Professionelles Texte-Einsprechen für Dokumentation

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Servus zusammen,

meine schon in der Grundschule mit zahllosen Vorlesewettbewerbs-Siegen begonnene Karriere als Vorleser nimmt einen neuen Höhepunkt: In 2 Wochen werd ich wahrscheinlich für ein Museum als "Erzähler" Fachtexte (ca. 10 Minuten "Produkt" insgesamt) im Studio einsprechen. Mir ist klar, dass professionelle Sprecher jahrelang trainieren und ich niemals auch nur annähernd auf so ein Level kommen werde. Aber es gibt bestimmt ein paar Tipps und Strategien, mit denen auch ich mich um Ligen verbessern kann. Ich denke da an sowas wie "mit weit offenem Mund einatmen, damit es lautlos ist" oder "bestimmte Zeichen für die Satzmelodie in die Texte malen". Kennt sich hier jemand mit sowas aus? Ich werde mich mit professionellen Sprechern (zu denen ich leider vorher keinen Kontakt kriege) und anderen nicht-Pros abwechseln und möchte natürlich, dass der Unterschied zu den Pros nicht zu groß wird.

Um das Ganze ein bisschen zu verkomplizieren: Es sind englische Texte. Ich habe durch längere Auslandsaufenthalte in englischsprachigen Regionen prinzipiell eine gute Aussprache, aber gerade die Fachwörter machen es natürlich nicht leichter.

Vielen Dank im Voraus!


PS. Warum mache gerade ich das? Ganz einfach: Das Museum wird aus Spenden/einem ehrenamtlichen Verein finanziert. Ein paar Profis konnten gewonnen werden und ich wurde eben auch gefragt.
 

Quint

,
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Im Dolmetscherstudium wird einem immer Stimme: Instrument des Erfolges nahegelegt, wobei das für zehn Minuten Text vielleicht etwas zuviel wäre - wenn du aber wirklich einen guten Eindruck hinterlassen willst und dein Talent weiter ausbauen möchtest, lohnt es sich. Ich habe das Buch nicht hier, generell geht es aber um das Entwickeln einer bestimmten Sequenz (die hier unvollständig ist):

1. Korrekte Haltung

Ich nehme an, dass du sitzen wirst - beide Beine auf dem Boden, Schultern zurück, Kopf aufrecht, manche visualisieren sich dabei auch einen Pfaden, der die leicht Brust anhebt.

2. Einatmen/Lächeln

Lieblingsgeruch (zu 99% Kaffee) vorstellen und tief in das Diaphragma einatmen, Bauchdecke hebt sich an, du solltest dabei allerdings keine bzw. kaum Anspannung spüren (Übungssache). Dabei das Lächeln anfangen - es macht unheimlich viel aus. Viele machen den Fehler, vor dem Einatmen noch zuviel Luft in der Lunge zu haben, dementsprechend macht es Sinn, noch einmal absichtlich länger auszuatmen.

3. Sprechen/Lächeln/Tennisball vorstellen

Beim Sprechen Lächeln und sich einen Tennisball im Mundraum vorstellen, der für deine Zunge durchlässig ist - du machst den Mund weiter auf und sprichst deutlicher.

Das sind die absoluten Grundlagen, und wenn dir die schon seltsam vorkamen, solltest du jetzt lieber nicht weiterlesen :ugly: Es ist ebenfalls sehr hilfreich, seiner Stimme eine bestimmte Form zu geben bzw. zu visualisieren - für viele ist das ein Wasserfall, den du an eine bestimmte Stelle projezierst. Ich fand diese Visualisierungsübungen auch ziemlich komisch, allerdings ist der Unterschied auf dem Band enorm.

Du solltest deine Stimme/dein Diaphragma davor auch definitiv aufwärmen und deinen Eigenton finden, dafür findet man aber genug Übungen im Netz. Dein Eigenton ist der Ton, auf dem du einen Ton extrem lange halten kannst ohne dich anzustrengen, ergo die perfekte Tonlage für dich. Im Wesentlichen fängst du an, "Eiiiiiiiins, zweiiiiiii etc." zu summen/singen und den Ton so lange wie möglich zu halten, ohne dich dabei anzustrengen. Dabei wirst du immer langsamer, so dass du im ersten Durchgang mit einem Atemzug vielleicht noch bis zehn kommst, am Schluß aber "Eiiiiins" bis zu 90 Sekunden oder länger halten kannst. Es geht natürlich auch mit einer Stimmgabel, aber nach ein paar Minuten des Einsummens/singens solltest du eine gute auditive/kinästhetische Vorstellung von deinem Eigenton haben.

Zwecks sauberer Aussprache gibt es diverse Möglichkeiten: Kronkorken im Mund ist die klassische Methode, die heute zwar etwas angezweifelt und als nicht sooo effektiv angesehen wird, in Londoner Dramaschulen oder im Schauspielunterricht aber immer noch Anwendung findet. Du versuchst trotz Kronkorken so sauber und verständlich wie möglich zu sprechen. In Stimme: Instrument des Erfolges gab es noch eine andere Übung: Du sprichst den Satz "Diese Sprechübung macht mir richtig Spaß" :ugly: neunmal und legst deine Zunge dabei jeweils an neun verschiedene Stellen an (minimaler Kontakt mit der Zungenspitze): Die vier Backenzähne, oben vor den Zähnen, weiter hinten am Gaumen, ganz hinten, unten vor den Zähnen und vor den Lippen. Danach änderst du die Vokale im Satz - "Dese Sprechebeng mecht mer rechteg Speß"/"Disi Sprichibing micht mir richtig Spiß" etc. und das Spiel geht von vorne los. Wenn du mit allen Vokalsätzen durch bist, sollten deine Zunge und Muskulatur im Mund zumindest die ersten paar Male schmerzen. Dabei kannst du auch die oben genannte Sequenz einstudieren und z. B. versuchen, trotz zugehaltener Nase so wenig nasal wie möglich zu sprechen.

Apropos:

Ich denke da an sowas wie "mit weit offenem Mund einatmen, damit es lautlos ist"

Das ist vielleicht für bestimmte Techniken sinnvoll, normalerweise kann man aber mit dem Mund bei weitem nicht soviel Luft aufnehmen wie mit der Nase bzw. auch mit jener lautlos einatmen.

Wichtig ist auch, dass du mit einer spielerischen Einstellung an die Sache herangehst: Da du nicht vor Publikum sprichst und quasi unendlich viele Versuche hast, kannst du ruhig ein paar Sachen ausprobieren und mit der Ton/Stimmlage spielen.

Bezüglich der englischen Aussprache: Du wirst dir innerhalb von zwei Wochen natürlich keinen Akzent antrainieren können. Du kannst aber einige typische Fehler vermeiden und auf bestimmte Punkte achten:

- Amerikanisches Englisch nicht mit britischem Englisch vermischen. Keine Ahnung, wie deine Vorgaben sind (Received Pronunciation aka Standard English aka "BBC English" ist sehr häufig der Standard), aber wenn du die Wahl und einmal deine Entscheidung getroffen hast, musst du auch dabei bleiben. Das gilt nicht nur für die Aussprache ("Trahnce" vs "Tränce"), sondern auch für den Gebrauch diverser Wörter (Autumn vs Fall).

- "the" vor Konsonant als unbetonten Schwa-Laut ("thä" cat) und vor Konsonant offen aussprechen ("thi" offer).

- Connected Speech: Ähnlich wie im Französischen gibt es auch im Englischen die Liaison: Hot tea -> Hotea, get up -> getup, etc.

- Betonung: Mach dir vor dem Sprechen bewusst, welche Wörter du betonen musst/willst. Das sind deine "Inseln", denen du bewusst Aufmerksamkeit schenkst, und zu denen du über die übrigen "Throw-away" Wörter via Connected Speech schwimmst.

Mehr fällt mir gerade nicht ein, es gibt natürlich noch x-Sachen zu dem Thema - ich empfehle die "Get Rid of Your Accent" Reihe, falls du in der Hinsicht noch Interesse hast. Schreib dann doch mal, wie es war :)
 
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Hi Quint,

soo, gestern war das Einsprechen. Vielleicht hatte ich da etwas zu tief gestapelt. Ich bin ein guter Vorleser, war während meines USA-Aufenthalts fast akzentfrei und hab auch schon mal einen Nachmittags-Sprechworkshop mit einer Logopädin gemacht. Viele Basics waren mir also vorher schon klar. Trotzdem waren noch eine ganze Menge deiner Tipps sehr hilfreich für mich, dafür noch ein großes Dankeschön! Z.B. mir noch mal klar zu machen, dass ich voll und ganz beim Amerikanischen bleibe, auch wenn der Rest britisch (bzw. angel-sächsisch ;-)) spricht, war gut; auch das "Lächeln beim Sprechen" hat glaube ich wirklich noch einen Unterschied gemacht.
Die Projektkoordinatoren sind zufrieden, die aus dem Studio fanden's auch gut und ich bin auch zufrieden, also rundum gut :-)
 
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