Open Access in der Wissenschaft vs. Schattenbibliotheken

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Da wir hier ja einige (angehende) Wissenschaftler aus den verschiedensten Disziplinen unter uns haben würde mich mal interessieren, wie ihr bzw. in eurem Fach die Publikationkultur ist. Auf der einen Seite scheint es, dass Open Access gerade in den Naturwissenschaften lange gelebte Praxis ist, dafür gab es zuletzt den "Skandal" der "Predatory Journals", die für eine Veröffentlichung Geld genommen haben, offenbar ohne dass ein peer review, also eine Qualitätskontrolle, stattgefunden hat, sodass die wissenschaftliche Qualität der Veröffentlichungen eher zweifelhaft ist.
In den Geisteswissenschaften, wobei ich nur für die Rechtswissenschaften sprechen kann, gibt es so gut wie gar keinen Open Access. Alles wesentliche läuft über Fachverlage, die entsprechende Qualitätskontrollen vorsehen, dem Autor sogar ein Honorar zahlen (meist um die 500 € je nach Länge des Aufsatzes) anstatt selbst Geld zu nehmen, dafür aber im Fachhandel für die Zeitschrift oder eine Onlinelizenz beachtliche Summen aufrufen. Das widerrum führt dazu, dass die Beschaffung von Literatur oftmals mühselig ist, da die eigene Bibliothek nicht ausreichende Online-Lizenzen hat oder die Werke nur als Printwerke verfügbar sind. Von der Möglichkeit, den Bibliotheksbestand zu digitalisieren, machen nach meiner Kenntnis trotz rechtlicher Möglichkeit, wohl auf Grund von Druck der Verlage, nur die wenigsten Bibliotheken Gebrauch. Die Folge davon sind z.B. s.g. Schattenbibliotheken wie sci-hub, die über verschiedene Campuslizenzen eine Vielzahl an Zeitschriften abrufen und frei verfügbar machen.

Mich würde einfach mal interessieren, wie es bei euch so aussieht: habt ihr oder Kollegen Erfahrungen mit Predatory Journals gemacht, veröffentlicht ihr oder eure Kollegen Open Access oder über Fachverlage? Wie einfach/schwer ist die Literaturbeschaffung bei euch? Seid ihr auf die Nutzung von Schattenbibliotheken angewiesen oder pflegt ihr gar eine eigene, kleine Tauschbörse mit Kollegen anderer Fakultäten?
 
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Bin nun kein Wissenschaftler, sondern nur ein Master-Plebejer, kann aber trotzdem mal zwei Pfenning hierlassen:
In der Geschichtswissenschaft internationalisieren sich die Prozesse, sofern das Forschungsfeld es zulässt. Das sorgt dafür, dass auch vermehrt im open access publiziert wird. Das Kernproblem bilden die sehr stabilen Verhältnisse zwischen Lehrstühlen und Verlagen. Teils wird immer noch erwartet, dass bestimmte Quellen "oldschool", d.h. per gedruckter Bibliographie (z.T. 10 Meter Bibliotheksregal, Schriftgröße 5) ausfindig gemacht werden. Die Digitalisierung hält man hier aber auch nicht auf, leider hinkt gerade die dt. Forschung da wiedermal hinterher. Die von dir beschriebene Zwangslage, dass die Verlage immensen Druck machen, kann ich bestätigen. Richtiggehend eklig wird es, wenn man für ein Projekt auf obskurere / in Kleinstauflage publizierte Sachen zugreifen muss. Englischsprachige Publikationen sind nicht nur einfach auffindbar, sondern meist auch komplett lesbar. Bei lokalhistorischen Vorhaben gibts davon aber selbstverständlich keine.

Noch schlimmer ists in der Germanistik, v.a. dann, wenn Autorschaft an Stock im Arsch gekoppelt ist. Da hab ich aber zu wenig Einblick in die aktuelle Lage. Dürfte sich seit meinem Studium kaum verändert haben.
 
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Als Naturwissenschaftler bin ich ganz klar auf der Seite von Open Access. Ich finde es generell befremdlich, dass Verlage wissenschaftliche Arbeiten, die meist staatlich finanziert wurden und dann im Peer Review-Prozess von staatlich bezahlten Wissenschaftlern qualitätsgesichert werden, einfach so hinter einer Paywall verstecken dürfen.
Jede staatlich geförderte Forschung sollte frei verfügbar sein, alles andere ist Betrug am Steuerzahler.
 
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Das Thema "Predatory OA Journals" lässt sich recht einfach zusammenfassen: Wer als Wissenschaftler solche Fake-Journals nicht erkennt hat seinen Beruf verfehlt. Diese Journals sind so lächerlich offensichtlich Fake, dass da jeder der da freiwillig veröffentlicht genau gewusst haben muss worauf er sich einlässt, oder eben saudumm ist. Beides Ausschlusskrieterien für die Wissenschaft.

Das hat im Grunde nichts mit OpenAccess zu tun, außer, dass diese Journals halt damit werden OA zu sein. Das hat den einfachen Grund, dass ohnehin keine Unibibliothek dieser Welt in der einigermaßen zurechnungsfähige Bibliothekare sitzen auch nur einen müden Schekel für diese Scheiße rausrücken würde. So geben die sich halt den Anstrich modern zu sein. Predatory OA ist für seriöse Wissenschaftler kein Thema, sondern nur für Dünnbrettbohrer.

Es gibt einen Haufen gute Open Access Journals welche auch im ursprünglichen Sinne OA sind. Beispiele sind z.B. das Journal of Artificial Societies and Social Simulation und das Economics e-Journal. Die OA Angebote der großen Verlage sind einfach nur eine Masche, um auf andere Art und Weise die gleiche Kohle zu machen. Außerhalb der Rechtswissenschaften ist es meines Wissens quasi nonexistent, dass Autoren Geld bekommen (abgesehen von GEMA Auszahlungen natürlich). Ebenso ist es sehr unüblich, dass man für das Korrekturlesen von Artikeln Geld bekommt. Das stecken alles die Verlage ein. (Dieselben Verlage die ihre PDFs noch mit LaTeX-Toolchains von vor zehn Jahren kompilieren. Kein UTF-8, kein biblatex, kein KOMAScript… :8[: )

Ich bin dazu gezwungen nach der Reputation der Journals zu gehen solange ich noch die Chance auf eine wissenschaftliche Karriere am Leben erhalten will. Da kann ich schlecht zwischen OA oder normal, oder Elsevier und anderen unterscheiden. Ich muss nehmen was am besten gerankt und gleichzeitig passend und realistisch ist. Das ändert sich erst ein bisschen wenn man eine Professur hat.

OA ist super, Repositorien wie RePEC, sci-hub, arXiv usw. sind ein Segen für Wissenschaftler rund um die Welt. Wenn man die Artikel in der "FAZ" zu OA liest bekommt man dagegen den Eindruck, dass OA in der Hierarchie der schlimmen Dinge auf dieser Welt direkt hinter Hitler kommt. Beschissene Verlagshuren. Da wurde auch mal in der "Welt" (glaube ich) irgendein "Literaturwissenschaftler von Uni X" zu interviewt. Nach 1x Google kam raus, dass er gleichzeitig Kleinstverleger von irgendeiner obskuren Scheiße ist die niemand braucht, er aber gut davon profitiert, dass er über das UrheberR und das verweigern von Digitallizenzen einfach seine Bücher in immer neuen Auflagen den Unibibliotheken quasi aufzwingen kann weil sie halt doch einmal pro Jahr ausgeliehen werden. Der hat da dann auch von "der ENTEIGNUNG DER AUTOREN DURCH OA, OMG WTF!!!!!111" geschrieben.

MV: Dass Du OA gut findest verwundert ein bisschen. Alle Libertären die ich kenne finden OA Mist, weil es ihrer Meinung nach das Recht der Autoren auf die Vermarktung ihre eigene Leistung beschneidet. (Bei Profs an staatlichen Unis wohlgemerkt.)
 
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MV: Dass Du OA gut findest verwundert ein bisschen. Alle Libertären die ich kenne finden OA Mist, weil es ihrer Meinung nach das Recht der Autoren auf die Vermarktung ihre eigene Leistung beschneidet. (Bei Profs an staatlichen Unis wohlgemerkt.)

Jo, ich finde die meisten Libertären sehen Urheberrecht einfach falsch. Denn das "Recht" auf Vermarktung ist kein physisches Gut, an dem Besitz natürlich wäre, sondern letztendlich nur ein staatlich durchgesetztes künstliches Monopol. Meiner Meinung nach sollten Libertäre diesen staatlichen Eingriff in die freie Wirtschaft, in der es solche Monopole nicht gäbe, ablehnen. Urheberrecht ist meiner Meinung nach im Kern ein kommunistisches Konzept, kein libertäres.

Abgesehen davon finde ich es auch trotz aller libertärer Ideologie eher befremdlich, wenn jemand für eine vom Staat bezahlte Leistung verlangt, diese "frei" vermarkten zu müssen. Bei Unternehmen ist es vollkommen üblich, dass man mit dem Arbeitsvertrag unterschreibt, dass die während der Anstellung erschaffenen immateriellen Vermögensgüter dem Arbeitgeber zustehen. Wieso sollte der Staat das nicht ebenso handhaben? Es steht dann jedem Professor frei, sein Gehalt nicht anzunehmen bzw. die staatlichen Fördergelder für seine Projekte auszuschlagen.
 
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