Jostein Gaardner -Israel Essay auf deutsch gesucht

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Jostein Gaarder -Israel Essay auf deutsch gesucht...und gefunden(hier veröffentlicht)

Wie man hier
unter dem Punkt "Kontroverse" nachlesen kann hat Gaarder kürzlich ein heftig umstrittenes Essay bzgl. der israelischen Offensive veröffentlicht.-Leider auf norwegisch.

Dieses Essay suche ich auf deutsch.


-Ich bin momentan auf Arbeit und kann mich deshalb nicht voll und ganz auf google stürzen.
Erste Anfragen lieferten keinen Erfolg :(
Vielleicht hat ja hier jemand eine Adresse.


Grüße Oliver
 
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hier gibts das ganze auf englisch und hier auf deutsch.

schon ein sehr interessanter versuch von gaarder, die welt doch noch zu verbessern.
 
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WOW.

Der Artikel ist radikal, aber gefällt mir. Und für mich hat er mit diesem Statment aufjedenfall seine Legitimation gefunden:
Zu spät differenziert Gaarder und unterscheidet zwischen dem Israel von 1948 und von 1967. Am Ende hebt er dies wieder auf ("Wir anerkennen nicht den Staat Israel"). Das ist ungeschickt. Aber ein Autor hat auch das Recht in der Stunde der Verzweiflung und Wut ungeschickt zu sein.
(Gregor Keuschnig)

Hier der Artikel samt Einleitung sowie die Kommentare :


Jostein Gaarder entzieht Israel seine Anerkennung
Der norwegische Autor Jostein Gaarder, berühmt für sein eher schlichtes Philosophiepotpourri "Sophies Welt", hat am 5. August unter dem Titel Gottes auserwähltes Volk eine Prophezeiung gegen Israel getätigt, die, obwohl literarisch formuliert, in dieser Form in Deutschland wenig Chancen auf Erstveröffentlichung hätte: Gaarder spricht dem Staat Israel darin das Recht auf Anerkennung ab. Im Duktus des Propheten Amos sagt er den Zerfall der israelischen Staatsstrukturen voraus und bittet um Gnade für die Flüchtlinge - eine Prophezeiung, die der des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad zu gleichen scheint: "Dieses Regime (...) muss von den Seiten der Geschichte verschwinden" (was üblicherweise falsch übersetzt wird mit "Israel muss von der Landkarte getilgt werden).

Gaarder hat also in ein Wespennest gestochen, die Reaktionen waren erwartungsgemäß heftig. In einem offenen Brief an die Norweger schreibt Shimon Samuels vom Simon-Wiesenthal-Zentrum: "Gaarder geht weiter als jeder zeitgenössische Antisemit ... Gaadger seht sich danach, das Licht der jüdischen Souveränität auszulöschen und den ewig wandernden Juden erneut der europäischen Duldung zu überlassen - diesmal mit 'Milch und Honig' auf dem Todesmarsch".
Nach drei Tagen teilte Gaarder mit, um seine Sicherheit besorgt zu sein und sich nun aus der Debatte zurückzuziehen. Andererseits erhielt Gaarder, der den Text vor der Veröffentlichung mit Nahostexperten durchgegangen war, auch sehr viel Unterstützung von Juden, die sich nicht mit dem kriegführenden Israel identifizieren. Seine scharfe Kritikerin Mona Levin ("das Schlimmste, was ich seit Mein Kampf gelesen habe") traf er und überzeugte sie, kein Antisemit zu sein. Was also sind Gaarders Argumente?
IsraelischeMaedchen.jpg
Israelische Mädchen beschriften Geschosse, die für den Beschuss des Libanon bestimmt sind. (Photo: AFP)
Zunächst: Natürlich verneigt sich Gaarder vor den Opfern der Verbrechen des Holocaust und der Judenverfolgung, und trotz seiner Radikalität durchsetzt Gaarder seinen Text mit den selbstverständlichen Verurteilungen von Terrorangriffen auf Zivilisten (durch Hisbollah), aber - fügt im gleichen Satz israelischen Staats-Terror hinzu. Er verurteilt die Entführung von Soldaten durch Hisbollah und Hamas, aber - er stellt ihr sofort die Entführung palästinensischer Abgeordneter und Minister gegenüber.
Vor allem jedoch: Er anerkennt das völkerrechtlich bestätigte Israel von 1948, aber - nicht das, was seitdem (aus seiner Sicht) daraus geworden ist, das Israel der Annexionen, das Israel, das der UN-Resolutionen und der Beschlüsse des Internationalen Gerichtshofs spottet, und das deshalb auch nicht hinter UN-Resolutionen Schutz zu suchen hätte. Er identifiziert den Staat Israel mit jenem radikalen religiös oder rassistisch fundierten Zionismus, der als rechter Mainstream die Regierung stellt, den Ausbau von Siedlungen vorantreibt und erbarmungslos Krieg führt. Diese Identifikation ist vermutlich die problematischste im Text. Ist es legitim, die radikalen religiösen und rassistischen Bevölkerungsteile Israels mit Israel zu identifizieren? Ist es illegitim, wenn doch diese Bevölkerungsteile die Politik des Staates Israel wesentlich zu bestimmen scheinen? Oder legitimieren gerade die jüdische und israelische Geschichte einen militanten Zionismus, der zur ethnischen und politischen Neuordnung des Nahen Ostens um der Existenz des jüdischen Staates willen gezwungen ist?

Ich glaube, dass Gaarder kein Antisemit ist, aber dem Zionismus kritisch gegenübersteht. (Allerdings gibt es auch Publizisten wie H.M. Broder, die Antizionismus für in jedem Fall antisemitisch halten und daraus dann sogar die absurd anmutende Konstruktion des antisemitischen Juden ableiten, um jüdische Antizionisten zu delegitimieren.) Die Anerkennung des Existenzrechts Israels gehört jedoch in Deutschland aus guten Gründen zur Staatsraison (Google findet im deutschen Internet übrigens 83.300 mal die Formulierung "Existenzrecht Israels", nur 76 mal wird das das "Existenzrecht Palästinas" erwähnt) und diese Anerkennung wird in der Regel als bedingungslos verstanden. Gaarder knüpft nun Bedingungen daran: die Unterordnung unter das Völkerrecht, die Wahrung moralischer, humanistischer Ansprüche in der Kriegsführung und im Umgang mit der arabischen Bevölkerung. Er vergleicht Israel mit Südafrika und macht klar, dass er mit Israel nicht das Land, sondern die staatliche Struktur meint - andererseits illustriert er auch, dass ein Zusammenbrechen des bestehenden Staates wohl einen teilweisen oder völligen Verlust des Staatsgebietes nach sich ziehen würde. (Tatsächlich präzisiert Gaarder anderenorts, dass er selbst mit dem Text auf literarische Weise die Intention der Mahnung verbindet und persönlich nicht das Existenzrecht Israels in Frage stellt.) Könnte/sollte ein solcher Text wie Gaarders Prophezeiung und literarische Lossagung von Israel, dem Staat, dem Regime, auf Deutsch publiziert und als Mahnung verstanden werden? Wiegt die Gefahr, dass sie in den Dienst von Antisemitismus gestellt oder schlicht mißverstanden wird, ihren Wert als Beitrag zur Diskussion des Nahostkonflikts auf? Einen Beitrag, der sich jene unmodische Position zu eigen macht, die in Europa nach dem Krieg unter dem Eindruck der Bombennächte verbreitet war, aber nun in Vergessenheit geraten ist: den Humanismus? Ich glaube, dass das der Fall ist.

Ich füge hier eine deutsche Fassung an, die ich nach der englischen Übersetzung des Simon-Wiesenthal-Zentrums angefertigt habe (diese Fassung stimmte stark mit einer unabhängigen Übersetzung von Sirocco überein, an den abweichenden Stellen habe ich trotz Unkenntnis des Norwegischen das Original konsultiert). Ich hoffe, auch angesichts des sensiblen Themas, nicht zu viele Fehler hinzugefügt zu haben.



Gottes auserwähltes Volk
Jostein Gaarder, Aftenposten 05.08.06

Aus dem Englischen übersetzt nach einer Übersetzung aus dem Norwegischen des Simon-Wiesenthal-Zentrums
http://norskisraelsenter.no/engl/antis/2006-08-08-swc-gaarder.php#garder-artic


Es gibt keine Umkehr. Es ist an der Zeit, eine neue Lektion zu lernen: Wir erkennen den Staat Israel nicht länger an. Wir konnten das südafrikanische Apartheid-Regime nicht anerkennen, und ebenso wenig das afghanische Taliban-Regime. Und es gab viele, die Saddam Husseins Irak oder die ethnischen Säuberungen der Serben nicht anerkannten. Wir müssen uns nun an den Gedanken gewöhnen: der Staat Israel in seiner jetzigen Form ist Geschichte.
Wir glauben nicht an die Idee eines von Gott auserwählten Volkes. Wir lachen über die Hirngespinste dieses Volkes und weinen über seine Untaten. Als Gottes auserwähltes Volk zu handeln ist nicht nur dumm und arrogant, sondern ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wir nennen es Rassismus.

Grenzen der Toleranz

Es gibt Grenzen unserer Geduld, und es gibt Grenzen unserer Toleranz. Wir glauben nicht an himmlische Versprechen als Rechtfertigungen für Besatzung und Apartheid. Wir haben das Mittelalter hinter uns gelassen. Wir lachen unbehaglich über jene, die noch immer glauben, dass der Gott der Flora, Fauna und Galaxien ein einzelnes Volk vor den anderen als sein Liebstes auserwählt und ihm lustige Steintafeln, brennende Büsche und eine Lizenz zum Töten überreicht hat.
Wir nennen Kindermörder ‘Kindermörder’ und werden niemals akzeptieren, dass diese ein gottgegebenes oder historisches Mandat besitzen sollen, das ihre Schandtaten rechtfertigt. Wir sagen nur dieses: Schande über alle Apartheid, Schande über Ethnische Säuberungen, Schande über jeden Terroranschlag auf Zivilisten, ob er nun von Hamas, Hisbollah oder dem Staat Israel verübt wird!

Skrupellose Kriegführung

Wir anerkennen Europas tiefe Verantwortung für das Leid der Juden und nehmen sie auf uns, für die schändliche Verfolgung, die Pogrome, und den Holocaust. Es war eine historische und moralische Notwendigkeit für die Juden, ihre eigene Heimat zu erhalten. Der Staat Israel hat jedoch, mit seiner skrupellosen Kriegführung und seinen abscheulichen Waffen, seine eigene Legitimität massakriert. Er hat internationales Recht, internationale Konventionen und unzählige UN-Resolutionen zum Gespött gemacht, und kann nicht länger Schutz von diesen erwarten. Er hat die Anerkennung der Welt mit einem Bombenteppich belegt. Aber fürchtet Euch nicht! Die Zeit der Not wird bald vorüber sein. Der Staat Israel hat sein Soweto gesehen. Wir sind nun am Scheideweg. Es gibt keine Umkehr. Der Staat Israel hat die Anerkennung der Welt vergewaltigt und wird keinen Frieden haben, bis er seine Waffen nicht niederlegt.

Ohne Verteidigung, ohne Haut

Mögen Geist und Wort die Apartheid-Wände Israels hinwegfegen. Der Staat Israel existiert nicht. Er ist nun ohne Verteidigung, ohne Haut. Möge die Welt deshalb Erbarmen mit der Zivilbevölkerung haben. Denn es ist nicht die Zivilbevölkerung, der unsere Untergangsprophezeiung gilt.
Wir wünschen dem Volk von Israel Gutes, nichts als Gutes, aber wir behalten uns das Recht vor, keine Jaffa-Orangen zu essen, so lang sie faulig schmecken und giftig sind. Es war erträglich, einige Jahre ohne die blauen Trauben der Apartheid zu leben.

Sie feiern ihre Triumphe

Wir glauben nicht, dass Israel vierzig getötete libanesische Kinder mehr beklagt als vierzig Jahre in der Wüste, vor dreitausend Jahren. Wir bemerken, dass viele Israelis solche Triumphe so feiern wie sie einst die Plagen des Herrn als „angemessene Strafe“ für das Volk Ägyptens bejubelten. (In dieser Geschichte erscheint der Herr, Gott von Israel, als unersättlicher Sadist.) Wir fragen, ob die meisten Israelis glauben, dass ein israelisches Leben mehr wert ist als vierzig palästinensische oder libanesische Leben.
Denn wir haben Bilder gesehen, auf denen kleine israelische Mädchen hasserfüllte Grüße auf jene Bomben schreiben, die auf die Zivilbevölkerung von Libanon und Palästina abgeworfen werden. Kleine israelische Mädchen sind nicht niedlich, wenn sie vor Freude strahlen über Tod und Qual hinter den Fronten.

Vergeltung von Blutrache

Wir anerkennen nicht die Rhetorik des Staates Israel. Wir anerkennen nicht die Spirale der Vergeltung der Blutrache von „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ Wir anerkennen nicht das Prinzip von einem oder tausend arabischen Augen für ein israelisches Auge. Wir anerkennen keine Kollektivbestrafung oder Bevölkerungsschlankheitskuren als politische Waffen. Zweitausend Jahre sind vergangen, seit ein jüdischer Rabbi die altertümliche Doktrin des „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ kritisiert hat.
Er sagte: „Tu an anderen, wie du wolltest, dass sie an dir tun.“ Wir anerkennen einen Staat nicht, der auf antihumanistischen Prinzipien gegründet ist, und auf den Ruinen einer archaischen nationalistischen Kriegsreligion. Oder wie Albert Schweitzer es ausdrückte: „Humanität besteht darin, dass niemals ein Mensch einem Zweck geopfert wird.“

Mitgefühl und Vergebung

Wir anerkennen nicht das alte Königreich Davids als ein Modell für die Karte des Mittleren Ostens im 21. Jahrhundert. Der jüdische Rabbi erklärte vor zweitausend Jahren, dass das Königreich Gottes keine kriegerische Wiederherstellung des Königreichs Davids ist, sondern dass das Königreich Gottes in und um uns ist. Das Königreich Gottes ist Mitgefühl und Vergebung.
Zweitausend Jahre sind vergangen, seit der jüdische Rabbi die alte Rhetorik des Krieges entwaffnet und humanisiert hat. Schon zu seiner Zeit waren die ersten zionistischen Terroristen am Werk.

Israel hört nicht zu

Zweitausend Jahre lang haben wir die Lektion des Humanismus einstudiert, aber Israel hört nicht zu. Es war nicht der Pharisäer, der dem Mann half, der, den Räubern zum Opfer gefallen, am Wegesrand lag. Es war der Samariter; heute würden wir sagen, ein Palästinenser. Denn zuallererst sind wir Menschen – dann erst Christen, Moslems, oder Juden. Oder, wie der jüdische Rabbi sagte: „Und wenn du nur deine Brüder grüßt, was tust du mehr als andere?“ Wir akzeptieren nicht die Entführung von Soldaten. Aber ebenso akzeptieren wir nicht die Deportation ganzer Bevölkerungen oder Entführung legal gewählter Parlamentarier und Minister.
Wir anerkennen den Staat Israel von 1948, aber nicht den von 1967. Es ist der Staat Israel, der den dem internationalem Recht entsprechenden Staat Israel von 1948 nicht anerkennt, respektiert und sich auf ihn bezieht. Israel will mehr; mehr Wasser und mehr Dörfer. Um das zu erreichen gibt es jene, die, mit Gottes Hilfe, eine Endlösung des palästinensischen Problems wollen. Die Palästinenser haben so viele andere Länder, haben bestimmte israelische Politiker argumentiert; wir haben nur eines.

Die USA oder die Welt?

Oder wie der oberste Beschützer des Staates Israel sagt: „May God continue to bless America.“ Ein kleines Kind bemerkte das. Sie drehte sich zu ihrer Mutter um und sagte: „Warum hört der Präsident seine Reden immer mit ‘God bless America’ auf? Warum sagt er nicht ‘God bless the world’?“
Dann gab es einen norwegischen Poeten, der diesen kindlichen Seufzer aus seinem Herzen entließ: „Warum nur schreitet die Menschlichkeit so langsam voran?“ Es war er, der so wundervoll über den Juden und die Jüdin schrieb. Aber er lehnte die Idee von Gottes auserwähltem Volk ab. Er selbst zog es vor, sich einen Mohammedaner zu nennen.

Gelassenheit und Gnade

Wir anerkennen nicht den Staat Israel. Nicht heute, nicht im Moment, da wir dieses schreiben, nicht in der Stunde von Trauer und Zorn. Wenn die gesamte israelische Nation ihrem eigenen Handeln erliegen sollte und Teile der Bevölkerung aus den besetzten Gebieten in eine neue Diaspora fliehen müssen, dann sagen wir: Mögen die Umgebenden gelassen bleiben und ihnen Gnade erweisen. Es ist ein ewiges Verbrechen ohne mildernde Umstände, die Hand an Flüchtlinge und staatenlose Völker zu legen.
Frieden und freies Geleit für die ausziehende Zivilbevölkerung, die nicht länger von einem Staat geschützt wird. Feuert nicht auf die Flüchtlinge! Zielt nicht auf sie! Sie sind verwundbar wir Schnecken ohne Haus, verwundbar wie langsame Karavanen palästinensischer und libanesischer Flüchtlinge, schutzlos wie Frauen und Kinder und Alte in Kana, Gaza, Sabra und Shatilla. Gebt den israelischen Flüchtlingen Obdach, gebt ihnen Milch und Honig!
Lasst nicht ein israelisches Kind mit seinem Leben büßen. Viel zu viele Kinder und Zivilisten wurden schon ermordet.


Gregor Keuschnig - 10. Aug, 08:47
Das Recht, ungeschickt zu sein
Ein sehr interessanter Text. Ich warte auf die Diskussion in Deutschland. Sollte er irgendwie in den Massenmedien publiziert werden (was ich nicht glaube), so dürfte Gaarder mittelfristig der Denunziation seines Werkes ausgesetzt sein. Scharen von Feuilletonisten werden seine (harmlosen) Bücher nach versteckten Invektiven durchsuchen.

Man kann tatsächlich über diesen Text herfallen. Insbesondere die Sprache; dieses appellative, dieses Sprechen wie ein Prophet oder ein religiöser Führer.

Mit dieser literarischen Art der Verfremdung tut sich Gaarder keinen Gefallen - und seinem Anliegen auch nicht. Er bezeichnet das Judentum, die Religion, als nationalistisch. Am Ende des Textes prophezeit er bereits die Vertreibung der Bevölkerung, gibt fiktive Anweisungen. Das erweckt natürlich den Gedanken, Gaarder wünschte sich dieses Szenario. So etwas muss natürlich provokant wirken und ist eine bequeme Vorlage der Gegner: Sie nehmen diesen Teil heraus und wollen damit das gesamte Geschriebene diskreditieren. So leicht hätte man es nicht machen dürfen.

Zu spät differenziert Gaarder und unterscheidet zwischen dem Israel von 1948 und von 1967. Am Ende hebt er dies wieder auf ("Wir anerkennen nicht den Staat Israel"). Das ist ungeschickt. Aber ein Autor hat auch das Recht in der Stunde der Verzweiflung und Wut ungeschickt zu sein.

Vor einigen Wochen bekannte der scheidenden Intendant Peter Voß, der auch gelegentlich den "Presseclub" leitet, in dieser Sendung (sinngemäss): Er habe schon im Freundeskreis einmal gesagt, dass Israel, wenn es so weitermache auf Dauer sich nicht werde als Staat halten können. Proteste überall - insbesondere natürlich in der entsprechenden Szene (im Internet). Voß wurde, nur weil er eine kausale These formuliert hatte, die nicht zwingend sein Wunsch sein muss (und es auch nicht ist) bereits als "Antisemit" beschimpft. Dies zeigt, wie weit wir in Deutschland sind (bzw. wie weit wir nicht sind).
antworten

stralau (anonym) - 10. Aug, 10:20
Ich finde den Text sehr unangenehm. Gerade weil nicht jede Kritik an Israel gleich dem Vorwurf des Antisemitismus ausgesetzt werden sollte, finde ich die Gleichsetzung jüdischer Religion mit israelischer Politik hochgradig gefährlich.

Des weiteren sollte er sich entscheiden, ob er Israel anerkennt oder nicht. Ein Aberkennen im Nachhinein, Souveränität auf Probe sozusagen, ist Quatsch.

Bei "Auge um Auge" liegt er mit der Interpretation falsch: der Mosetext ist rechtsgeschichtlich gesehen eine Einschränkung des ewigen Rachekreislaufes. Ja, die Bergpredigt geht darüber hinaus, ist aber auch ein paar hundert Jahre später geschrieben worden.

Es ist schon seltsam, daß Kritik an israelischer Politik manchmal ganz anders aussieht als die an anderen Kriegsparteien wie Rußland oder den USA.

Google findet übrigens ungefähr 114 000 mal Palästina Autonomie.
antworten

Markus (anonym) - 10. Aug, 11:17
Ungeschickt ausgedrückt - doch dies mit Absicht
Gaardner hat sich mit voller Absicht so ausgedrückt, um die Leute wach zu rütteln.
Ich finde, dass endlich einmal jemand das sagt, was viele denken. - Zwar in krasser Form ausgedrückt, aber absolut Richtig.

Keiner regt sich auf wenn Israel gewählte Politiker verschleppt oder tötet, keiner regt sich auf wenn Israel Flüchtlingslager angreift, keiner regt sich auf wenn Israel dies oder jenes Menschenrecht mit Füssen tritt - Alleine schon deswegen, finde ich den (evtl etwas überzogenen) Artikel absolut gerechtfertigt.
Und wenn er nur dazu dient, dass einige wieder einmal das Denken anfangen und Israel wegen ihrer Vergangenheit nicht immer in Watte packen.
DANKE
stralau (anonym) - 10. Aug, 11:33
Keiner regt sich auf ist Quatsch.

Aber gerade wenn man eine Sonderbehandlung vermeiden will, sollte die Aufregung nicht anders aussehen, als sie aussieht, wenn man Rußland bzgl. Tschetscheniens oder die USA bzgl. des Irak kritisiert.
antworten

Gregor Keuschnig - 10. Aug, 11:43
Einverstanden. Aber...
die Konnotation, dass es immer um "Alles" geht, also das Existenzrecht Israels und die Verknüpfung hierauf mit der jüngsten Geschichte wird gerade von israelischen Politikern, Intellektuellen und Kommentatoren immer ganz schnell ins Feld geführt (und damit jegliche unaufgeregte Diskussion im Keim erstickt).

Gaarders Provokation liegt darin, dass er diesen Fetisch pauschal negiert und ein Vokabular verwendet, welches den Gegnern ermöglicht, ihn sehr schnell dann in die Rubrik des Antisemiten "abschieben" zu können (das haben Sie wohlgemerkt nicht gemacht; ich rede allgemein bzw. in Kenntnis bestimmter Weblogs). Damit macht man es sich aber zu bequem. Die Frage ist nur, ob Gaarder nicht das Kind mit dem Bade ausschüttet.
stralau (anonym) - 10. Aug, 14:10
Ich habe eher das Gefühl, daß Garders Pathos Gefahr läuft, unaufgeregte Diskussionen zu verhindern. Zumal es nicht besonders hilfreich ist, einen politischen Konflikt zusätzlich mit religiöser Bedeutung aufzuladen.

Vermutlich gibt es sogar ein paar Isralis, die das so sehen, genauso wie es vermutlich im Libanon Menschen gibt, die diesen Konflikt religiös aufladen. Es stünde nichtbetroffenen Europäern aber gut an, besonnener zu sein.
Gregor Keuschnig - 10. Aug, 14:17
@stralau - Wieder einverstanden...
in dem Punkt, dass Gaarders' "Pathos" unaufgeregte Diskussionen vermutlich nicht erleichtern.

Den Hinweis, dass nichtbetroffene Europäer (inwiefern sind sie nicht betroffen? wer legt das fest?) "besonnener" zu sein haben, vermag ich nicht nachzuvollziehen. Es kommt mir ein bisschen wie das Argument vor, man solle sich nicht in die inneren Angelegenheiten einmischen... (bitte nicht glauben, dass ich Ihnen das unterstelle)
stralau (anonym) - 10. Aug, 14:35
Mit nichtbetroffen meine ich, daß wir nicht direkt vom Kriege betroffen sind.

Und ich denke schon, daß wir uns zum Kriege äußern sollten. Mit Besonnenheit meine ich eher eine zielführende Besonnenheit, die nicht noch zusätzliche Konfliktlinien erfindet, die so einfach nicht vorhanden sind.

Was ich mit den nichtbetroffenen Europäern meinte, ist, daß ich bei einem Libanesen, dessen Familie gerade Bombenopfer wurde, eine solche Haltung eher nachvollziehen könnte
erasmus (anonym) - 10. Aug, 15:40
unaufgeregte diskussionen waren in diesem punkt noch nie möglich, das weiß im deutschsprachigen raum vor allem der zdj durch scharfe formulierungen zu verhindern. wer es nicht glauben will, sehe sich nocheinmal die aussagen des herrn verleger an - und die reaktionen des zdj. inhaltliche auseinandersetzung: fehlanzeige.
mit gaarder geht es schon wieder ganz ähnlich los. die dpa hat weitgehend sinnentstellend zitate für einen agenturtext aus dem kontext gerissen, der dann mit aussschließlich ablehnenden meinungsäußerungen über gaarder, vorneweg die antisemitismusdiagnose von mona levin, zu einer polemik montiert, die man bestenfalls noch als kampagnenjournalismus bezeichnen kann. inhaltliche auseinandersetzung: fehlanzeige. kein wort zu gebrochenen resolutionen, kriegsverbrechen gegen die zivilbevölkerung, beschuß von uno-posten und flüchtlingslagern, als habe gaarder nicht konkretisiert, was er mit schandtaten meint.
das ärgerliche daran ist das ungeheuerliche moralische scheitern des westens, der sich als nachhaltig unfähig erweist, schlußfolgerungen aus der shoa zu ziehen. deshalb steht die universalität der menschenrechte in zweifel, weil - da hat gaarder leider völlig recht - mit duldung der usa und europas palästinensische oder libanesische leben weniger wert sind als israelische. israel diskreditiert vor den augen der welt westliche werte, indem es sich vom westen unwidersprochen als unschuldiges opfer geriert, wo es schon längst zum (mit-)täter geworden ist.
langfristig wird diese heuchelei auch auf uns zurückfallen, und niemand wird sich entschuldigen können, er habe von all dem nichts gewußt.
antworten

stralau (anonym) - 10. Aug, 15:54
Der Streit um Herrn Verleger ist ein interner des Zentralrates. Wo sind die konkreten Fälle, in denen der Zentralrat der Juden erfolgreich Einfluß auf deutsche Presseveröffentlichungen genommen hätte?

Oder anders gesagt: was zeichnet den Zentralrat aus, daß wir (Nichtjuden) von ihm eine irgendwie geartete Stellungnahme zur israelischen Politik erwarten sollten?

Worauf ich hinauswill: ich empfinde es als sehr problematisch, die Juden als Religionsgemeinschaft für die Politik Israels verantwortlich zu machen.
Gregor Keuschnig - 10. Aug, 16:03
Sehr problematisch
Ich empfinde es als sehr problematisch, die Juden als Religionsgemeinschaft für die Politik Israels verantwortlich zu machen.
Das empfinde ich auch als problematisch. Aber umgekehrt sehe ich keine Reflexion beim Zentralrat, der eine dezidierte (besonnene) Position im Nahostkonflikt einnimmt. Will sagen: Der Zentralrat fragt nicht nach unserer (Nichtjuden) Erwartung zur Stellungnahme im Nahostkonflikt - er gibt sie ab, und zwar hier (und - ich vermute mal - freiwillig).

Der Einfluss auf die öffentliche Meinung geschieht (im Verhältnis zu der Anzahl der Menschen, die durch ihm repräsentiert werden) stets sehr prominent in den Medien (bspw. wichtige Nachrichtensendungen).

Michel Friedman (lange Zeit an prominenter Stelle dort) sprach neulich von einer deutschen Staatsräson, was das Existenzrecht Israels angeht. Eine solche Blankoerklärung ist vollkommener Unsinn; das müsste jemand wie Friedman sehr wohl wissen.
stralau (anonym) - 10. Aug, 16:14
Aber umgekehrt sehe ich keine Reflexion beim Zentralrat, der eine dezidierte (besonnene) Position im Nahostkonflikt einnimmt.
Ja, das ist schade. Aber die Haltung des Zentralrates zur israelischen Politik ist von ähnlicher Relevanz wie die der evangelischen Kirche oder die der SPD. Deswegen verstehe ich nicht, was dieser mit Gaarder zu tun hat.

Zur Überrepräsentation in den Medien: ja, stimmt. Aber ich halte die Überrepräsentation auch nicht für schlimmer als die der christlichen Kirchen, Gewerkschaften oder Unternehmerverbände.
Gregor Keuschnig - 10. Aug, 16:33
Relevanz
Wenn ich richtig unterrichtet bin, leben in Deutschland (leider nur noch) 100.000 Juden. Kirchen oder Gewerkschaften repräsentieren sehr viel mehr Menschen, d. h. sie vertreten eine viel grössere Anzahl. Den "normalen" Mediengesetzen zufolge sind ist die Meinung des Zentralrates überproportional oft zu vernehmen. Ich kritisiere das nicht (es ist natürlich begründet aus der Geschichte) - ich stelle es nur fest.

Vergleichbare Organisationen, die sehr viel mehr Mitglieder vertreten, wie beispielsweise der Zentralrat der Muslime (der allerdings kein Monopol hat), sind sehr viel weniger medial präsent.

Die Relevanz ist auch relativ hoch - ich habe in den letzten Jahren keinen noch so kleinen Widerspruch prominenter und seriöser Politiker oder Intellektueller zu Thesen des Zentralrats bemerkt; auch wenn diese gelegentlich reichlich alarmistisch schienen. Sehr häufig tritt er als das "moralische Gewissen" in gesellschaftspolitischen Fragen auf. Übrigens oft mit Berechtigung und Erfolg.

Mit Gaarder mag das vielleicht dahingehend zu tun haben, dass eine Diskussion seines Textes aufgrund eines stillschweigenden Konsenses in den Massenmedien hier kaum erfolgen wird.
stralau (anonym) - 10. Aug, 17:05
Damit, daß muslimische Organisationen unterrepräsentiert sind, hast Du leider recht.

Ansonsten findet eine Erwähnung des Textes durchaus statt (heute kurze Besprechung in FAZ und Taz gelesen) -- ob der geringe Umfang der Betrachtung wirklich auf den Einfluß des Zentralrates der Juden zurückgeht, ist schwierig entscheidbar. Ich bezweifle es.
erasmus (anonym) - 10. Aug, 17:24
der zdj bezieht regelmäßig mit pressemitteilungen stellung zur berichterstattung in den medien. kritik an israel - wie auch immer im einzelfall begründet - wird regelmäßig aufs schärfste verurteilt:

"Besonders hinterhältig, ja fast schon antisemitisch ist ein Kommentar im WDR von Jürgen Hanefeld, wo die legitime israelische Verteidigung nun zum angeblichen Überfall auf den friedfertigen Staat Libanon" umgedeutet wird.

so nachzulesen unter http://www.zentralratdjuden.de/de/article/1036.html

in der selben pressemitteilung heißt es:

"Antiisraelische Propaganda in deutschen Medien ist leider keine Seltenheit und verwundert angesichts der Vorlagen aus der Politik nicht", so Vizepräsident Dr. Dieter Graumann kritisch. „Die Äußerungen von Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) im heutigen Tagesspiegel und anderer SPD-Volksvertreter, wonach die Handlungen Israels schlicht „völkerrechtswidrig" seien, entspringen den üblichen antiisraelischen Reflexen gerade dieser Politikerin. Wieczoreks Äußerungen entbehren zudem auch jeder moralischen und inhaltlichen Grundlage", so Graumann."

ich bezweifle, daß irgendjemand eine stellungnahme des zdj erwartet. das tut der zdj schon aus eigenen stücken. in der regel wird in den überregionalen tageszeitungen am nächsten oder übernächsten tag entsprechend zitiert.
das problem ist daher nicht, daß "die juden" als religionsgemeinschaft für das handeln israels verantwortlich gemacht werden, sondern daß der zdj eine höchst einseitige sichtweise des nahostkonflikts in die medien transportiert und kritik an israel wie gerade exemplarisch gezeigt unangemessen schroff abkanzelt und in anspruch nimmt, dabei für alle juden zu sprechen. der streit um rolf verleger ist somit auch nicht ein streit innerhalb des zentralrates, sondern innerhalb der jüdischen gemeinschaft insgesamt, der endlich auch den zentralrat erreicht hat.
zur innerjüdischen kritik am zentralrat siehe z.b.
http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Aussenpolitik/zentralrat.html
 
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