Eine Kurzgeschichte

[fN]Leichnam

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Der Vogel im Rohr


Heute hat sich etwas seltsames ertragen. Nicht dass ich dem Unterricht fernblieb. Das auch, doch darum geht es nicht. Nach dem kurzen Fußweg nach Haus, die Pappelallee entlang (ich lief diesen Weg wohl unzählige Male). Zur Erklärung sollte ich vielleicht noch erwähnen, dass mein Vater mich vor der Schule absetzte und so im Glauben war, ich wäre dort.

Er hatte sein Jakett an, heute Morgen. Was mich schon stutzig machte. Doch besorgt wurde ich erst, als er ohne seine Schultasche mitzunehmen aus dem Haus ging, um mit mir in die Stadt zu fahren. Denn ich hatte schon vor dem Öffnen der Augen beschlossen an diesem Morgen kein Klassenzimmer zu betreten. Für gewöhnlich lasse ich mich dann vor die Schule oder zur Tankstelle fahren. Zur Tankstelle immer, wenn mein Vater keine Zeit hat und schnell zum Unterricht muss, oder wenn es eben mir in den Kram passt, weil ich noch Zigaretten brauche oder dergleichen.

Dieses Mal war mein Plan wieder gefährdet. Ich wusste nicht, was er tun würde. Im Jakett und ohne Schultasche. Geld für den Bus hatte ich eh keins. Ich würde also laufen müssen. Das Wetter war herrlich, also bedrückte mich das noch am wenigsten. Dann auf der Fahrt, schon in Annaberg, erklärte er mir, er würde mit seiner Klasse aufs Gericht gehen. Sie würden sich drei Verhandlungen ansehen. Er wär schon gespannt, wieviele davon ausfallen würden. Ich lies mich am Busbahnhof absetzen und ging durch den Park in Richtung Neubaugebiet und Pappelallee.

Würde er sofort aufs Gericht fahren? Oder in die Schule, die Klasse begleiten? Schlimmstenfalls fährt er nochmal nach Hause und die Verhandlungen beginnen sonstwann. Aber er hat mich im Jakett gefahren, er fährt nicht nach Hause. Ich beschloss, mich zu beeilen. Vielleicht ist die erste Verhandlung schon ausgefallen. Es würde einer mir nicht möglichen Erklärung meines Gemütszustandes bedürfen, wenn er mich zu Hause sieht. Er würde laut werden, sich den Tag verderben, mich vielleicht sogar rauswerfen. Also ging ich ein wenig der Ungewissheit entgegen.

Ich hatte noch eine Zigarette und ich genoss sie auf meinem Weg. Zu Hause müssten noch Resttabakbestände vorhanden sein. Erst gestern bin ich von meinem gewohnten Weg ein wenig abgewichen. An der Kreuzung in Wiesa, unterhalb des Bahnhofs, gehe ich normalerweise am Straßenrand bei Wetzels vorbei in Richtung Sonnenhang. Gestern lief ich rechts dieser Straße, oberhalb der schönen Aue, um die ich den Mischbeck früher beneidet habe, als er noch dort wohnte und mir gelegentlich weiterhelfen konnte. Das ist ein schöner, kurzer Weg mit gut platzierten Bänken und gestern war der Blick ins Tal sehr feierlich.

Aber heute war keine Zeit für diesen Weg, also lief ich die Straße entlang und schaute nach oben in Richtung des Weges, so wie ich gestern von dort oben hier runter schaute, auf die Straße die ich gewöhnlich nehme. Er ist nicht da, versuchte ich mich zu versichern. In zehn Minuten bin ich da. Dort schnell die Bücher einpacken, ein weißes T-Shirt anziehen (es war schon sehr warm) und die Bong mitnehmen. Ich hatte noch etwas Gras, womit ich mir die Leserei am Teich so richtig lauschig machen wollte.

Als ich zu Hause war und die Sachen zusammensammelte beschlich mich kurz ein trübes Gefühl. Kein schlechtes Gewissen unbedingt, denn ich tat niemandem Unrecht. Eher eine unwohle Hast, denn wenn der Vater mich hier sah, wie ich die Schule vernachlässigte und stattdessen mich dazu rüstete eine drogenschwangere Leserei am Teich anzugehen, so wäre seine Sicht auf die Dinge gewiss eine andere, als die meine.

Ich zog die Tür ran, verschloss doppelt und lief über die Dorfstraße zum Teich. Etwas wie Liebe lag und schwebte überall im Dorf. Bei Drechslers, wo wir früher Fußball spielten, an einem schrägen Hang. Bei Lezocks, über der Holzwerkstätte. Die ganze Straße sonnte sich im Frühling und ich wollte es ihr, erstmal angekommen, gleichtun. Ich würde mir etwas zum Denken in den Kopf legen und meine Augenlider bräunen.

Der Teich war, wie schon vorgestern, nur halbvoll. Ich vermute die Feuerwehr hat kräftig abgepumpt und jetzt wird mal wieder das Wasser erneuert. Es roch nach Tang und hier und da war eine kleine Gruppe von Arbeitern, die Müll wegsammelten oder die Pflanzen pflegten. An der netten Holzhütte direkt am Teich wurde gerade gebaut. Ich setzte mich auf eine Bank ganz in der Nähe und schaute auf die gegenüber liegende Gartenanlage auf der anderen Seite des Teiches, sehr träumerisch. Ich riss sie in Gedanken ab und malte mir einen Palast, meinen Palast an die Stelle und ich umrandete den Teich mit Kiefern. Hier könnte ich leben, ein, zwei Leben lang.

Ich lies den Teich frei und ich lies auch die Gartenanlage wieder aufleben. Schön lag sie, noch immer seicht in den Hang gefügt, klein und sich genug. Ich beschloss, dass es an der Zeit wäre einen Kopf zu rauchen und sich dann ganz der Lektüre hinzugeben. Doch sollten die ABM-Kräfte davon nicht unbedingt erfahren. Am Fußballplatz stehen unter ein paar schönen Bäumen Bänke für die Zuschauer. Als ich 15, 16 Jahre alt war, bin ich dort oft gewesen, wenn es mir daheim zu langweilig oder zu angespannt war. Hier habe ich dann geraucht und die abendliche Goldsonne immer aufs Neue bewundert und geliebt.

Ich schlenderte also über den Platz, der an diesem Tag in einem guten Zusatnd war und setzte mich auf eine der Bänke. Aus dem Rucksack nahm ich mein Gras, eine Schachtel Zigaretten und mein Notizbuch, als Unterlage. Ich setzte mich quer auf die Bank, sodass meine Schenkel Windschutz boten und fing an das Dope zurecht zu machen.

Da kam ein Vogel, blau-gelb und sehr klein, der setzte sich auf einen Pfosten, an dem früher eine Werbebande befestigt gewesen ist. Eine Stelze oder Meise, ich muss gestehen mich nie so recht damit befasst zu haben. Er setzte sich auf den Pfosten, keine vier Meter entfernt und sang. Ein zweiter kam hinzu und setzte sich auf den nächsten Pfosten rechts davon. Auch dieser war blau-gelb, es war die selbe Vogelart. Sie sangen und quitschten vergnügt, flatterten los und setzten sich bald wieder. Alle Pfosten sind oben mit einer kleinen Metallplatte zugeschweist um gemeinsam einen Begrenzungsbalken oder ähnliches zu tragen. Alle bis auf einen. Bis auf den einen Pfosten, auf den sich der erste Vogel gesetzt hatte. Hier reichte die Platte nur über die Hälfte des Durchmessers. Der Rest war Loch, war Eingang in den hohlen Pfosten und Abgrund.

Der zweite Vogel sprang lustig in die Luft und flog davon. Während sein Kamerad an eben jener Öffnung herumturnte. Ich sah ihm dabei zu und war ganz entzückt von seinem Spiel, als er plötzlich abrutschte und in den Pfosten fiel. Man hörte ihn dumpf aufplumpsen und ein kurzes, leidiges Tschiepen. Ich war mir zunächst nicht sicher, ob er das mit Absicht tat, dann machte ich mir Gedanken um den Kleinen. Ich ging zu dem Pfosten und versuchte ihn dort unten ausfindig zu machen. Aber es war zu dunkel. Der Pfosten, bestimmt einen Meter hoch, war zu eng und zu tief um Tageslicht auf seinen Grund zu lassen. Ich sprach in Vogelsprache in das Rohr. Der Art Lippentechnik mit der ich früher auch mit Timi, dem geliebten Wellensittich meiner Mutter, ins Gespräch kam. Da flatterte es aufgeregt in der Enge und ich schreckte zurück, aus Angst das Tier würde mir gleich ins Gesicht springen!

Doch kam er nicht so weit und plumpste wieder zu Boden. Jetzt tat er mir Leid und mich überkam das Gefühl, als einziger Zeuge dieses Unglücks müsste ich doch alles daran setzen den kleinen zu retten. Ganz davon abgesehen, dass der Pfosten sowieso zu hoch, der Abgrund zu tief war, um mit dem Arm hineinzufahren und den Vogel zu greifen, war auch die Öffnung, der halbe Durchmesser zu klein und zu eng. Ich müsste den Pfosten ausgraben, dachte ich mir und holte einen Stock und kratzte die Erde um den Fuß des Pfostens weg. Da stiess ich, ich hatte es befürchtet, auf Beton. Ich konnte ihm so nicht helfen, ich konnte ihn nicht von seinem Gefängnis befreien.

Wenn nur der Uhlig hier wäre mit seiner Flex. Das Tier wäre in zwei Minuten gerettet. Aber ich war allein, von den Arbeitern war auch keiner mehr da. Mir wurde unwohl, das darf doch nicht sein, er muss da raus. Vorher würde ich weder Bong noch Buch genießen können. Ich rüttelte und drückte vergeblich. Der Vogel flatterte hin und wieder kurz auf, nur um gleich zurückzusinken in seinem metallenen Verlies. Das klang gespenstisch und arg verzweifelt aus dem Rohr. Ich setzte mich hin und überlegte, was ich tun könnte. Wo sollte ich Hilfe holen? Würde man mir, oder besser gesagt dem armen Vogel dort drin denn überhaupt helfen? Würden die Leute den Pfosten zersägen, bloß weil ich sage, ich hätte einen kleinen Vogel dort hineinfallen sehen. Vielleicht würde er freikommen, während ich Hilfe hole und man wäre dann böse auf mich. So saß ich etwa zehn Minuten vor dem Pfosten, in Gedanken bei meinem eingesperrten Freund dort drinnen. Und siehe da, plötzlich, ganz still, kam er aus der Öffnung gekrochen, tat ein "Tschiep", flog davon und war frei.





ist schon bisschen älter ;)
rechtschreibung wohl unter aller sau:elefant:
 
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Wäre dem Piepmatz was passiert wär ich traurig gewesen :8[:

Ansonsten: Das ist irgendwie keine richtige Kurzgeschichte, jedenfalls nicht das was ich darunter verstehe.
 

[fN]Leichnam

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Original geschrieben von -psy-
Wäre dem Piepmatz was passiert wär ich traurig gewesen :8[:

Ansonsten: Das ist irgendwie keine richtige Kurzgeschichte, jedenfalls nicht das was ich darunter verstehe.

was ist es dann :confused:
 

AnduiN

Guest
habs net geschafft es zuende zu lesen... war mir irgendwie zu anstrengend :/ und ich würde es bis dahin wo ich gelesen hab auch nicht als kurzgeschichte sehen
 
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stil und inhalt haben mich nicht motivieren können, mehr als ein paar zeilen zu überfliegen. darüber hinaus kamen mir dann noch die worte "wirkt aufgesetzt" in den sinn und ich begab mich ans ende dieses threads um dir diese zeilen zu schreiben.
 

[fN]Leichnam

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Original geschrieben von bami
stil und inhalt haben mich nicht motivieren können, mehr als ein paar zeilen zu überfliegen. darüber hinaus kamen mir dann noch die worte "wirkt aufgesetzt" in den sinn und ich begab mich ans ende dieses threads um dir diese zeilen zu schreiben.

jo danke, kann ich gut verstehen. ich hab allgemein probleme dieses "aufgesetzte" in meinen texten zu vermeiden. finde das auch manchmal richtig schrecklich. :(
 
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einfach daran arbeiten, wenn du denkst, dass an der kritik was dran ist. :)
 

TARGONY!

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nein mann saugeil er will den vogel retten und als ers nicht schafft sitzt er einfach nur rum das ist ein bild für leichnams lebensstil
 

[fN]Leichnam

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Original geschrieben von Targony_02
nein mann saugeil er will den vogel retten und als ers nicht schafft sitzt er einfach nur rum das ist ein bild für leichnams lebensstil

:ugly: i are the buddah

btw. wenn interesse besteht stell ich hier auch gerne noch andere sachen von mir rein
 

[fN]Leichnam

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also ok. noch zwei weitere kurze texte:

Deutschland bei Nacht


Mittelstreifen, grüne Ampeln. Straßenstrich, die Nacht im Wandel. Bayerischer Hof, Hotel Merkur. Drehkreuze, Autobahnkreuze. Meeresblick außer Sicht. Talfahrten, Bergtouren.

Deutschland bei Nacht, mein kaltes Herz
Deutschland, mein Herz, kalt in der Nacht

Schwäbisch, Sächsisch, hochdeutsch. Schweigend still. Ruhig.
Infarkt hämmernd, Bassrolle. Die Jugend kommt.
Die Wege eng, die Augen scharf. Eine Träne lachen.

Deutschland bei Nacht, mein Herz erfriert
Deutschland, mein Schmerz, die Nacht versiert

Rote Roben, schwarze Rosen. Tote Hosen, kleine Posen.
Die Angst im Keime, schlechte Reime. Die Liebe, deine.
Kinder, schöne. Schwestern, Söhne. Ihr seid es um die ich weine.

Deutschland bei Nacht, mein Herz ist kalt
Deutschland bei Nacht, mein Schmerz wird alt

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Luisa


Sie war hier. Hat getrunken. Und von der Welt gegessen.
Abgenabelt lief sie durch Straßen und über Felder.
In ihr zuckte ein rosa Herz unter ihrer flachen Brust.

Sie als Göttin und Geburtsstätte der Welt war sich ihr als
Göttin und Geburtsstätte der Welt bewusst. Wach war sie.
Bedenklich wach ist sie gewesen. Und schön, mein Gott
so denkbar schön.

Da sie nichts mehr fürchtete als die Angst, blieb sie tapfer.
Sie rekelte sich in den Dornen und Tränen klaren Blutes
ergossen sich ohne Rast das weiche Gesichtsfleisch entlang
abwärts. Ihre warme Rechte an der Innenseite des abgespreizten rechten Schenkels. Den Kopf auf den glatten Teller ihrer linken Hand gelegt, garniert mit duftenden Strähnen und Strähnchen.

Die Strahlen der Sonne, ihrer Sonne, fragten sie leise, ob sie
sie berühren dürften. Sie sagte nichts, und lies sie ein.
Lies sie durch, lies sie alle ein und durch, doch ihr Schatten blieb.
Ihr schöner Schatten blieb.

Des Nachts blieb sie wach, hellwach. Mondwach.
Sie zauberte am Mond. Sie zauberte an den Mondwolken.
Sie öffnete den Mund und sang. Die Nacht stimmte ein.
Und so sangen sie gemeinsam. Sie und die Nacht. Die Nacht und sie.

Der Morgen kam und erzählte ihr, was er im Osten sah.
Sie schwieg und hörte ihm zu. Der Morgen schluchzte, er habe Tod gesehen.
Und er würde kommen. Hierher kommen. Er habe sich auf den Weg gemacht.
Sie kannte Tod. Tod kannte sie. Tod sprang in ihren Träumen vor ihr her. Tod rannte ihr nach. Sie küsste den Morgen, bevor er weiterzog.

Sie blieb liegen und flüchtete zwischen die Zeit. Er nahte schon.
Sie blieb liegen und die Zeit flüchtete in ihrem Kopf umher.
Tod hielt sie schon einmal im Arm. Eine halbe Ewigkeit im Arm.
Er war aufgebrochen die zweite Hälfte einzufordern.

Ihre Welt erstrahlte in unbekannten Farben. Neue Klänge sausten
von Ohr zu Ohr. Sogar neue Sinne drängten um Platz in ihrer Erinnerung.
Alle Sinne des Lebens bespielten sie. Der Sinn des Todes einsam unter ihnen.
Als Grundzweck. Nährboden.

Er darf mich haben, dachte ein Gedanke. Ja, er soll sogar.
Dachte sie. Tod muss ja. Die Neidbestie. Der arme Nimmersatt.
So soll er doch.
Sie, die Göttin. Sie, die alleinige Welt. Die Nahrung. Sie schmückte sich aus, richtete sich an und tischte sich auf.

Als dann kam Tod. Langsamer noch, als davor. Er sah sie liegen.
Ihre warme Rechte an der Innenseite des abgespreizten
rechten Schenkels. Den Kopf auf den glatten Teller ihrer linken
Hand gelegt, garniert mit duftenden Strähnen und Strähnchen.

Er öffnete den Mund und sang. Sie stimmte ein und so sangen sie gemeinsam.
Der Tod und sie. Sie und der Tod.

Mitten im Ton verschlang er sie und ihren offenen Mund.
Verschluckte er die Nahrung der Göttin der alleinigen Welt und ward seitdem nie wieder geahnt.
 
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