Krieg

Photon

Lyric-Contest Sieger 2012
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Da mein ursprünglicher Plan, was neues zu schreiben, zeitlich nicht so ganz hingehauen hat, muss hier jetzt halt ein Ersatztext ran, den ich schon vor einer ganzen Weile geschrieben habe. Eigentlich einfach eine Art Fantasyfragment (und falls es jemand im Internet findet, das hab ich schon auf meinem Blog hochgeladen, ist also nicht geklaut ^^).
Meine andere Idee wäre vielleicht besser gewesen, aber die Quelle, die ich dafür brauchte, kam erst an Weihnachten. :/

Hier ist es:

Krieg

Es klang, als würde die Schlacht draußen schon stattfinden, dabei wurde sie gerade erst vorbereitet. Aber die verschiedenen Rufe und das Klirren der Waffen und des Pferdegeschirrs kamen so gedämpft durch die Zeltwände, dass man sie schon mit Kampfgeräuschen verwechseln konnte. Im Zelt produzierte, bis auf den Offizier, der eine aufstachelnde Rede hielt, niemand ein lautes Geräusch. Die Soldaten standen diszipliniert in Reihen neben- und hintereinander. Zwar unterschieden sich sie sich stark voneinander, sowohl im Körperbau, als auch im Alter und sogar im Geschlecht, doch es waren die einzigen Kämpfer auf der Seite des Kaisers, die keine kurzfristig bezahlten Söldner darstellten. Die meisten von ihnen waren natürlich Männer, die äußerst unterschiedliche, aber meist sehr edle Rüstungen trugen. Dagegen bestanden die ersten zwei Reihen hauptsächlich aus Frauen, die die gleichen silbern glänzenden Rüstungen und weißen Umhänge trugen. Lanya war eine von ihnen, doch nicht zum ersten Mal fragte sie sich, was sie hier eigentlich tat. Sie war gerade einmal 17 Jahre alt, hatte hellblonde Haare, die ihr gerade bis zur Mitte des Halses reichten und smaragdgrüne Augen. Sie wirkte um einiges schmächtiger als ihre Kameradinnen, dabei war sie nicht einmal besonders klein. Doch sie gehörte als das neueste vollwertige Mitglied zur „Leibwache des Glaubens“, der Truppe, die hauptsächlich aus Frauen bestand und die Priester beschützen sollte. Das Angebot, darin aufgenommen zu werden, hatte sie damals dankend angenommen.
„Jeder hat einen Platz auf dieser Welt“, hatten sie jahrelang in der Weißen Stadt gepredigt, in der Lanya als Tochter eines einfachen, aber sehr ehrgeizigen Kaufmanns aufgewachsen war.
„So wie nicht alle Männer von Gott für den Kampf geschaffen wurden, so wurden auch nicht alle Frauen für die Heirat geschaffen. Sollten sich hier irgendwelche Mädchen dazu berufen fühlen, aus dem normalen Leben auszubrechen, sucht uns auf!“
Und sie hatte die Priester aufgesucht. Da war etwas in ihr … sie fühlte sich nicht, als könnte sie jemals ein befriedigendes Hausfrauenleben führen. Doch jetzt wäre sie am liebsten in die Weiße Stadt zurückgekehrt und wäre zu einem normalen Leben zurückgekehrt. Aber Weglaufen war nicht mehr möglich. Sie stand aufrecht zwischen Klarissa und Miana in der ersten Reihe und ließ sich von diesem Befehlshaber anbrüllen und „motivieren“, was eher das Gegenteil von dem bewirkte, was es bewirken sollte. Sie konnte sich nicht einmal an Rang und Namen dieses Offiziers erinnern.
„Was zitterst du so, du halbe Portion? Hier ist kein Platz für Feiglinge und Angsthasen! Wie bist du hier überhaupt reingekommen?“
Er hatte Lanya selbst bemerkt und schrie ihr nun direkt ins Gesicht. Sie zitterte nur noch mehr, blieb aber still und versuchte weiter, diszipliniert dazustehen. So wie es von ihr erwartet wurde. Normalerweise wäre sie jetzt sehr wütend auf den Offizier geworden, doch in dieser Situation konnte sie nicht einmal mehr Zorn entwickeln. Und neben den Anderen wirkte sie wirklich irgendwie unpassend. Klarissa, 25 Jahre alt, kurze braune Haare, war zwar sogar ein wenig kleiner als Lanya selbst, dafür aber doppelt so breit und muskulös. Und sie hatte schon eine ganze Reihe Kämpfe hinter sich. Sie war die Person gewesen, die Lanya durch die Ausbildung begleitet hatte und ihr gezeigt hatte, was es hieß, eine Kriegerin zu sein. Auch noch vor dieser Schlacht hatte sie tröstende Worte gefunden.
„Vergiss nicht, wir sind nur die Leibwache. Wir beschützen nur die Priester und Offiziere. Mach dir keine Sorgen über Morgen, in den meisten Fällen reicht die Schlacht nicht einmal bis zu uns. Bleib einfach nah bei mir, dann wird dir nichts geschehen.“
Doch jetzt stand Klarissa unbeweglich und mit steinernem Gesicht neben ihr und nicht einmal ihr Anblick konnte Lanya Trost spenden. Nah beieinander konnten sie in der Schlacht auch nicht stehen, waren ihnen doch relativ weit auseinanderliegende Positionen zugeteilt worden.
Neben Miana auf der anderen Seite wirkte sie noch weniger wie eine Kämpferin. Während Lanya und Klarissa, wie meist üblich war, Einhandschwert und Schild benutzten, hatte die sie beide um einen ganzen Kopf überragende Miana sich für einen riesigen Zweihänder als Waffe ihrer Wahl entschieden. Lanya konnte ihr Schwert noch nicht einmal lange vom Boden aufheben, doch Miana besaß die entsprechenden Muskeln, um es sogar mit einer Hand zu tragen. Dabei strahlte sie die selbe kalte Grausamkeit wie ihr Schwert aus, dessen Griff und Knauf komplett aus schwarz glänzendem Metall bestanden. Sie hatte schulterlange, glatte und rabenschwarze Haare, eiskalte, ebenfalls fast schwarz wirkende Augen und einen eisigen Zug um die Mundwinkel. So gut wie jeder Mann hätte vor ihr Angst gehabt, hätte er sie so gesehen, dabei war sie erst 22 Jahre alt. Doch sie hatte schon fast so viele Kämpfe wie Klarissa hinter sich. Sie war die, die das jüngste Alter besaß, 15 Jahre erst, als sie vollwertige Leibwache geworden war. Lanya bewunderte sie zwar, konnte aber nie wirklich etwas mit ihr anfangen. Sie wirkte unnahbar.
Das Schwert in Lanyas rechter Hand entglitt fast ihrem Griff, so stark schwitzte sie schon. Sie hasste es. Es fühlte sich einfach nicht richtig in ihren Händen an, zu schwer, zu lang, doch mit anderen Waffen konnte sie noch weniger anfangen. Messer und Dolche waren leider im direkten Kampf unbrauchbar.
„Bereit? Enttäuscht uns nicht!“ schrie der Offizier ihr mit starkem Mundgeruch direkt ins Gesicht, nachdem er seine Rede fertig gehalten hatte. Sie nickte nur. Dann wurde sie schon von der Menge hinter ihr in Richtung Ausgang des Zeltes gedrückt.
Es war Zeit für ihre erste wirkliche Schlacht.

Eine ganze lange Weile geschah nichts. Kein einziger feindlicher Soldat kam in die Nähe des Hügels, auf dem sich die Offiziere und Priester postiert hatten, um einen besseren Überblick über die Schlacht zu gewinnen. Allerdings liefen fast die ganze Zeit Kuriere, die Nachrichten vom und zum Schlachtfeld trugen, an Lanya vorbei. Die Leibwachen waren in einem weit gefächerten Kreis um den vielleicht 10 Meter hohen, aber sehr breiten Grashügel, auf dem eine einzelne Linde stand, aufgestellt. Lanya stand in Richtung des Schlachtfeldes, konnte aber weder die Schlacht sehen, noch die Besprechungen der Offiziere hören, da sie sich am Fuße des Hügels in einer kleinen Tiefe, neben dem Pfad, den die Kuriere benutzten, befand. Sie hörte nur den Kampflärm aus der Ferne.
Obwohl scheinbar nichts geschah, blieb sie doch unruhig. Sie hatte keine Ahnung, wie die Schlacht verlief und ob sie irgendwann doch kämpfen musste. Es war die Unsicherheit, die langsam an ihren Nerven zu zehren begann. Als der nächste Kurier an ihr vorbeilief, rief sie ihm zu:
„Wie ist die Lage?“
Der junge braunhaarige Läufer blieb kurz irritiert stehen, weil ihn eine Wache etwas gefragt hatte, was eher unüblich war, dann setzte er seinen Weg fort, rief aber nach hinten:
„Sie versuchen, hierher durchzubrechen!“
Diese Antwort machte Lanya nur noch nervöser. Geklärt hatte sie die Frage nach dem Stand der Schlacht eigentlich nicht, aber sie machte ihr nur weiter bewusst, dass zu jedem Zeitpunkt Gegner auftauchen konnten. Ihre Unsicherheit nahm nur zu.
Die Sonne war schon weit nach Westen vorgedrungen und schien ihr ins Gesicht, als der gleiche Kurier, diesmal rennend, an ihr vorbeikam und ihr ohne ihre Nachfrage zurief:
„Sie sind durchgebrochen!“
Sie hob Schwert und Schild vom Boden auf und wartete. Die ersten Gegner mussten in ihrer Nähe auftauchen. Aber eine quälend lange Zeit geschah immer noch nichts. Bis plötzlich ein Mann vor ihr stand. Durch die Sonne geblendet, hatte sie ihn viel zu spät gesehen. Sie konnte gerade noch ihr Schild hochreißen, während der feindliche Soldat mit seinem Zweihandschwert ausholte.
Der Schlag traf sie mit einer viel größeren Wucht, als sie es erwartet hatte. Es war ein weit von hinten mit voller Kraft ausgeholter Schlag von oben auf ihr Schild, der es fast zum Bersten brachte und dabei so hart auf ihren Arm aufschlug, dass Knochen darin brachen. Für einen kurzen Moment spürte sie es nicht, dann fuhr der Schmerz wie ein Blitz so stark in ihren Arm, dass sie sich zusammen krümmte und laut aufheulte. Der Gegner lachte.
„Schwächliche Frau!“
Kurz war sie noch benommen, doch dann sah sie durch ihre unkontrolliert fließenden Tränen sein Schwert auf der rechten Seite im Sonnenlicht aufblitzen. Diesem Schlag konnte sie gerade so ausweichen, doch ihr längst nutzlos gewordenes Schild fiel ihr aus der Hand. Ein Konter war so nicht möglich. Sie versuchte trotzdem selbst einen Schlag mit ihrem Schwert, doch der Mann musste nur ein kleines Stückchen zurückweichen und sie konnte ihn nicht mehr erreichen. Das Einhandschwert hatte eine viel zu kurze Reichweite gegen seinen Zweihänder. Der Schmerz in ihrem Arm lähmte sie fast. Immerhin stand sie nach dem Schlagabtausch nicht mehr direkt gegen die Sonne. Der Mann, eindeutig ein Söldner mit einer selbstgemachten Lederrüstung, holte schon wieder zu einem Schlag von oben aus. Sie versuchte, nach hinten auszuweichen. Doch sie hatte die Länge seines Schwertes falsch eingeschätzt. Zwar konnte sie verhindern, dass er ihr den Schädel spaltete, aber die Spitze seines Schwertes traf ihre Stirn und schnitt ihr das halbe Gesicht auf, quer durch ihr linkes Auge. Sofort schoss das Blut aus der Wunde. Sie schrie auf, versuchte irgendwie, mit dem gebrochenen Arm den Blutfluss aufzuhalten. Der Mann lachte noch einmal.
„Was haben diese Priester in den Köpfen, solche Leute zu ihren Leibwächtern zu machen?“
Lanyas Gesicht begann jetzt erst, wie die Hölle zu brennen und ihre Sicht trübte sich langsam. Trotzdem versuchte sie irgendwie noch einmal, mit ihrem Schwert nach seinen Beinen zu stechen, doch es war vergeblich. Er, wohl stark von seinen mit voller Kraft weit von hinten ausgeholten Schlägen überzeugt, benutzte einen weiteren. Sie konnte nur ein kleines Stück zur Seite weichen. Es reichte, nicht in zwei Teile gespalten zu werden. Von hinten hörte sie Klarissas Kampfschrei. Doch der Schlag traf sie ihren gebrochenen Unterarm, mit dessen Hand sie sich das Gesicht hielt, noch mit voller Wucht, durchtrennte diesen sofort und schnitt tief in das Fleisch und den Knochen ihres Oberarms. Überall war Blut.
Ihr wurde schwarz vor Augen.
 

Green Monkey

Lyric-Contest Sieger 2009, Lyric-Contest Sieger 20
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Die Geschichte ist im Prinzip aufgeteilt in einen ersten Part, in dem um die Einführung der Hauptperson gilt, eingebettet in die Standardszene „Offizier begüßt neue Rekruten“ und einen zweiten Teil, in dem die Hauptperson dann an einer Schlacht teilnimmt. Zur ersten Hälfte habe ich nicht viel zu sagen, aber das letzte Drittel der Geschichte hat mir sehr gut gefallen, weil die Erwartungen unterlaufen werden. Die Realitätsnähe ist erschreckend innovativ, das 17-jährige Mädchen entpuppt sich nicht als typisches Wunderkind Hollywoods, sondern wird im ersten Moment des Krieges zerpflückt. Das Offene Ende ist auch hier eine stilsichere Wahl.
 
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