur weiteren Abklärung ein kleiner chirurgischer Eingriff unter Narkose erforderlich, verbunden mit einem dreitägigen Klinikaufenthalt.
Der Test identifiziert mit 99-prozentiger Sicherheit die Erkrankten und mit 98-prozentiger Sicherheit die Gesunden. Er ist also sehr zuverlässig. Und er ist bei Ihnen positiv ausgefallen. Besteht Grund, sich ernsthafte Sorgen zu machen? Sie setzen sich in den Sessel, erholen sich vom ersten Schock und überlegen sich das Ganze in Ruhe. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie an Caniner Ovorhoe leiden? Bitte kreuzen Sie an?
Da mein Testergebnis positiv ist, bin ich mit folgender Wahrscheinlichkeit (in Prozent) bellsüchtig:
[ ] 99
[ ] 98
[ ] etwa 95
[ ] etwa 50
[ ] etwa 5
[ ] 2
[ ] 1
Sie werden hoffentlich nicht in Panik geraten und, bevor Sie eine Operation überhaupt in Erwägung ziehen, auf einer Wiederholung des Tests bestehen. Hier die Überlegungen dazu (...):
Nehmen wir an, dass sich 100100 Menschen, aus dem exotischen Land zurückgekehrt, diesem Test unterziehen. Da sich nur jeder Tausendste angesteckt hat, sind unter den Getesteten ungefähr 100 Kranke und 100000 Gesunde zu erwarten. Bei 99 der 100 Bellsüchtigen wird die Infektion durch den Test korrekt festgestellt und bei einem fälschlich übersehen (99-prozentige Sicherheit, die Erkrankten zu erkennen). Von den 100000 Nichtinfizierten stuft der Test 98000 richtig als gesund ein (98-prozentrige Sicherheit, die Gesunden zu erkennen), den Rest, das heißt 2000 gesunde Menschen, irrtümlicherweise als krank. Insgesamt wurden 99 + 2000 = 2099 Menschen mit einem positiven Testergebnis erschreckt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie mit Ihrem positiven Test zu den 99 tatsächlich Bellsüchtigen gehören, beträgt 99/2099 = 0,0472 beziehungsweise 4.72 Prozent oder etwa 5 Prozent. Diese Zahl ist die Lösung in unserem Wahrscheinlichkeitsquiz. In der Regel wird ein wesentlich höheres Risiko erwartet. Sollten auch Sie falsch getippt haben, dann befinden Sie sich in guter Gesellschaft. Wir haben auf Tagungen und Seminaren dieselbe Frage gestellt und anonym beantworten lassen. Egal ob wir Apotheker, niedergelassene Ärzte, Medizinstudenten, Patientenberater oder medizinische Laien befragten: Das Antwortspektrum war immer sehr ähnlich. Nur etwa jeder zehnte Befragte gab die richtige Antwort. Weit über die Hälfte schätzte die Erkrankungswahrscheinlichkeit viel zu hoch (über 90 Prozent) ein. Vermutlich lassen sich die meisten durch die hohe Zuverlässigkeit des Tests (99 Prozent und 98 Prozent) beirren, während die geringe Ansteckungswahrscheinlichkeit übersehen wird. Erschütternd ist dabei, dass dies für Wissenschaftler, die zum Teil als Spezialisten für prädiktive Tests angesehen werden, genauso gilt wie für Laien.
Sie lassen den Test nach einiger Zeit wiederholen. Jeder gute Mediziner hätte Ihnen das ohnehin vorgeschlagen. Mit Bedauern teilt Ihnen der Arzt mit, das Ergebnis sei wieder positiv. Was nun?
(...lange Rechnung...) --> 71% Erkrankungswahrscheinlichkeit.