Die drei Tode des Robert Klein

[fN]Leichnam

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Als der Lederwarenfabrikant Robert Klein im Winter des Jahres 1984 mit seinem Wagen ein kleines Mädchen überfuhr, tat ihm das schrecklich Leid. Es war an diesem unglücklichen Tage zu keiner Stunde wirklich hell geworden und als der Fabrikant auf seiner Heimfahrt für eine Sekunde nicht aufmerksam war, erfasste er das unvorsichtige Kind, welches in Folge noch an Ort und Stelle verstarb.

Ein Gericht sprach Robert Klein eine Mitschuld zu und man verurteilte ihn zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren. Während dieser Zeit verbrachte der arme Mann viele Stunden der Reue und Trostlosigkeit. Er hätte einiges gegeben, um sein Herz von dieser bedrückenden Schuld und Last zu befreien. Seine Strafe, so sah er, war verdient und er war gewillt, sie in Andacht an das durch ihn zerstörte junge Leben redlich abzusitzen.

Zugleich fürchtete er sich vor dem Tag seiner Freilassung, denn es hatte sich herausgestellt, dass das kleine Mädchen die Tochter eines zwielichtigen Mannes war, von dem man sagte, er habe Verbindungen zu kriminellen Kreisen. So lag der Fabrikant oft ganze Nächte wach in seiner Zelle, während es im Gefängnis rings um ihn still war und alle anderen Insassen schliefen.

Die zwei Jahre vergingen darüber und eines Tages holte ihn ein Wärter aus seiner Zelle ab, um ihn in die Freiheit zu geleiten. Mit einem Koffer in der Hand trat er zum großen Tor hinaus, der Wärter verabschiedete ihn und schloss hinter ihm ab.

Am Abend saß der Fabrikant in seiner leeren Wohnung, dachte an den Unglückstag und das Mädchen zurück und fühlte sich dabei, nach diesen beiden Jahren im Gefängnis, mit seinem Schicksal nicht ausgesühnt. Auch erwartete oder befürchtete er zumindest eine Rache des Vaters des kleinen Mädchens, von dem so viele beunruhigende Gerüchte in Umlauf waren.

Als aber nach einigen Wochen noch nichts dergleichen geschah, atmete Robert Klein langsam freier, trat wieder den Dienst in seiner Fabrik an und versuchte an sein altes Leben anzuknüpfen. Mit der Zeit geriet ihm jener dunkle Tag in Vergessenheit, er dachte nur noch selten an den Unfall; der Alltag und die Sorgen um sein Geschäft taten ihr übriges dazu bei und so kam es, an einem Tag im Winter, dass sich das Unglück jährte und Robert Klein, ganz in Geschäftsgedanken gefangen, sich dessen nicht bewusst war.

Der Tag war trübe und kalt, früh kam die Dunkelheit und als der Fabrikant am Abend sein Geschäft verließ, fiel dichter Schnee vom Himmel auf die Straße. Eilig lief der Mann in Richtung seines Autos, kam dort aber nie an, sondern erwachte schließlich in einem Kellerraum, den er nie zuvor gesehen hatte. Es war finster, er war gefesselt, seine Lippen pochten in dumpfem Schmerz und er wurde voll Grauen gewahr, dass er sich nun in der Gewalt des rächenden Vaters befand.

"Wähle!" sprach eine Stimme aus dem Dunkeln. "Dem Tode entkommst du nicht. Möchtest du ertränkt, verbrannt oder von einer Kreissäge zerschnitten werden? Diese drei Wege stehen dir offen. Entscheide dich."

Der Fabrikant, ganz fassungslos vor Angst und Schmerz, begann zu schluchzen, dass es ihm fürchterlich Leid tue, was geschehen war und dass er im Gefängnis jeden Tag für das kleine Mädchen gebetet habe. Man möge ihm sein Leben lassen!

Da ging im Keller ein elektrisches Licht an, ein Mann trat in Erscheinung und jetzt sah Robert Klein im Zimmer eine Badewanne, einen roten Kanister und auf ihrem Bock die Kreissäge.

"Entscheide dich." sprach der Mann erneut.

Rasende Verzweiflung überkam den Fabrikanten und er schaute ganz unsinnig von der Badewanne zum Kanister, von dort zum Sägebock und zurück. Er malte sich aus, was jeweils mit ihm geschehen würde, fand aber alle drei Methoden derartig grausam, dass es ihm nicht möglich war, eine Entscheidung zu treffen.

"Wähle!"

Schließlich ergab er sich seinem Schicksal und nickte stumm zur Badewanne. Der Mann war sogleich bei ihm, machte ihn von seinem Stuhl los, lockerte dabei aber weder Hand- noch Fußfessel und zerrte ihn zu der bis an den Rand mit kaltem Wasser gefüllten Badewanne.

"Bist du sicher?" schrie der Mann und hielt den Kopf des Fabrikanten dicht überm Wasser. Robert Klein heulte in Angesicht des Todes wie ein Kind, ihm liefen die Tränen, ihm lief der Rotz, er konnte nicht mehr sprechen oder denken.

Mit aller Gewalt drückte der fremde Mann das Gesicht des gefesselten Fabrikanten unter Wasser, dass dieser am ganzen Körper zitterte und zuckte, auch unter Wasser schrie vor Qual. Luftblasen trieben nach oben, während der Vater ohne Erbarmen den Kopf unter Wasser hielt.

Nach einer Minute aber zog er das Gesicht des Fabrikanten aus der Wanne und fragte erneut: "Bist du sicher?"

Robert Klein rülpste und spuckte und furzte und rang hastig um Luft, saugte sie begierig ein, dass sich sein Brustkorb schnell weitete und wieder zusammenzog.

"Nicht noch einmal! Bitte nicht noch einmal!" flehte er seinen Peiniger an.

"Also gut", antwortete dieser, "bleiben noch das Feuer und die Säge. Entscheide dich!"

Der Fabrikant heulte verzweifelt auf, suchte mit weiten Pupillen im Raum nach einer Möglichkeit der Flucht. Allein die Fesseln verhinderten jegliches ernsthaftes Bemühen.

"Entscheide dich!"

"Verbrennen." schluchzte er voll Irrsinn in der Stimme, doch nicht ohne Hoffnung auf ein baldiges Ende dieser unmenschlichen Qual.

Schon schraubte der Mann den Deckel vom Kanister und schüttete weit ausholend Benzinschwälle auf den Fabrikanten.
"Bist du dir jetzt sicher?" fragte der Mann.

Robert Klein antwortete nicht, stumm beobachtete er wie sein Gegenüber Abstand nahm, ein großes Zündholz anriss, es kurz zwischen den Fingern hielt und dann nach ihm warf.

Höllenqualen brachen über den Fabrikanten herein, von einem Moment auf den anderen stand sein gesamter Körper lichterloh in Flammen. Haar und Kleidung verbrannten rasch, seine Haut kochte in Blasen und er schrie aus Leibeskräften um Hilfe.

"Lösche mich! Lösche mich!"

Der Mann war rasch mit einem Schlauch zur Stelle und nach kurzer Zeit war das letzte Zünglein am Fabrikanten gelöscht. Er lag dampfend am Boden, alles an ihm war schwarz verklebt, doch tot war er noch immer nicht. Er schrie wie ein Tier als der Fremde ihn berührte und zum Sägebock zog.

"Du Narr."
 
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Echt geile Geschichte :D


Sehr guter Anfang!
die Geschichte interessiert, man will wissen wie es weitergeht.
Jeder Abschnitt ist spannend!
Das Ende ist auch gelungen.

Mehr von diesen Geschichten bitte!
 
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Der sarkastische Unterton im ersten Satz erregt sehr gut die Aufmerksamkeit des Lesers, schneidet sich aber fast ein bisschen mit dem Bild das dann von Robert vermittelt werden soll, dass er eigentlich keine Schuld trägt und es ihm wirklich sehr leid tut. Persönlich gefällt mir der Anfang jedenfalls sehr gut, gerade weil man dadurch ein bisschen in die Irre geleitet wird.

Vom Stil her kommt mir der Text fast wie ein Märchen vor, sowohl sprachlich als auch von der Gliederung her. Bei einem Märchen gibt es aber immer eine einfache Aussage oder Moral die sich am Ende herausstellt. Hier bleibt man am Ende der Geschichte zurück und fragt sich gefühlsmäßig "Was will mir diese Geschichte sagen?"
Vor allem durch die letzte Zeile kriege ich das Gefühl, die "Moral" der Geschichte wäre, dass man, wenn man selbst in einer derartige Situation kommen sollte, nicht den selben Fehler machen soll wie der Protagonist. Das ergibt aber natürlich keinen Sinn, weil man nie in eine solche Situation kommen wird und weil der Mörder alles bereits so vorbereitet hatte, dass Robert eigentlich von Vornherein keine Chance hatte, nur eine der Todesarten erleben zu müssen.
Daher kommt mir die Sache mit den drei Toden fast ein bisschen banal vor, dafür dass die Geschichte vorher so lange aufgebaut wird.

Die Sache mit dem Feuer am Ende ist ja sehr kurz abgewickelt, obwohl es am Höhepunkt der Story ist . Spätestens ab "Lösche mich! Lösche mich!" kann ich mich kein bisschen mehr in den Protagonisten hineinversetzen. (Warum sollte er das schreien?) Da geht es auch schon ein bisschen ins Märchenhafte.

Insgesamt war die Geschichte jedenfalls schön zu lesen. Gut geschrieben, interessanter Stil und sehr einprägsame Motive, danke.
 
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Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, was der Rächer getan hätte, wenn Robert gesagt hätte, er wolle alle 3 Tode. Hätte er ihn dann gehen lassen? Naja, ich dachte es würde so enden, bin dann aber anders belehrt worden.
 

Green Monkey

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Der erste Satz ist unheimlich stark und erinnert mich glaube ich an Kafka.
Sie geht dann auch ziemlich gut weiter, bis ungefähr zu dieser Stelle.

Der Fabrikant, ganz fassungslos vor Angst und Schmerz, begann zu schluchzen, dass es ihm fürchterlich Leid tue, was geschehen war und dass er im Gefängnis jeden Tag für das kleine Mädchen gebetet habe. Man möge ihm sein Leben lassen! (...) Schließlich ergab er sich seinem Schicksal und nickte stumm zur Badewanne.

Hier finde ich ergibt sich der Protagonist ein bisschen zu schnell seinem Schicksal. Ab da jedenfalls kann ich mich nichtmehr so 100% mit ihm identifizieren.
Den Konflikt zwischen den beiden Personen hätte ich auch gerne ausführlicher gehabt. Gerade das fand ich das Spannende, da ist einer der aus Versehen ein Kind tot fährt und es tut ihm auch noch schrecklich leid, er hat auch seine Strafe verbüßt und auf der anderen Seite ist jemand der auf Rache sinnt. Ich hatte irgendwas erwartet, dass Robert Klein die Sache unter Tränen erklärt, der Vater sogar Verständnis zeigt und ihn dann trotzdem umbringt.
Das Ende liest sich dann ein bisschen zu "protokollartig." Es wird er Ablauf geschildert, wie der arme Kerl hingerichtet wird und dass es 3 Anläufe braucht macht die Sache makaber aber bringt keine überraschende Wendung oder einen richtigen Hammer zum Schluss.
Mit einem anderen Ende wäre das glaube ich mit Abstand der Gewinnertext gewesen.

Oh Gott, ich hoffe das klingt alles nicht beleidigend oder großkotzig, so ist es nämlich echt nicht gemeint.
 

[fN]Leichnam

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Original geschrieben von Kanzlerbruder
Der erste Satz ist unheimlich stark und erinnert mich glaube ich an Kafka.


"Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen.."

:elefant:



Original geschrieben von Kanzlerbruder
.

Oh Gott, ich hoffe das klingt alles nicht beleidigend oder großkotzig, so ist es nämlich echt nicht gemeint.

Jede Kritik ist willkommen. :)
 

[fN]Leichnam

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noel:

Anfang sehr stark, eine bestimmte Spannung wird aufgebaut. Zweite Teil ist dann so eine Sache. Finde die prinzipielle Idee nicht schlecht, bin aber nicht sicher, ob erster und zweiter Teil so gut zusammenpassen. Zudem wirkt es ab der Verbrennung etwas zu abstrus.

homer:

Sehr gutes Ding! Liest sich flüssig und easy runter weil man wirklich interessiert ist.
Inhalt: Sehr gut durchdacht imo. Ich zumindest wollte ständig wissen was nun passiert.
Ausdruck: Liest sich flüssig durch ohne dabei irgendwo zu stocken, finde ich sehr angenehm gemacht
 

Jesus0815

Guest
Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, was der Rächer getan hätte, wenn Robert gesagt hätte, er wolle alle 3 Tode. Hätte er ihn dann gehen lassen? Naja, ich dachte es würde so enden, bin dann aber anders belehrt worden.

hehe, so gings mir auch ^^
 
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Anfängerlicher Teil ist gut, der restliche Verlauf erscheint mir ein weng zu stumpf und vorhersehbar. Typische Saw-Gore-Hollywood Folterorgie.

Gegen Ende ist es meiner Meinung nach wichtig die Sache auf einen cleveren Moment zusteuern zu lassen. Etwas womit man nicht rechnet.
Natürlich, so einen Moment zu kreieren, dass ist wohl dass was einen guten Autor ausmacht.

Den Eingangsteil fand ich hingegen gut. Es zeichnet sich ein schönes Bild von der Welt ab, in der er sich bewegt. Stimmung wird gut zum Leser transporitert.
 

TaiPan

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Die Kritik von Kanzlerbruder ist gut, trotzdem gefällt mir die Geschichte von den drei Top-Geschichten am besten!
 
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Wenn man es nicht ironisch liest und dem Wort Leid mehr Bedeutung gibt, klingts trotzdem tight.
 
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Lippstadt//München
Homer hat recht. Mit der richtigen Betonung ist es schon ein sehr starker Ausdruck.

Ich bin im übrigen für eine Neuauflage. Ist zwar erst ein halbes Jahr her, aber mich juckts in den Fingern. Wem noch?
 
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Dann schreib es vor und überarbeite es gründlich. Lass dir dabei Zeit, du hast noch ein ganzes halbes Jahr Zeit.
 
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