Steuersystem und Gerechtigkeit

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weiß nicht was man gegen merz haben kann, war schon damals mein wunschkandidat fürs kanzleramt im internen fight gegen merkel. ein kalter pragmatiker, ohne moralisierungstendenzen. am wichtigsten, ihm traue ich zu nicht vor "unangenehmen bildern" zurückzuschrecken, wenn sie für die interessen des landes notwendig sind und sich nicht von presse und hysterischen NGOs moralisch erpressen zu lassen. perfekt.
Merz lässt sich seine neoliberalen Positionen weiterhin offen raushängen, so wie Merkel es früher getan hat, bis sie 2005 gemerkt hat, dass sie damit sogar gegen einen wie Schröder an der Wahlurne baden geht. Soll mir recht sein, ich schätze, dass damit die Chancen steigen, dass die Union weiter auf's Dach kriegt, nur halt aus anderen Gründen als atm. Ansonsten kann ich, glaube ich, einen ehrlichen Arsch durchaus besser ab als Königin Wurst, der sehr offen alles egal ist solange sie nur am Ruder sitzt.


kann man eigentlich diese unsitte abstellen, die bezeichnung neoliberal völlig falsch zu verwenden? was du meinst ist das exakte gegenteil von neoliberal. neoliberal ist das was du willst, mehr sozialpolitik, weniger "kapitalismus put".
Bin da jetzt nicht so der Begriffsexperte. "Neoliberal" ist ja nicht 100%ig eindeutig definiert, wird im politischen Gefechtsalltag aber normalerweise als Synonym für "Markt hui, Staat pfui" benutzt. Zumindest im englischen Sprachraum. MWn ist das im Deutschen nicht ganz genauso so, allerdings ist das, was du meinst mWn "ordoliberal". Ich persönlich hänge aber, den Definitionen, die ich beiden Begriffen geben würde, weder dem einen noch dem anderen an.
 

Deleted_504925

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kann man eigentlich diese unsitte abstellen, die bezeichnung neoliberal völlig falsch zu verwenden?
:zzz:
na dann erklär uns doch mal die richtige definition? oder ist es einfach ein weit gefasster begriff der etliche strömungen mit einschließt?
weiß doch jeder welche art gemeint ist wenn man von der schröder spd spricht.
 
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:zzz:
na dann erklär uns doch mal die richtige definition? oder ist es einfach ein weit gefasster begriff der etliche strömungen mit einschließt?
weiß doch jeder welche art gemeint ist wenn man von der schröder spd spricht.

Also ich nicht, erkläre es mir bitte. Ist damit eine lobbyistisch gelenkte Marktwirtschaft gemeint? Ich habe nämlich das Gefühl, so wird der Begriff in der Öffentlichkeit meist gebraucht.
 

Gustavo

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Der wahre "Sehnsuchtsort" der Konservativen wird halt immer Deutschland ca. 2001 bleiben, als man seine Reputation bzgl. "Wirtschaftskompetenz" noch alleine damit machen konnte, irgendeinen liberalen Blödsinn ("Steuererklärung auf dem Bierdeckel") nachzuplappern, ganz egal wie viel oder wenig (vermutlich: eher wenig) Ahnung man von politischer Ökonomie tatsächlich hat. Da ist Friedrich Merz das platonische Ideal, wobei Paul Kirchhof sicherlich mit nur geringem Abstand folgt. Aber schön, dass es wirtschaftlich momentan so gut läuft, dass Teile der CDU tatsächlich glauben, die vermutlich drängendste Frage der Zukunft ("Wie schaffen wir es, dass kontinuerliches Wirtschaftswachstum der großen Mehrheit der Bevölkerung zugute kommt?") wieder mit Achselzucken beantworten zu können.
 
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Was hat die CDU eigentlich mit dem "C" vor? Lohnt sich das noch?
"DU" klingt doch auch gut, kann man zudem schön auf Plakate drucken.

"DU bist, was zählt."
"Auch DU bist Deutschland."
"De DU DU DU, De DA DA DA."
etc.

Im Ernst: Alle "Kandidaten" der CDU sind ermlich, programmatisch scheint die Wahl aus "Lass uns alles so wie vor 20 Jahren machen" und "Ajo, wird schon irgendwie weitergehen" zu bestehen. Die Partei steht in 10 Jahren da, wo jetzt die SPD steht.
 

Gelöschtes Mitglied 137386

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:zzz:
na dann erklär uns doch mal die richtige definition? oder ist es einfach ein weit gefasster begriff der etliche strömungen mit einschließt?
weiß doch jeder welche art gemeint ist wenn man von der schröder spd spricht.

nein, dann hätte ich damit kein problem. mich stört, dass es das exakte gegenteil bezeichnet. die neoliberale schule hat gerade den ungezügelten kapitalismus kritisiert und sich für mehr staatliche regulierung ausgesprochen.

[...]irgendeinen liberalen Blödsinn ("Steuererklärung auf dem Bierdeckel") nachzuplappern, ganz egal wie viel oder wenig (vermutlich: eher wenig) Ahnung man von politischer Ökonomie tatsächlich hat. Da ist Friedrich Merz das platonische Ideal, wobei Paul Kirchhof sicherlich mit nur geringem Abstand folgt.

paul kirchhof ist professor für steuerrecht. wer soll denn mehr ahnung von steurrecht haben als ein professor für steurrecht. und mich würde interessieren, was dich so überaus sicher macht, dass eine flattax - und darum ging es bei merz "steuererklärung auf einem bierdeckel" - so viel schlechter funktionieren würde, als unser jetziges überbordendes steuersystem?

Aber schön, dass es wirtschaftlich momentan so gut läuft, dass Teile der CDU tatsächlich glauben, die vermutlich drängendste Frage der Zukunft ("Wie schaffen wir es, dass kontinuerliches Wirtschaftswachstum der großen Mehrheit der Bevölkerung zugute kommt?") wieder mit Achselzucken beantworten zu können.

ich würde das nicht als dringenstes problem der zukunft sehen. viel wichtiger ist wie man den technologischen fortschritt so gestalten kann, dass in naher zukunft nicht große teile der bevölkerung komplett aus dem arbeitsmarkt ausscheiden.
 
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Gustavo

Doppelspitze 2019
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Im Ernst: Alle "Kandidaten" der CDU sind ermlich, programmatisch scheint die Wahl aus "Lass uns alles so wie vor 20 Jahren machen" und "Ajo, wird schon irgendwie weitergehen" zu bestehen. Die Partei steht in 10 Jahren da, wo jetzt die SPD steht.


Na ja, was erwartest du? So richtig weiß anscheinend niemand, warum es für die Union gerade so abwärts geht: Was hat sich faktisch geändert seit Sommer 2017? Eigentlich nichts. Alle wissen "irgendwie", dass sich etwas ändern muss, aber wenn man fragt was genau sagen ganz konkret alle etwas anderes und abstrakt höre ich nur Gewäsch wie "Deutschland muss zukunftsfähig werden."
Da sind solche Leute wie Spahn und Merz das beste Beispiel dafür: Alles läuft gut? Zeit für Strukturreformen, um Deutschland "zukunftsfähig" zu machen? Alles läuft schlecht? Wir brauchen Strukturreformen jetzt, "kann denn nicht mal jemand an die Wettbewerbsfähigkeit denken"? Genau dasselbe Spiel bei der "Digitalisierung": Darüber wird in der deutschen Politik lediglich in Schlagwörtern gesprochen ("Breitbandausbau", "das nächste Stanford"), aber wenn du fragst was die Leute sich konkret darunter vorstellen, geht es um Breitbandausbau in Regionen in denen der Durchschnittsnutzer wohl eher damit beschäftigt ist, komplett zu durchdringen wie emails funktionieren statt mit der nächsten Startup-Idee um die Ecke zu kommen.
Die Union ist gut darin, den status quo zu verteidigen*; wenn niemand genau weiß was das große Problem sein soll aber alle glauben dass es eins gibt geht man damit natürlich baden. Auf der anderen Seite kannst du einen Wahlkampf machen wie Macron, der die ganze Zeit von Veränderungen und Fortschritt spricht, aber sehr unkonkret bleibt was das genau bedeutet und dann den Großteil der Anhänger enttäuschen, wenn es darum geht, das als Regierungsprogramm zu konkretisieren, weil dann letztendlich doch nur wieder die alten Blaupausen zur Hand sind: Mehr Liberalisierung oder mehr Staat.



*austeilen und radikale Veränderungen fordern ist bisher immer eher was für die Oppositionszeit der Union gewesen
 

TheGreatEisen

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Der wahre "Sehnsuchtsort" der Konservativen wird halt immer Deutschland ca. 2001 bleiben, als man seine Reputation bzgl. "Wirtschaftskompetenz" noch alleine damit machen konnte, irgendeinen liberalen Blödsinn ("Steuererklärung auf dem Bierdeckel") nachzuplappern, ganz egal wie viel oder wenig (vermutlich: eher wenig) Ahnung man von politischer Ökonomie tatsächlich hat. Da ist Friedrich Merz das platonische Ideal, wobei Paul Kirchhof sicherlich mit nur geringem Abstand folgt.

Bis Schröder seinerzeit im Wahlkampf gezielt gegen Kirchhof Stimmung machte und ihn als den "Professor aus Heidelberg" verspottete, genoss Kirchhof einen exzellenten Ruf, auch innerhalb von Teilen der SPD (Seeheimer Kreis). Schröder hat es geschafft, Kirchhof lächerlich zu machen, der natürlich nicht auf den politischen Alltag vorbereitet war und den Fehler machte, stets auf der Sachebene zu verweilen. Ich hatte bereits im Studium den Schwerpunkt Steuerrecht und beschäftige mich nun seit über 10 Jahren mit Steuergerechtigkeit. Unser Steuersystem, insbesondere die Einkommensteuer mit ihrem Welteinkommensprinzip und die Verknüpfung über die Einkommensteuerdurchführungsverordnung, ist nicht "gerecht". Damit ist Kirchhof nicht alleine, alle Steuerrechts-Prof, die ich kenne, unterstützen diese Diagnose. Durch Anhäufung hunderter Detailregelungen in dem Bestreben, Einzelfall-Gerechtigkeit zu erzeugen, die es im Steuerrecht nicht geben kann und auch verfassungsrechtlich gar nicht geben muss, ist die Einkommensteuer höchst ungerecht und für den Steuerpflichtigen nicht durchschaubar. Und keineswegs sind die diversen Steuerschlupflöcher eine Ausgeburt von CDU oder FDP. Aktuell immer noch beliebt ist der IAB beim Erwerb von Photovoltaik-Anlagen. Ich vermute, dass Zahnärzten entweder die Umwelt sehr am Herzen liegt oder dass sie steuerlich gut beraten sind, denn irgendwie kaufen die alle zwei Jahre PV-Anlagen für EUR 250.000. Hmmmm, warum machen die das denn. Und warum nutzt der Individuelle Abzugsbetrag nur demjenigen, der oberhalb eines 250.000er Einkommens liegt und mit der PV-Anlage so tut, als wäre er bettelarm? Da müsste man jetzt die Grünen fragen. Ein Einkommensteuersystem, dass leicht verständlich ist und das mit "Steuerzonen" arbeitet, wäre sicherlich nicht nachteilig für einkommensschwache Bürger, auch wenn man es damals Kirchhof erfolgreich unterstellt hat. Er ist übrigens danach weiter an der Uni Heidelberg tätig gewesen und es gilt nach wie vor als Auszeichnung, bei ihm zu promovieren.

Das ist wie bei den Diskussionen zur Erbschaftsteuerreform 2014-2016. Als "Experte" für ErbSt und Betriebsvermögensverschonung wurde mir bei der Verfolgung der politischen Debatte bewusst, dass der Bundestag, insbesondere die Grünen und Linken, mehrheitlich im Tal der Ahnungslosen wohnen. Die Abgeordneten der Grünen hatten bereits das alte Verschonungssystem für §§ 13a, 13b ErbStG nicht verstanden, einfach nicht verstanden. Und den Gesetzesentwurf für die Revision hatten sie wieder nicht verstanden. Mit nicht verstanden meine ich, dass ihnen nicht im Ansatz klar war, worum es bei den Regelungen geht und wie die Mechanik funktioniert. Und solche Leute stimmen dann über die Gesetzesvorlagen ab.
 

Gustavo

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paul kirchhof ist professor für steuerrecht. wer soll denn mehr ahnung von steurrecht haben als ein professor für steurrecht. und mich würde interessieren, was dich so überaus sicher macht, dass eine flattax - und darum ging es bei merz "steuererklärung auf einem bierdeckel" - so viel schlechter funktionieren würde, als unser jetziges überbordendes steuersystem?

Bis Schröder seinerzeit im Wahlkampf gezielt gegen Kirchhof Stimmung machte und ihn als den "Professor aus Heidelberg" verspottete, genoss Kirchhof einen exzellenten Ruf, auch innerhalb von Teilen der SPD (Seeheimer Kreis). [..] Er ist übrigens danach weiter an der Uni Heidelberg tätig gewesen und es gilt nach wie vor als Auszeichnung, bei ihm zu promovieren.


Eisen: Ist mir nicht verborgen geblieben, da ich damals selbst in Heidelberg studiert habe (rate bei wem ich Steuerrecht gehört habe). Der springende Punkt ist allerdings: Wovon du und Heator reden ist letztendlich nur Handwerk. Das ist nicht zu vernachlässigen, aber in der gesamtwirtschaftlichen Betrachtung reden wir da allerhöchstens über die erste Nachkommastelle des BSP. Die wichtigen Entscheidungen der Politik sind letztendlich, wer über welche Steuerart wie viel zum Staatshaushalt beitragen soll und was für Auswirkungen das auf die Gesamtwirtschaft hat. Mir war letztendlich nie ganz klar, ob Paul Kirchhof vom Ende her (einfacheres Steuersystem) denkt und dafür die Verteilungseffekte nachrangig sind oder ob er schon mit festen Vorstellungen bzgl. der erwünschten Verteilungseffekte an die Sache herangeht (wofür der Halbteilungsgrundsatz eher spricht), aber auf sonderlich profundem Verständnis bzgl. gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge schien mir seine Betrachtung nie zu fußen, ganz egal was davon jetzt stimmt.
Wenn du die FAZ aufblätterst wirst du selbst da so gut wie nie "hohe Steuern sind schlecht, weil sie ungerecht gegenüber den Reichen sind" lesen, du wirst lesen dass hohe Steuern schlecht sind, weil sie nicht funktionieren. Ob und bis wann das stimmt ist genau die Frage, die sich die Politik stellen muss und dazu hat Paul Kirchhof nie irgendetwas Nennenswertes beigetragen (was ich von einem Nichtökonom auch nicht erwarten würde). Dass ich, wenn ich darauf nicht viel gebe, sehr schnell ein einfacheres Steuersystem entwerfen kann, ist nun wirklich keine bahnbrechende Einsicht. Die Expertise die Kirchhof zugeschrieben wurde war aber eben nicht die handwerkliche Expertise, sondern die zu den Gesamtzusammenhängen, die er mutmaßlich nicht hat (sollte Paul Kirchhof in seiner Freizeit zuhause sitzen und NBER Paper wälzen, nehme ich natürlich alles zurück).


Heator: Das kommt ganz darauf an, was man sich unter "funktionieren" vorstellt. Klar wäre das ein einfacheres Steuersystem, aber die Umverteilungseffekte wären ganz andere als die des heutigen Steuersystems. Nach der Einfachheit des Steuersystems zu fragen ist so, als würdest du ein Straßennetz danach beurteilen, wie gut der Straßenbelag ist, nicht wie schnell sie dich von A nach B bringt. Aber zu etwas anderem hat Paul Kirchhof überhaupt keine Expertise.


ich würde das nicht als dringenstes problem der zukunft sehen. viel wichtiger ist wie man den technologischen fortschritt so gestalten kann, dass in naher zukunft nicht große teile der bevölkerung komplett aus dem arbeitsmarkt ausscheiden.

Das erscheint mir relativ epiphänomenal mit der von mir geäußerten Frage zu sein.
 

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Das ist wie bei den Diskussionen zur Erbschaftsteuerreform 2014-2016. Als "Experte" für ErbSt und Betriebsvermögensverschonung wurde mir bei der Verfolgung der politischen Debatte bewusst, dass der Bundestag, insbesondere die Grünen und Linken, mehrheitlich im Tal der Ahnungslosen wohnen. Die Abgeordneten der Grünen hatten bereits das alte Verschonungssystem für §§ 13a, 13b ErbStG nicht verstanden, einfach nicht verstanden. Und den Gesetzesentwurf für die Revision hatten sie wieder nicht verstanden. Mit nicht verstanden meine ich, dass ihnen nicht im Ansatz klar war, worum es bei den Regelungen geht und wie die Mechanik funktioniert. Und solche Leute stimmen dann über die Gesetzesvorlagen ab.
Kannst du das bitte näher erläutern?

Im Übrigen bin auch ich der Meinung, dass wichtige Zukunftsfragen in Deutschland (wie in allen anderen reichen Ländern) garantiert nichts damit zu tun haben, wie wir irgendein "kontinuierliches Wachstum" verteilen. ME sind die relevanten Themen der mittleren Zukunft im globalen Kontext die ökologische Frage und im nationalen Kontext der demografische Wandel.
 

Benrath

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Eisen: Ist mir nicht verborgen geblieben, da ich damals selbst in Heidelberg studiert habe (rate bei wem ich Steuerrecht gehört habe). Der springende Punkt ist allerdings: Wovon du und Heator reden ist letztendlich nur Handwerk. Das ist nicht zu vernachlässigen, aber in der gesamtwirtschaftlichen Betrachtung reden wir da allerhöchstens über die erste Nachkommastelle des BSP. Die wichtigen Entscheidungen der Politik sind letztendlich, wer über welche Steuerart wie viel zum Staatshaushalt beitragen soll und was für Auswirkungen das auf die Gesamtwirtschaft hat. Mir war letztendlich nie ganz klar, ob Paul Kirchhof vom Ende her (einfacheres Steuersystem) denkt und dafür die Verteilungseffekte nachrangig sind oder ob er schon mit festen Vorstellungen bzgl. der erwünschten Verteilungseffekte an die Sache herangeht (wofür der Halbteilungsgrundsatz eher spricht), aber auf sonderlich profundem Verständnis bzgl. gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge schien mir seine Betrachtung nie zu fußen, ganz egal was davon jetzt stimmt.
Wenn du die FAZ aufblätterst wirst du selbst da so gut wie nie "hohe Steuern sind schlecht, weil sie ungerecht gegenüber den Reichen sind" lesen, du wirst lesen dass hohe Steuern schlecht sind, weil sie nicht funktionieren. Ob und bis wann das stimmt ist genau die Frage, die sich die Politik stellen muss und dazu hat Paul Kirchhof nie irgendetwas Nennenswertes beigetragen (was ich von einem Nichtökonom auch nicht erwarten würde). Dass ich, wenn ich darauf nicht viel gebe, sehr schnell ein einfacheres Steuersystem entwerfen kann, ist nun wirklich keine bahnbrechende Einsicht. Die Expertise die Kirchhof zugeschrieben wurde war aber eben nicht die handwerkliche Expertise, sondern die zu den Gesamtzusammenhängen, die er mutmaßlich nicht hat (sollte Paul Kirchhof in seiner Freizeit zuhause sitzen und NBER Paper wälzen, nehme ich natürlich alles zurück).


Heator: Das kommt ganz darauf an, was man sich unter "funktionieren" vorstellt. Klar wäre das ein einfacheres Steuersystem, aber die Umverteilungseffekte wären ganz andere als die des heutigen Steuersystems. Nach der Einfachheit des Steuersystems zu fragen ist so, als würdest du ein Straßennetz danach beurteilen, wie gut der Straßenbelag ist, nicht wie schnell sie dich von A nach B bringt. Aber zu etwas anderem hat Paul Kirchhof überhaupt keine Expertise.




Das erscheint mir relativ epiphänomenal mit der von mir geäußerten Frage zu sein.


jetzt machst du dir es aber gesamtwirtschaftlich etwas einfach und gehst genau auf den Punkt von Eisen, der in deine Richtung geht nicht ein. Das Steuersystem ist überkomplex und intransparent und bevorzug gerade die, die sich viel damit beschäftigen können und ausreichend Kohle haben um von den Extraregelungen zu profitieren. Wie das jetzt in deinem Interesse sein kann, verstehe ich nicht. Man kann die von dir skizzierten Frage getrennt behandeln und ich glaube sogar, dass die von dir bevorzugte Frage besser verständlich wird, wenn die von heator und eisen bevorzugte Frage zuerst geklärt ist.

Sonst geht's ja nur darum, dass der Gesetzgeber eventuell versucht über neue Regelungen die "soziale Gerechtigkeit" zu fördern, mehr Intransparenz und Komplexität schafft und am Ende weder das eine noch das andere erreicht wird.


Welche Teile der Diskussion kann ich denn jetzt hier rausteilen?
Steuersystem?
oder Merkels nachfolge?
gerne Feedback an uns.
 

Tür

Kunge, Doppelspitze 2019
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Die logische Verflechtung von Abbau von Absetzungelsmöglichkeiten und der Abschaffung der progressiven Besteuerung fand ich damals wie heute unredlich. Das riecht nach Klientelpolitik für Leute die es nicht nötig haben
 

TheGreatEisen

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Eisen: Ist mir nicht verborgen geblieben, da ich damals selbst in Heidelberg studiert habe (rate bei wem ich Steuerrecht gehört habe). Der springende Punkt ist allerdings: Wovon du und Heator reden ist letztendlich nur Handwerk. Das ist nicht zu vernachlässigen, aber in der gesamtwirtschaftlichen Betrachtung reden wir da allerhöchstens über die erste Nachkommastelle des BSP. Die wichtigen Entscheidungen der Politik sind letztendlich, wer über welche Steuerart wie viel zum Staatshaushalt beitragen soll und was für Auswirkungen das auf die Gesamtwirtschaft hat. Mir war letztendlich nie ganz klar, ob Paul Kirchhof vom Ende her (einfacheres Steuersystem) denkt und dafür die Verteilungseffekte nachrangig sind oder ob er schon mit festen Vorstellungen bzgl. der erwünschten Verteilungseffekte an die Sache herangeht (wofür der Halbteilungsgrundsatz eher spricht), aber auf sonderlich profundem Verständnis bzgl. gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge schien mir seine Betrachtung nie zu fußen, ganz egal was davon jetzt stimmt.

Du vermischst zwei Fragestellungen, die nicht vermengt werden sollten:

1. Steuergerechtigkeit im übergeordneten Sinn

Deutschland hat, wie jeder Industriestaat, ein Vielsteuersystem, da ein Einsteuersystem die Vermeidungshaltung zu stark fördert und Belastungen nicht nach Leisungsfähigkeit (oder anderen Kriterien) verteilt werden können. Die Frage, welche Steuer im großen Getriebe der Steuerarten erhöht wird und welche Stellschraube inwieweit verändert werden sollte, ist von großer Bedeutung, unbestritten. Aber auch hier hat Kirchhof m.E. in der Wissenschaft große Bedeutung. Die Markteinkommenstheorie, mit der noch heute steuerbare und nicht steuerbare Einkünfte ermittelt und abgegrenzt werden, ist von Kirchhof. Und auch ansonsten ist er in der Debatte um Steuergerechtigkeit im großen Ganzen stets präsent gewesen. Und Kirchhof war auch stets einer derer, die sich gegen Erhöhungen der USt ausgesprochen haben, weil es keine ungerechtere Steuer als die USt gibt. Die letzte Anhebung ist maßgeblich von der SPD getragen worden. Warum? Weil die USt dem Staat wenig Aufwand verursacht, schließlich muss sie von Idioten wie mir abgeführt werden. Und ich hafte auch noch voll für Fehler bei der Erhebung. Aber die USt erfasst unterschiedslos alles und jeden, bis auf ein völlig lächerliches Verschonungssystem, welches Schnittblumen mit 7 %, aber Babywindeln mit 19 % besteuert.

Aber das ist hier gar nicht das Thema. Und war es seinerzeit auch nicht (vorrangig) im Wahlkampf.

2. Steuergerechtigkeit im Bereich Einkommensteuer

Gegenstand war damals das Einkommensteuergesetz nebst EStDV. Und Kirchhof lag damals richtig und liegt heute noch richtig, wenn er anprangert, dass die Legislative, (teilweise) in dem (ehrlichen) Bemühen, Steuergerechtigkeit zu erzeugen, eine Detailregelung nach der anderen zu kodifizieren, ohne dadurch aber tatsächlich zu mehr Gerechtigkeit beizutragen. In vielen Fällen wurde dieses Ziel geradezu konterkariert. Häusliches Arbeitszimmer, Zuschläge für Nacharbeit, Steuersparmodelle, Pauschalierungen und Typisierungen, dazu die Einführung der Abgeltungsteuer als vermeindliches Steuergeschenk an die Reichen. Bis heute hat die Öffentlichkeit nicht kapiert, dass die Einkommensteuer keine Einbahnstraße ist. Steinbrück hat (m.E.) völlig Recht, als er sagte, 25 % von etwas sind ihm lieber als 50 % von nichts. Zudem wurde durch die Abgeltungssteuer auch die Gestaltung mit Verlusten aus Kapitalerträgen eingedämmt. Wer die Abgeltungsteuer abschaffen will muss akzeptieren, dass dann auch der volle Verlustabzug möglich wird, was zu neuen Gestaltungen und Verlustzuweisungsmodellen (z.B. Bull & Bear - Gestaltungen) führen wird. Die Progressivität sorgt dafür, dass jede Form des Abzugs und jede Möglichkeit zur Absenkung der steuerlichen Bemessungsgrundlage den Einkommenstarken stärker entlastet als den Einkommensschwachen.

Gestaltungen sind aber nur den Steuerpflichtigen zugänglich, die einen Steuerberater bezahlen können und, was entscheidend ist, über das nötige Steuersubstrat verfügen. Eine Flat-Tax oder ein Stufenmodell mit wenigen Ausnahmen und geringen Freibeträgen wäre nach meinem Dafürhalten nach wie vor "gerechter".

Im öffentlichen Recht zählt man das Steuerrecht nicht aus Spaß an der Freude zur klassischen Eingriffsverwaltung. Staat (Fiskus) gegen Bürger, es gilt: in dubio pro fisco. Eingriffsverwaltung heißt: Der Bürger hat keinen Anspruch auf Einzelfallgerechtigkeit. Natürlich muss nach Art 3 GG besteuert werden, deshalb gilt ja das Primat der subjektiven und objektiven Leistungsfähigkeit.

Mit einem extrem vereinfachten Steuersystem wären morgen 1/3 aller Steuerberater obsolet.
 
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Gustavo

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jetzt machst du dir es aber gesamtwirtschaftlich etwas einfach und gehst genau auf den Punkt von Eisen, der in deine Richtung geht nicht ein. Das Steuersystem ist überkomplex und intransparent und bevorzug gerade die, die sich viel damit beschäftigen können und ausreichend Kohle haben um von den Extraregelungen zu profitieren. Wie das jetzt in deinem Interesse sein kann, verstehe ich nicht. Man kann die von dir skizzierten Frage getrennt behandeln und ich glaube sogar, dass die von dir bevorzugte Frage besser verständlich wird, wenn die von heator und eisen bevorzugte Frage zuerst geklärt ist.


Ich bin doch darauf eingegangen: Bedauerlich, aber gesamtwirtschaftlich nicht wirklich von Belang. Auch das einfachste Steuersystem würde keinen der Zielkonflikte wirklich entschärfen, mit denen die Politik zu kämpfen hat. Unser Staat kostet eine Menge und irgendwo muss das Geld dafür herkommen, d.h. es muss jemandem weggenommen werden. Klar kannst du das umständlicher oder weniger umständlich eintreiben, aber SO viele (unbeabsichtigte) Ausnahmen, dass es groß was an der Progressivität des Steuersystems ändern würde, gibt es meines Wissens nicht. Was Eisen beschreibt ist imho bedauerlich, aber gesamtwirtschaftlich kein nennenswerter Faktor.


Edit: @Eisen: Alles gut und schön und mir auch nicht unbekannt, aber in der gesamtwirtschaftlichen Betrachtung vernachlässigbar: Das oberste Dezil zahlt momentan 48,2% der Einkommenssteuererträge (mit Soli). Wenn wir das Steuerrecht einfacher machen und versuchen die Reform einkommensneutral zu halten hätten wir gewisse Reibungsverluste nicht, aber den Gegenwert der 48,2% müsste weiter jemand bezahlen. Davon sind die momentanen Reibungsverluste ein Bruchteil. So zu tun als wäre ein "einfacheres" Steuersystem irgendetwas anderes als ein nicht zu vernachlässigender, aber letztendlich marginaler Beitrag, ist Scharlatanerie. Dass es den Leuten, die die "flat tax" alle so super finden, darum nicht wirklich geht, kannst du schön daran erkennen, was sie davon halten, wenn man ihnen ein ähnlich simples Steuersystem vorschlägt, deren Steuersätze eine vergleichbare Progressivität erreichen würden wie das heutige: Nichts.
 
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Benrath

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Kannst du das auch noch etwas begründen wieso die Transparenz für Zielkonflikt keine Rolle spielt, wenn weder Bürger und Wähler noch Gesetzgeber verstehen was das Steuersystem macht

@all
Thema mal rausgeteilt auch wenn nicht so klar war, ab wo das losging und wo es noch um die Definition von Neoliberal oder das Ranking der Kanzler ging.
 

Gustavo

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In den allermeisten Fällen dürfte zumindest der Gesetzgeber eine ziemlich genaue Vorstellung haben, was das Steuersystem macht. Beim Bürger und Wähler bezweifle ich, dass der Durchschnitt irgendein Steuersystem durchschauen kann. Ich habe jetzt nicht gerade mit einem repräsentativen Sample der Bevölkerung zu tun und ich treffe quasi jede Woche irgendwen, der das Konzept des marginalen Steuersatzes nicht verstanden hat.
 

TheGreatEisen

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Edit: @Eisen: Alles gut und schön und mir auch nicht unbekannt, aber in der gesamtwirtschaftlichen Betrachtung vernachlässigbar: Das oberste Dezil zahlt momentan 48,2% der Einkommenssteuererträge (mit Soli). Wenn wir das Steuerrecht einfacher machen und versuchen die Reform einkommensneutral zu halten hätten wir gewisse Reibungsverluste nicht, aber den Gegenwert der 48,2% müsste weiter jemand bezahlen. Davon sind die momentanen Reibungsverluste ein Bruchteil. So zu tun als wäre ein "einfacheres" Steuersystem irgendetwas anderes als ein nicht zu vernachlässigender, aber letztendlich marginaler Beitrag, ist Scharlatanerie.

Damit macht man es sich m.E. schlicht zu einfach. "Wir brauchen das Steueraufkommen, daran ändert auch keine Steuerreform etwas", ist doch kein Maßstab für die Diskussion um gerechte Steuern. Niemand bestreitet, dass das Niveau des Steueraufkommens auch mit einem vereinfachten Steuersystem gehalten werden muss.

Durchaus von Belang ist aber die Frage, welche Beiträge der einzelne Bürger zu leisten hat. Du machst bereits den Fehler und sprichst abstrakt vom obersten Dezil, als wäre das eine greifbare Personengruppe. Die Frage, wer zum obersten Dezil gehört, wird aber entscheidend durch das Einkommensteuergesetz determiniert. Denn das zu versteuernde Einkommen, auf welches der Tarif letzten Endes angewandt wird, ist keine fest Größe. Es wird nach einem komplexen System (§ 2 Abs. 1 - 5 EStG) ermittelt. Und je nachdem, wie man die Weichen dort stellt, gehört Person A zum obersten Dezil oder eben nicht. Entscheidend ist nämlich nicht der Steuertarif, sondern die Bemessungsgrundlage. Das ist der klassische Denkfehler aller Politiker, die sich immer über Spitzensteuersätze unterhalten, aber die vorgelagerten Schritte, nämlich die von den Einkünften bis zum zu versteuernden Einkommen, ignorieren. Es ist daher durchaus von Bedeutung, wie wir Einkommen definieren und ermitteln.

Einfaches Beispiel: Zahnarzt Z hat eine gut laufende Praxis. Ebit 2017: 400.000. Durch Nutzung diverser Gestaltungen, u.a. durch Erwerb einer PV-Anlage, senkt er seine Bemessungsgrundlage auf 150.000. Der Angestellte A kommt dagegen auf EUR 150.000. Eine Gestaltung ist bei ihm nicht sinnvoll. Am Ende zahlen beide auf 150.000 Steuern. Sinnvoll? Aus Sicht der Grünen schon, denn irgendwie muss ja die Energiewende bezahlt werden. Und um die reichen Säcke zu motivieren, gibt man ihnen die EEG Umlage und den IAB als Geschenk an die Hand.
 

Gustavo

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Das sind Zahlen aus dem SOEP, dementsprechend wird da das tatsächliche Einkommen angelegt, nicht das zu versteuernde Einkommen. Du wirst dich auch in der Regel kaum aus dem zehnten ins neunte Einkommensdezil rechnen können, weil wir da von 65.000 Euro im Jahr reden, also ein Betrag wo Steuerberater noch keine echte Rolle spielen, außer du bist sowieso schon an der Grenze. Aber das war auch nicht der Punkt. Um es etwas kürzer zu fassen: Du überschätzt die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Gestaltungsmöglichkeiten und unterschätzt den enormen Einfluss der Steuersätze. Hier eine Simulationsstudie vom IZA: http://ftp.iza.org/sp44.pdf
Fazit: Wenn man das Kirchhof-Modell einkommensneutral gestalten will, zahlen Dezile 1 bis 9 leicht drauf, während Dezil 10 mit 15,8% entlastet wird. Niemand hat in irgendeiner Weise jemals darlegen können, dass die entfallenden Reibungsverluste einen nennenswerten Wachstumsimpuls bewirken würden. Meine ursprüngliche Klage war, dass Kirchhof Expertise für etwas zugeschrieben wird, die er nicht hat*. Was an diesem Modell weist auf "Wirtschaftskompetenz" hin? Imho nichts. Kirchhof ist ein Ideologe, der eine fixe Idee hat. Das war immer offensichtlich, hätte man sich nicht mit dem zum Zeitgeist passenden Gewäsch "Liberalisierung = Wirtschaftskompetenz" zufrieden gegeben.



*und nochmal: Ich bestreite nicht, dass er eine Expertise im Steuerrecht hat. Das macht ihn nur nicht zu einem kompetenten Volkswirt.

Edit: Und bitte nicht noch eine Antwort die irgendetwas mit Photovoltaik zu tun hat.
 

TheGreatEisen

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Das sind Zahlen aus dem SOEP, dementsprechend wird da das tatsächliche Einkommen angelegt, nicht das zu versteuernde Einkommen

Da haben wir doch das Problem. Was ist denn bei Dir das "tatsächliche Einkommen"? Da wird einem gigantischen Themenfeld überhaupt keine Beachtung geschenkt, weil der Volkswirt nur auf die großen Zahlen schaut? Was für eine Studie soll das denn sein, die überhaupt nicht berücksichtigt, wie die Bürger tatsächlich belastet werden. Das "tatsächliche Einkommen" lässt nur äußerst begrenzt Rückschlüsse auf die Steuerbelastung zu. Und in diesem Bereich, zwischen "tatsächlichem Einkommen" und dem eigentlich relevanten Wert, der Bemessungsgrundlage als dem zu versteuernden Einkommen, liegen tausende Regelungen, die hinterfragt werden sollten. Und zudem sollte man schon anmerken, dass die Übergänge zwischen den Dezilen fließend sind. Es ist durchaus relevant, wie stark die "Angehörigen" des 10. Dezils jeweils belastet werden. Dass Dich am Ende nur das Steueraufkommen der jeweiligen Dezile interessiert, aber keinerlei Interesse an der Zusammensetzung, ist irgendwie enttäuschend. Es wirkt so, als würdest Du dich verzweifelt daran klammern, dass Du ja das Große Ganze siehst und daher eine Vereinfachung des Steuersystem aus Sicht des Steueraufkommens irrelevant ist. Dass es aber Ungerechtigkeiten gibt, die beseitigt werden könnten und dass alleine der Faktor Transparenz zu mehr Steuerehrlichkeit und Akzeptanz führen könnten, scheint keine Bedeutung zu haben.

Wir nähern uns der Thematik aus völlig unterschiedlichen Bereichen, wir werden uns hier nicht einigen.
 
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Ich hätte eigentlich gedacht, dass es nicht so kontrovers wäre sich darauf einigen zu wollen, dass eine Konsolidierung und Verschlankung der Steuergesetzgebung sinnvoll wäre. Ob man auf das Endergebnis namens Bemessungsgrundlage einen linearen Tarif, einen progressiven Tarif, oder einen Stufentarif aufschlägt ist ja wohl das unwichtigste Detail an der ganzen Sache, denn einen grob progressiven Verlauf der effektiven Belastung kann man mit jedem Tariftypen schaffen indem man nur genug am Grundfreibetrag dreht.

Ein absolut nicht kontroverser Vorschlag sollte eigentlich sein: Schlupflöcher schließen und Ausnahmeregelungen streichen. Darauf können sich ehrliche Konservative und Sozialdemokraten prinzipiell kaum streiten, oder?

Wenn ich sehe wie viele Leute auch zu faul sind, um eine ordentlicher Steuererklärung anzufertigen, dann ist am Steuersystem ganz eindeutig etwas falsch. Denn wie schon geschrieben bevorteilt es diejenigen, die es halbwegs oder sogar gut durchblicken.
 

Gustavo

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Es ist durchaus relevant, wie stark die "Angehörigen" des 10. Dezils jeweils belastet werden. Dass Dich am Ende nur das Steueraufkommen der jeweiligen Dezile interessiert, aber keinerlei Interesse an der Zusammensetzung, ist irgendwie enttäuschend. Es wirkt so, als würdest Du dich verzweifelt daran klammern, dass Du ja das Große Ganze siehst und daher eine Vereinfachung des Steuersystem aus Sicht des Steueraufkommens irrelevant ist. Dass es aber Ungerechtigkeiten gibt, die beseitigt werden könnten und dass alleine der Faktor Transparenz zu mehr Steuerehrlichkeit und Akzeptanz führen könnten, scheint keine Bedeutung zu haben.

Wir nähern uns der Thematik aus völlig unterschiedlichen Bereichen, wir werden uns hier nicht einigen.


Na ja, ganz ehrlich: Ich habe das Gefühl wir reden aneinander vorbei, weil du auf einem marginalen Punkt beharrst, der für meine (!) Behauptung letztendlich nachrangig ist. Ja, es gibt gewisse Ungerechtigkeiten und ja, ceteris paribus wäre ein weniger komplexes Steuerrecht gerechter. Trotzdem sind die Ausnahmen sowohl verteilungspolitisch als auch in ihren gesamtwirtschaftlichen Effekten kleine Brötchen. Das ist ein technischer Kniff*, der von Kirchhof in mutmaßlicher Unkenntnis gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge maßlos überhöht wird, welche schon daran sichtbar wurde, dass er seinen Plan als aufkommensneutral bezeichnet hat, obwohl das immer unhaltbar war.
Und das ist leider ein Symptom dafür, was mir in Deutschland häufig auffällt: Wer "weniger Staat" will hat automatisch einen Vertrauensvorschuss bzgl. "Wirtschaftskompetenz", ganz egal wie er darauf gekommen ist. Womit ich nicht sagen will dass es nicht gute Gründe geben kann, für weniger Staat zu sein, aber eine vage konservative Grundhaltung und die Einsicht, das Steuersystem ist zu komplex ist dafür nun mal einfach eine mangelhafte Begründung.




*und im Übrigen auch einer, für den man das Steuerrecht nicht sonderlich tief durchdrungen haben muss; das könnte dir so ziemlich jeder Ökonom auch sagen (wobei die natürlich größere Fans der Umsatzsteuer sind, weil da der deadweight loss geringer ist)
 

TheGreatEisen

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*und im Übrigen auch einer, für den man das Steuerrecht nicht sonderlich tief durchdrungen haben muss; das könnte dir so ziemlich jeder Ökonom auch sagen (wobei die natürlich größere Fans der Umsatzsteuer sind, weil da der deadweight loss geringer ist)

Es ist halt schwierig, über Steuerrecht allgemein und die Gerechtigkeit eines einzelnen Steuergesetzes zu sprechen, wenn die neuralgischen Bereiche, in diesem Fall der Weg von den Einkünften zu dem zu versteuernden Einkommen, ausgeklammert und mit komplett untechnischen Begriffen wie einem "tatsächlichen Einkommen" (rechtlich gesehen ein unbestimmter Begriff und somit für jede Diskussionsgrundlage irrelevant) gearbeitet wird. Was soll das tatsächliche Einkommen denn sein? Das Bruttoeinkommen eines Lohnsteuerpflichtigen? Der Gewinn aus der Einnahme-Überschuss-Rechnung der § 4 Abs. 3 - Rechner? Oder der handelsbilanzielle oder gar steuerliche Gewinn? Wenn Ökonomen sich Phantasiewerte kreieren und darauf hypothetische steuerliche Belastungen projezieren, sind diese Studien das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind.

Eine Studie auf 18 Seiten (das wäre bei uns bei weitem keine Studie, sondern eher eine Einleitung), die ich zugegebenermaßen nicht gelesen habe, wirkt mir auch etwas dünn. Nur zum Abschluss vielleicht noch der Hinweis, dass Kirchhof stets die Problematik auf der Ebene der Ermittlung der Bemessungsgrundlage gesehen hat. Kann man auch recht gut in seinen Ausführungen zur Markteinkommenstheorie verfolgen. Er wurde aber schlicht auf die Schlagworte Flat Tax und die Thematik mit den Steuersätzen verkürzt.

Dass Du die Umsatzsteuer anführst, belegt recht anschaulich, wo die Probleme liegen. Die Ökonomen stehen auf diese Steuerart, weil sie einfach zu berechnen ist und weil eine Drehung an der Stellschraube gut prognostizierbare Ergebnisse bzgl. Steuermehraufkommen erzeugt. Dass die Umsatzsteuer immer wieder als verfassungswidrig eingestuft wird und nur aus einem einzigen Grund akzeptiert wird (in dubio pro fisco), interessiert die Ökonomen nicht. Dass sie Niedrigverdiener im Übermaß belastet, who cares.
 

parats'

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@Gustavo, was ist eigentlich genau dein Background? Ist nicht persönlich gemeint und gut möglich das du es schon einmal irgendwo beantwortet hast.

Und habe ich dich richtig verstanden, dass ein Steuerberater sich erst im oben Bereich lohnt? Das lässt sich doch pauschal überhaupt nicht festhalten, da es eher invidueller Einkommenssteuktur unterliegt.
 

Benrath

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Aus reiner Neugierde, was ist denn an der Umsatzsteuer / Mehrwertsteuer? so ungerecht?

Der ökonomische Vorteil war wohl, dass auf den Zwischenstufen keiner einen Anreiz hat sie zu hinterziehen, weil man sie sich jeweils wiederholen kann.
 

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Gustavo

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Es ist halt schwierig, über Steuerrecht allgemein und die Gerechtigkeit eines einzelnen Steuergesetzes zu sprechen, wenn die neuralgischen Bereiche, in diesem Fall der Weg von den Einkünften zu dem zu versteuernden Einkommen, ausgeklammert und mit komplett untechnischen Begriffen wie einem "tatsächlichen Einkommen" (rechtlich gesehen ein unbestimmter Begriff und somit für jede Diskussionsgrundlage irrelevant) gearbeitet wird. Was soll das tatsächliche Einkommen denn sein? Das Bruttoeinkommen eines Lohnsteuerpflichtigen? Der Gewinn aus der Einnahme-Überschuss-Rechnung der § 4 Abs. 3 - Rechner? Oder der handelsbilanzielle oder gar steuerliche Gewinn? Wenn Ökonomen sich Phantasiewerte kreieren und darauf hypothetische steuerliche Belastungen projezieren, sind diese Studien das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind.


Da steht beim SOEP in der Tat nur "Markteinkommen." Was das genau umfasst und wie sich das in der Hocheinkommensstichprobe aufschlüsselt weiß ich auch nicht, aber ich gehe mal davon aus, dass die Trennschärfe bei den Einkommensdezilen schon arg hoch ist. Ich würde jede Wette mit dir eingehen dass sich das DIW über sowas schon reichlich Gedanken macht, das sind ganz sicher keine "untechnischen Begriffe", ich habe es nur untechnisch beschrieben (weil ich die technische Definition in diesem Fall nicht kenne), was mein Fehler war.


Eine Studie auf 18 Seiten (das wäre bei uns bei weitem keine Studie, sondern eher eine Einleitung), die ich zugegebenermaßen nicht gelesen habe, wirkt mir auch etwas dünn. Nur zum Abschluss vielleicht noch der Hinweis, dass Kirchhof stets die Problematik auf der Ebene der Ermittlung der Bemessungsgrundlage gesehen hat. Kann man auch recht gut in seinen Ausführungen zur Markteinkommenstheorie verfolgen. Er wurde aber schlicht auf die Schlagworte Flat Tax und die Thematik mit den Steuersätzen verkürzt.


Das Problem mit der Bemessungsgrundlage ist real, aber eben auch quantifizierbar und das hat Kirchhof offensichtlich völlig unzureichend getan, sonst wären keine so krummen Schätzungen bzgl. der Aufkommensneutralität dabei herausgekommen. Dass man sich auf flat tax und Steuersätze fokussiert ist eben keine "Verkürzung", weil die Bemessungsgrundlage im Vergleich hierzu völlig nachrangig ist.



Dass Du die Umsatzsteuer anführst, belegt recht anschaulich, wo die Probleme liegen. Die Ökonomen stehen auf diese Steuerart, weil sie einfach zu berechnen ist und weil eine Drehung an der Stellschraube gut prognostizierbare Ergebnisse bzgl. Steuermehraufkommen erzeugt. Dass die Umsatzsteuer immer wieder als verfassungswidrig eingestuft wird und nur aus einem einzigen Grund akzeptiert wird (in dubio pro fisco), interessiert die Ökonomen nicht. Dass sie Niedrigverdiener im Übermaß belastet, who cares.


Dem Problem sind sich Ökonomen natürlich auch bewusst, da geht es erst mal nur um die Verzerrungseffekte. In der Realität wirst du natürlich über die Einnahmen umverteilen, weil du ansonsten ein viel zu regressives Steuersystem produzierst.




@Gustavo, was ist eigentlich genau dein Background? Ist nicht persönlich gemeint und gut möglich das du es schon einmal irgendwo beantwortet hast.


Jura und Politikwissenschaft in Deutschland, dann Political Economy in den USA. Bin an einer Uni in den USA in dem Bereich angestellt.



Und habe ich dich richtig verstanden, dass ein Steuerberater sich erst im oben Bereich lohnt? Das lässt sich doch pauschal überhaupt nicht festhalten, da es eher invidueller Einkommenssteuktur unterliegt.


Bei dem, worüber wir hier reden, ist das in aller Regel der Fall, ja. Die unteren 50% aller Haushalte zahlen 6,8% des Einkommenssteueraufkommens, die obersten 10% 48,2%. Klar kann sich in einzelnen Fällen der Steuerberater auch für Durchschnittsverdiener lohnen, aber wir reden ja über die Steuergerechtigkeit als Ganzes und wenn du im Großen Ganzen sowieso kaum etwas beiträgst wird dir auch der Steuerberater nicht sonderlich viel sparen können. Wenn du das Steuersystem radikal vereinfachst geht es tendenziell erst mal den Gutverdienern an den Kragen, was auch Eisens Punkt war. Das Problem was ich damit sehe ist die Tatsache, dass die Leute die darauf abzielen diese Mehreinnahmen zu 100% (plus X) dazu verwenden, den Spitzensteuersatz deutlich zu senken, weshalb die Modelle zu einer Umverteilung von unten nach oben führen. Dafür gibt es keine gute theoretische Begründung, aber es wird einfach geschluckt und das Gesamtbündel wird als "Wirtschaftskompetenz" verkauft.
 
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Aus reiner Neugierde, was ist denn an der Umsatzsteuer / Mehrwertsteuer? so ungerecht?
Sie erzeugt eine steuerliche Degression: Wer weniger hat, zahlt mehr vom Einkommen in die Staatskasse.
Das widerspricht dem sozialstaatlichen Prinzip, dass stärkere Schultern höhere Lasten tragen sollen.
 

Benrath

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ok ich hatte mit einem weitern Ungerechtigkeitsargument als dem mir bekannten gerechnet, welches ich recht schwach finde, weil es imho unpraktisch ist noch mehr verschiedenen Mehrwertsteuersätz einzuführen um dagegen zu steuern. Darüber hinaus finde ich es nicht so schlimm, weil man es über die Ausgabenseite wieder korrigieren kann.

Ich versteht sonst nicht wieso es gesamtwirtschaftlich keine Rolle spielen soll, wenn Leute ihre Beitragsbemessungsgrundlage um XX% drücken können und wieso daher schlecht wäre die Ausnahmen erstmal mit einem Nullsummenspiel abzuschaffen. Was wäre der Schaden? Weniger Steuerberater und Finanzbeamte? Mehr Zeit für Freizeit. Mit dem Gesamtwirtschaftlichkeitsargument dürften wir uns ja nur noch um das oder die drei wichtigsten Themen kümmern. Welche wären das denn?

Ich glaube auch das eine gefühlt höhere Steuertransparenz eine höhere Akzeptanz für selbiges schaffen würde, was sich nicht zwingend in €€€ ausdrücken würde.
 

Gustavo

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Ich versteht sonst nicht wieso es gesamtwirtschaftlich keine Rolle spielen soll, wenn Leute ihre Beitragsbemessungsgrundlage um XX% drücken können und wieso daher schlecht wäre die Ausnahmen erstmal mit einem Nullsummenspiel abzuschaffen. Was wäre der Schaden?


Ich sage ja gar nicht dass es schlecht wäre, hat in den USA unter Reagan auch gut geklappt. Ich sage bloß dass es abstrus ist, aus der Forderungen irgendeinen überlegenen Sachverstand abzuleiten.
 
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