Erfurt 2017 - Depression in zwei Teilen
Erfurt ist Leben. Erfurt ist Liebe.
Die BaD]Hot-LAN
BaD]Hot aka. Vonarrh ist wohl meine älteste Brood War Bekanntschaft, das erste Mal habe ich ihn ~2003 während einem Clan War gesehen, getroffen dann erstmals in Göttingen 2004. Hassliebe auf den ersten Blick. Jürgen (redaktionell geänderter Name Vonarrhs) ist ein totales Unikat, es gibt Geschichten ohne Ende, die eine Flasche Absinth, eine lange Zugfahrt und eine Übernachtung ohne Licht bei Hippies seitens Vonarrhs involvieren. Im B-net hatte er so eine Art Ausstrahlung, die man höchstens mit Droppy vergleichen kann, allerdings weitaus weniger nervig.
Seit wir unseren Clan ~2008 auflösten, habe ich ihn irgendwie nicht mehr gesehen. In seinem Wahn dachte er irgendwann ein Umzug nach Erfurt wäre eine tolle Idee, das war aber auch schon alles, was ich über Ecken hörte. Bis ReVenger mich zur "Abschieds-LAN" von Vonarrh verpflichtete, die Beergang (Endrox/Wirki) überredete, sowie ICCup.Fry (BWCL Mapmaker, der delivert, nicht wie ReVenger). Abschied, da Vonarrh nach Australien wollte. Se
it er wieder hier ist sucht er übrigens Freunde.
Also fuhr ich halt irgendwie in meinem ersten Urlaub nach 12 Monaten Bundesagenturscheiße nach Erfurt mit, im
ReVengerBiffermobil.
Die Reise gestaltete sich bereits etwas schwierig, da wir an großartigen Metropolen wie Hof (die ersten drei Buchstaben von Hoffnungslosigkeit) vorbeifuhren. Oder auch nicht. Jedenfalls wurde das Wetter windig und regnerisch, aber nicht im angenehmen Sinn des Wortes. Leichte Verzweiflung legte sich über die Fahrgemeinschaft, als wir die bayrisch/thüringische Grenze wechselten, wuchs an und man fühlte sich wie Gregor Samsa, der von seinem Vater mit einem Schuh gejagt wird. Bizarr.
Erfurt selbst präsentierte sich mit sinnbefreiten Kreisverkehren, alten Autos, die wahrscheinlich mit Braunkohle angefeuert werden mussten, ein paar normalen Häusern und endete schließlich in der stalinistischten Plattenbausiedlung Deutschland Ost. Wenigstens hatten die Bewohner seit neustem fließend Wasser und ein Wasserklosetts installiert. Die Temperatur war tief, die Wirtschaft, in die wir sollten, kaum in der tristen Schrebergartenaneinanderreihung nicht auszumachen.
Also öffneten wir den Kofferraum und tranken Rauchbier. Zu diesem Zeitpunkt nannte sich ReVenger das erste mal "Herr Westen" und hatte Angst, er würde gleich nach "nur einer Westmark" gefragt werden. Als ob er es ahnen konnte, um die Ecke kam ein kleines Mädchen mit einem Holzschlitten, die hohlen Wangen voller Frostbeulen, die Tränen an den Wangen gefroren. Das Mädchen stellte sich auf der platten Ebene wartend hin, schaute den Schlitten drei Minuten an, zog dann weiter. Wir mussten also drei Minuten die Luft anhalten, bis wir vor Lachen fast erstickten. Erst später fanden wir heraus, dass es sich bei dem Acker um einen "Spielplatz" handelte.
In dieser Reihenfolge erreichten auch die ersten Gäste, jedoch nicht der Gastgeber: Wirki & Endrox, der sächsiche Wirt, der uns gleich als "Saubatzen" abstempelte, ips.ReTrooper und dann irgendwann Maven (Vonarrhs Bruder), Vonarrh selbst und zwei BaD-Clanspieler. Wir überbrückten die Zeit mit viel Bier, noch mehr Bier und Schach.
Die LAN selbst war grauenvoll, sowohl spielerisch als auch qualitativ. Andauernd kamen besorgte Ostbürger und fragten ängstlich, worum es sich bei der diabolischen Technik von 1998 handelte. Wahrscheinlich plagten sie Gedanken über Dämonenbeschwörung und einem potentiellen Ausbruch der Ruhr (der immer mal wieder vorkommen kann, zumindest in deren Gefilden). Teilweise waren die doch etwas älteren unter den Zuschauern so begeistert, dass sie sogar Endrox 80 APM Protoss ertrugen. Zwischenzeitig war ich zu betrunken, um einen geraden Satz zu formulieren, da mir von der Beergang abgelaufener Weizenbock kredenzt wurde, mit den Worten "Stim für alle". Danke Wirki.
Den folgenden Tag verbrachte ich mit einem ähnlich verkarterten Wirki irgendwie an mir vorüber, meist beim Obsen von unterirdischen TvT spielen, bis wir halt selbst spielen mussten.
Bei einem kurzen Ausflug in die Randbezirke der Wohnsiedlungen konnten wir erstmals das volle Grauen der Stadt aufsaugen: Häuser mit Löchern in den Wänden, durch die eine Rotte Wildschweine hätte flanieren können, ausgemergelte Menschen, von denen keiner Deutsch sprach, sowie Ansammlungen von kohleverdreckten Kindern auf ihrem Weg in die Hochöfen und Bergwerke der Stadt. Im örtlichen Delikatessenladen (Penny) holten wir etwas zu Trinken, das wir aber aus angst um unsere Gesundheit später abkochten. Ein fürchterlicher Ort.
Der Samstag flog an uns vorbei, wir obsten spiele und hatten doch etwas Spaß, auch wenn die Welt um uns herum eher einem Kriegsgebiet ähnelte. Das Finale zwischen Vonarrh und BaD]4You (?) dürfte wohl die dunkelste Stunde deutscher Brood War "Kunst" gewesen sein - ein Spiel, das so seltsam und abstrakten Regeln folgte, entsprungen einem Screenshot auf der originalen Battle.Chest Hülle.
Irgendwie belegte ReVenger den dritten Platz, ich den vierten und Gewann das Wahrzeichen der Stadt, quasi das Kunststoffpandant zum "Schlüssel der Stadt":
Nie wieder.
LaBrassBanda - Dann halt doch
Dem Wahnsinn anheim gefallen beschlossen drei meiner besten Freunde mir zum Geburtstag eine Karte zum nächstmöglichen LaBrassBanda-Konzert zu schenken. Dagegen ist ja nichts einzuwenden, nur fand das in Erfurt statt. Irgendwie war ablehnen nicht drin, es gab einfach keinen Termin, der unser Quartett hätte unterbringen können. Oh Gott, hilfe.
Wieder auf der Fahrt in den Osten wurde mir schnell klar - das wird eine Wiederauflage des Elendstourismus. Ein Bayer sollte nie hinter die Mauer, das hat schon Stoiber den Sieg gegen Merkel gekostet, und was haben wir jetzt? Na? Ach, das konnte ja nichts werden.
Unsere AirBnB-Vermieterin hätte schon Warnung sein sollen, die wollte nämlich nicht auf der Straße zu laut sein, weswegen wir gleich in der Wohnung reden können, am Ende zerissen sich ja sonst die Nachbarn die Mäuler über die Besucher. Und ja keine exzessive Party, man wolle schließlich auch morgens zur Arbeit gehen können. Der war gut, als ob da jemand nicht von ALG-II existiert. Gekonnt ignoriert marschierten wir erstmal auf den Weihnachtsmarkt, der uns an der schönen Kirche (ich weiß nicht ob es ein Dom, eine Basilika oder nur eine große Steinsammlung ist) vorbeiführte und an den tatsächlich anschaulichen Marktplatz grenzte. Vielleicht sollte man nur die Plattenbauten meiden?
Der Glühwein war spottbillig, man musste nichtmal in der örtlichen Hühner/Brot-Tauschwährung zahlen, sondern konnte wie gewöhnlich den Euro einsetzen. Auch war der gräßliche Dialekt weniger verbreitet, als in den Ghettos der LAN. Ich fühlte mich schon fast sicher, der Alkohol schien mich zu entspannen. Doch Kafkalektüren hätten mich warnen sollen, eine Gefahr lauert immer.
Wir setzten den Weg in eine "Bierbar" fort, die "alle Biere der Welt" hatten - fünf Seiten Industriepisse, dazwischen "die Elite aus Bayern: Münchner Hell
, Bayreuther irgendwas (gerade so akzeptabel) und eine Brauerei, die angeblich nur drei Kilometer von unserem alten Wohnort entfernt stehen sollte (tut sie nicht). Aha. Immerhin konnte man rauchen, denn Lungenkrebs ist kostenlos und man musste ja aufs Geld achten, also billige Altersvorendsorge. Das war schon schlechter, aber es ging ja noch.
Auf der Suche nach einem Restaurant fanden wir in den mittelalterlichen Gassen der dann doch pittoresken Innenstadt eine Lokalität, die zwar teure Preise, aber gutes Essen versprach. Qualitativ zwar nicht Schleckthreadwürdig, aber auch nicht wirklich gut. Wir töteten die vielen E-Coli-Bakterien einfach mit Selbstgebrannten ab. Ausfall zweier Leute, da temporäre Erblindung, das kam wahrscheinlich aus Tschechien. Anfängerfehler.
Dann das Konzert: LaBrassBanda kann ich "normal" nicht hören, live aber eine der unterhaltsamsten Bands, die man so sehen kan, v.a. wenn man das bayrische Gebrabbel problemlos verstehen kann. Wie so häufig im Osten versuchte die Band erst mit bayrisch zu kommunizieren, dann mit bayrisch eingefärbtem Hochdeutsch, was sogar halbwegs funktionierte. Die Bude brannte, Musik und Lebensfrohes gibt es in Erfurt nicht oft. Die meisten Besucher dürften mehrere Jahre auf die Karte hingespart haben, man hatte ja sonst nischt. Leider war das Konzert nach knappen 120 Minuten dann auch vorbei, um ca. 23:45.
Da wir in einer
Landeshauptstadt waren, dachten wir, wir könnten ja noch in irgendeine Kneipe, um den Abend fortzusetzen. Wir fanden: nichts. Absolut nichts. Egal wo wir hinkamen, alles hatte zu, man müsse doch wissen, auch wenn man aus dem Westen käme, es sei Donnerstag, wo käme man denn hin? Was gedanken die Herren, Öffnungszeiten in der Geisterstunde? Wir irrten fast eine Stunde durch die Stadt, trafen keine zehn Leute und waren etwas entsetzt - hatten wir etwa eine Warnung vor dem neuesten Chemieunfall überhört? Nein, die Stadt ist so tot wie die Hoffnung in Besserung und gutes Leben.
Letztendlich konnten wir nicht einmal etwas zu Essen auftreiben, nicht mal das. Kein Taxi fuhr mehr. Die Rettung lieferte die vierte Seite von Lieferando (Seite 1-3 hatte geschlossen oder war in vier Fällen insolvent): Burger unter McDoof-Niveau, aber sie liefern ja auch hauptsächlich Schnaps (nicht erfunden). Also orderten wir vier Burger, sowie eine Flasche gefakten Billigschnaps und drei Liter Pepsi.
Vor der Abfahrt frühstückten wir und die Bedienung fiel fast vor Scham um, als jeder von uns mehr als einen ganzen Euro Trinkgeld gab ("aber das ist ja so viel"). Für die Rückfahrt wollten wir nur ein paar Flaschen Wasser im Edeka kaufen. Das war gar nicht so einfach. Wir fragten wo die Getränke stünden: "Da hinten ist Bier" - "Nein, normale Getränke" - "Ja, da hinten ist das Bier". Irgendwo fanden wir es dann doch, es gab wirklich nur Wasser und irgendeine komische Himbeerbrause.
Ich kann das Forum nur davor warnen diese Stadt zu betreten.