strukturelle und physische Gewalt

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Ich wuerde gerne ueber ein Thema diskutieren, was ich mit MV in einem anderen Thread angeschnitten habe. Damit es nicht zuweit OT wird, mache ich einen eigenen Strang dafuer.

Meine These (!) ist hierbei, dass der Unterschied zwischen verschiedenen Gesellschaftsmodellen letzten Endes auf unterschiedlichen Gewichtungen von “struktureller” vs. “physischer” Gewalt basiert. Strukturelle Gewalt ist demnach anonyme Gewalt, die durch das Zusammenwirken von Individuen innerhalb eines gesellschaftlichen Kontexts entsteht, die aber keinem Individuum allein zurechenbar ist. Diskriminierung faellt z.B. hierunter, Sexismus, Rassismus, Antisemitismus etc. Dafuer dass diese Phaenomene strukturelle Gewalt ausueben ist es nicht erforderlich, dass einzelnen Individuen nachgewiesen werden kann, dass sie sexistisch, rassistisch, antisemitisch sind. Sondern das Phaenomen entsteht, wie gesagt, auf Grund des gesellschaftlichen Interaktionsprozesses.

Physische Gewalt, andererseits, ist der direkte Eingriff in die Persoenlichkeitsrechte eines Anderen, also z.B. die Pfaendung seines Besitzes, Raub, Mord etc. Diese Form von Gewalt ist individuell zurechenbar, es laesst sich sehr praezise sagen, ok, Individuum A hat soeben physische Gewalt gegen Individuum B ausgeuebt. Die Verantwortlichkeit fuer die Gewaltausuebung ist somit eindeutig.

Die FRAGE, die ich hier aufwerfen moechte ist folgende:
Ist ein Gesellschaftssystem denkbar, in welchem SOWOHL physische, ALS AUCH strukturelle Gewalt minimiert werden? ODER kann eine Gesellschaft nur ENTWEDER strukturelle Gewalt ODER physische Gewalt minimieren?
 
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physische gewalt braucht niemand

strukturelle ist immer mal wieder gut um aufmüpfige minderheite zu bashen
 
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Allgemein ist der Begriff der strukturellen Gewalt imo etwas unpassend. Struktureller Zwang wäre treffender, da eben niemand wirklich Gewalt ausübt.
Rassismus oder Sexismus äußert sich z.B. erst in den Handlungen von Individuen. Bevor jemand handelt sind es einfach nur Meinungen.

Ich würde anders an das Problem herangehen:
Nehmen wir mal an, wir haben eine Gesellschaft aus blauen und grünen Wesen. Die blauen sind in der Minderheit und recht arm, die grünen besitzen alle Supermärkte.
Nun sind die grünen extrem rassistisch und alle Supermarktverkäufer weigern sich, Waren an die blauen abzugeben.
Nehmen wir nun mal an, diese Gesellschaft lehnt physische Gewalt ab, kümmert sich aber nicht um passive Zwänge. Es wäre also illegal, die Supermarktverkäufer dazu zu zwingen, ihre Waren an die blauen zu verkaufen. Die blauen müssen eben selbst schauen, wie sie klarkommen. Sie müssen eigene Supermärkte bauen oder eben grüne Supermärkte davon überzeugen, ihnen doch Waren zu verkaufen. Das mag hart sein aber da die Gesellschaft physische Gewalt ablehnt müssen sich die blauen keine Sorgen machen, dass sie von der grünen Mehrheit umgebracht werden. Sie können zwar nie mit grüner Hilfe rechnen, wenn sie aber eine Möglichkeit finden auf sich selbst gestellt zu überleben sind sie vollkommen sicher.
Nehmen wir nun mal an, diese Gesellschaft will strukturelle Zwänge minimieren. Auf den ersten Blick ist es ein recht großer struktureller Zwang gegen die blauen, dass sie nicht einkaufen können. Die grünen Supermarktbesitzer zum Warenverkauf zu zwingen wäre möglich. Allerdings wäre es eben auch möglich, dass die grüne Mehrheit die Anwesenheit von blauen Wesen an sich schon als strukturellen Zwang definiert (hey, alle blauen stinken! Die grünen sind ja wie gesagt extrem rassistisch und wenn man ihnen die Macht gibt, Gewalt zu initiieren, werden sie als rassistische Mehrheit ja wohl kaum zu Gunsten der blauen nutzen) und sie unter diesem Vorwand verfolgt. Das ist das Problem der Willkür in der Definition struktureller Zwänge, die anders als physische Gewalt rein subjektiv sind.

Ganz allgemein muss man, um einen strukturellen Zwang zu beseitigen, natürlich physische Gewalt initiieren. Man kann natürlich versuchen, eine Balance zu finden. Einige große strukturelle Zwänge lassen sich sicherlich mit recht wenig physischer Gewalt beseitigen.
Demnach kann man zwar niemals sowohl strukturelle Zwänge als auch physische Gewalt gleichzeitig abschaffen, sie aber durchaus gleichzeitig minimieren. Das Problem ist, dass die Gewichtung, wieviel physische Gewalt man einsetzen will um wieviele strukturelle Zwänge zu beseitigen wie gesagt letztendlich willkürlich ist.
Eine solche Minimierung ist deshalb möglich, ich denke allerdings dass sie nicht stabil ist. Sobald in den Grundsätzen einer Gesellschaft eine solche willkürliche Regelung verankert ist, die sich letztendlich zur Rechtfertigung jeglicher Gewaltinitiation ausnutzen lässt, wird sich früher oder später jemand finden, der genau dies tut.

D.h. entweder ignoriert man strukturelle Zwänge und die mit ihnen verbundene Subjektivität/Willkür, verbietet nur die Initiation physischer Gewalt und lässt Individuen ihre eigenen Zwänge eben selbst verantworten oder man akzeptiert die Tatsache, dass es in regelmäßigen Abständen eine Revolution / Bürgerkrieg / etc geben wird, weil jemand die Hintertür der strukturellen Zwänge nutzt um beliebig viel physische Gewalt zu initiieren.
Genau das ist (imho) auch der Grund, warum alle Versuche, einen kommunistischen Staat zu etablieren, letztendlich grausam in Gewalt geendet haben.
 
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Clawg

Guest
@jackdaniels:

Strukturelle Gewalt (ich sage einfach "Dummheit" dafür) lässt sich durch eine intelligente, weitsichtige Bevölkerung vermeiden.

Wenn du von "System" sprichst, spielst du auf ein System an, bei dem die Menschen als dumm und steuerbar gehalten werden. Und nun suchst du ein Gesellschaftssystem, bei der 'kluge' Menschen an der Spitze gewisse Regierungsprogramme durchbringen um die Menschenherde mittels möglichst geringer physischer Gewalt dazu zu bringen, möglichst geringe strukturelle Gewalt auszuüben.

Das funktioniert mit Schafen.
 
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Das funktioniert mit Schafen.

Ich stimme dir in allen Punkten zu, sehe aber nicht ganz, wieso das ein Argument gegen Minimierung struktureller Zwänge ist.
Menschen sind dumm und steuerbar, letztendlich nicht viel besser als Schafe. Steuerbarkeit menschlichen Verhaltens ist aber weder ein Argument für noch gegen Initiierung physischer Gewalt zur Abschaffung struktureller Zwänge.
 
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Physische Gewalt ist ein wichtiger Teil der menschlichen Freiheit. Der Mensch besitzt sie, weil er frei ist in der Wahl seiner Mittel. Ihr vorkommen ist auf Grund unterschiedlicher Interessenslagen zwingend. Außerdem ist sie ein Mittel der Entscheidungsfindung, das in einigen Situationen unumgänglich ist. Dies wiederum fördert Zentralisierung und Effizienz, hat natürlich auch den Effekt der kreativen Vernichtung.

Strukturelle Gewalt ist eine direkte Folge der Aussage: Der Mensch ist ein soziales Wesen. Er interagiert mit anderen und nimmt Rollen ein um arbeitsteilige und komplexe Probleme bearbeiten zu können. Das fördert Stabilität (durch Strukturen = Institutionen oder Diskurse).

Beides komplett auszuschließen geht nicht. Wir brauchen diese Aspekte zum Überleben.
Gutes Beispiel: Militär oder Polizei: Sie hat sowohl die Macht physischen Gewalt einzusetzen. Andererseits wirkt sie nach Innen (auf die Polizisten) durch strukturelle Gewalt, indem sie sie hierarchisch sozialisiert und kontrolliert. Man braucht sich nur mal den Drill von Soldaten vor Augen zu führen. Das ist strukturelle Gewalt.

@JackDaniels: eine Frage, siehst du persönlich eine Kopplung der beiden Gewalten? Für mich befinden sie sich auf einer anderen Eben: Mikro - Marko. Deshalb kann man in meinen Augen beide Phänome unterschiedlich angehen und versuchen zu reduzieren. Ich selbst gehen davon aus, dass eine komplette Minimierung der Gewalt nicht sinnvoll ist. Aber generell bin ich der Meinung, dass man beides reduzieren kann. Allerdings unabhängig voneinander. Obwohl es natürlich Überschneidungen gibt. Z.b. kann eine Reduzierung "struktureller Gewalt" auch die rein "physische Gewalt" reduzieren, wenn man zum Beispiel in ein Strafsvollzugsystem den Gedanken der Resozialisierung einfügt. Kriminalität repräsentiert hier die physisch, indiviuelle Gewalt, Polizei/Gerichte/Gefängnisse und ihr Aufbau die strukturelle Gewalt. Allerdings funktioniert das natürlich nicht völlig bis zu keiner Kriminalität.

Wer eine dieser Gewaltformen negiert, muss ein anderes Menschenbild und andere Umweltbedingungen aufzeigen.

Aber ich frag mich, ob es sinnvoll ist so eine Diskussion zu führen, wenn ich schon wieder höre. "Strukturelle Gewalt" lässt sich vermeiden wenn die Leute schlauer wären...... Da fängt es schon wieder an. Wer Sturkturen und ihr Zustandekommen mit "Dummheit" erkären will (NEIN SIE BASIEREN NICHT NUR AUF VERTRÄGEN!) kann die Welt niemals verstehen.

Mal ein grundlegendes Werk, welches auf dem symbolischen Interaktionismus aufbaut und bewusst auf der Akteursebene ansetzt: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit ist ein Werk von Peter L. Berger und Thomas Luckmann.

Ist nicht der Weisheit letzter Schluß. Aber bevor hier jemand wieder mit Objekstivismus, Ideologie und Rand kommt, sollte man wenigstens ein Schlüsselwerk erwähnen. Dreht sich nicht direkt um Gewalt, aber geht auf den Zusammenhang von individuellem Handeln und Strukturen ein.

@Claw. Er meint Gesellschaftsordnung. Den Aufbau einer Gesellschaft, nicht aktiv sondern in seiner Ausformung. Da muss keine "Regierung steuern". Das ist hier nicht das Thema.
@Jack. Spannendes Thema. Aber ich hab Angst.
 
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Sehr interessante Beitraege bisher! Werde morgen etwas beitragen wenn ich fit bin. Ich faend es schoen, wenn wir dieses Niveau halten koennten!
 
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#2 an FCX.
Letztendlich kann auch die Menschheit dem Zentralen Grenzwertsatz nicht entkommen. So ist das halt mit einer Herde, es ist unvermeidbar. Über die Fähigkeiten eines Individuums sagt das allerdings nichts aus.

Man braucht sich nur mal den Drill von Soldaten vor Augen zu führen. Das ist strukturelle Gewalt.

[...]

Z.b. kann eine Reduzierung "struktureller Gewalt" auch die rein "physische Gewalt" reduzieren, wenn man zum Beispiel in ein Strafsvollzugsystem den Gedanken der Resozialisierung einfügt. Kriminalität repräsentiert hier die physisch, indiviuelle Gewalt, Polizei/Gerichte/Gefängnisse und ihr Aufbau die strukturelle Gewalt.

Ich glaube, wir verstehen unter dem Begriff "strukturelle Gewalt" etwas anderes.
Wenn ich dich richtig interpretiere dann ist für dich "strukturelle Gewalt" jede Form von Gewalt, die durch gesellschaftliche Strukturen (Drill im Militär, Polizei) entsteht.
Hier geht es aber um die Gegenüberstellung zwischen struktureller und physischer Gewalt. "Deine" strukturelle Gewalt beinhaltet jedoch auch physische Gewalt (z.B. die Polizei). Um nicht aneinander vorbei zu reden sollten wir die Begriffe klar trennen.

Ich poste einfach mal, was ich unter den Begriffen verstehe (so habe ich sie auch in der ursprünglichen Diskussion mit Jack benutzt):

Physische Gewalt ist jegliche ungefragte physikalische Interaktion mit einem Individuum.
Das ist glaube ich recht selbsterklärend und muss nicht weiter ausgeführt werden.

Strukturelle Gewalt (bzw. genauer: Ein struktueller Zwang) ist eine Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten eines Individuums (meist im Vergleich zu anderen Individuen), die sich nicht aus physischer Gewalt ergibt. Das genau zu erfassen ist etwas komplizierter, deshalb ein paar Beispiele.
Eins habe ich weiter oben ja schon angebracht: Der Supermarkt, der sich weigert, bestimmten Menschen etwas zu verkaufen. Als Eigentümer der Güter kann der Besitzer natürlich damit tun und lassen was er will, er übt keinerlei physische Gewalt auf jemanden aus indem er den Handel verweigert. Im Gegenteil, den Handel zu erzwingen wäre ein Akt der physischen Gewalt gegen den Supermarktbesitzer. Wenn nun aber alle Supermarktbesitzer eine gewisse Gruppe ausschließen so ist das für diese Gruppe ein struktureller Zwang.
Ein weiteres Beispiel wäre ein Ehrenkodex oder ganz allgemein Moralvorstellungen. Wenn ich mich auf die Straße stelle und laut "Heil Hitler!" brülle dann werde ich verachtet und habe danach keine Freunde mehr. Niemand hält mich aktiv, physisch davon ab, genau dies zu tun, durch die gesellschaftlichen Moralvorstellungen wirkt aber ein passiver / struktureller Zwang auf mich, doch nicht so zu handeln, da ich genau weiß, dass die Reaktionen meiner Mitmenschen darauf (freiwillig, ganz ohne physische Gewalt) sehr negativ sein werden (Strafbarkeit/Volksverhetzung habe ich hier mal ausgeblendet, das hat nichts mit dem Punkt zu tun).
Noch ein Beispiel für einen passiven / strukturellen Zwang wäre das Bedürfnis, Nahrung zu mir zu nehmen. Ich bin ganz alleine dafür verantwortlich, niemand übt physische Gewalt auf mich aus - aber wenn ich diesem Zwang nicht nachkomme sterbe ich (was ja die maximale Einschränkung meiner Handlungsmöglichkeiten darstellt).
Es wäre kein struktureller Zwang, wenn durch die Struktur im Militär die Rekruten physischer Gewalt ausgesetzt werden. Der Drill ist also lediglich eine Häufung von organisierter physischer Gewalt. Struktureller Zwang im Militär dagegen wäre der Korpsgeist, der ja nichts anderes als ein Ehrenkodex / eine Moralvorstellung (wie 2 Absätze weiter oben beschrieben) ist.

Mein Beitrag weiter oben basiert auf diesen Begriffsdefinitionen.
Können wir sie als sinnvoll akzeptieren oder hat jemand eine bessere Definition?
 
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SC2

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Wenn ich dich richtig interpretiere dann ist für dich "strukturelle Gewalt" jede Form von Gewalt, die durch gesellschaftliche Strukturen (Drill im Militär, Polizei) entsteht.

Gutes Beispiel: Militär oder Polizei: Sie hat sowohl die Macht physischen Gewalt einzusetzen. Andererseits wirkt sie nach Innen (auf die Polizisten) durch strukturelle Gewalt, indem sie sie hierarchisch sozialisiert und kontrolliert. Man braucht sich nur mal den Drill von Soldaten vor Augen zu führen. Das ist strukturelle Gewalt.
Ein Beispiel, wenn auch nicht ganz passend in diesem Kontext wäre Obrigkeitshörigkeit.
 
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Nein ich wollte erst einmal Strukturen erklären. Dahinter verstecken sich gesellschaftliche oder natürlich Zwänge. Hunger oder Arbeitslosigkeit, aber auch Normen (etc.). Sie erzeugen Situationen in denen Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Entweder durch äußere Personen oder durch eine Internalisierung (z.B. Normen: Du sollst nicht Töten, schlechtes Gewissen). Natürlich liegt es oft in der Verantwortung des einzelnen, ob man in diese Situationen gerät. Aber eben nicht immer und manchmal gehen wir in diese Situationen ohne zu wissen was hier überhaupt auf uns wirkt.
D.h. Wir müssen erst einmal Strukturen erklären. Dann ist zu Fragen was ist strukturelle Gewalt?
Definition durch Galtung: "Strukturelle Gewalt ist die vermeidbare Beeinträchtigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse oder, allgemeiner ausgedrückt, des Lebens, die den realen Grad der Bedürfnisbefriedigung unter das herabsetzt, was potentiell möglich ist“"
Im Kontext unserer Frage heißt dies: Welche Strukturen könne wir so verändern, um grundlegende menschliche Bedürfnisse möglichst wenig zu beeinträchtigen. Das wir den Hunger und seine Ursachen nicht bekämpfen können ist klar. Aber Rassismus (als Beispiel) ist schon eher zu bekämpfen. Allerdings stecken in der ersten Frage schon genug probleme deshalb möchte ich es noch stärker reduzieren auf: Welche Strukturen (im obigen Sinne von Institutionen, Normen und Diskursen) brauchen wir um quasi möglichst stabil, aber auch frei zu leben. Vor allem: welche sind Menschengemacht und eindeutig negativ, bezüglich "grundlegender Bedrüfnisse"
Ein generelles Beispiel: Ist Rassismus als gesellschaftliche Wertung von Personen sinnvoll, oder wäre nicht eine Sprache und ein Verhalten der "political correctness" besser (Zwei Gegenbeispiele). Wir sehen recht schnell, beides hat Vor- und Nachteile, kommt immer drauf an für wen und für welchen Gedanken (aber den Machtgedanken, den du vorhin noch aufgebracht hast, lassen wir mal raus. Sonst wird es kompliziert. Obwohl er sehr wichtig ist).

Noch ein Zusatz: strukturelle Gewalt funktioniert auf einer anderen Ebene. Aber physische Gewalt kann durchaus ein Teil von dieser Sein. Rassismus wirkt sowohl durch "pakibashing", als auch durch Diskriminierung auf dem Amt. Strukturelle Gewalt ist abstrakt zwar anonym, braucht aber immer jemanden der sie ausführt. Deshalb kommt es oftmals zu einem Zuordnungsproblem. Du würdest das mit Intention des Rassisten erklären. Ich würde das mit der Wirkungsweise von Diskursen oder Institutionen erklären. Ein Beispiel: Die Rolle die Eichmann bei der Judenermordung spiel. Er hat eigentlich keine Juden gehasst und wollte nur die Effizient fördern oder Befehle ausführen. (Hat er zwar doch wie sich später rausstellte, aber ich will auf das Buch Banalität des Bösen anspielen.)

Die Lösung ist in meinen Augen ein Verständnis der "sozialen Rolle". Hier kann quasi die Mikro und Makroeben ineinander überführt werden.

PS: ich hätte das vor meiner Erklärung mal lesen sollen. Aber es beschreibt eigentlich genau das was ich meine (Wiki):

"Diesem erweiterten Gewaltbegriff zufolge ist alles, was Individuen daran hindert, ihre Anlagen und Möglichkeiten voll zu entfalten, eine Form von Gewalt. Hierunter fallen nicht nur alle Formen der Diskriminierung, sondern auch die ungleiche Verteilung von Einkommen, Bildungschancen und Lebenserwartungen, sowie das Wohlstandsgefälle zwischen der ersten und der Dritten Welt. Selbst eingeschränkte Lebenschancen auf Grund von Umweltverschmutzung oder die Behinderung emanzipatorischer Bestrebungen werden hierunter subsumiert.

In dieser umfassenden Definition kann Gewalt nicht mehr konkreten, personalen Akteuren zugerechnet werden, sondern sie basiert nurmehr auf Strukturen einer bestehenden Gesellschaftsformation, insbesondere auf gesellschaftliche Strukturen wie Werten, Normen, Institutionen oder Diskursen sowie Machtverhältnissen."

Mit meiner Definition gibt es keine echte Unterscheidung, weil die Wirkung der Gewalten auf einer anderen Ebene passiert. Deshalb muss man bei der Minimierung auch jeweils andere Lösungsansätze verfolgen. In der obigen Definition von Galtung, ist es allerdings nur eine Erweiterung. D.h. auch dein "physischer Gewaltbegriff" subsumiert er unter "strukturelle" Gewalt. Ich würde das mehr trennen, weil es andere Ursachen hat und die Frage von "Täter/Opfer" anders gestellt werden muss.

Ganz generell muss man natürlich zugeben, dass der Begriff "strukturelle Gewalt" einer Inflationsgefahr unterliegt. Er ist schon nicht ganz unproblematisch. Hilft aber wichtige Probleme zu verstehen, die anders nicht erfasst werden. Deshalb würde ich ihn auch benutzen.
 
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@MV:

Ich finde, Du sprichst voellig zurecht das Problem der inflationaeren Ausweitung des Begriffs der strukturellen Gewalt an. Das sehe ich genauso. Ich denke, beide Gewaltbegriffe (strukturell und physisch) koennen letzten Endes "pervers" werden: strukturelle Gewalt, wenn jeder sein Zipperlein als Ausdruck struktureller Gewalt betrachtet und ergo nach einem Schutz vor dieser schreit (z.B. Moslems die sich durch Mohammed - Karikaturen diskriminiert sehen; Vegetarier, die meinen dass die Existenz von McDonalds ihnen Gewalt antut); physische Gewalt wird dann (meines Erachtens) pervers, wenn die Verletzung von dem, was allgemein als "Menschenrechte" bezeichnet wird, abgetan wird mit der Begruendung, es waere keine unmittelbare physische Gewalt (Dein Beispiel mit den Supermaerkten, z.B.).

Meine ursprunegliche Frage war ja gewesen, ob die Minimierung von struktureller Gewalt prinzipiell mit einer Erhoehung der physischen Gewalt erkauft werden muss, und umgekehrt. Bzw., das weiterdenkend stellt sich die Frage, ob eine Gesellschaft denkbar ist, in welcher individuelle und kollektive Rationalitaet in Einklang gebracht werden. Also eine Gesellschaft, die diskriminierende gesellschaftliche Zwaenge auf das Individuum minimiert, OHNE dabei in individuelle Freiheitsrechte einzugreifen.

Solange das Verhaeltnis zwischen struktureller und physischer Gewalt als Nullsummenspiel gesehen wird, laesst sich dieses Problem per Definition nicht loesen. Ich denke, dass das Problem dieser Gegenueberstellung letzten Endes in einer Naturalisierung von Freiheitsrechten besteht; dass also meinetwegen das Recht auf Eigentum, oder das Recht auf Freiheit von Diskriminierung etc. letzten Endes als natuerliche, anthropologische Kategorien gesehen werden. Ich denke, letzten Endes ist es erforderlich, einen Ansatz zu finden, der sprachbasierte, gesellschaftliche Aushandlungsprozesse in den Mittelpunkt stellt. Folglich wuerden Rechtsansprueche nicht "natuerlich" bestehen, sondern gesellschaftlich ausgehandelt werden. Allein das Medium Sprache wuerde hierbei bedeuten, dass dieser Prozess eine universalistische Dimension hat.

Tl;dr: wuerde sich der Gegensatz zwischen physischer und struktureller Gewalt aufloesen, wenn die jeweiligen Persoenlichkeitsrechte die mit den beiden Gewaltbegriffen verknuepft sind, nicht als Konstante gesehen wuerden, sondern erst innerhalb eines groesseren gesellschaftlichen Interaktionsprozesses ermittelt werden wuerden?
 
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@Golg:
Deinem erweiterten Gewaltbegriff kann ich nichts abgewinnen.
Stell dir mal vor ich bin Gott meiner Welt und habe eine Bevölkerung geschaffen, die exakt gleich ist. Sie ist somit frei von Gewalt.
Nun setze ich einen ganz tollen gesünderen, stärkeren und reicheren Menschen auf eine einsame Insel.
Damit habe ich deinem erweiteren Gewaltbegriff zufolge der ganzen Welt Gewalt angetan, indem ich ungleiche Lebenserwartungen geschaffen habe.
Das ist doch absurd.
Dein Gewaltbegriff ist eine Definition und als solche natürlich weder richtig noch falsch, ich sehe ihn aber als nicht nützlich für die Diskussion. Um über Gewalt diskutieren zu können muss man sie eben eindeutig und klar definieren und nicht einfach alles vollkommen willkürlich als Gewalt bezeichnen. Genau diese inflationäre Ausweitung des Begriffs der "strukturellen Gewalt" zur Rechtfertigung von "echter" (physischer) Gewalt habe ich ja schon angesprochen und eben diese Ausweitung macht auch eine Diskussion über Gewalt unmöglich.

@Jack:
Die Frage, ob eine minimierung struktureller Zwänge immer mit Hilfe von physischer Gewalt erkauft werden muss würde ich ganz klar mit "ja" beantworten. Strukturelle Zwänge ergeben sich zwangsläufig in einer Gesellschaft durch die freien Handlungen der Individuen. Wenn du nun die strukturellen Zwänge minimieren willst dann geht das eben nur durch die Einschränkung der freien Handlungen. Eine solche Einschränkung ist aber natürlich immer mit physischer Gewalt verbunden.
Du könntest natürlich auch versuchen, einen strukturellen Zwang einzusetzen um einen anderen abzuschaffen (was ja auch oft passiert, d.h. verhindert unsere Moralvorstellung bzgl. Rassismus, dass strukturelle Zwänge gegen Einwanderer aufkommen). Damit werden aber insgesamt natürlich keine Zwänge abgebaut sondern nur "schlechte" durch "gute" (nach subjektiven Wertmaßstäben) ersetzt.

Ich muss ganz ehrlich zugeben, dass ich nicht verstehe, was du mit deinen letzten beiden Absätzen sagen willst. Was haben Persönlichkeitsrechte mit physischer Gewalt zu tun? Wieso sollte ein gesellschaftlicher Interaktionsprozess irgendwie verhindern, dass bei der damit verbundenen willkürlichen Gewaltdefinition der Begriff inflationär ausgeweitet wird?

Wir sind uns ja einig, dass strukturelle Zwänge durch eine übermäßige Ausweitung "pervers" werden können. Ich stimme allerdings deiner Analogie bei physischer Gewalt nicht zu.
Was sind strukturelle Zwänge eigentlich genau? Wenn man das mal näher betrachtet dann sind es individuelle Zwänge, Zwänge die ich mir als Individuum selbst auferlege. Es sind keine Zwänge die "die Gesellschaft" bestimmt, genau das Gegenteil ist der Fall!
Nehmen wir mal das Beispiel der Moralvorstellungen: Wenn ich eine gewisse Handlung begehe, die stark gegen die gesellschaftlichen Moralverstellungen verstößt, dann verliere ich meine Freunde. Oberflächlich kann man das so interpretieren, dass "die Gesellschaft" mir vorschreibt wie ich mich zu verhalten habe, ansonsten werde ich "bestraft".
Genaugenommen ist das aber nicht der Fall. Ich werde nicht "bestraft", andere Menschen nutzen nur ihre Freiheit aus nicht mehr mit mir interagieren zu müssen. Der zentrale Punkt ist, dass ich als Individuum eben kein Recht auf eine bestimmte Reaktion der Gesellschaft habe. Ich als Individuum darf niemanden zwingen (das wäre dann physische Gewalt) Zeit mit mir zu verbringen.
Der strukturelle Zwang entsteht also nicht aufgrund er Gesellschaft, er entsteht aufgrund meines persönlichen Verlangens nach einer bestimmten Reaktion der Gesellschaft kombiniert mit dem Wissen, dass eben nur eine bestimmte Verhaltensweise diese gewünschte Reaktion hervorruft.
Damit sind strukturelle Zwänge eben keine "echte" Gewalt sondern vom Individuum selbst verursacht, alleine durch die Bedürfnislage des Individuums motiviert.
Gerade deshalb finde ich es aber auch wichtig, dass wir die Regeln unserer Gesellschaft nicht nach strukturellen Zwängen ausrichten. Für die Befriedigung ihrer Bedürfnisse sollten die Individuen selbst verantwortlich sein, sie sollten nicht die ganze Gesellschaft mit Hilfe physischer Gewalt als Geisel nehmen dürfen.

Folglich sehe ich mein Beispiel mit dem Supermarkt nicht als "pervers" an. Wieso sollte ein Mensch ein Recht darauf haben, irgendwo einkaufen zu können. Woraus genau willst du die Verpflichtung eines Supermarktbesitzers ableiten, gegen seinen Willen mit absolut jedem Menschen Handel treiben zu müssen? Wieso sollte es gerechtfertigt sein, ihn mit physischer Gewalt zu so etwas zu zwingen?
Wenn ein Individuum aus sich heraus das dringende Bedürfnis entwickelt, unbedingt in einem Supermarkt einkaufen zu wollen, wieso sollten andere Menschen zu dieser Bedürfnisbefriedigung gezwungen werden dürfen? Wieso gehen wir nicht den viel logischeren und einfacheren Weg und sagen diesem Individuum: Hör auf zu heulen, sei halt nett zu Supermarktbesitzern oder mach deinen eigenen auf!

Die Reduktion auf rein physische Gewalt ist deshalb meiner Meinung nach nicht nur praktisch nötig, weil jede Einführung einer "strukturellen Gewalt" früher oder später inflationär ausgenutzt werden kann, sie ist die einzig gerechte Lösung, weil eben nur physische Gewalt rein fremd verursacht ist (d.h. das Individuum kann nichts dafür, es ist das Opfer der Gewalt und muss deshalb davor geschützt werden) während strukturelle Zwänge selbstverschuldet sind (d.h. einzig aus den Bedürfnissen des Individuums entstehen) und somit die Nutzung physischer Gewalt gegenüber unschuldigen Menschen niemals durch diese selbstverschuldeten Zwänge gerechtfertigt werden kann.
 
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Ich denke, letzten Endes ist es erforderlich, einen Ansatz zu finden, der sprachbasierte, gesellschaftliche Aushandlungsprozesse in den Mittelpunkt stellt. Folglich wuerden Rechtsansprueche nicht "natuerlich" bestehen, sondern gesellschaftlich ausgehandelt werden. Allein das Medium Sprache wuerde hierbei bedeuten, dass dieser Prozess eine universalistische Dimension hat.

Tl;dr: wuerde sich der Gegensatz zwischen physischer und struktureller Gewalt aufloesen, wenn die jeweiligen Persoenlichkeitsrechte die mit den beiden Gewaltbegriffen verknuepft sind, nicht als Konstante gesehen wuerden, sondern erst innerhalb eines groesseren gesellschaftlichen Interaktionsprozesses ermittelt werden wuerden?


Das interessante ist, dass bei diesen Aushandlungsprozessen die Frage der Macht, der Vernunft und der Überzeugung eine Rolle spielen. Sie werden nicht nur (auch wenn das Habermas gerne hätte) von rational debattierende Staatsbürger geführt. Aber das ist ein anderes Problem.
Wobei ich vorsichtig sein würde mit "Sprache ist universalistisch". Sie ist zwar das Medium, aber ihre Begriffe sind gerade in Aushandlungsprozessen und Anwendungsprozessen nicht immer eindeutig. Das kann auch nicht durch Definitionen behoben werden, weil Definitionen ja schon eine Deutungsmacht voraussetzen, die aber in demokratischen Gesellschaft nicht per se gegeben ist.

Die "Konstante", welche du ansprichst, ist wirklich ein Problem, weil diese Rechte auf einer relativ stabilen Basis beruhen müssen. Dies sind die Gesetzestexte und ihre Grundlage, die Verfassung. Dabei werden die jeweiligen Rechte fixiert und (temporärer) aus dem gesellschaftlichen Interaktionsprozess herausgenommen. Dies ist natürlich ein Vorteil, weil damit Rechtssicherheit und Verlässlichkeit geschaffen werden. Außerdem hat damit die Justiz erst die Möglichkeit zur 3. Gewalt zu werden und relativ unabhängig von der Exektuvie auch die Verwendung und Einhaltung der Rechte zu garantieren. Die Rechtssprechung an den "gesellschaftlichen Interaktionsprozess" direkt rückzukoppeln würden zu einer adhoc Verwendung, des einen oder des anderen Gewaltbegriffs führen. Je nach Nutzen für den Mächtigen. Z.B. würden Nazis dann natürlich strukturelle Gewalt nicht als Gewalt oder als legalen Akt definieren.
Man braucht eine rechtliche Basis. Deshalb wird das ganze auf die politische Ebene und die Frage der Gesellschaftsordnung zurückgespiegelt. Das ist in meinen Augen unvermeidlich. Hier treten dann auch wieder die Probleme auf, welche Rationalität den Vorrang besitzt. Kurz es kommt wieder zur Frage des "Basisaxioms".

Aber nochmal zu der Definition (von Galtung, siehe Wiki) zurück, er sieht strukturelle Gewalt nur als Erweiterung, also inkludiert den "physischen Gewaltbegriff" darin. Es ist also kein Nullsummenspiel.

Zu deiner Frage der Rationalitäten, ich sehe hier kein Nullsummenspiel, sondern unterschiedliche Erklärungsebenen. Die eine sieht sich das Individuum, seine Intention und die Interaktionszusammenhänge an und baut darauf die Erklärung von Prozessen auf (wie physische Gewalt). Hier gibt es dann quasi ein Nullsummenspiel, weil "strukturelle Gewalt" nur als Intention eines Mächtigen aufgefasst werden kann. MV hat das ja richtig beschrieben. Aber dieses Nullsummenspiel tritt nur innerhalb der Erkenntnisstruktur auf (Mikroebene).
Auf der anderen Seite gibt es die Frage nach der Struktur (Makroebene) und den größeren Prozessen, die unabhängig von der Intention einen Einfluss besitzen. Hier hat man zwar kein Nullsummenspiel, weil "physische Gewaltanwendung" auch leicht strukturell erklärt werden kann. Zum Beispiel wenn jemand einen Raub begeht, weil er arm ist. Ein Verweis auf seine Soziale Schicht. Aber man hat das Problem, dass unendlich viele strukturelle Probleme bestehen. Viele sind nicht einmal beeinflussbar. Die Erde oder unser Körper (Hungergefühl). Danach muss man noch definieren, ob ein strukturelle Prozess sinnvoll ist oder negativ (= Gewalt). Ist zum Beispiel der militärische Drill, eine sinnvolle Sache oder wird hier Menschen Gewalt angetan? Das kann man durchaus kontrovers diskutieren. Zu guter letzte besteht bei dieser Erkenntnisstruktur die Frage: Wer ist eigentlich Täter/Opfer und wie verhandeln wir Schuld. Obwohl ich den strukturellen Ansatz bevorzuge, ist diese Frage nicht unproblematisch.
 
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MV dein Gegenbeispiel ist hier nicht angebracht, weil die obige strukturelle Gewaltdefinition (ist nicht meine, ich hab sie von Wiki) natürlich auf eine Welt bezogen ist, die manifest ungleich ist und in der auch permanent Gewalt vorkommt. Also ich hoffe diese Grundannahme willst auch du befolgen. Und ja, dein Beispiel ist der Apfel in der Bibel, wenn wir in das Paradies bestimmte Dinge einführen, dann tun wir diesen Menschen Gewalt an. Allerdings können sie dann auch Weisheit und Freiheit erlangen.

Der Witz an der obigen Definition ist natürlich, dass man quasi ein Ziel haben muss, welche strukturelle Gewalt (der unzähligen) man verhindern will. Man kann hier nicht alle Gewalt reduzieren, sondern muss sich je nach seinen Zielen und Werten entscheiden, welche strukturelle Gewalt zu reduzieren ist (physische Gewalt ist natürlich hier eine kleine Teilmenge).

Der Knackpunkt ist natürlich das hier:

Was sind strukturelle Zwänge eigentlich genau? Wenn man das mal näher betrachtet dann sind es individuelle Zwänge, Zwänge die ich mir als Individuum selbst auferlege. Es sind keine Zwänge die "die Gesellschaft" bestimmt, genau das Gegenteil ist der Fall!

Also in meinen Augen sind auch nicht initiierte Folgen, (externale Wirtschaftsprozesse z.b.) oder einfach Hunger ein struktureller Zwang. Strukturelle Zwänge aus individuelle Zwänge abzuleiten, ist mir verlaub: Bullshit

Und nein der einzelne Selbstmörder (d.h. der sich absichtlich verhungern lässt) widerspricht nicht meinem Beispiel, weil wir hier statisch vorgehen müssen. Die meisten Menschen essen nämlich.
 
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@jackdaniels:

Strukturelle Gewalt (ich sage einfach "Dummheit" dafür) lässt sich durch eine intelligente, weitsichtige Bevölkerung vermeiden.

Wenn du von "System" sprichst, spielst du auf ein System an, bei dem die Menschen als dumm und steuerbar gehalten werden. Und nun suchst du ein Gesellschaftssystem, bei der 'kluge' Menschen an der Spitze gewisse Regierungsprogramme durchbringen um die Menschenherde mittels möglichst geringer physischer Gewalt dazu zu bringen, möglichst geringe strukturelle Gewalt auszuüben.

Das funktioniert mit Schafen.

der unterschied zwischen menschen und schafen ist nur auf den ersten blick immens.
 
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Ich sehe einfach nicht, wie der Apfel im Paradies Gewalt darstellen soll.
Überhaupt ist der Begriff der strukturellen Gewalt ziemlich seltsam. Um physische Gewalt auszuüben braucht es immer ein Individuum, das dies tut. Sich die "macro-Ebene" anschauen zu wollen klingt gut, täuscht aber letztendlich nur über diese Tatsache hinweg. Es gibt keine physische Gewalt ohne ein Individuum, das sie ausführt.
"Strukturelle Gewalt", wenn sie denn physische Gewalt beinhalten soll, kann somit zwangsläufig immer auf einzelne Individuen und ihre physischen Aktivitäten reduziert werden. Das ist etwas fundamental anderes als die von mir angesprochenen "gefühlten Zwänge", die eben nicht mit physischer Gewalt verbunden sind. Von struktureller Gewalt zu sprechen ist also irreführend, physische Gewalt und strukturelle Zwänge zu trennen ist deutlich klarer.
Wenn du von "struktureller Gewalt" sprichst kann ich eben gar nicht wissen, was du wirklich meinst. Bei dir (bzw. nach der Wiki-Definition) ist es einfach alles, so kann man nicht diskutieren.
 

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Wieso sollte es gerechtfertigt sein, ihn mit physischer Gewalt zu so etwas zu zwingen?

Wieso sollte es gerechtfertigt sein das die grünen Menschen wenn es denn hart auf hart kommt die blauen Menschen ausrotten weil denen die Möglichkeiten fehlen sich selbst zu versorgen? Zum Beispiel weil alle Orte wo man Supermärkte bauen kann bereits den Grünen gehören?

Ich finde es einfach zweitrangig welche Art von Gewalt vorliegt, solange da Menschen drunter leiden müssen und ggf sogar dran sterben sollte etwas dagegen unternommen werden. Und wenn man die blauen Retten kann indem man die Grünen zwingt auch mit ihnen Handel zu treiben (was für die Grünen wirtschaftlich betrachtet ja auch gut ist, ist ja nur ihr Rassismus der sie daran hindert) ja meine Güte, dann sollte man es auch tun.

Letzten Endes gibt es in jedem Gesellschaftsmodell Willkür und Möglichkeiten sie auszunutzen. Auch dein Modell ist nicht frei davon. Und bei dem Versuch die Willlkür auf das minimum zu beschränken nimmst du imo unzumutbare Zustände in Kauf welche für mich genau die Missbrauchsmöglichkeiten deines Systems darstellen. Und auch wenn du sie dir wegdefinierst, sind sie immer noch da.
Der entscheidene Unterschied in Sachen "Ausnutzen des Systems" besteht darin das man in einem System mit Staat möglichkeiten hat da nen Riegel vorzuschieben. In deinem System entzieht sich das der Kontrolle.
 
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Wieso sollte es gerechtfertigt sein das die grünen Menschen wenn es denn hart auf hart kommt die blauen Menschen ausrotten weil denen die Möglichkeiten fehlen sich selbst zu versorgen? Zum Beispiel weil alle Orte wo man Supermärkte bauen kann bereits den Grünen gehören?

Wieso genau sind denn die blauen Menschen nicht in der Lage, sich selbst zu versorgen?
Offensichtlich leben sie ja zur Zeit noch irgendwo, d.h. irgendwelche Grundstücke haben sie.
Was genau sollte sie daran hindern, einfach dort einen Supermarkt zu bauen?
Aber selbst wenn das aus irgendeinem Grund unmöglich ist: Wieso ziehen sie es vor zu verhungern anstatt einfach woanders hin zu gehen, wo es keine grünen Menschen gibt?
Im blaugrün-Land gibt es ja nach Definition keine physische Gewaltinitiation, d.h. niemand hindert sie daran selbst einen Supermarkt zu bauen oder woanders hin zu ziehen, wo Menschen mit ihren handeln wollen. Oder sie können einfach ganz ganz nett zu einem grünen Supermarktbesitzer sein und ihn überzeugen, eben doch mit ihnen zu handeln.

Menschen sind ganz allgemein eben so flexibel und kreativ dass es vollkommen unmöglich ist, eine Gruppe von Menschen ohne Einsatz von physischer Gewalt auszurotten. Solange physische Gewalt unterbunden wird ist das Überleben jeder Volksgruppe sichergestellt, ausnahmslos jede näherungsweise Ausrottung von Menschengruppen in der Menschheitsgeschichte ist auf physische Gewalt zurückzuführen und eben nicht auf strukturelle Zwänge.
 
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Der entscheidene Unterschied in Sachen "Ausnutzen des Systems" besteht darin das man in einem System mit Staat möglichkeiten hat da nen Riegel vorzuschieben. In deinem System entzieht sich das der Kontrolle.

Das hier ist wichtig. Wie ich auch oben ausgeführt habe gibt es unterschiedliche Strukturen. Den biologischen Hungerzwang wird man wohl kaum überwinden können, aber Rassismsu als strukturelles Problem der Menschheit, kann man schon leichter angehen, ebenso Ungleichheitsprobleme bei der Marktverteilung. Natürlich muss man vorher Werte und Zielvorgaben definieren, die der jeweiligen Struktur etwas vorwerfen. Außerdem muss man zeigen, dass die Struktur auch von Menschen gemacht ist, d.h. veränderbar ist. Die Erdanziehungskraft kann ich wohl kaum bekämpfen wollen.
Das alles einfach zu negieren und zu sagen, dass gibt es nicht oder nur Individuen sind Schuld, führt dazu, dass viele Probleme nicht angepackt werden mit dem Verweis: wir können sowieso nichts tun, weil es nicht in unserer Macht liegt. Das stimmt nicht, gesellschaftliche Strukturen entstehen durch Menschen. Hier kann man anfangen.


Zumal es natürlich so ist, dass physische Gewalt zum besseren überleben dient. Wenn eine Gruppe keine Gewalt initiiert, wird sie halt Opfer einer anderen. Ich weiss nicht, wie das deine gewaltlose Gesellschaft am leben erhalten soll. Noble Wünsche helfen nicht, wenn man überfallen wird und davon ist auszugehen wenn nicht ALLE Menschen Pazifisten sind. Dass eine Gesellschaft einfach so kämpfen kann, ohne das vorher geübt zu haben, ist wohl unrealistisch. Man braucht wiederrum Kampferfahrung, die nur im Angriff gewonnen werden kann.
 
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Die FRAGE, die ich hier aufwerfen moechte ist folgende:
Ist ein Gesellschaftssystem denkbar, in welchem SOWOHL physische, ALS AUCH strukturelle Gewalt minimiert werden?

Ich denke das ist möglich ja. Dazu muss aber einfach gesagt, der Wohlstand in die Breite gehen.

Aktuell ist es eher so, dass laut einer DIW-Studie die Verluste aus der Finanzkrise ausgeglichen wurden, aber eben nur für die Reichen.
Noch nie gab es so viele Vermögensmillionäre.
(Spiegel Online, Zahl deutscher Millionäre auf Rekordniveau)

Im Gegenzug wird bei den Schwächsten Elterngeld, Heizkostenzuschuss gestrichen. Auch bei den Beiträgen zur Rente wird gespart. Das stand bei Welt Online.

Das Gesellschaftssystem müsste so aussehen, dass es genau so viele verschieden Berufe wie verschiedene Menschen gibt. Also jeder jeden braucht. Jeder mit jedem Handel betreibt und auch betreiben kann, weil das Tauschmittel dafür da ist. Sich nicht bei wenigen anhäuft.

Damit man die Möglichkeit besitzt, der Gewalt abzuschwören, muss man selbst, aber auch die Menschen um einen herum, sich in gesicherten Verhältnissen befinden. Meiner Meinung nach.
 
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Das alles einfach zu negieren und zu sagen, dass gibt es nicht oder nur Individuen sind Schuld, führt dazu, dass viele Probleme nicht angepackt werden mit dem Verweis: wir können sowieso nichts tun, weil es nicht in unserer Macht liegt. Das stimmt nicht, gesellschaftliche Strukturen entstehen durch Menschen. Hier kann man anfangen.

Nein, hier hast du mich falsch verstanden. Ich habe nicht gesagt, dass man nichts tun kann. Im Gegenteil, ich habe hier doch geschrieben, dass man strukturelle Zwänge sehr wohl durch physische Gewalt verringern kann.
Aber man sollte das nicht tun da jede Handlung in dieser Richtung selbst automatisch eine Ungerechtigkeit ist (wieso habe ich ja weiter oben mehr als ausführlich erklärt). Mit Selbstbeschränkung oder freiwilligen Spenden kann jeder natürlich gerne gegen strukturelle Zwänge wirken, nur aktiv (mittels physischer Gewalt) dazu gezwungen werden sollte niemand.


Zumal es natürlich so ist, dass physische Gewalt zum besseren überleben dient. Wenn eine Gruppe keine Gewalt initiiert, wird sie halt Opfer einer anderen. Ich weiss nicht, wie das deine gewaltlose Gesellschaft am leben erhalten soll. Noble Wünsche helfen nicht, wenn man überfallen wird und davon ist auszugehen wenn nicht ALLE Menschen Pazifisten sind. Dass eine Gesellschaft einfach so kämpfen kann, ohne das vorher geübt zu haben, ist wohl unrealistisch. Man braucht wiederrum Kampferfahrung, die nur im Angriff gewonnen werden kann.

Ach komm, jetzt machst du dich aber wirklich lächerlich.
Man braucht Kampferfahrung und die gewinnt man im Angriff, ja klar. Deshalb trainieren alle Kampfsportler auch mit unschuldigen Frauen die gerade im Supermarkt einkaufen wollen oder sie greifen Kinder auf dem Spielplatz an und nehmen ihnen den Lolli weg. Damit gewinnen sie die Kampferfahrug, um die nächste Box-WM zu gewinnen.
Freiwillige Trainingspartner, mit denen man einfach so trainieren kann ohne jemandem physische Gewalt aufzuzwängen? Neeeeee, vollkommen undenkbar! :elefant:
 
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