Über die Besonderheiten eines Zoos

Green Monkey

Lyric-Contest Sieger 2009, Lyric-Contest Sieger 20
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Zu mehr hat es nicht gelangt und die Zeit drängt:

Gehen Sie gerne in den Zoo? Ich gehe mit großem Vergnügen. Es gibt ja Affen, die lieben den Zoo so sehr, dass sie jeden Tag dort sind. Ich meine das gar nicht zynisch, bitte denken Sie nicht so.

Es bereitet den Tieren ein Gefühl von behaglicher Überlegenheit, wenn Sie Menschen beobachten können. Besonders der stolze Aufrechte Gang, der ein wenig darüber hinwegtäuschen soll, dass man an den nackten Boden gefesselt ist, belustigt sie sehr. Wahrhaftige Erdlinge, denken sie dann. Leichtes Mitleid befällt sie nur, wenn sie an die Limitiertheit der menschlichen Glieder denken. Dann kratzen sie sich am Hintern und schälen eine Banane mit den Füßen. Nicht ganz verstehen sie, warum sapiens sapiens so oft friert. Immerhin kürzten sie sich selbst die Haare und haben dann trotzdem keine Mütze dabei. Eventuell müsste man ein sapiens überdenken.

Doch recht neidvoll blicken die Primaten, zu denen sie die Menschenrasse liebevoll hinzuzählen, auf den fast schon utopischen Optimismus. Gar bis zum Mond sind sie gekommen diese beschränkten Menschen und übersehen ganz gerne, dass das Affengeschlecht vor Ihnen im Weltall war.

Sicherlich, es ist nicht ganz ungefährlich mit Adams und Evas Kindern. Aber es gibt einen Zaun und einen breiten Wassergraben, bis jetzt ist kaum etwas passiert. Wenn man ihnen ein großes, geräumiges Gehege lässt, sind sie recht zahm und zutraulich. Ein paar ließen sich überdies abrichten, so dass sie jeden Tag mittags pünktlich Nahrung bringen. Kann sehr zuverlässig sein der Mensch. Manche sorgen bereitwillig für Kurzweil und Vergnügen. Fast ließe sich behaupten, der Mensch ist der beste Freund des Affen.

Oh, sie rufen Unsinn und Einspruch? Das Tier sei im Käfig und der Mensch frei? Nun, warum haben wir dann die Schaukel?
 
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Klassisches Motiv vom gefangenen Tier Mensch. (vgl. Rilke usw.) Von der Idee her nicht besonders originell, aber gerade im Zuge der fröhlich vor sich hin relativierenden Postmoderne durchaus aktuell. Der Text ist halt keine Kurzgeschichte im klassischen Verständnis, sondern eine kleine Parabel. Besonders die Pointe gefällt mir sehr gut, man merkt, dass der Text von einem Menschen geschrieben wurde, der sich ein paar Gedanken gemacht hat. Stilistisch sauber und elegant formuliert, erinnert mich im Duktus ein wenig an Tucholsky. Prägnante, kurze Sätze, kein unnötiges Geschwafel. Bis auf einige Probleme mit der Groß- und Kleinschreibung rechtschreibungstechnisch in Ordnung. Schön ist, dass der Konjunktiv seine Verwendung findet. :)

Guter Text, wenngleich ich ihn persönlich nicht so gut finde, wie den vom letzten Jahr.
 

[fN]Leichnam

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Mein Platz zwei. Gewohnte Qualität vom Kanzlerbruder.
 
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