Ich sage mal so: Ich bin vorsichtig skeptisch. Andreessen erzählt auf Twitter viel Blödsinn und vieles von dem, was er hier erzählt, ist auch Blödsinn. Ein paar Sachen, die mir dazu einfallen
Vibe shift: Ich kann meine Hand nicht für die 00er-Jahre ins Feuer legen, aber die 10er-Jahre habe ich praktisch komplett an US-amerikanischen Universitäten gesehen, unter anderem sehr nah am Epizentrum des Silicon Valley (Berkeley) und ich diese Entwicklung, die er beschreibt, ist meines Erachtens schlicht nicht passiert. Man sieht sie nicht in den Umfragedaten und ich habe sie auch nicht auf dem Campus gesehen. Viel plausibler finde ich die Theorie dass Slack eine große Rolle gespielt hat, weil das erst dazu geführt hat dass die Beschäftigten in der Branche sich bewusst wurden, dass viele andere genauso denken wie sie*. Das mit dem "be a good person"-Credo stimmt glaube ich schon, aber was Andreessen unterschlägt ist die enorme Selbstzufriedenheit, die das Valley immer schon ausgezeichnet hat: Gerade die Gründer dort reden sich wahnsinnig gerne ein, dass alleine das, was sie dort tun, sie als "good person" qualifiziert. Dass ihre Beschäftigten das häufig nicht so sehen passt ihnen nicht, aber ich sehe da letztendlich keinen Unterschied zwischen der vorherigen Generation, die er beschreibt und allen Generationen davor bis zurück zu den robber barons, die sich alle einreden konnten man schafft durch das Partizipieren auf der obersten Ebene des Kapitalismus schon Werte für die Menschheit und ist dadurch automatisch "good".
Man sollte den vibe shift auch nicht überzeichnen: In den counties, die das Valley ausmachen, hat Trump im Schnitt ein paar Prozentpunkte gut gemacht, aber das bringt ihn nur von unter 20 auf leicht über 20 Prozent der Wählerstimmen. Das Valley ist immer noch einer der stärksten Orte für die Demokratische Partei in den USA. Interessanterweise habe ich gerade neulich ein working paper gelesen, das zeigt dass auch die Leitungsebene von Konzernen allgemein (also nicht nur tech) in den letzten 25 Jahren deutlich in Richtung der Demokraten gerückt ist (abgelesen an ihren Wahlspenden), was relativ gut zum generellen Trend passt dass die Republikanische Partei mittlerweile bei ärmeren Wählern besser abschneidet, dafür bei wohlhabenderen Wählern schlechter. Insofern hätte ich die starke Erwartung, dass ein gegenläufiger Trend im Valley tatsächlich mit dem regulatorischen Umfeld zu tun haben muss.
Ob ich seine AI-Geschichte bzgl. der gewünschten Konzentration so richtig glaube: Weiß ich nicht. Erscheint mir ehrlich gesagt ein bisschen unplausibel, einfach weil das technisch überhaupt nicht machbar gewesen wäre. Ich hatte ehrlich gesagt auch noch nie davon gehört, dass es solche Pläne geben soll. Es passt auch nicht unbedingt zu der Idee, dass die Biden-Regierung viel getan hat, um bei der Chip-Industrie homeshoring zu betreiben. Plausibler erscheint mir eher, dass der wunde Punkt die Regulierung war: Als ihnen klar wurde, dass die Biden-Regierung die sozialen Medien regulieren wollten, weil sie gesehen haben dass Trumps Erfolge untrennbar mit social media verbunden waren und man dementsprechend zu der Überzeugung kam big tech müsse generell strenger reguliert werden weil ein unreguliertes System möglicherweise eine systemische Gefahr für die Demokratie darstellt, haben reaktionäre Teile der Gründerszene angefangen Trump zu unterstützen, weil auf einmal ihre Wahlmöglichkeiten Lina Khan als FTC-Chair waren oder halt Trump. Crypto halte ich für eher nachrangig: Am Anfang seiner Kampagne war Trump auch noch überhaupt nicht von Crypto überzeugt, das ging erst los als sein jüngster Sohn ihm davon erzählt hat (woraufhin seine crypto scams auch starteten). Gibt sicher ein paar Spinner im Valley, die glauben Crypto ist der Schlüssel zu einer libertären Gesellschaft, aber das erscheint mir erstens völlig unrealistisch und zweitens ist das wohl auch nicht der Grund für die Feindseligkeit der Biden-Regierung gegenüber Crypto; die hat wohl mehr damit zu tun dass so gut wie alle Ökonomen Crypto für sinnlos halten und die negativen Externalitäten bzgl. Energieverbrauch riesig sind. Aber eine "terror campaign", wie er behauptet, gab es nicht und sagt mir im Grunde genommen auch nur, dass er genau wie Musk einfach eine Menge Blödsinn glaubt, die er sich über die Jahre eingeredet hat. Ob er wirklich an Trump als net positive glaubt finde ich schwer zu beurteilen.
*eine enorme black pill waren übrigens auch die Enthüllungen bzgl. collusion beim Gehalt, was er natürlich auch nicht auf dem Schirm hat