Henker

[fN]Leichnam

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05.10.2004
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Ein Henker bin ich, oder falsch, noch bin ich es nicht, jedoch soll ich einer werden, denn all die lange Zeit meiner sorgfältigen Ausbildung zielte darauf ab, jegliches Gefühl und Verständnis, was Leben bedeute oder bedeuten könne, restlos aus mir zu entfernen, mich allem so weit zu entfremden, dass kein zögernder Zweifel mich davon abhalten würde, nun wahrhaftig zum Henker zu werden, denn bald, so weiß ich, bald schon..

Mein Gesellenstück.

Dass ich zum Henker geboren war, wusste ich mit den ersten Regungen des frühen Bewusstseins, meine Gedanken legten sich erst vorsichtig, dann immer entschlossener um die gesamte mir wahrnehmbare Welt, kamen jedoch wohl aus Selbstschutz nie mit ihr in Berührung, sondern umspannten sie schließlich lückenlos und von ihr unbemerkt, wartend nunmehr, sie einzupressen.

Ich bin von Natur aus vorsichtig, den Henker sieht man mir nicht an, nie habe ich mich verraten oder Andeutungen gemacht. Auch weiß natürlich niemand vom Weg meiner Ausbildung, nur mir selber ist er noch vollständig bekannt mit all seinen Orten und Lehrern. Der Beruf des Henkers nämlich erfordert nicht die Mitarbeit eines Gehilfen. Es ist im Gegenteil eine Arbeit, die von einem Einzelnen sauber ausgeführt werden muss, um zu einem befriedigenden Ergebnis zu gelangen. Der Zeitpunkt rückt näher, da ich das Erlernte auf die Probe zu stellen habe. Ich schreibe diese Zeilen ohne jede Bewegung, mit der Missbilligung eines etwaigen Lesers rechnend, vielleicht auch mit erwartungsvoller Sensationsgier. Dies sind Dinge, die mich nichts angehen und auf die ich keinen Einfluss ausübe noch ausüben will. Ich bin nur dem Gegenstand meiner Arbeit verpflichtet; er ist alles, was mich interessiert. Ihm schulde ich eine angemessene Wesenslosigkeit meinerseits, denn es wird der entscheidende Schnitt in seinem Leben sein, dessen korrekte Ausführung ganz von mir abhängt. Eine falsche, womöglich geheuchelte Anteilnahme ist hier aus beiderseitigem Interesse nicht nur nicht erwünscht, nein, sie ist gänzlich fehl am Platze. Wie meine Kundschaft, man verzeihe mir den vielleicht unglücklichen Ausdruck, habe ich warme Augen und einen warmen Mund, ich bin kein Unmensch und kein Monster, und dieser meiner Ähnlichkeit und Verwandtschaft, um nicht zu sagen vollkommenen Gleichheit mit dem meine Arbeit betreffenden Geschöpf ist es geschuldet, dass man von mir ein mir unmögliches Mitgefühl fordert.

Den Raum betrete ich wie ein Gast, auch wenn ich die Blicke des Publikums auf mir spüre, als sei ich Hauptakteur und alles von mir abhängig, so als ginge es hier um mich. Ich trete meinem Delinquenten gegenüber, biete ihm die Hand; es wundert mich nicht, dass die seine mir wie ein Spiegelbild entgegen schnellt, auch das hierauf folgende einander Zunicken mit den Köpfen geschieht zeitgleich. Dann weise ich ihm mit respektvoll zurückhaltender Geste den Weg zum Schafott.
Sein Blick haftet die ganze Zeit über auf meinem Gesicht, während der Richter die offiziellen Worte spricht. Ich sehe es, weil auch ich mich nicht abwende. Dann kehrt Ruhe ein und das Publikum verlässt den Raum. Der Richter, als letzter, löscht das Licht und schließt die Tür, bevor das Beil auf uns hinabsaust.
 
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