Short form vs long form content im Journalismus

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Habe keinen passenden Thread dazu gefunden, falls es einen breiteren Presse-/Journalismus-Thread gibt gerne merge.

Ein Beispiel, was ich für repräsentativ halte für eine große Anzahl der Berichterstattung in "Meldungen" im Radio, TV und Zeitungen.


Produziert werden 30-180 Sekunden, wo dann Experten für 20 Sekunden gequoted werden. Dafür will man was knackiges. Bestenfalls triviales. Schlimmstenfalls kontroverses, so dass man den Leuten was in den Mund legen möchte.

Oft werden 45 Minuten Gespräch geführt und man pickt sich dann diese 20 Sekunden raus. Erneut, bestenfalls trivial, schlimmstenfalls verzerrend.

Klar, es gibt auch andere Probleme des Journalismus. Finanzierung ist schwer. Man muss gegen Clickbait competen. Aber imo ist auch die generelle Struktur, wie Medien berichten schlecht und ungeeignet für komplexe Inhalte. Sowas funktioniert für die "FYI"-Meldung über Erdbeben, aber nicht für Erbschaftssteuer oder Koranverbrennung.

Aus diesem Grund bin ich aber auch wiederum optimistisch: Diese Formate sind Kennzeichen der alten Medien.

In den neuen Medien nehmen sich die Leute Zeit für Themen. Entweder gut recherchiert und 15 Minuten wie Lage der Nation oder im offenen Gespräch für 45-240 Minuten.

Richtig, das wird sich nicht jeder reinpfeifen. Aber diejenigen, die ein Thema interessiert, potentiell schon. Wenn Podcasts (im weiteren Sinne, inklusive YT Formaten wie Parabelritter) sich weiter durchsetzen, dann wird sich imo die öffentliche Debatte vertiefen und verbessern. An den Mainstream-Medien vorbei.

Etablierte Medien verpassen den Zug. Da wird ein Podcast gemacht oder funny YT Formate. Aber viel zu wenig und nicht systematisch. Man baut sich fast keine high quality long form Formate auf mit Haltbarkeit, also wo der Inhalt noch in 12 Monaten relevant ist. Und selbst "aktuelle" Formate wie Lage der Nation haben sich eben nicht in etablieren Medien gebildet, sondern als privates Projekt von Philip Banse entwickelt.

Danke fürs lesen. Wollte das niederschreiben.
 

Deleted_504925

Guest
Ist halt sehr Special Interest, die meisten Leute wollen doch einfach nur kurz Informiert werden und keinen 5h Talk durchhören. Mir geht es zumindest so, dass ich direkt wegklicke wenn ich 3+ Stunden sehe. Schön wenn es sowas gibt für die paar die es interessiert, aber gerade die neuen Medien zeichen sich doch doch viel mehr durch Verkürzung aus, man hat doch gar keine Zeit für Recherche wenn Aktualität der größte Faktor ist.

Solche Longform Sachen sind eine schöne Ergänzung, aber eine wirkliche Konkurrenz sehe ich da nicht. Gerade Podcasts kann ich abseits von Interviews einfach nicht mehr sehen. Jeder hat einen, aber 99% können es überhaupt nicht mit Inhalt füllen, aber man muss ja trotzdem wöchentlich Senden.

Gerade wenn man sich anschaut wie jüngere Medien konsumieren sehe ich in Zukunft eher das Gegenteil. Twitter, Instagram und TikTok geben da den Takt an und der liegt im Sekundenbereich, sowas überträgt sich doch garantiert auf die allgemeine Mediennutzung und Aufmerksamkeitsspanne.
 
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Meine Hoffnung ist, dass es beide Trends gibt & beide Formen effektiv genutzt werden. Short form Video für zwischendurch und Infotainment. Long Form content für die persönlichen Schwerpunkte und hoffentlich auch die großen gesellschaftlichen Themen.

Ich mag YT Shorts. Und ich mag 5h Interview mit John Carmack.

Und noch wächst beides. Was auch eine Entwicklung der Inhalte mit sich bringt. Da wird viel ausprobiert und natürlich auch viel Mittelmaß produziert. Aber gerade in Relation zu den Resourcen mehr tatsächlicher Mehrwert als der rewrite der DPA-/AP-Meldung plus ultrakurzer "Stellungnahme".
 

Deleted_504925

Guest
Ist ja günstig zu produzieren, solange sich Leute zu solch langen Interviews bereit erklären wird es die ja auch auch geben. Da sehe ich die größte Hürde, jemand aktives in der Politik wirst du selten so offen reden hören. Sind ja dann meistens eher ehemaliger, oder Randfiguren. Ein Olaf Scholz und co. sieht man da ja selten, aber 5 Stunden "ich kann mich nicht erinnern" wäre wohl auch nicht so ergiebig. :birb:

Passt vielleicht nur im weiteren Sinne, aber was ich faszinierend finde ist so richtig langer Content in dem Leute über Jahre hinweg ihre Lebensgeschichte erzählen.
Da muss man halt auch was zu erzählen haben, aber der Kanal läuft seit 7 Jahren und er ist immer noch mitten in seiner Geschichte.
Sowas wäre ohne Youtube, oder ähnliche Plattformen ja undenkbar.
 
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Richtig, viele machen das nicht. Es gibt aber mehrere Motivationen, es zu tun:

# self promotion, auch relevant für junge Politiker. Hoffnung, dass dies Talenten hilft, die rein im Parteisoldaten-Grind nicht heraus stechen.

# Überzeugung. Wer wirklich bspw für oder gegen Erbschaftssteuer ist, der möchte die Gelegenheit nutzen, es sei denn er glaubt, keine Argumente zu haben

# Vanity / Eitelkeit

Lex Friedman ist ja ein gutes Beispiel, dass da eben doch viele Prominente mitmachen. Mark Zuckerberg 2x, Elon Musk, viele top Wissenschaftler etc
 
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Tatsächlich gibt es mit "Alles gesagt" einen Podcast in dem auch aktuelle Politiker und interessante Personen sehr lange zum Interview bereitstehen. Den Podcast mag ich sehr.
Lage der Nation hab ich ein paar Mal versucht anzuhören und fand es einfach irgendwo zwischen langweilig und furchtbar. Irgendwie zu flach.

Am Ende lese ich Zeitung und fliege über die relevanten Themen, um informiert zu sein; und ergänze das beim Pendeln oder beim Sport durch das Hören langer Podcasts zu random Themen von Geschichte über recht speziellen Kram in $wissenschaft bis zu netten Überblicksfeatures.

Ich würde mir knapper zusammengefasste neutral formulierte und eingeordnete Nachrichten wünschen, die weniger spezifisch deutsch sind … also einfach internationaler.
Gleichzeitig möchte ich gerne die Details schön von Experten erklärt bekommen können, wenn ich mich dafür interessiere.
Entsprechend ist Zeitung + Themenpodcasts + Youtube für mich die Kombo der Wahl.

Meine Podcast-Liste in zufälliger Reihenfolge (wie sie grad im Player stehen):
- Econtalk
- WDR Zeitzeichen
- WDR Feature-Depot
- DLF Doku
- DLF die Reportage
- DLF Nova Hörsaal
- Economics & Beyond
- Conversations with Tyler (Economics)
- Where should we begin (with Esther Perel)
- How's work? (with Esther Perel)
- Nature Podcast
- Science Magazine Podcast
- SWR2 Feature
- DLF Wissenschaft im Brennpunkt
- WDR5 Presseclub
- Mikroökonomen
- Alles gesagt
- WRINT Wirtschaftskunde
- SWR2 Geld, Markt, Meinung
- FAZ Digitec
- WDR5 Neugier genügt
- DLF Campus & Karriere

Bei Zeitung:
- FAZ (mit Abo)
- SZ
- Zeit
- Welt
- taz
- Guardian
- NYT
- Le Monde

Youtube:
- sehr viel techlastiges
- Perun (und andere mit Ukraine-Berichterstattung)
- Military History Visualized
- Harstem SC2 :ugly:

Also in der Tendenz würde ich sagen, dass es genau ist wie oben auch schon von Misfit geschrieben:
- Überblick haben, möglichst nicht zu biased
- Details when desired
Allerdings würde ich den Details für mich eine Rolle einräumen die weit über "Ergänzung" hinausgeht.
 

Gustavo

Doppelspitze 2019
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Danke fürs lesen. Wollte das niederschreiben.

Ich teile deinen Enthusiasmus nicht. Die Crux ist die Demand-Seite. Es gab dieselbe Diskussion in den USA sehr ähnlich schon mal, als Cable News Networks aufkamen und später nochmal als Journalismus auf einmal im Internet durchstartete. Jedes Mal hast du einen technologischen Sprung, der mehr Informationsquellen bzgl. politischer Themen bietet, aber eben als Nebenprodukt (neben allen möglichen Unterhaltungsprodukten). Markus Prior hat das mal sehr schön für die Cable News Ära erforscht: https://www.cambridge.org/core/books/postbroadcast-democracy/A0D17A3CD156A0D1BB4318EE5DBCC60B

Du wirst mutmaßlich wie bei den vorherigen Innovationen insgesamt eine Polarisierung sehen, allerdings bei sinkendem durchschnittlichen Informationsniveau in der Gesellschaft. Das ist alles gar nicht verwerflich, aber leider scheint es so als wäre bei vielen Menschen der Drang sich zu informieren nicht hoch genug ausgeprägt, um mit immer besseren Unterhaltungsangeboten konkurrieren zu können.
 
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Ich hatte es die Tage schonmal irgendwo geschrieben. Teammitglied bei mir. Schlau, gute Noten, Bachelor of Science … uninformiert was Politik/Tagesgeschehen angeht. Es ist ein Jammer.
 
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Was mir häufig fehlt, sind gut gemachte Expertenformate. Mich interessiert bei relevanten Themen eigentlich immer erstmal, was Profis dazu sagen, sofern es sie gibt, nicht was Position von Partei X, Journalist Y oder B-Promi Z dazu ist. Bei manchen Themen interessiert mich auch der Diskurs an sich, aber das schwankt stark danach, wie viel Zeit und Bock ich grad hab. Manchmal verpasse ich bspw. keinen Polittalk, gerade seit Monaten keinen mehr gesehen.
Bisschen Artikel überfliegen auf den Seiten der großen Zeitungen und bei Tagesschau ist immer drin.
Manchmal triggern Themen mein Interesse so sehr, dass ich, falls Zeit da ist, ein bisschen deepdive, oft sind Diskussionen der Anlass.

Grundsätzlich ist mein Problem eher, dass mir die Zeit fehlt alles zu hören oder zu lesen, das mich interessiert. Darum kann ich mich über mangelndes Angebot insgesamt kaum beklagen, obwohl es manchmal natürlich ärgert, wenn einzelne Formate ihr Potenzial nicht nutzen oder einfach zu viel rumlabern und damit meine Zeit verschwenden. Aber x1,25/1,5 hilft natürlich. :deliver:

Von der Aufteilung her überwiegen wohl klar Langformate, obwohl ich schwer überblicken kann, wie viel Zeit ich wirklich über Newsseiten skimme.


Btw:
@Bootdiskette
Danke für die Liste. In ein paar Sachen werd ich mal reinhören. Kann seine App das ausgeben oder Handarbeit? :ugly:
 
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Ich hatte es die Tage schonmal irgendwo geschrieben. Teammitglied bei mir. Schlau, gute Noten, Bachelor of Science … uninformiert was Politik/Tagesgeschehen angeht. Es ist ein Jammer.
Sowas nenne ich gerne "Fachidiot". Wissen in bestimmten nicht-relevanten Bereichen, sonst Wissenslücken überall sonst.
Vor 10-15 Jahren war ich zugegeben nicht viel anders (zur Intelligenz kann ich nichts objektiv sagen. Für ganz dumm halte ich mich nicht, was ja null mit Allgemeinwissen zu tun hat), bis ich mal merkte wie peinlich so etwas im Alltag ist. Dauert natürlich, sich sowas auf die Kette zu schaffen. Auch wenn es heute durch die mediale Reizüberflutung und Feststellung wie neutral Quellen sind nicht unbedingt einfacher wird.

Jetzt kann man die typischen Stammtischantworten geben wie Erziehung bla, Leute auch in den "bildungsfernen" Schichten zu animieren, sich mehr für Politik und Co. zu interessieren.

Was passiert wohl, wenn man allen Smartphone und Co. wegnehmen würde und nur noch politische (neutrale) Quellen erlaubt wären. Rennen die Leute auf die Straße aus Langeweile dann auf die Straße :mond:?

Nutze für schnellen Überblick die Homepages der SZ und ne lokale Zeitung. Zahle bislang nicht für ein Abo oder Zugang zu allen Artikeln der Hauptseite, bisher kein Angebot dass mich vollkommen zufriedenstellt. Die Zeit gefällt mir auch ganz gut und hatte schon über ein Abo überlegt, aber komme da ggf. nicht hinterher von den Artikeln.
 
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Naja, das ist imo hat schon viel mit Sozialisation zu tun und zum Teil vielleicht auch einfach mit Persönlichkeit. Ich kenne einige sehr intelligente und auf ihrem Gebiet ausgezeichnete Leute, die sich schockierend wenig für allgemeine politische Zusammenhänge interessieren.
Das ist ja auch nicht an sich illegitim. Ich persönlich halte es zwar für eine staatsbürgerliche Pflicht, sich eine halbwegs informierte politische Haltung anzueignen, aber das muss offenbar nicht jeder so sehen - sagt sich ja auch leichter, wenn man sich per se dafür interessiert.
 
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Wie ich schonmal schrieb: Für jede Person gibts eigens zugeschnittende Infos für die er sich sowieso Intressiert und diese auch bekommt. Da wird dann auch gerne abgeschaltet wenn andere was ja anderes behaupten. Problem ist einfach die Masse an Dingen die auf der Welt jede Sekunde passieren und dann auch noch berichtetet werden. Mann kann halt nicht einfach alles aufsaugen: Das macht ja ein Putin mal als Beispiel - er lässt sich täglich den RohÖl Preis als Info zukommen, den intressiert dann nicht gerade was gerade in einem Grönland ein neues Jagdgesetz oder sowas durchgezogen wurde.
Man nimmt sich nur die relevanten Infos. Und bei ner Tagesschau versuchen die halt das in 15min zusammenzupacken. Es ist also garnicht möglich der bw.de MoD Reinigungskraftfrau weiss zu machen das der nächste Bitcoin Überflieger im raum steht.
 
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Wenn man mal ehrlich ist: so viel Einfluss hat man eben auch nicht in unserem System. Sofern man nicht an den Rändern wählt, kommt im großen und ganzen eh eine ungefähr gleiche Politiksoße bei raus.
Vor allem wenn man zur "Mehrheitsgesellschaft" gehört und sich nicht so dafür interessiert, warum unsere Gesetzte sind wie sie sind.

ZB Klimapolitik: wenn man nicht ganz schlecht verdient, kann es einem eigentlich egal sein, ob man wegen CO2-Steuer o.ä. jetzt 5k € mehr oder weniger im Jahr zur Verfügung hat, so einen großen Einfluss auf die allgemeine Lebensqualität hat das nicht.
Fährt man halt seinen Verbrenner, bis man sich irgendwann ein E-Auto kauft, "weil das alle so machen". Klar, bissl ignorant vielleicht, aber so unglücklich fährt man mit so einer Einstellung wahrscheinlich nicht.

Von den ganzen Id-Pol-Sachen ganz zu schweigen. Die sind zwar im Internet immer recht aufgebauscht, aber 95% der Bevölkerung tangiert das real doch im Prinzip gar nicht.

Wir sind hier auch in einer ziemlichen Bubble: jeder, der hier mitliest, tut das ja nur, weil er sich überdurchschnittlich für Politik interessiert. Sonst wäre er gar nicht hier.
 
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wer sich für politik interessiert macht es wegen des unterhaltungswerts. politik als freizeitbeschäftigung. der eine strickt, guckt fußball oder zockt diablo, der andere echauffiert sich auf twitter über gendergedöns oder klima. wenigstens hat der stricker am ende des tages nen neuen pulli, ich hab bloß ein paar posts auf bw.de mehr.

weil politik so wenig einfluss auf den einzelnen hat und der einzelne so wenig einfluss auf die politik ist für mich mit leichtigkeit vorstellbar warum sich so wenige dafür interessieren. wer auf der arbeit nicht prokrastinieren kann weil er mit operationen am offenen herzen oder was auch immer beschäftigt ist statt den ganzen tag auf reddit zu surfen setzt sich abends bestimmt nicht hin und liest, was er tagsüber alles spannendes verpasst hat. die einstellung desjenigen, der sich nicht für politik interessiert wird wohl sein "wenn cdu+fdp regieren gehen die steuern 2% runter, wenn spd+grüne regieren gehen die steuern 2% rauf, wen juckts". der zeitaufwand um in der politik auf dem laufenden zu bleiben rechtfertigt die zeitinvestition nicht. the juice isn't worth the squeeze.
und das würde ich nicht mal politikverdrossen nennen, es gibt einfach 1000 sachen die man statt spiegel lesen lieber machen könnte. der eine kann jeden bundesminister beim nachnamen nennen, der andere kennt sich mit autos besser aus. würde sagen, letzterer ist tendenziell der bessere gesprächspartner und glücklicher im leben.
 
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