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F. William Engdahl
In der globalisierten Welt von heute zeigt sich immer mehr eine tiefe Trennlinie, die für die politische Stabilität und wirtschaftliche Zukunft Europas von größter Bedeutung sein wird. Die Trennlinie verläuft zwischen den Ländern, die noch immer in das Dollar-System eingebettet sind, also sogar Länder in der Eurozone, und den so genannten Schwellenländern – besonders die BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China –, bei denen zunehmend neue Wirtschaftsmärkte und -regionen die übermäßige Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten als Haupt-Exportmärkte und als wichtigste Quelle für Investitionen ablösen. Langfristig wird dies zur Folge haben, dass sich die Vereinigten Staaten endgültig als politische und wirtschaftliche Supermacht verabschieden, während neue dynamische Wirtschaftszonen entstehen, die zunächst allerdings vornehmlich nur von regionaler Bedeutung sind.
Das große polit-strategische Gewicht, das Länder wie China, Indonesien, Indien und Brasilien dabei in die Waagschale werfen, ist genau das, was für die alten Industrieländer – die USA, Großbritannien, Deutschland und die EU allgemein – langfristig das größte Defizit ist: die demografische Entwicklung.
Mit Ausnahme Russlands verfügen alle derzeit wirtschaftlich wachsenden Länder über eine junge, dynamische und ständig weiter wachsende Bevölkerung. Es ist interessant, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass das »Wirtschaftswunder« in Deutschland vor 1914 auf einem ähnlichen »Geheimnis« beruhte – einer jungen, dynamischen und schnell wachsenden Bevölkerung, während die Bevölkerungsentwicklung in Großbritannien und Frankreich seit 1870 stagnierte oder sogar rückläufig war. Es ist kein Zufall, wenn die politischen Eliten in den G7-Ländern die steigenden Geburtenraten in den Entwicklungsländern als die größte Bedrohung weltweit bezeichnen. Im Klartext meinen sie damit, dass diese Entwicklung die größte Bedrohung für ihre weitere Vorherrschaft in der Welt darstellt – angesichts des unvermeidlichen Auftauchens neuer Konkurrenten.
Neue aufstrebende Wachstumsregionen
Nachdem sich der erste Schock über die schlimmste Finanz- und Wirtschaftskrise seit den 1930er-Jahren langsam gelegt hatte, haben China und seine unmittelbaren Handelspartner sowie die anderen schnell wachsenden aufstrebenden Wirtschaftsnationen in den letzten 18 Monaten damit begonnen, sich nach Alternativen für das sterbende Dollarsystem umzusehen.
Wie ich erklärt habe, handelt es sich bei der gegenwärtigen Krise eben nicht um ein kurzfristiges Phänomen, wie uns der Chef der amerikanischen Notenbank Ben Bernanke, US-Finanzminister Tim Geithner oder Präsident Barack Obama gerne glauben machen möchten. Diese Krise ist vielmehr das Ergebnis einer 65 Jahre lang fehlgeleiteten Wirtschaftspolitik der USA, eine Fehlentwicklung, die sich nach Washingtons Entscheidung von 1971, den Dollar vom Gold abzukoppeln und damit den Golddevisenstandard aufzugeben, zu einer regelrechten Epidemie ausgeweitet hat.
Der Kontrast könnte stärker nicht sein. Die G7-Länder von den USA über Deutschland bis Italien ersticken förmlich an ihren Staatsschulden, die in den USA 80 Prozent des BIP, in Italien deutlich über 100 Prozent und in Japan sogar satte 199 Prozent betragen. Diese Werte werden nur von Zimbabwe mit 218 Prozent des BIP übertroffen. In Deutschland liegt diese Rate bei 77 Prozent.
Im Gegensatz dazu hat von den dynamischen Schwellenländer mit ihrem hohen Wirtschaftswachstum lediglich Indien eine signifikante Staatsverschuldung von 58 Prozent seines BIP aufzuweisen, weitgehend ein Erbe der britischen Kolonialzeit. Brasilien weist heute trotz der schweren Schuldenkrise in den 1980er-Jahren eine Staatsverschuldung von 45 Prozent des BIP auf – ein durchaus handhabbarer Wert. Indonesien, derzeit eines der am schnellsten wachsenden Schwellenländer weltweit, hat Schulden in Höhe von 34 Prozent im Verhältnis zum BIP, Südkorea mit einer sehr hohen Sparrate nur 28 Prozent und China lediglich 18 Prozent. Russland hat den jüngsten Boom der Einkommen bei Öl und Gas dazu genutzt, die Schulden gegenüber dem Ausland und dem IWF zurückzuzahlen. Deshalb hat Russland trotz seines erheblichen demografischen Problems den Daten für 2008 zufolge eine Staatsverschuldung in Höhe von nur sechs Prozent des BIP. Darüber hinaus hat Russland nach der Krise im vergangenen Jahr langsam wieder seine Devisenreserven auf derzeit 404 Milliarden Dollar aufgestockt; damit liegt das Land in dieser Kategorie an vierter Stelle weltweit.
Die amerikanische Haushalts- und Staatsverschuldung hat ein Rekordhoch erreicht.
Während sich also die Wirtschaft in den USA und der EU in den Fängen von zwei scherenartig miteinander verbundenen Krisen befinden – zwischen einer wachsenden Staatsverschuldung einerseits und abnehmenden Wachstumsraten der Bevölkerung, die ja langfristig für die Verschuldung aufkommen muss andererseits –, boomt die Wirtschaft in den Schwellenländern Asiens und Eurasiens sowie in Brasilien, der führenden Wirtschaftsmacht in Südamerika. Der Grund: sie genießen den doppelten Vorteil einer im Verhältnis zum BIP geringen Staatsverschuldung und einem dynamischen Bevölkerungswachstum.
In China, Indien, Indonesien und Brasilien wächst die Wirtschaft auch weiterhin in bedeutendem Maße. Die Regierungen werden nicht von einem Schuldenberg erdrückt und die Bürger blicken noch immer optimistisch in die Zukunft. Dieses Auseinanderdriften zwischen den ehemals Reichen und den ehemals Armen dieser Welt bedeutet, dass sich der geopolitische Dreh- und Angelpunkt der Weltgeschichte verschiebt – spätere Wirtschaftshistoriker werden das genau so analysieren, wenn sie auf unsere heutige Zeit zurückblicken.
Gefangen zwischen den Scherenblättern einer doppelten Krise
Der wichtigste Aspekt dieser Krise besteht darin, dass sich die westlichen Wirtschaftstheoretiker, darunter auch sämtliche Nobelpreisträger, gründlich diskreditiert haben. Die grandiosen Theorien, mit denen sie ihre Wirtschaftsmodelle der »Laissez-faire«-Globalisierung gerechtfertigt haben, haben sich als falsch erwiesen. Diese Akademiker haben sich als der »Kaiser ohne Kleider« entlarvt, um einmal eine meiner liebsten Kindergeschichten des großen dänischen Dichters Hans Christian Andersen zu zitieren.
Das Dollar-System, auf dem ihre Welt seit dem Abkommen von Bretton Woods im Jahre 1944 beruhte, liegt gegenwärtig in Todeszuckungen. Alle Maßnahmen, die die beiden letzten US-Regierungen – zunächst Bush und jetzt Obama – und die Regierungen der anderen G7-Staaten unternommen haben, laufen darauf hinaus, einem sterbenden Patienten eine hohe Dosis Finanz-Chemotherapeutika zu verabreichen. Die immer gewaltigeren »Rettungspakete« (bailouts) mit Steuergeldern, mit denen ein gescheitertes Finanz- und Bankenmodell künstlich am Leben gehalten werden sollte, verschlimmern den Gesundheitszustand der US-Wirtschaft nur noch weiter.
Die rekordverdächtigen Finanzspritzen in den USA seit September 2008, also innerhalb von nur zehn Monaten, hat die Bundesverschuldung in den USA von etwa 60 Prozent des BIP auf satte 80 Prozent hochgetrieben. Die Verschuldung der privaten Haushalte in den USA liegt mittlerweile bei dem Rekordstand von 100 Prozent im Vergleich zum BIP. Dieser Wert liegt wesentlich über dem des Rezessionsjahres 1974, als er »nur« 40 Prozent betrug. Noch schlechter für die Wachstumsaussichten, die die USA aus der Krise führen könnten, ist aber, dass die demografische Entwicklung jetzt die schon lange erwarteten Auswirkungen zu zeigen beginnt. In den nächsten ein bis drei Jahren wird es in den USA massenweise neue Rentner aus der Generation der sogenannten »Baby-Boomer«, den geburtenstarken Jahrgängen nach dem Zweiten Weltkrieg, geben. Diese Rentner sind dann gezwungen, ihre bei der öffentlichen Sozialversicherung geleisteten Renteneinzahlungen abzuziehen und auch ihre nach dem sogenannten »401k-Plan« [US-Steuergesetz 401, Absatz k] geleistete (steuerfreie) Rentenvorsorge in Form von Wertpapieren sowie ähnliche Investitionen in Aktien und Anleihen flüssig zu machen, damit sie ihren Lebensunterhalt als Rentner bestreiten können. Diese älteren Amerikaner werden also wirtschaftlich zu einer Netto-Belastung für die Staatsfinanzen, während die steigende Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen, die in die Sozialversicherung einzahlen müssten – das aber nicht können –, die Staatsverschuldung in den USA weiter steigen lässt. Das wird zur Folge haben, dass die Staatsverschuldung in den USA bereits in den nächsten Jahren das Niveau von Italien, wenn nicht gar das von Japan oder sogar Zimbabwe erreicht.
In diesem April wurden in Indien 4,2 Prozent mehr Autos verkauft als ein Jahr zuvor. Die Verkäufe im Einzelhandel in China stiegen im ersten Quartal 2009 um 15 Prozent. Die chinesische Wirtschaft wird in diesem Jahr voraussichtlich um sieben oder acht Prozent wachsen, die Wirtschaft Indiens um sechs, und die Indonesiens um vier Prozent.
Im Gegensatz dazu schrumpfte die US-Wirtschaft im vergangenen Quartal um 6,1 Prozent, die europäische Wirtschaft um 9,6 und die Japans um beängstigende 15 Prozent, und das, obwohl die offiziellen Daten bekanntermaßen hochgradig geschönt sind. Damit gleicht die Lage der in den 1930er-Jahren.
In den westlichen Industriestaaten und im G7-Land Japan sind die Banken übermäßig fremdfinanziert und daher funktionsunfähig. Die Regierungen dieser Staaten sind durch die hohe Verschuldung gelähmt, die Verbraucher türmen gewaltige Schuldenberge auf. Die US-Regierung kann ihre Staatspapiere kaum noch zu attraktiven Preisen verkaufen. Alle letzten drei Auktionen des US-Finanzministeriums verliefen enttäuschend. Amerikas größter Bundesstaat, Kalifornien, driftet auf den völligen Finanzkollaps zu. Das Defizit im laufenden Haushaltsjahr der USA wird bei über 13 Prozent des BIP liegen – einen solchen Wert hat es zum letzten Mal im Zweiten Weltkrieg gegeben.
In Brasilien, Indonesien, China und Indien sehen wir, entgegen dem allgemeinen Trend im Westen, ein dynamisches Wachstum sowie niedrige Schulden und eine wachsende Bevölkerung.
Dagegen sind die Banken der Schwellenländer weitgehend gesund und arbeiten profitabel. Jede indische Bank, ob staatlich oder privat, hat im letzten Quartal von 2008 Gewinne erzielt. Die Regierungen dieser Länder stehen auch in steuerlicher Hinsicht gut da. China verfügt mit zwei Billionen Dollar über die größten Währungsreserven der Welt, sein Haushaltsdefizit liegt unter drei Prozent des BIP. Brasilien vermeldet jetzt eine positive Leistungsbilanz. Indonesien hat seine Schulden von 100 Prozent des BIP vor neun Jahren auf heute 34 Prozent reduziert.
Anders als in den westlichen Industriestaaten, wo den Regierungen das Geld genauso ausgegangen ist wie neue kreative Ideen und man jetzt dafür betet, dass die verabreichte Medizin wirkt, gibt es für diese Länder noch Optionen. Vor nur einem Jahr machten sie sich große Sorgen um eine überhitzte Konjunktur und eine Inflation. Brasilien hat die Leitzinsen deutlich gesenkt, jedoch nur auf 10,25 Prozent, was bedeutet, dass Raum für weitere Senkungen besteht, falls das erforderlich sein sollte.
Die Stimmung in vielen dieser Länder ist nach wie vor überraschend optimistisch. Die Währungen steigen im Verhältnis zum Dollar, denn die Märkte sehen hier sine größere steuerliche Disziplin und bessere langfristige Wirtschaftsaussichten als in den Vereinigten Staaten. Die Anleihen steigen im Wert. Eine solche Kombination von allen Indikatoren, die in die gleiche Richtung weisen, ist beispiellos.
Die Vereinigten Staaten sind immer noch das reichste und mächtigste Land der Welt. Ihr Militärapparat umspannt den gesamte Planeten. Selbst wenn Amerikas Führungselite das Land nicht gerne so bezeichnet, ist es das mächtigste informelle Empire der bisherigen Geschichte. Aber genauso wie frühere weltbeherrschende Imperien unwiderruflich untergegangen sind – vom Weltreich Spanien im 16. Jahrhundert bis zum Britischen Empire im 20. Jahrhundert –, so verschwinden auch große Weltmächte in der Versenkung, wenn sie von ihrer Schuldenlast erdrückt werden und die Wachstumsraten nicht ausreichen, ihre Wirtschaft wieder flottzumachen.
In der globalisierten Welt von heute zeigt sich immer mehr eine tiefe Trennlinie, die für die politische Stabilität und wirtschaftliche Zukunft Europas von größter Bedeutung sein wird. Die Trennlinie verläuft zwischen den Ländern, die noch immer in das Dollar-System eingebettet sind, also sogar Länder in der Eurozone, und den so genannten Schwellenländern – besonders die BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China –, bei denen zunehmend neue Wirtschaftsmärkte und -regionen die übermäßige Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten als Haupt-Exportmärkte und als wichtigste Quelle für Investitionen ablösen. Langfristig wird dies zur Folge haben, dass sich die Vereinigten Staaten endgültig als politische und wirtschaftliche Supermacht verabschieden, während neue dynamische Wirtschaftszonen entstehen, die zunächst allerdings vornehmlich nur von regionaler Bedeutung sind.
Das große polit-strategische Gewicht, das Länder wie China, Indonesien, Indien und Brasilien dabei in die Waagschale werfen, ist genau das, was für die alten Industrieländer – die USA, Großbritannien, Deutschland und die EU allgemein – langfristig das größte Defizit ist: die demografische Entwicklung.
Mit Ausnahme Russlands verfügen alle derzeit wirtschaftlich wachsenden Länder über eine junge, dynamische und ständig weiter wachsende Bevölkerung. Es ist interessant, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass das »Wirtschaftswunder« in Deutschland vor 1914 auf einem ähnlichen »Geheimnis« beruhte – einer jungen, dynamischen und schnell wachsenden Bevölkerung, während die Bevölkerungsentwicklung in Großbritannien und Frankreich seit 1870 stagnierte oder sogar rückläufig war. Es ist kein Zufall, wenn die politischen Eliten in den G7-Ländern die steigenden Geburtenraten in den Entwicklungsländern als die größte Bedrohung weltweit bezeichnen. Im Klartext meinen sie damit, dass diese Entwicklung die größte Bedrohung für ihre weitere Vorherrschaft in der Welt darstellt – angesichts des unvermeidlichen Auftauchens neuer Konkurrenten.
Neue aufstrebende Wachstumsregionen
Nachdem sich der erste Schock über die schlimmste Finanz- und Wirtschaftskrise seit den 1930er-Jahren langsam gelegt hatte, haben China und seine unmittelbaren Handelspartner sowie die anderen schnell wachsenden aufstrebenden Wirtschaftsnationen in den letzten 18 Monaten damit begonnen, sich nach Alternativen für das sterbende Dollarsystem umzusehen.
Wie ich erklärt habe, handelt es sich bei der gegenwärtigen Krise eben nicht um ein kurzfristiges Phänomen, wie uns der Chef der amerikanischen Notenbank Ben Bernanke, US-Finanzminister Tim Geithner oder Präsident Barack Obama gerne glauben machen möchten. Diese Krise ist vielmehr das Ergebnis einer 65 Jahre lang fehlgeleiteten Wirtschaftspolitik der USA, eine Fehlentwicklung, die sich nach Washingtons Entscheidung von 1971, den Dollar vom Gold abzukoppeln und damit den Golddevisenstandard aufzugeben, zu einer regelrechten Epidemie ausgeweitet hat.
Der Kontrast könnte stärker nicht sein. Die G7-Länder von den USA über Deutschland bis Italien ersticken förmlich an ihren Staatsschulden, die in den USA 80 Prozent des BIP, in Italien deutlich über 100 Prozent und in Japan sogar satte 199 Prozent betragen. Diese Werte werden nur von Zimbabwe mit 218 Prozent des BIP übertroffen. In Deutschland liegt diese Rate bei 77 Prozent.
Im Gegensatz dazu hat von den dynamischen Schwellenländer mit ihrem hohen Wirtschaftswachstum lediglich Indien eine signifikante Staatsverschuldung von 58 Prozent seines BIP aufzuweisen, weitgehend ein Erbe der britischen Kolonialzeit. Brasilien weist heute trotz der schweren Schuldenkrise in den 1980er-Jahren eine Staatsverschuldung von 45 Prozent des BIP auf – ein durchaus handhabbarer Wert. Indonesien, derzeit eines der am schnellsten wachsenden Schwellenländer weltweit, hat Schulden in Höhe von 34 Prozent im Verhältnis zum BIP, Südkorea mit einer sehr hohen Sparrate nur 28 Prozent und China lediglich 18 Prozent. Russland hat den jüngsten Boom der Einkommen bei Öl und Gas dazu genutzt, die Schulden gegenüber dem Ausland und dem IWF zurückzuzahlen. Deshalb hat Russland trotz seines erheblichen demografischen Problems den Daten für 2008 zufolge eine Staatsverschuldung in Höhe von nur sechs Prozent des BIP. Darüber hinaus hat Russland nach der Krise im vergangenen Jahr langsam wieder seine Devisenreserven auf derzeit 404 Milliarden Dollar aufgestockt; damit liegt das Land in dieser Kategorie an vierter Stelle weltweit.
Die amerikanische Haushalts- und Staatsverschuldung hat ein Rekordhoch erreicht.
Während sich also die Wirtschaft in den USA und der EU in den Fängen von zwei scherenartig miteinander verbundenen Krisen befinden – zwischen einer wachsenden Staatsverschuldung einerseits und abnehmenden Wachstumsraten der Bevölkerung, die ja langfristig für die Verschuldung aufkommen muss andererseits –, boomt die Wirtschaft in den Schwellenländern Asiens und Eurasiens sowie in Brasilien, der führenden Wirtschaftsmacht in Südamerika. Der Grund: sie genießen den doppelten Vorteil einer im Verhältnis zum BIP geringen Staatsverschuldung und einem dynamischen Bevölkerungswachstum.
In China, Indien, Indonesien und Brasilien wächst die Wirtschaft auch weiterhin in bedeutendem Maße. Die Regierungen werden nicht von einem Schuldenberg erdrückt und die Bürger blicken noch immer optimistisch in die Zukunft. Dieses Auseinanderdriften zwischen den ehemals Reichen und den ehemals Armen dieser Welt bedeutet, dass sich der geopolitische Dreh- und Angelpunkt der Weltgeschichte verschiebt – spätere Wirtschaftshistoriker werden das genau so analysieren, wenn sie auf unsere heutige Zeit zurückblicken.
Gefangen zwischen den Scherenblättern einer doppelten Krise
Der wichtigste Aspekt dieser Krise besteht darin, dass sich die westlichen Wirtschaftstheoretiker, darunter auch sämtliche Nobelpreisträger, gründlich diskreditiert haben. Die grandiosen Theorien, mit denen sie ihre Wirtschaftsmodelle der »Laissez-faire«-Globalisierung gerechtfertigt haben, haben sich als falsch erwiesen. Diese Akademiker haben sich als der »Kaiser ohne Kleider« entlarvt, um einmal eine meiner liebsten Kindergeschichten des großen dänischen Dichters Hans Christian Andersen zu zitieren.
Das Dollar-System, auf dem ihre Welt seit dem Abkommen von Bretton Woods im Jahre 1944 beruhte, liegt gegenwärtig in Todeszuckungen. Alle Maßnahmen, die die beiden letzten US-Regierungen – zunächst Bush und jetzt Obama – und die Regierungen der anderen G7-Staaten unternommen haben, laufen darauf hinaus, einem sterbenden Patienten eine hohe Dosis Finanz-Chemotherapeutika zu verabreichen. Die immer gewaltigeren »Rettungspakete« (bailouts) mit Steuergeldern, mit denen ein gescheitertes Finanz- und Bankenmodell künstlich am Leben gehalten werden sollte, verschlimmern den Gesundheitszustand der US-Wirtschaft nur noch weiter.
Die rekordverdächtigen Finanzspritzen in den USA seit September 2008, also innerhalb von nur zehn Monaten, hat die Bundesverschuldung in den USA von etwa 60 Prozent des BIP auf satte 80 Prozent hochgetrieben. Die Verschuldung der privaten Haushalte in den USA liegt mittlerweile bei dem Rekordstand von 100 Prozent im Vergleich zum BIP. Dieser Wert liegt wesentlich über dem des Rezessionsjahres 1974, als er »nur« 40 Prozent betrug. Noch schlechter für die Wachstumsaussichten, die die USA aus der Krise führen könnten, ist aber, dass die demografische Entwicklung jetzt die schon lange erwarteten Auswirkungen zu zeigen beginnt. In den nächsten ein bis drei Jahren wird es in den USA massenweise neue Rentner aus der Generation der sogenannten »Baby-Boomer«, den geburtenstarken Jahrgängen nach dem Zweiten Weltkrieg, geben. Diese Rentner sind dann gezwungen, ihre bei der öffentlichen Sozialversicherung geleisteten Renteneinzahlungen abzuziehen und auch ihre nach dem sogenannten »401k-Plan« [US-Steuergesetz 401, Absatz k] geleistete (steuerfreie) Rentenvorsorge in Form von Wertpapieren sowie ähnliche Investitionen in Aktien und Anleihen flüssig zu machen, damit sie ihren Lebensunterhalt als Rentner bestreiten können. Diese älteren Amerikaner werden also wirtschaftlich zu einer Netto-Belastung für die Staatsfinanzen, während die steigende Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen, die in die Sozialversicherung einzahlen müssten – das aber nicht können –, die Staatsverschuldung in den USA weiter steigen lässt. Das wird zur Folge haben, dass die Staatsverschuldung in den USA bereits in den nächsten Jahren das Niveau von Italien, wenn nicht gar das von Japan oder sogar Zimbabwe erreicht.
In diesem April wurden in Indien 4,2 Prozent mehr Autos verkauft als ein Jahr zuvor. Die Verkäufe im Einzelhandel in China stiegen im ersten Quartal 2009 um 15 Prozent. Die chinesische Wirtschaft wird in diesem Jahr voraussichtlich um sieben oder acht Prozent wachsen, die Wirtschaft Indiens um sechs, und die Indonesiens um vier Prozent.
Im Gegensatz dazu schrumpfte die US-Wirtschaft im vergangenen Quartal um 6,1 Prozent, die europäische Wirtschaft um 9,6 und die Japans um beängstigende 15 Prozent, und das, obwohl die offiziellen Daten bekanntermaßen hochgradig geschönt sind. Damit gleicht die Lage der in den 1930er-Jahren.
In den westlichen Industriestaaten und im G7-Land Japan sind die Banken übermäßig fremdfinanziert und daher funktionsunfähig. Die Regierungen dieser Staaten sind durch die hohe Verschuldung gelähmt, die Verbraucher türmen gewaltige Schuldenberge auf. Die US-Regierung kann ihre Staatspapiere kaum noch zu attraktiven Preisen verkaufen. Alle letzten drei Auktionen des US-Finanzministeriums verliefen enttäuschend. Amerikas größter Bundesstaat, Kalifornien, driftet auf den völligen Finanzkollaps zu. Das Defizit im laufenden Haushaltsjahr der USA wird bei über 13 Prozent des BIP liegen – einen solchen Wert hat es zum letzten Mal im Zweiten Weltkrieg gegeben.
In Brasilien, Indonesien, China und Indien sehen wir, entgegen dem allgemeinen Trend im Westen, ein dynamisches Wachstum sowie niedrige Schulden und eine wachsende Bevölkerung.
Dagegen sind die Banken der Schwellenländer weitgehend gesund und arbeiten profitabel. Jede indische Bank, ob staatlich oder privat, hat im letzten Quartal von 2008 Gewinne erzielt. Die Regierungen dieser Länder stehen auch in steuerlicher Hinsicht gut da. China verfügt mit zwei Billionen Dollar über die größten Währungsreserven der Welt, sein Haushaltsdefizit liegt unter drei Prozent des BIP. Brasilien vermeldet jetzt eine positive Leistungsbilanz. Indonesien hat seine Schulden von 100 Prozent des BIP vor neun Jahren auf heute 34 Prozent reduziert.
Anders als in den westlichen Industriestaaten, wo den Regierungen das Geld genauso ausgegangen ist wie neue kreative Ideen und man jetzt dafür betet, dass die verabreichte Medizin wirkt, gibt es für diese Länder noch Optionen. Vor nur einem Jahr machten sie sich große Sorgen um eine überhitzte Konjunktur und eine Inflation. Brasilien hat die Leitzinsen deutlich gesenkt, jedoch nur auf 10,25 Prozent, was bedeutet, dass Raum für weitere Senkungen besteht, falls das erforderlich sein sollte.
Die Stimmung in vielen dieser Länder ist nach wie vor überraschend optimistisch. Die Währungen steigen im Verhältnis zum Dollar, denn die Märkte sehen hier sine größere steuerliche Disziplin und bessere langfristige Wirtschaftsaussichten als in den Vereinigten Staaten. Die Anleihen steigen im Wert. Eine solche Kombination von allen Indikatoren, die in die gleiche Richtung weisen, ist beispiellos.
Die Vereinigten Staaten sind immer noch das reichste und mächtigste Land der Welt. Ihr Militärapparat umspannt den gesamte Planeten. Selbst wenn Amerikas Führungselite das Land nicht gerne so bezeichnet, ist es das mächtigste informelle Empire der bisherigen Geschichte. Aber genauso wie frühere weltbeherrschende Imperien unwiderruflich untergegangen sind – vom Weltreich Spanien im 16. Jahrhundert bis zum Britischen Empire im 20. Jahrhundert –, so verschwinden auch große Weltmächte in der Versenkung, wenn sie von ihrer Schuldenlast erdrückt werden und die Wachstumsraten nicht ausreichen, ihre Wirtschaft wieder flottzumachen.