GeckoVOD
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Kommunen und Wohnungswirtschaft: Sozialwohnungsbau droht einzubrechen
Angesichts steigender Baukosten befürchten Kommunen und Wohnungswirtschaft einen drastischen Einbruch beim Neubau günstiger Wohnungen: Bis zu 70 Prozent der geplanten Projekte könnten wohl nicht umgesetzt werden.
www.tagesschau.de
TL;DR: Sozialer Wohnungsbau stagniert aufgrund der hohen Baukosten, ca. 60.000 Wohnungen könnten fehlen.
Wenn falschen Thread, dann bitte verschieben. Es folgt eine Art Rant.
Mein Eindruck des Artikels ist, dass da viel zu kurz gegriffen wird. Die gestiegenen Baukosten dürften in erster Linie ein temporäres Problem sein, das man sicher irgendwie lösen kann. Der Artikel redet explizit nur vom sozialen Wohnungsbau, meist Stiftungen und Genossenschaften, bei denen das Problem der Finanzierung nicht das Größte ist. Da sind meist durch Schenkungen, Kooperationen und den eigenen Strukturen viele Möglichkeiten da, Neubauvorhaben trotzdem irgendwie zu realisieren, wenn auch - hier hat der Artikel recht - mit Verzögerungen. Stichwort ist dabei "irgendwie". Faktisch, meine Laieneinschätzung, führt das eher zu einem Instandhaltungsrückstau und da liegt imo das wirkliche Problem.
Denn theoretisch steht durch unsere Klimapolitik einiges an Zielen an, die auch sinnvoll sind, aber bei der es an Strategie mangelt. Aktuell kommt aus Berlin und Brüssel das Thema ESG(-Bericht), CO2-Bepreisung, EU-Taxonomie und Lieferketten langsam an das Licht der Öffentlichkeit. Was da schlummert haben die meisten Träger noch nicht voll umrissen. Im Kern geht es darum, dass für Kredit- und Fördergeldvergaben Auflagen zu erfüllen sind, zu denen eine gesunde "Nachhaltigkeitsstrategie" gehört, deren Kernkriterien völlig schwammig formuliert sind. Zwar gibt es Handlungsfelder durch die UN und diverse Kodexe (soll das der Plural sein?), bzw. QM-Systeme; die sind aber antiquiert und/oder nicht final und gehen über den reinen "Bau" tiefer in die eigentliche Bewirtschaftung der Gebäude. Das ist alles wünschenswert, aber schwierig: Vor dem Bau braucht es also eigentlich schon eine gute Vorstellung davon, wie der Lebenszyklus gesteuert wird, welche Modernisierungen Sinn ergeben, am besten eine Quartierslösung um die Gebäude herum und vor allem Nachnutzungskonzepte, die generell selten existieren. Für den meisten Quark, wenn es denn richtig nachhaltig sein soll, bräuchte es auch eine sehr handlungsfähige, liquide und interessierte Kommune. Wähle zwei Eigenschaften, alle drei wird es in der Realität selten geben. Die Frage bezüglich der Gewerke, der Energieversorger, der Dienstleister für den Betrieb (Wartung, Instandhaltung, ..., Gärtner, ...) usw. usf. ist auch offen - wie, wann und wo wer Nachweispflichtig im Sinne des ESG oder BIM-Pflicht ist, ist unklar. Aber auch das löst sich wahrscheinlich, typisch deutsch, irgendwie. Sozialer Wohnungsbau ist eine Gesellschaftsaufgabe und dann kann man auch wursteln. Als Träger, der halt sozialen Wohnungsbau macht.
Dumm ist nur, dass der Wohnungsbau nicht zwingend nur von reinen wohnwirschaftlichen Unternehmen / Spezialisten kommt, sondern häufig auch von Komplexträgern (Caritas, AWO, Rot-Kreuz, Stiftungen, etc.) abgebildet wird. "Soziale" Wohnungen sind eben nicht nur geförderter Wohnraum für Geringverdiener, sondern auch für alte, behinderte und pflegebedürftige Menschen sind. Und hier wird es durch die Auflagen und die Baupreise schnell wirklich kritisch. Denn: Diese Komplexträger sind im Kern Pflege- oder Erziehungsdienstleister und kämpfen seit jeher mit Finanzierung. Abhängig von der Ausrichtung wird das sehr teuer und hat krasse Auswirkungen auf die soziale Infrastrutkur von Kommunen und Städten. Die Anträge für Neu- und Umbau, sowie für Modernisierung sind - auch ohne ESG, Lieferketten und BIM - ein Albtraum. Es gibt keine einheitlichen Vorgaben des Bundes, wie ein Altenheim auszusehen hat (plakaktives Beispiel), oder was genau gefördert wird. Das hängt vom Land ab und die Vorgaben sind extrem unterschiedlich. Was in Bayern geht, geht nicht in Hessen und in BaWü ist es dann noch schwieriger. Je nach Zweck des Gebäudes steht in den Statuten, wie viel Geld durch den Kostenträger bewilligt wird. Das macht die finanzielle Planung extrem schwierig, da ein Pflegeheim beispielsweise gedeckelte Sätze an Erträgen durch den Klienten (bzw. dessen Krankenkasse) ermöglicht. Ein Altenheim dagegen hat zumindest noch den Hebel der Miete, da dort die Klienten der Preisbildung der freien Marktwirtschaft ausgesetzt werden können. Unabhängig davon interessiert es aktuell den Kostenträger nicht, wie gebaut wird. Umweltschleudern sind also billiger, da keinerlei Budget für nachhaltige Substanz bewilligt wird - zumindest aktuell und nicht ohne großen Kampf. Modernisierungen im klassischen Sinn werden, soweit meine Erfahrung, auch durch die Kostenträger selten ohne weiteres Durchgewunken. Das sind nur die Rahmenprobleme. Die Detailprobleme finden sich meist in der Kooperation mit den Kommunen. Diese sind zwar interessiert, aber für alles mögliche gibt's IMMER das NIMBY-Problem: KiTa - Kindergeschrei ist bäh. Pflege- und Behindertenheime - mag die nicht sehen. Hospitze? Sterben? Danke, nein.
Herauszustellen ist, dass die Komplexträger ihre Kernaufgabe nicht im Bau oder der Gebäudebewirtschaftung sehen, bzw. selten von da kommen. Dennoch stellen diese Träger nicht wenige Wohnungen und ganz speziell für Klienten, die sich sonst wenig leisten können. Und hier schlagen die Baukosten tiefe Schneißen. Wenn Bau und mini-Sanierung vorher gerade so auf Null ausgingen, wird es hier aktuell häufig einfach komplett eingestellt. Es fehlen ja noch zudem die Fachkräfte, die in den Gebäuden die eigentliche Arbeit der Komplexträger erfüllen.
Aktuell splittet sich der Markt, so meine Beobachtung, in zwei Richtungen: Teil 1 sagt, dass Gebäude überhaupt nicht mehr Thema werden. Die Komplexträger behalten das, was sie haben, bis zum Ende des Zyklus. Für neue Aufträge schmettern sie die Kommune ab, beispielsweise würden sie die Jugendhilfe und Jugendheime übernehmen, aber die Gebäude hat die Stadt zu stellen, sonst geht nichts. Gleiches gilt für den Aufbau von Alten- und Pflegeheimen: Hat die Stadt zu machen, ansonsten wird nichts Neues entstehen.
Teil 2 sind Träger, die sich deutlich früher mit dem Problem auseinandergesetzt haben und meist auch einen stärkeren finanziellen Hintergrund haben. Das sind üblich Träger, die beispielsweise aus einem Bistum oder einer Landeskirche ausgegliedert wurden, dort Bestand "geschenkt" bekamen und enge Verbindungen mit deren Bauabteilung haben. Positives Beispiel ist die evangelische Heimstiftung in Württemberg (wobei ich die Historie da nicht kenne). Die bauen wie blöd, allerdings werden da gezielt fast nur Konversionsflächen gekauft / genutzt und komplette Quartiere hochgezogen. Statt Wohnhäusern stehen da Gebäude in Modulbauform. Jedes Gebäude hat Räume, die als Wohnung genutzt werden können, aber auch ohne hohen Aufwand mit anderen Einheiten verbunden werden können. Je nach lokalem Bedarf entsteht dann ein Pflegezimmer oder eine KiTa im eigentlichen Gebäude. Pro Quartier muss zwingend entweder ein Alten- oder Pflegeheim oder eine Kita oder eine ähnliche Einrichtung entstehen. In jedem Quartier sitzt ein mobiler Pflegedienst und alle Gebäudeeinheiten sind mit Smart-Home-Pflegetechnologie vernetzt und bieten u.a. so was wie ein "lokales Lieferando" für die Bewohner. Pro Quartier wird zudem noch eine PV-, Windkraft-, Geothermie-, oder Hackschnitzelanlage angestrebt. Im Bestfall funktioniert das Quartier also autark. Das Konzept ist wirklich genial. Was da allerdings an Blut, Schweiß und Tränen pro Quartier einfließt ist unfassbar. Geht wie gesagt nur, weil der Träger seit gut drei Jahrzehnten eine entsprechende Finanzplanung aufgestellt hat, anfangs gute Partner aus der Kommune fand und die Kostenträger massiv unter Druck setzen konnte.
Es ist bezeichnend, dass solche Konzepte und Strategien nie in der Politik skaliert werden.
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