Eine neue Welt

Photon

Lyric-Contest Sieger 2012
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"Nun sage mir mein Sohn,
wie erschaffst du eine neue Welt?

Nicht, indem du aus dem Nichts etwas formst, nein. Du nimmst Bestehendes, veränderst es. Nimm den blauen Himmel. Stell dir vor, er ist rot. Schon hast du eine neue Welt, obwohl du fast nichts verändert hast.
Die besten Werke sind so entstanden. Neu erfunden wurde nichts. Wobei, kann man das so sagen? In Wirklichkeit wurde alles neu erfunden. Jede Veränderung in Bestehendem. Anders ist Neues gar nicht möglich.
Wenn du eine neue Welt erschaffst, nimm dir die Dinge, die passen und füge sie ein. Füge ihnen Bedeutung hinzu.

Schau dir diesen simplen schwarzen Stein ein. Nichts Besonderes an ihm. Er ist nur Schwarz, und er lag hier herum. Aber was ist, wenn ich dir sage, dass dieser Stein genau dies nicht ist, simpel. Was, wenn ich dir sage, dass du, wenn du diesen Stein anblickst, er dir die Leere zeigt. Das Nichts. Die Schwärze, so dunkel, dass sie selbst Bestehendes aufnimmt und nie mehr freilässt. Alles das, was du erschaffen hast, als unbedeutend, als ebenso ein Nichts darstellt. Was, wenn ich dir sage, dass dieser Stein Menschen, die ihn anblicken, in die Verzweiflung stürzen wird. Die Leere, die immer gegenwärtig ist, die sie zu vergessen suchen, von der sie sich mit aller Kraft ablenken versuchen, mit allen erdenklichen Mitteln, sei es Gewalt oder Liebe oder etwas dazwischen. Die aber, in einsamen Momenten, plötzlich wieder da ist. Das Gefühl, nichts zu wissen, nichts zu verstehen. Den Sinn dahinter nicht zu erkennen. Was, wenn dieser Stein ihnen die Gewissheit gibt, zu wissen, dass sie es nicht nur nicht verstehen. Dass es sinnlos ist. Der Stein zeigt ihnen dieses Gefühl, diese Leere mit aller Deutlichkeit. Sie verschlingt alles Erschaffene, egal welcher Art. Das Bestehende, das Veränderte, das neu Geschaffene.

Ist dieser Stein nun immer noch nur ein simpler schwarzer Stein? Oder ist er mehr als das? Ich habe ihn geschaffen, obwohl er hier schon herumlag. Seine Bedeutung, die habe ich verändert, nicht mehr als das. Aber auch nicht weniger als das.
So schaffst du eine neue Welt. Merke dir das und schaffe deine eigene.
Ist der Himmel nun schon rot?"
 
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Interessante Idee, verweist sie doch irgendwie an das schamanistische Konzept, dass man Macht über die Dinge erlangt, deren Namen oder Ursprung man kennt.

Was mir gut gefallen hätte, wäre ein bisschen Dialog anstatt einer Erklärung im "Frontalunterricht". Eine Frage, die ich nämlich gerne gesehen hätte, wäre, wie dieses Denkmodell die Herkunft der bestehenden Welt erklärt. Wenn ich es richtig verstanden habe, muss die bestehende Welt in ihrem Urzustand ja einfach "da" gewesen sein, weil eine neue Welt ja durch Veränderung, nicht durch Formung aus dem Nichts entsteht.
 
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