Polarisierung der Gesellschaft durch das Internet

Benrath

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Eventuell hatten wir das schon mal, aber aus aktuellem Anlass (Brexit, Trump, AFD, KKK, etc) bietet es sich mal wieder an.

Seht ihr eine Gefahr, dass das Internet dazu beiträgt, dass extreme Strömungen wieder mehr Gehör finden. Bietet es bestimmten Gruppen eine neue Plattform, so dass man sich eher traut seine Neigungen stärker auszuleben? Wäre es besser wenn diese Gruppen eher auf Grund gesellschaftlicher Normen schweigen würden?

Ich bin da etwas gespalten. Zum einen ist es eventuell gut, dass Extremmeinungen durch die gesellschaftliche Norm unterdrückt werden, aber sie sind dennoch da. Daher sind Probleme nicht gelöst, sondern nur versteckt. Daher muss man sich imho eher mit diesen Extremmeinungen auseinandersetzen und die Leute mit den besseren Argumenten bekehren, auch wenn bei einigen Hopfen und Malz verloren ist.

Wichtiger Aspekt ist hier die oft zitierte Meinungsfreiheit. Ist die teilweise (häufig fälschlicherweise angenommen) Anonymität eher schädlich? Fördert dies nicht gerade Aussagen, die man in einem direkten Gespräch nie tätigen würde?

Man kann sowohl positive als auch negative Beispiele sehen.
Plakatives, negatives Beispiel wäre Pädophilie bei der durch das Internet wahrscheinlich erst ein wesentlich größerer Markt für Bilder und Filme entstanden ist. Wobei mir nicht klar ist, ob dadurch (zumindest in D) die Zahl der Fälle gestiegen ist, da afaik die meisten Fälle in einem familiären Umfeld passieren und nicht durch kommerziell motiviert sind.

Positive Beispiele, sind alle möglichen Selbsthilfegruppen für von der Norm nicht akzeptierte Lebensformen, z.B. Homosexualität.
 
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Natürlich haben durch das Internet nun auch Leute eine Plattform (wenn auch eine winzige), die das was sie online von sich geben in der Öffentlichkeit nicht sagen würden, aus Furcht vor einem direkten Feedback. Sei es YT-Verschwörungstheoretiker, Blogger oder irgendwelche privaten Foren.
Das ist aber okay, denn das Internet ist das Schlaraffenland für Nachrichtendienste und Verfassungsschutz, wo all jene die sich für anonym halten, einmal querbeet gescannt werden und die schwarzen Schafe auf Beobachtungslisten landen. Pre-Internet musste man mutmaßen/schätzen, wie viele Rechtsextreme und Linksextreme es so gibt. Heute muss man nur das, was die Leute online kommunizieren und welche Seiten sie besuchen überfliegen und die Sache wird klarer.
Oh und fühlt euch nicht zu sicher mit irgendwelchen IP Proxys. Was meint ihr wer die betreibt?
 

Deleted_504925

Guest
ich finde es gut das sich so gruppen zusammenfinden können. das dabei auch so dorftrottel vereinigungen wie die afd rauskommen ist eben ein nebeneffekt den man ertragen muss.
das mit argumenten bekehren wird aber schwierig da gerade solche randgruppen doch lieber in ihren echokammern bleiben weil sie doch (bewusst oder unbewusst) wissen das ihr weltbild keinem kritischen hinterfragen standhält.
ich treibe mich zur belustigung ja viel auf solchen seiten und yt kanälen rum und bin immer wieder erstaunt für wie groß sich solche grüppchen halten. versuch mal unter einem afd video den leuten zu erzählen das nicht 80% der bio deutschen die afd gut finden. :)

anonymität wird glaube ich überschätzt, wenn man sieht was leute schon mit klarnamen alles auf facebook und youtube posten. auf seiten wo sie sich sicher fühlen, wie dieses russische vk netzwerk, ist die steigerung gar nicht mal so groß.
da wird wird eben nur direkter gesprochen, auf facebook wird es eher bisschen umschrieben aber man weiss doch was gemeint ist.
 

Benrath

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Ich meine nicht nur den Effekt der Anonymität sondern die die indirekte Kommunikation ohne persönlichen Bezug. Gerade beim Mobbing in Schulen ist das imho ein starker Effekt. Es ist einem nicht direkt bewusst was man durch manche Kommentare anrichten kann. Man würde der betroffenen Person nie direkt sagen, dass er/sie eine "fette Sau" sei, aber als Online Kommentar scheint das gut zu gehen
 
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Ich frage mich da ja immer, ob die Extremmeinungen wirklich zugenommen haben oder ob man sie durchs Internet nur besser mitkriegt...auch vor 20 Jahren gab es Nazis oder Linksextreme, aber es war halt wesentlich unwahrscheinlicher mit denen (im weitesten Sinne) in Kontakt zu kommen.
 
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Ich finde es eigentlich ganz spannend, mir Meinungen von Leuten anzuhören oder zu lesen, die meinen Positionen und Werten diametral entgegenstehen. Hin und wieder versuchen Menschen ja auch, ihre Positionen einigermaßen unpolemisch zu verargumentieren auch wenn sie mich letztlich selten überzeugen.

Was Überzeugungsarbeit angeht, sehe ich trotzdem eher schwarz. Das liegt aber nicht am Internet sondern generell am menschlichen Ego und am erlernten Bias. Egal wie stichhaltig eine Argumentation ist, tendenziell bleibt am Ende doch jeder bei der Position, die er glauben will. Je extremer die Position desto stärker dieser Trend.

Sieht man ja auch sehr schön hier im Forum, wo ja seit Jahren die Meinungen aufeinanderprallen, aber es keiner geschafft hat, den anderen zu überzeugen. Spielt natürlich auch eine Rolle, dass Beiträge ja öfter Mal mit Beleidigungen/Abwertungen oder ner ordentlichen Provokation eingeleitet werden, da wird sich keiner, der nicht eh schon der Meinung ist denken: "stimmt, hast recht" sondern eher "Scheiß Gutmensch/Nazi/Dorftrottel/whatever ...".

Ansonsten glaube ich, dass die meisten Extrempositionen weniger aus echter Überzeugung als vielmehr aus Gründen der Selbstdefinition und -abgrenzung eingenommen werden, oder einfach um Aufmerksamkeit zu erregen.
 
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Ich bin davon überzeugt, dass die Erfindung des Internets am Ende eine der technologischen Entwicklungen sein wird, die den zwischenmenschlichen Umgang unglaublich stark beeinflusst haben. Wie genau die Konsequenzen aussehen werden ist natürlich die knackige Frage.
Letztlich ist die Theorie nicht besonders kompliziert, ihr habt das ja alle schon zusammenfasst. Der große Fluch und Segen zugleich sind zwei Punkte:
- Erstens: Die Rückholung von Randgruppen aus der gesellschaftlichen Isolation.
- Zweitens: Die Möglichkeit, Informationen zu speichern und unbegrenzt anderen zur Verfügung zu stellen.

Jeder findet jemanden mit der gleichen Meinung und ist nicht mehr allein. Das hat erstmal nichts mit Polarisierung zu tun, sondern erstmal mit einer gewissen Inselbildung, im Gegensatz zum früheren dicken "Landmassiv", was die einheitliche Gesellschaftsmeinung war. Was gerne als Individualisierung betrachtet wird, hat ja nichts direkt mit einem persönlich zu tun sondern mit der Insel, für die man sich gerade entschieden hat (Veganismus, Traveler, Sportfreak, usw usf).
Diese Aufspaltung in Inseln wird nun mit Hilfe des Internets noch verstärkt, da man sich seine eigene kleine Parallelgesellschaft aufbauen kann, inklusive Kommunikationsplattform, Bildung, Nachrichten und allem drum und dran. Hier kommt dann der zweite Punkt ins Spiel, bei der Sachen ohne jegliche redaktionelle Bearbeitung behauptet werden können. Und hier kommt dann die Polarisierung ins Spiel: Letztlich werden diese Inseln, obwohl alle Informationen frei verfügbar sind, zu kleinen Dorfgemeinschaften mit unglaublichem Misstrauen gegenüber allem, was ihren Ansichten widerspricht. Letztlich kann man hier wohl nur mit Bildung gegen vorgehen, Zensur oder sonstwas wird nicht helfen.
Was beim Thema Meinungsfreiheit imo immer etwas vergessen wird: Es ist vollkommen richtig, dass jeder das Recht hat und haben sollte, seine Meinung kund zu tun. Was mittlerweile aber viele Menschen vergessen haben: Nur weil ich es kann, muss ich es nicht immer machen.
 

manischExzessiv

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Diese ganzen freaks gab es auch vor den Zeiten des Internets. Der Unterschied ist einfach, dass sich jetzt diese ganzen freaks leichter offenbaren. Man hat das Gefühl, dass das jetzt mehr polarisiert und, dass es immer mehr werden aber das glaub ich nicht. MMn sind es nachwievor gleich viele. Vielleicht finden sie durch das Internet leichter zusammen aber ich glaube nicht, dass es eine größere Gefahr wäre als früher. Es gab zu jeder Zeit Menschen denen du die Katze im Sack verkaufen konntest oder eben auch nicht. Ähnlich wie mit den Rechten. Die gab es auch früher schon im selben Ausmaß. Bin als Ausländer mitten in Sachsen aufgewachsen und es war wirklich nie anders. Über die Jahre waren es mal mehr mal weniger genauso wie es heute auch ist. Der Großteil der Bevölkerung wird sich solchen Ideologien nicht nochmal im selben Ausmaß wie damals hingeben. Man könnte auch denken, dass die freaks durch das Internet einfacher rekrutieren können aber auch das halte ich für einen Trugschluss denn genauso leistet das Internet Aufklärungsarbeit. Ich verstehe zum Beispiel auch diese Diskussion über das verbieten von Hasskommentaren nicht. Ich würde sie nicht verbieten weil nur so die jeweilige gegenfraktion die Chance bekommt ihre Sichtweise darzustellen. Als Beispiel, so ein nazi wird einen anderen nazi nie eine andere Sichtweise aufzeigen können. Wenn aber der linke auf einen rechten trifft, ist es möglich, dass er mittels den richtigen Worte den nazi doch bekehrt und meinetwegen vice versa. Das heißt für mich, dass sich die Waage hält egal ob pre oder post internetzeit. Die Gesellschaft hat es definitiv verändert aber eben alle gleichermaßen.
 
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