in der gegend wo meine frau herkommt und eigentlich beispielsweise auch bei allen fernsehsendern (außer dem staatlichen TRT) wurde der mord sehr bedauert und tagelang die familie und werke von Dink mit sendungen bedacht. pamuk wird zwar etwas kritischer gesehen als dink, aber keinesfalls negativ, das schwankt zwischen neutraler und positiver berichterstattung, schlecht über ihn reden eigentlich nur die ganz alten und die ganz nationalen.
und eigentlich erstarken die ultranationalen nicht sondern werden eher schwächer, ein sehr großer teil der türkischen gesellschaft befindet sich in dem stärksten wandel den es je gab, und zwar einen wandel hin zu einem sehr westlichen lebensstil. es gibt quasi keine populäre serie oder fernsehsendung in welcher frauen unter 50 mit kopftuch oder ungeschminkt auftreten, es gibt neuerdings kurdische sendungen, die türkischen tageszeitungen sehen aus wie die BILD (ok das mag jetzt weniger positiv klingen, aber die hauptthemen sind da eben nicht religion oder wie man am besten in die eu kommt sondern ganz normale 0815 dinge wie eben in der BILD).
das problem ist eben "nur" die türkische politik, erdogan steht eigentlich weit rechts, bzw wird von quasi islamistisch/nationalistischen gefühlen und menschen gesteuert. z.bsp. war während des papstbesuches im staatlichen fernsehen das augenmerk eher auf die anti-papst proteste gerichtet, während die zeitungen und anderen sender sowie das volk selbst nicht müde wurde sich darüber aufzuregen, wie politik und polizei die ganze stadt während des besuches in einen fühlbar schlimmeren ausnahmezustand versetzt haben als wenn bush nach frankfurt kommt. jedem türken war quasi klar, dass die türkische regierung viele maßnahmen ergriffen hat um den papstbesuch dem gemeinen volk sowenig wie möglich schmackhaft zu machen. und alle haben sich darüber eben aufgeregt, teils weil sie selbst davon betroffen waren, teils weil sie ja auch wollen dass ihre repräsentaten im ausland auch nicht so scheisse rübergebracht werden sollen, teils weil gastfreundschaft dort eben sehr wichtig ist.
ein anderes beispiel ist erdogans frau, türkische massenmedien berichten immer wieder sehr negativ darüber, dass sie bei empfängen und in häusern wo man das eigentlich nicht darf ihr kopftuch trägt, weil eben ihr mann es ihr erlaubt. alle anderen dürfen das nämlich nicht (in öffentlichen gebäuden eben). man sieht also die prioritäten erdogans, er setzt sich über prowestliche bzw. ur(jung)türkische gesetze hinweg aus persönlichen interessen.
nur ist eben die politische alternative in der türkei meist genauso beschissen oder noch schlechter als erdogan & co. politik ist da schon ganz an der basis von korruption und vieler undemokratie durchsetzt. ist auch kein großes wunder in einem land, das erst seit ca. 80 jahren wahlen kennt und in dem viel auf die väter gehört und lieber der eigene vorteil gesucht wird (ok letzteres gibts überall, aber bei uns beispielsweise dafür eine halbwegs neutrale justiz).
die türkei ist eben arschlahm beim anpassen an den westen, aber sie tut es. noch vor 40 jahren hätte man dink und pamuk quasi direkt standesrechtlich erschossen, heute bekommen sie eben "nur" keinen richtigen polizeischutz. und was viele hier nicht verstehen ist, dass die türkei eben anders ist. bei uns schaut man mit missstrauen auf das türkische militär, das ja gerne mal putscht und viel mehr politischen einfluß hat als bei uns. aber die türken sind froh drüber, weil das militär so darauf achtet, dass islamisten nicht die oberhand gewinnen, viele sind davon überzeugt, dass nur dank des militärs erdogan beispielsweise nicht an seine geliebte scharia in großem stil einführt. und auch dieser zusammenhang geht vielen hier nicht in den kopf: wären die türkischen moslems alle so böse und gemein und halb islamistisch und haste nicht alles gesehen, dann wären sie überhaupt nicht erleichtert über die existenz eines militärs dass stark darauf "achtet", dass die regierung möglichst religionsfern bleibt.