Eine Sommernacht II

[fN]Leichnam

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Die hellste Nacht seit langem. Warm schleicht der Wind.
Meine ausgespuckten Sterne stehen am Firmament. Nadelbaumwipfel, ein Gartenzaun, von Gras unterwachsen, Konsequenz.

Ich bringe mich um. Heute Nacht.

Habe die Tränen mit der Zunge gefangen, bis keine mehr kamen. Schmecke das trockene Meerwasser in meinem Mund und die namenlosen Gedanken in meinem Kopf.
Ich bin der traurigste Mensch der Welt. Das sage ich ohne Übertreibung. Ohne mir etwas darauf einzubilden.
Einfach so.
160ml an jedem Tag. 160ml Tränenflüssigkeit gieße ich an jedem Tag in mein Grab. Zwecklos. Ich werde nie wieder keimen, wachsen und blühen.

Heute nacht knicke ich mich selbst. Reiße mich an der Wurzel, ziehe mir den Boden unter den Füßen weg.
Geisterfrauen an den Wänden und in den Ecken, die Weiblichkeit verabschiedet mich im nachtblauen Zimmer, legt ihr Geheimnis über den Teppich und in die Regale. Ich fahre mit den Fingerkuppen darüber.
Es ist zu weit, viel zu weit für mich. Ich werde im Jetzt verdaut, ein Moment verbraucht mich; die Zukunft schon vergessen.

Mond in meinem Zimmer, gleich fällt mir der Kopf ab. Warum sterbe ich schon so lang? Das Herz Gefrierbrand, habe es noch nie gesehen - mein Herz.
Bin ich schon tot? Ist die Pistole noch geladen?
Ich werfe probeweise eine Hand voll Kugeln in den Spiegel. Ich will mich ermorden.

Ich.
Ich habe es gesehen.

Kaue Blei zur Beruhigung. Der Spiegel hat mich schwer getroffen. Ich muß ihn erwischen, bevor er es selber tut.
Warum dauert das Sterben schon so lang?
Was für ein Unsinn, sage ich mir. Draußen kippt der Mond, fallen endlich die Sterne vom Himmel.

Entlade die Waffe, sage ich mir.
Die Schädeldecke stürzt ein, das Dach hebt ab. Kleine Feier, Einzelgrab, samstags vom Erdboden verschluckt.
 
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Irgendwie... berührend. Ich hoffe -für den Autor persönlich- nicht das das Vermittelte Gefühl beim Lesen auch in dem Schreiber beim Verfassen dieses Textes war.
 
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Die "Phrasenmetapher" am Ende ist richtig richtig gut.
Schön paradoxe Fragen eingestreut...
Im Großen und Ganzen sprachlich und atmosphärisch sehr gelungen. Von dir?
 

[fN]Leichnam

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jo, gestern nacht geschrieben. aber ich lebe noch. :elefant:
 
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Sehr gelungen. Man kann bei dir sagen, dass du mehr auf Qualität setzt als auf Quantität. Gute Metaphern benutzt und auch die Vergleiche sind sprachlich gut ausgearbeitet. Hut ab!
 
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Generell freut es mich deine Texte zu lesen, weil ich das Gefühl habe, dass du sie selber ernst nimmst. Texte, die für ihre Autoren eine Freizeitbeschäftigung sind, finde ich uninteressant.

Den Text finde ich gut formuliert. Ich würde noch einmal über die Zeilen "Das sage ich ohne Übertreibung. Ohne mir etwas darauf einzubilden." nachdenken, sie wirken im Gegensatz zu den vorherigen atmosphärischen Beschreibungen etwas plump. Weiterhin solltest du darauf achten, inwieweit die von dir benutzten Bilder für den Leser - wenn du an dich den Anspruch stellst für andere zu schreiben - noch nachvollziehbar und erklärbar sind.


"Geisterfrauen an den Wänden und in den Ecken, die Weiblichkeit verabschiedet mich im nachtblauen Zimmer, legt ihr Geheimnis über den Teppich und in die Regale. Ich fahre mit den Fingerkuppen darüber. "

Dieses klingt zwar atmosphärisch, aber wie "die Weiblichkeit" nun die Hauptfigur (männlich? weiblich?) verabschieden soll, verstehe ich nicht.

"Mond in meinem Zimmer, gleich fällt mir der Kopf ab. Warum sterbe ich schon so lang? Das Herz Gefrierbrand, habe es noch nie gesehen - mein Herz." Die Formulierung "gleich fällt mir der Kopf ab" und "Gefrierbrand" gefallen mir hier nicht so gut.

Damit du mich nicht falsch verstehst, dass soll keine feststehende Kritik sein, dass sind einfach meine Eindrücke. Als selbst Schreibender ist es meine Erfahrung, dass man mit handfester, präziser - und auch harter - Kritik mehr anfangen kann als mit einem "gefällt mir".

Ich würde mir beim Lesen deiner Texte etwas mehr festen, greifbaren Inhalt wünschen und weniger in der Luft schwebende, nebelgleiche Atmosphäre.
 

[fN]Leichnam

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NBF, danke dafür, dass du dich so ausführlich mit dem Text befasst hast und Dank auch an die anderen, die ihn gelesen haben.

Du hast natürlich vollkommen Recht. Harte Kritik ist ein notwendiger Weg, um sich literarisch zu entwickeln. Ich kann dich schon verstehen. Aber dieser Nebel - wie du es treffend nennst - ist schon durchaus auch gewollt. Allein um Interpretationsspielraum zu lassen fast unumgänglich. Das Maß zu finden ist das schwierige. Und jeder hat da ja andere Vorlieben. Du schreibst ja selbst, wie du sagst. Da kannst du bestimmt nachvollziehen, wie schnell es geht, dass man sich in der eigenen Kryptik und Symbolik verliert.

Gut, dass so etwas auch auf Widerstand stößt!

Meine Meinung ist so die, dass ein geneigter Leser einen Text weniger des Textes wegen, sondern wegen einer hergestellten Beziehung zwischen sich und dem Autor ließt. Je mehr er von ihm weiß (durch Lesen seiner Texte), desto facettenreicher wird er ihn wahrnehmen.

Die Qualität und Wirkung eines Textes hängt im gleichen Maße vom Leser wie vom Schreiber ab. Natürlich macht der Autor den ersten Schritt. Er gibt etwas von sich, stellt sich bloß. Und das ist ja Reiz und Schwierigkeit im Schreiben.

Im Übrigen wäre es ja auch seltsam, hättest du keine Kritikpunkte gefunden. Ich sehe ja selber einige. Und morgen vielleicht andere, während heutige wieder durchgehen würden. :elefant:

Wie gesagt, auf das Band zwischen Schreiber und Leser kommt es an. Und da müssen sich immer zwei finden. :)

k, genug gelabert ;)
 
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Sich in die eigene Kryptik und Symbolik verlieren - und manchmal sogar verlieben - geht wirklich schnell. Mir wurde lange auch vorgeworfen zu verschlüsselt zu schreiben. Bei mir ist es so, dass die Prosa, wenn sie länger (und lyrikfreier) wird auch "verständlicher" und - ich sag mal: rationaler. Schreibst du eigentlich nur Kurzprosa oder auch längeres? Wie steht's mir Lyrik oder Dramen?

Deine Ansicht über Literatur finde ich interessant - vor allem, weil sie mir unbekannt ist und weil ich sie kaum teile.
Liest du selber um Verbindungen mit Autoren herzustellen? Ich kenne das Gefühl durch das Lesen mehrere Werke eines Autors sich mit ihm verbunden zu fühlen und einzelne Werke durch andere besser zu verstehen, aber ich lese doch nicht für eine Verbundenheit mit dem Autor. Um ein krasses Beispiel zu nennen: "Der Tod des Iwan Illjitsch" von Tolstoi ist eines meiner Lieblingsbücher, ich halte es für philosophisch, durchdacht geschrieben und für jeden Menschen wertvoll. Aber Tolstoi ist mir vollkommen wurscht. Es gibt genau genommen wenig Sachen, die mir egaler sind als Tolstoi. Ich sehe kein Band zwischen mir und ihm und will nichts über ihn wissen.

Ich gebe es zu, Tolstoi ist ein extremes Beispiel bei mir, bei Autoren wie Nietzsche und Goethe sieht das bspw. anders aus, aber so ganz kann ich deine Einstellung nicht nachvollziehen. Für mich steht bei der Literatur immer der Bezug auf mich selbst im Vordergrund. Ich sehe die Literatur als Möglichkeit einer erweiterten Sichtweise auf mich selbst, meine Konflikte, meine Fragen und mein Leben. Das sich auch andere diese Fragen gestellt haben, beruhigt mich, aber die sie meistens schon lange, lange tot sind, ist es ein schwacher Trost.
Aber jedem den eigenen Zugang zur Literatur.

In dem Punkt, dass ein genialer Text auch einen intelligenten Leser haben muss, stimme ich dir ganz zu. Darum sagen die Bewertungen der meisten Schüler meiner Meinung nach auch nichts über die tatsächliche Qualität eines Buches aus.
 

[fN]Leichnam

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Ich schreibe auch längere Sachen. Zur Zeit versuche ich einen Kurzroman (ca.160 Seiten) an den Mann zu bringen. Habe auch eine Zusage bei einem Druckkostenzuschussverlag (edition-fischer/Frankfurt am Main), aber kann das nicht finanzieren. (je nach Angebot zwischen 3.000€ und 8.000€)

Solche Verlage leben mehr von ihren Autoren als von der Leserschaft. Aber taugt eben, um in die Branche einzusteigen.

Lyrik ist nicht so mein Fall. Schreibe ich eher selten und wohl auch ziemlich mäßig. :elefant:
 
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