Eisen: Ist mir nicht verborgen geblieben, da ich damals selbst in Heidelberg studiert habe (rate bei wem ich Steuerrecht gehört habe). Der springende Punkt ist allerdings: Wovon du und Heator reden ist letztendlich nur Handwerk. Das ist nicht zu vernachlässigen, aber in der gesamtwirtschaftlichen Betrachtung reden wir da allerhöchstens über die erste Nachkommastelle des BSP. Die wichtigen Entscheidungen der Politik sind letztendlich, wer über welche Steuerart wie viel zum Staatshaushalt beitragen soll und was für Auswirkungen das auf die Gesamtwirtschaft hat. Mir war letztendlich nie ganz klar, ob Paul Kirchhof vom Ende her (einfacheres Steuersystem) denkt und dafür die Verteilungseffekte nachrangig sind oder ob er schon mit festen Vorstellungen bzgl. der erwünschten Verteilungseffekte an die Sache herangeht (wofür der Halbteilungsgrundsatz eher spricht), aber auf sonderlich profundem Verständnis bzgl. gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge schien mir seine Betrachtung nie zu fußen, ganz egal was davon jetzt stimmt.
Du vermischst zwei Fragestellungen, die nicht vermengt werden sollten:
1. Steuergerechtigkeit im übergeordneten Sinn
Deutschland hat, wie jeder Industriestaat, ein Vielsteuersystem, da ein Einsteuersystem die Vermeidungshaltung zu stark fördert und Belastungen nicht nach Leisungsfähigkeit (oder anderen Kriterien) verteilt werden können. Die Frage, welche Steuer im großen Getriebe der Steuerarten erhöht wird und welche Stellschraube inwieweit verändert werden sollte, ist von großer Bedeutung, unbestritten. Aber auch hier hat Kirchhof m.E. in der Wissenschaft große Bedeutung. Die Markteinkommenstheorie, mit der noch heute steuerbare und nicht steuerbare Einkünfte ermittelt und abgegrenzt werden, ist von Kirchhof. Und auch ansonsten ist er in der Debatte um Steuergerechtigkeit im großen Ganzen stets präsent gewesen. Und Kirchhof war auch stets einer derer, die sich gegen Erhöhungen der USt ausgesprochen haben, weil es keine ungerechtere Steuer als die USt gibt. Die letzte Anhebung ist maßgeblich von der SPD getragen worden. Warum? Weil die USt dem Staat wenig Aufwand verursacht, schließlich muss sie von Idioten wie mir abgeführt werden. Und ich hafte auch noch voll für Fehler bei der Erhebung. Aber die USt erfasst unterschiedslos alles und jeden, bis auf ein völlig lächerliches Verschonungssystem, welches Schnittblumen mit 7 %, aber Babywindeln mit 19 % besteuert.
Aber das ist hier gar nicht das Thema. Und war es seinerzeit auch nicht (vorrangig) im Wahlkampf.
2. Steuergerechtigkeit im Bereich Einkommensteuer
Gegenstand war damals das Einkommensteuergesetz nebst EStDV. Und Kirchhof lag damals richtig und liegt heute noch richtig, wenn er anprangert, dass die Legislative, (teilweise) in dem (ehrlichen) Bemühen, Steuergerechtigkeit zu erzeugen, eine Detailregelung nach der anderen zu kodifizieren, ohne dadurch aber tatsächlich zu mehr Gerechtigkeit beizutragen. In vielen Fällen wurde dieses Ziel geradezu konterkariert. Häusliches Arbeitszimmer, Zuschläge für Nacharbeit, Steuersparmodelle, Pauschalierungen und Typisierungen, dazu die Einführung der Abgeltungsteuer als vermeindliches Steuergeschenk an die Reichen. Bis heute hat die Öffentlichkeit nicht kapiert, dass die Einkommensteuer keine Einbahnstraße ist. Steinbrück hat (m.E.) völlig Recht, als er sagte, 25 % von etwas sind ihm lieber als 50 % von nichts. Zudem wurde durch die Abgeltungssteuer auch die Gestaltung mit Verlusten aus Kapitalerträgen eingedämmt. Wer die Abgeltungsteuer abschaffen will muss akzeptieren, dass dann auch der volle Verlustabzug möglich wird, was zu neuen Gestaltungen und Verlustzuweisungsmodellen (z.B. Bull & Bear - Gestaltungen) führen wird. Die Progressivität sorgt dafür, dass jede Form des Abzugs und jede Möglichkeit zur Absenkung der steuerlichen Bemessungsgrundlage den Einkommenstarken stärker entlastet als den Einkommensschwachen.
Gestaltungen sind aber nur den Steuerpflichtigen zugänglich, die einen Steuerberater bezahlen können und, was entscheidend ist, über das nötige Steuersubstrat verfügen. Eine Flat-Tax oder ein Stufenmodell mit wenigen Ausnahmen und geringen Freibeträgen wäre nach meinem Dafürhalten nach wie vor "gerechter".
Im öffentlichen Recht zählt man das Steuerrecht nicht aus Spaß an der Freude zur klassischen Eingriffsverwaltung. Staat (Fiskus) gegen Bürger, es gilt: in dubio pro fisco. Eingriffsverwaltung heißt: Der Bürger hat keinen Anspruch auf Einzelfallgerechtigkeit. Natürlich muss nach Art 3 GG besteuert werden, deshalb gilt ja das Primat der subjektiven und objektiven Leistungsfähigkeit.
Mit einem extrem vereinfachten Steuersystem wären morgen 1/3 aller Steuerberater obsolet.