Bildungswesen quo vadis?

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saistaed/Gustavo:
Mein Reden.
Wenn es nach mir ginge würde man den ganzen NC-Quatsch abschaffen und dafür die ersten Semester nicht langsam anfangen wie es spätestens seit Bologna gemacht wird, sondern recht schnell die Schwierigkeit hochdrehen und dann über den Anspruch sieben. Zum Ausgleich dann aber die Noten der Siebsemester nicht auf die Endnote anrechnen.

Sagen wir die ersten beiden Semester viel harter Drill in den Basics von Wissenschaftstheorie/Ideengeschichte und Statistik/Methodik/wissenschaftliches Arbeiten, begleitet durch einführende breit angelegte Veranstaltungen über den generellen Fachbereich. Zum Beispiel: "Überblick VWL+ Schwesterwissenschaften BWL, Politik, Soziologie, Psychologie"
Dann zusätzlich noch für diese 2 Semester die 3 Versuchsregelung abschaffen und einfach sagen, dass nach den zwei Semestern + Nachschreibtermine alle Scheine bis auf max 1 erledigt sein müssen. Meines Erachtens wäre das fairer als der NC und läuft in der Schweiz afaik auch ähnlich.

Gleichzeitig erreicht man so ein Basisniveau an Verständnis für Zahlen. So wie möglichst alle ein zumindest grundlegendes Verständnis von Wissenschaftstheorie und Ideengeschichte der Wissenschaft haben sollten. Ich finde es immer extrem zum Fremdschämen wenn irgendwelche Profs oder Doktoranden oder whatever im akademischen Betrieb herumlaufen und so nischenbegabt unterwegs sind, dass sie sogar die Grundbegriffe der Wissenschaftstheorie nicht kennen. Leider häufiger als ich früher gedacht hätte.
 
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Naja, die Probleme sehe ich auch. Aber ich tue mich etwas schwer damit, wie man darauf reagieren sollte.

Ich denke, dass ein Trend zu Vereinzelung, Spezialisierung und, ja, Beliebigkeit in der Wissenschaft heute relativ universell ist. Das schlägt natürlich auf die Lehre durch: An manchen Fachbereichen muss man schon mit der Lupe suchen, um ein Seminar über ein klassisches Thema zu finden. Sowas gilt vielen nicht als sexy und da jenseits eines schmalen Basiscurriculums in der Regel (leider) jeder Dozent lehren darf, was er will, gleichen die Vorlesungsverzeichnisse auch mal einem Kuriositätenkabinett.

Die übliche Antwort darauf, wenn man es als Problem sieht, ist dann oft: mehr Kanon, mehr Methode, mehr Drill.
Davon könnten viele Studierende der Kaffeeklatschfächer sicherlich profitieren, aber mehr Vorgaben sind nicht unbedingt gut, wenn sie nicht sinnvoll sind. Darum tendiere ich im Endeffekt doch relativ stark zur Eigenverantwortung der Studierenden - wenigstens ab dem Grundstudium.
Wichtig finde ich allerdings, dass man wirklich auch die richtigen Angebote macht und den Studis so eine Chance gibt, sich gut zu entscheiden. Ich hielte es beispielsweise für heilsam, wenn man sich tatsächlich nicht auf ein Studienfach festlegen müsste, bevor man überhaupt je eine Uni von innen gesehen hat. Und unbedingt würde ich mir wünschen, dass jeder möglichst früh mal mit ein paar instruktiven Beispielen echter Forschungsarbeit versorgt würde so als Teaser und Anhaltspunkt dafür, worauf es später insbesondere methodisch mal ankommt.

Achso, und mal allgemein zum Thema Aussieben: Das ist imo ein kontinentaleuropäischer Fetisch, den ich eher kritisch sehe. Hochschulen tragen imo eine gesellschaftliche Verantwortung und da geht es nicht, dass man sich nur die Rosinen rauspickt. Hier braucht man imo einfach sehr viel mehr Mut zur Differenzierung: Nicht jeder kann alles lernen und schon gar nicht auf demselben Niveau, aber jeder kann etwas lernen und davon einerseits persönlich profitieren, andererseits kommt es am Ende auch wieder der Gesellschaft zugute.
An einigen US-Unis gibt es z.B. Tracksysteme: Mehr oder weniger derselbe Inhalt wird auf unterschiedlichen Niveaus vermittelt. Der Fokus liegt darauf, dass jeder seinen Sweet Spot findet und es gibt für die, die einfach schon mehr können, nicht mehr Credits als für die anderen.
Das halte ich für viel sinnvoller als auf ein fixes Niveau zu bestehen und einen großen Teil der Studierenden auf der Strecke bleiben zu lassen.



@Gustavo
Ich glaube, es gibt in der allgemeinen Wahrnehmung oft eine Überschätzung des Fachbezugs gegenüber dem Themenbezug. So nach dem Motto: Das ist doch ein xy-Thema, also müsste ein xy-Wissenschaftler uns was dazu sagen können. Das ist aber regelmäßig gar nicht der Fall.
Umgekehrt empfinde ich oft Beiträge fachfremder Methodiker als durchaus bereichernd. Klassischer Fall sind Ökonomen, die sich offenbar verhältnismäßig viel zutrauen.
 
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Benrath

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saistaed/Gustavo:
Sagen wir die ersten beiden Semester viel harter Drill in den Basics von Wissenschaftstheorie/Ideengeschichte und Statistik/Methodik/wissenschaftliches Arbeiten, begleitet durch einführende breit angelegte Veranstaltungen über den generellen Fachbereich. Zum Beispiel: "Überblick VWL+ Schwesterwissenschaften BWL, Politik, Soziologie, Psychologie"
Dann zusätzlich noch für diese 2 Semester die 3 Versuchsregelung abschaffen und einfach sagen, dass nach den zwei Semestern + Nachschreibtermine alle Scheine bis auf max 1 erledigt sein müssen. Meines Erachtens wäre das fairer als der NC und läuft in der Schweiz afaik auch ähnlich.

Meinst du sowas?
https://www.psychologie.uzh.ch/de/studium/bscmsc/bachelor/assessment.html

Auf der anderen Seite muss man schon sehen, dass in der Schweiz sehr wenig Leute eines Jahrgangs studieren.
Ich kann mich erinnern, dass die Schweizer in St. Gallen nicht ganz so glücklich waren, dass sie sie sich dann beim Aussieben in den ersten beiden Semestern mit dem Rest der Welt messen müssen.

Btw gehen wir jetzt wieder Mega Offtopic. Ist aber die Frage ab wann man das hier forked und in welches Thema?
 
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Meinst du sowas?
https://www.psychologie.uzh.ch/de/studium/bscmsc/bachelor/assessment.html
Auf der anderen Seite muss man schon sehen, dass in der Schweiz sehr wenig Leute eines Jahrgangs studieren.
Ich kann mich erinnern, dass die Schweizer in St. Gallen nicht ganz so glücklich waren, dass sie sie sich dann beim Aussieben in den ersten beiden Semestern mit dem Rest der Welt messen müssen.

Jepp, sehr in diese Richtung. Ob die Studenten damit glücklich sind wäre mir erstmal egal. Studenten sind immer im Durchschnitt unglücklich wenn sie gefordert werden und im Durchschnitt immer glücklich wenn man ihnen Bestnoten hinterherschmeißt.

Maßstab muss sein, dass man diejenigen die mit ihren Fähigkeiten nicht zum Studiengang passend und sich diese auch nicht durch Fleiß und etwas Druck aneignen können, möglichst schnell erkennt und davon überzeugt, dass es nicht ihr Fach ist. Nichts ist schlimmer als einen Haufen Leute bis zum Abschluss durchzuschleppen die eigentlich mit dem Fach unglücklich sind oder sich nicht dafür interessieren oder dies wegen ihrer Eltern studieren und eigentlich einfach etwas anderes machen sollten. Solche Leute wechseln in Maluspunkteprüfungsordnungen erst in hohen Semestern den Studiengang oder hören mit dem Studieren ganz auf wenn sie merken, dass sie es nicht schaffen.

Das ist ein Verlust für die einzelne Person und für die Gesellschaft als Ganzes. Ziel sollte daher mE sein, dass man die Studis möglichst schnell dazu bringt ihr "wahres/passendes" Fach zu finden, um keine Lebenszeit zu verschwenden und gleichzeitig ihnen alles an die Hand gibt um möglichst schnell möglichst anspruchsvolle Dinge zu verstehen anstatt das halbe Studium mit easy-peasy-Gedöns zu verbringen.

Es böte sich also an, den Beginn möglichst sowohl anspruchsvoll und vielseitig in Bezug auf die Methoden zu machen, aber gleichzeitig auch eine Einführung ins Studienfach anzubieten die das Fach selbst wie auch die benachbarten Fächer vorstellt. So erleichtert man den Wechsel weil im Idealfall trotz Wechsel wenig bis gar keine Zeit verlorengeht und man den Studis gleichzeitig wichtige Dinge beibringt. So wird man sowohl den Menschen als auch dem gesamtgesellschaftlichen Interesse an bestmöglicher Ausbildung mE am ehesten gerecht.

[ --> sub thread "bildungswesen quo vadis"]
 

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Finde auch, man sollte im VWL-Bachelor zwingend Wirtschaftsgeschichte und Wissenschaftstheorie/Ideengeschichte haben. Im Gegenzug könnte man Mikro streichen. 80 bis 90% von dem Quatsch braucht eh keine Sau je für irgendwas bzw. wird es dann in Finanzwissenschaft eh nochmal durchgenudelt.

Allerdings sollte man auch vorsichtig sein, pauschal vom eigenen Studiengang und der eigenen Uni zu verallgemeinern. Im VWL-Bachelor in München hatten wir z.B. 12 ECTS Statistik und dann nochmal 12 ECTS Ökonometrie als Pflichtfächer. Ein Siebtel des Gesamtpensums für Methoden finde ich jetzt jedenfalls nicht total wenig. Außerdem hatten wir das große Vergnügen 33 ECTS BWL zu machen. :kotzerle: Später wurde das dann auf 18 Credits reduziert und die Fächer dürfen die Penner nach uns auch noch komplett frei wählen. :D

In Politikwissenschaft wiederum waren Ideengeschichte und zumindest ein bisschen wissenschaftliches Arbeiten im Programm, wobei ich mir bei letzterem rückblickend vielleicht ein wenig mehr gewünscht hätte. Und es wurde selbstverständlich den Studierenden auch zugemutet, dass es für bestimmte empirische Dinge (z.B. das außenpolitische Agieren von Staaten) verschiedene Theorien gibt, die sich auch mal widersprechen können.

Hartes Aussieben in den ersten Semestern... hm. Sehe zwar das Argument, andererseits soll es auch immer wieder Leute geben, bei denen der Groschen später noch fällt.
 
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Naja, die Probleme sehe ich auch. Aber ich tue mich etwas schwer damit, wie man darauf reagieren sollte.

Ich denke, dass ein Trend zu Vereinzelung, Spezialisierung und, ja, Beliebigkeit in der Wissenschaft heute relativ universell ist. Das schlägt natürlich auf die Lehre durch: An manchen Fachbereichen muss man schon mit der Lupe suchen, um ein Seminar über ein klassisches Thema zu finden. Sowas gilt vielen nicht als sexy und da jenseits eines schmalen Basiscurriculums in der Regel (leider) jeder Dozent lehren darf, was er will, gleichen die Vorlesungsverzeichnisse auch mal einem Kuriositätenkabinett.

Die übliche Antwort darauf, wenn man es als Problem sieht, ist dann oft: mehr Kanon, mehr Methode, mehr Drill.
Davon könnten viele Studierende der Kaffeeklatschfächer sicherlich profitieren, aber mehr Vorgaben sind nicht unbedingt gut, wenn sie nicht sinnvoll sind. Darum tendiere ich im Endeffekt doch relativ stark zur Eigenverantwortung der Studierenden - wenigstens ab dem Grundstudium.
Wichtig finde ich allerdings, dass man wirklich auch die richtigen Angebote macht und den Studis so eine Chance gibt, sich gut zu entscheiden. Ich hielte es beispielsweise für heilsam, wenn man sich tatsächlich nicht auf ein Studienfach festlegen müsste, bevor man überhaupt je eine Uni von innen gesehen hat. Und unbedingt würde ich mir wünschen, dass jeder möglichst früh mal mit ein paar instruktiven Beispielen echter Forschungsarbeit versorgt würde so als Teaser und Anhaltspunkt dafür, worauf es später insbesondere methodisch mal ankommt.

Achso, und mal allgemein zum Thema Aussieben: Das ist imo ein kontinentaleuropäischer Fetisch, den ich eher kritisch sehe. Hochschulen tragen imo eine gesellschaftliche Verantwortung und da geht es nicht, dass man sich nur die Rosinen rauspickt. Hier braucht man imo einfach sehr viel mehr Mut zur Differenzierung: Nicht jeder kann alles lernen und schon gar nicht auf demselben Niveau, aber jeder kann etwas lernen und davon einerseits persönlich profitieren, andererseits kommt es am Ende auch wieder der Gesellschaft zugute.
An einigen US-Unis gibt es z.B. Tracksysteme: Mehr oder weniger derselbe Inhalt wird auf unterschiedlichen Niveaus vermittelt. Der Fokus liegt darauf, dass jeder seinen Sweet Spot findet und es gibt für die, die einfach schon mehr können, nicht mehr Credits als für die anderen.
Das halte ich für viel sinnvoller als auf ein fixes Niveau zu bestehen und einen großen Teil der Studierenden auf der Strecke bleiben zu lassen.



@Gustavo
Ich glaube, es gibt in der allgemeinen Wahrnehmung oft eine Überschätzung des Fachbezugs gegenüber dem Themenbezug. So nach dem Motto: Das ist doch ein xy-Thema, also müsste ein xy-Wissenschaftler uns was dazu sagen können. Das ist aber regelmäßig gar nicht der Fall.
Umgekehrt empfinde ich oft Beiträge fachfremder Methodiker als durchaus bereichernd. Klassischer Fall sind Ökonomen, die sich offenbar verhältnismäßig viel zutrauen.

in Deutschland haben wir einen anders aufgestellten sekundären und tertiären Bildungsbereich, wo in anderen Ländern jeder Scheißdreck als "Studium" gilt, gibt's bei uns Ausbildung, Technikerschulen etc.
Deswegen je nach Niveau können sich die Leute entsprechend einsortieren. Es ist halt leider dämlich, wenn heutzutage gefühlt jeder Abitur kriegt und denkt, studieren zu können/müssen.
Und wenn ich aus meiner Laienperspektive das Bildungssystem in USA anschaue, finde ich es hier deutlich besser. Wenn man nur die Schokoladenseite der Spitzenunis anschaut, sieht das Bild natürlich anders aus.
War 3,5 Jahre bei einem US Konzern, wo ich öfters mit US Kollegen zu tun hatte, und von den Berichten drüber, entweder Spitzenuni per Stipendium, reichen Eltern oder Überschuldung oder gefickt sein. Oder nur training on the job kriegen.

Kam selber noch im Genuss des alten Diplomstudiengangs, der zwar zufallungsfrei war, aber z.b. schon nach dem ersten Semester mal locker auf die maximale Anzahl an verfügbaren Laborplätzen runtergesiebt wurde. Kenne den Müll durch Bologna nur von Freunden, die den Mist betreuen oder machen mussten.
 
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SFJunky:
Zustimmung insgesamt. Allerdings sind 24 ECTS auch nur 8 SWS. Das hatte ich im Grundstudium allein in Statistik, dafür dann den expliziten Pflichtschein Ökonometrie im Hauptstudium noch dazu … da ich aber Ökonometrie als Wahlfach hatte fiel der für mich weg wurde mit nochmal deutlich mehr Ökonometrie ersetzt.
Grundzüge BWL halte ich für VWL schon gerechtfertigt, und eine Einführung in BWL/VWL sogar für alle Sozialwissenschaften. Allerdings dann bitte eine Einführung die ausgewogen ist und weder erzkonservativ neoklassisch (="Egal was das Problem ist, die Antwort ist: Der Markt löst das für Dich") ist noch in die "Kapitalismus ist Hitler"-Schiene abdriftet die man in so circa jedem Institut für Politik/Soziologie in Deutschland vornehmlich findet.

Quasi alle Veranstaltungen zum wissenschaftlichen Arbeiten die ich kenne waren Mist weil sie meistens keinen kompletten Überblick lieferten. Entweder zu wenig Wissenschaftsgeschichte und nur Mechanics (sehr häufig) oder nur Wissenschaftsgeschichte und null Mechanics (eher selten). Aber man braucht halt beides.

saistaed:
Insgesamt Zustimmung. Nur halt bei dem Aussieben … ich bin ja nicht dagegen, dass man Leuten eine Option bietet auf einem für sie passenden Niveau etwas zu absolvieren, sondern sogar sehr dafür. Deswegen ja auch meine Ausführungen im letzten Posting.

Man muss aber auch berücksichtigen, dass es mit der Bildungsexpansion der 2010er Jahre ein Haufen Menschen an die Hochschulen geschafft hat, der eigentlich keinen Uni-Abschluss bekommen sollte und häufig auch keinen FH-Abschluss. Das "gleich-Definieren" von Uni und FH hat mE mehr Schaden als Nutzen gebracht, weil es eine existierenden und offenkundigen Unterschied unsichtbar(er) gemacht hat. Gerade für Menschen die nicht aus einer Akademikerfamilie kommen ist es jetzt schwerer geworden (ex ante) zu sehen was die Unterschiede sind. Und die sind mE extrem groß, da der Fokus auf mehr Praxis sich in jedem Aspekt bemerkbar macht. Meine Lehraufträge in Statistik an drei FHs (2x staatlich, 1x privat) waren vom Niveau her extrem anwendungsorientiert und quasi frei von Formeln und der Erfordernis formalen Verständnisses––und das war auch so vorgegeben/gewollt, und trotzdem haben sie alle wegen des zu krassen Niveaus gejammert.

Man könnte einiges davon abfedern indem man ehrliche Noten gibt, bzw. Quantile bei den Abschlüssen angibt, aber das will ja niemand wirklich. Stattdessen werden viele bis zum BSc/BA durchgeschleppt und haben dann einen de facto wertlosen Abschluss und wären mit einer Ausbildung uU besser dran gewesen, sowohl von der Lebenszufriedenheit als auch ökonomisch. Dazu müsste man aber auch einen Teil der Bildungsarroganz abbauen der allerorten herrscht. Es ist immer wieder offensichtlich, dass sich an Bildungsabschlüssen dann auch soziale Gruppen trennen, insbesondere weil die "schlaueren" glauben sie wären etwas Besseres und die "dümmeren" glauben sie wären die Einzigen die echte Arbeit verrichten.

Das deutsche Bildungssystem ist da eigentlich schon insgesamt recht gut aufgestellt, insb. von den Aufstiegsmöglichkeiten her. Man sollte das aber noch deutlich stärker fördern und direkt in der Ausbildung schon das berufsbegleitende Studium stärker unterstützen, die Weiterbildungen stärker ausbauen usw.–––aber man darf sich auch nicht der Illusion hingeben, dass man aus jedem einen Atomphysiker machen kann. Das erfordert dann doch einfach weniger Standesdünkel und bessere Erziehung im Privaten wie auch in der Schule. Deswegen bin ich auch für Grundschule bis zur sechsten Klasse oder sogar länger und zwar, um allen Kindern Verständnis für unterschiedliche Voraussetzungen und Akzeptanz sowie Toleranz dafür einzuimpfen. Das flankiert mit Begabtenförderung und Förderung der Schwächeren muss nicht schlechter sein als eine Trennung nach dem vierten Jahr. Trotzdem ist mE ein dreispuriges Bildungssystem danach absolut richtig, denn wenn die Leistung zu stark auseinanderklafft macht man das Leben der Lehrer zur Hölle und ihre Arbeit unmöglich.

Dazu dann noch ordentliche Betreuung ab Jahr 0 durch qualifizierte Erzieher … und vielleicht auch dort eine erzwungene Durchmischung anstatt eine Ghettoisierung.

Achja: Sehr allgemeines Grundstudium und danach dann Spezialisierung in den "echten" Fachbereich ist genau das was mir vorschwebte. Recht angelsächsisch, aber mE auch nicht verkehrt. Ganz allgemein finde ich die Differenzierung über drölfzig Studiengänge in Undergrad und Graduate Studies vollkommen fehlgeleitet. Das macht alles nur umständlicher. Ein großer Haufen dieser ganzen besonderen "profilbildenden" Studiengänge ließe sich über Wahlmöglichkeiten innerhalb eines einzelnen Studiengangs abdecken ohne auch nur ein iota an Differenzierung zu verlieren.

Den Studenten von Tag 1 an eine informierte Auswahl zuzumuten halte ich allerdings für falsch. Prinzipiell bin ich pro Eigenverantwortung, allerdings sagt meine Erfahrung auch, dass Studenten recht lange nicht einschätzen können was gute und was schlechte Lehre ist, und ebenso wenig was wichtige und weniger wichtige Fachbereiche sind. Klar, die informierte Minderheit der wirklich guten Studis kann das vielleicht. Am Ende wählt aber die Mehrheit nur die Fächer die einfach sind und gute Noten geben.
 
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Am Ende wählt aber die Mehrheit nur die Fächer die einfach sind und gute Noten geben.
Das wirst nie nie wegbekommen, solange es Noten gibt und die irgendetwas bedeuten. Was dieses "irgendetwas" ist, hängt sehr vom Fachbereich ab.

Mal allgemein my 2 cents:
Ich bin ja nach dem Master in angewandtem Lesen (= Geschichte) in Richtung Bürgertum (= Lehrer) abgebogen, weil ich a) nicht Fachnerd genug bin, um zu promovieren und b) die Schnauze voll vom Unibetrieb hatte. Es gab in meinem Kernbereich (= Neuere Geschichte) ein gutes Institut, habe da wahnsinnig gerne gelernt und auch an diversem extracurricularem Kram teilgenommen. (Tutorien geben, etc., was man halt so macht.) In so einem Fach tummeln sich auch in überwältigender Mehrheit die Lehramtsleute, weil Historiker außerhalb der Uni nicht viele Jobmöglichkeiten haben.

Der Aufbau des Studiums war z.T. hanebüchen. Der Start war dabei sogar noch sehr gut, da man mit methodischen und wissenschaftstheoretischen Kursen bombardiert wurde. Danach durfte man wahllos Kurse picken, was natürlich an sich gut ist, weil man sich so entweder nen breiten Wissensstand aneignen oder aber frühzeitig spezialisieren kann - je nachdem, wohin man will. Das Problem war nun, dass die Gewichtung der Kurse bzgl. ECTS / Arbeitsaufwand null durchdacht war. Da gab es Kurse in Geschichtsdidaktik mit satten 10 ECTS, weil man auf zwei Exkursionen gefahren ist, aber sonst nur am Rumpimmeln war, während ein Seminar, bei dem für ne gute Note wochenlang in der Bib wohnen musste, ganze 4 abwarf. Aber hey, das Thema war spannend.

Da ich parallel fürs Lehramt studiert habe, hatte ich immer ein sehr breites Portfolio an Inhalten. In den ersten Semestern viel Germanistik, Psychologie (yay) und Pädagogik (nay...), später dann parallel zum Masterstudiengang noch Philosophie fürs Erweiterungsfach im LA. In der Breite großartig, in der Tiefe natürlich nur im Spezialgebiet ansatzweise was wert. Das, was man während des Masters wirklich lernt ist, dass man einfach keinen Plan von irgendwas hat und sich nun gefälligst mal anstrengen sollte.

In meinen Fächern wurde mMn viel zu wenig gesiebt. Hier wäre nun der Moment für MegaVolt gekommen: "Aber Geisteswissenschaftler sind doch eh was schlechteres, lol xD." Es war teils erbärmlich, auf welchem Niveau da Leute noch in den Hauptseminaren rumgefailt haben. Keinen Plan von Quellenkritik, keinerlei Erfahrung in Archivarbeit, kein Wissen über relevante aktuelle Publikationswege. Hinzu kommt, dass seit Bologna Lehramts- und Fachstudenten noch stärker in sehr vielen Kursen zusammengeschmissen werden. Beim LA gehts im Prinzip nur um den Notenschnitt, was da gelernt wird und wieviel man sonst mitnimmt, ist komplett wumpe. Im 1. Stex wird dann eh extrem weit gestreutes Grundwissen abgefragt, man kann maximal während des Studiums den Grundstock für das zu Lernende bilden, an monatelangem Büffeln kommt man aber so oder so nicht vorbei, weil man für gute/sehr gute Noten einen Überblick braucht. (Ich habe z.B. für Mittlere Geschichte extrem viel lernen müssen, weil ich das während des Studiums sehr habe schleifen lassen und nur Zeug ab 1300 ernsthaft studiert hatte.) Bei anderen Prüfungen konnte man auch blank reingehen, wenn man nicht blöde war. (Das habe ich im Examen zu Neuerer Dt. Literaturwissenschaft gemacht, weil man da auch "Gedichtinterpretation" als Aufgabe wählen konnte.)

Die Qualität der Lehrveranstaltungen in all meinen Fächern war insgesamt eher dürftig. Es gab v.a. viel zu viele "Durchschleusungskurse", bei denen man ein bisschen was geleistet hat und danach im Prinzip afk gehen konnte. Die guten Seminare, bei denen es wirklich um Inhalte ging und bei denen v.a. auch mal mehr als nur die Tagesordnung abgehandelt wurde, konnte man leider an einer Hand abzählen. Dabei geht es mMn gerade in den Laberwissenschaften darum, sich nicht in den Elfenbeinturm zurückzuziehen. Wissenschafts- und Erkenntnistheorie auf der einen und moderne quantitative Methoden auf der anderen Seite sind elementar dafür, dass man mehr produziert als neues Material für den Papierkorb.

So, genug Anekdotisches. Hier noch ein TLDR der Dinge, die ich am aktuellen System universitärer Lehre (natürlich nur in den Fächern, die ich von innen gesehen habe) kritisieren würde:
- zu wenig theoretische und methodische Grundlagenvermittlung (in Geschichte war das gut, in Germanistik überhaupt nicht)
- zu häufig "Masse statt Klasse", d.h. einfach nur extrem viel Bulimielernen statt intensiver Auseinandersetzung mit einem Thema
- zu starke Verschulung, allerdings gleichzeitig zu stark schwankendes Angebot im VL-Verzeichnis, was dann zu Erlebnissen wie einem Kurs in Paläographie führt, weil er der einzige aus dem Modul war, der noch in den Stundenplan gepasst hat.)
- zu geringer Ansporn für Studenten, sich wirklich mal hinzusetzen (Reader lesen als das höchste der Gefühle)
- zu willkürliche Verteilung bzgl. ECTS und Aufwand

Und vor allem: das Gefühl, dass hier einfach nur ein Monstrum vor sich hinkotzt, alle durch das Erbrochene laufen, es aufheben, neu anordnen und dann dem Monstrum wieder füttern. Am Ende kackt das Monstrum dann ein Zeugnis. Heureka.

Bootys Idee mit dem eher allgemein angelegtem Grundstudium finde ich interessant. Man darf aber nicht vergessen, dass extrem viele Leute bis zum Bachelor praktisch wie Schüler denken. Ist auch nicht schlimm, das ist es nur, wenn es nach dem Bachelor so bleibt.
 
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Can only giev 1 like. Ich zustimme massivstens.

Meines Erachtens muss man den Kindern in den ersten Semestern, idealerweise bereits in der Schule (lol, hoffnungslos because Pubertät), das strukturierte Denken und abstrahieren beibringen. Meine Erfahrung ist, dass alle Menschen die Abstrahieren und Strukturieren bzw. Systematisieren können auch in allen anderen Denkaufgaben eher gut abschneiden. Das dürfte das gleiche sein was man auch in IQ-Tests messen möchte. Das ist sicherlich nicht alles und lässt Faktoren wie "Interesse", "Neugier" usw. außen vor, aber es ist schon extrem wichtig.

Das Gute und Beruhigende daran ist, dass man strukturiert Denken und Abstrahieren ganz gut lernen kann wenn man es will. Auch hier kann man natürlich nicht jedes Defizit ausgleichen, aber durch gezieltes Fördern dieser Nachdenkfähigkeit, was in vielen Studiengängen gar nicht und in anderen nur komisch passiert, könnte man schon viele Bildungsfails verhindern.

Um das Umzusetzen müsste man aber den Profs viel von ihrer Macht wegnehmen. Daher: lol, not gonna happen.
 

Gustavo

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Ich bin im Grunde genommen ein großer Freund des deutschen Systems. Mir wäre allerdings tatsächlich eine Mischung aus FH und Uni lieber, etwa wie das amerikanische System mit den Grad Schools. Quasi das angewandte Wissen als BA und on the job training in einem von (möglichst in der Systematik nicht unendlich ausufernden) Akademikerberufen und wer dann tatsächlich Forschung oder Lehre machen will (und möglichst auch nur der- oder diejenige, wobei das natürlich nicht nur Uni-Forschung respektive Uni-Lehre sein muss) macht dann einen MA oder einen Doktorgrad, je nach Fach. Das Problem in Deutschland ist dabei halt, dass die FH-Abgänger als Akademiker zweiter Klasse behandelt werden, weshalb der Abschluss weniger wert ist, obwohl das im Grunde genommen nicht so sein müsste. Ich bin auch ganz der Meinung von Bootdiskette: Dass Leute mit 18 oder 19 schon wissen, ob sie mit 22-24 gerne nochmal zwei bis fünf Jahre Uni haben möchten halte ich für relativ unwahrscheinlich. Ist natürlich jetzt dank Pfadabhängigkeit eher schwierig.

Die Idee vom studium generale überzeugt mich dagegen eher weniger, zumindest so wie es in den USA praktiziert wird. Wenn wir sowas hätten wie ein studium generale aufgeteilt in übergreifende Disziplinen (Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften, Ingenieurswissenschaften, Sozialwissenschaften) würde ich das wohl noch sehen, aber so wie es hier läuft wählen die Kids einfach wahllos irgendwelche Kurse, um ihre "distributionals" zu erfüllen, teilweise nach so profanen Geschichten wie "wie gut sind die Noten" oder "was passt in meinen Stundenplan". Während ich dem mechanical engineering Undergrad sogar noch ganz gerne Intro to American Politics gebe, weil ich die vage Hoffnung habe, dass er damit ein vernünftigerer Staatsbürger wird, ist ein Themenkurs ("Politik und Architektur" etwa) völlig sinnlos, aber populär.

Im Übrigen: Lehrstühle gehören natürlich abgeschafft. Das Department-System ist deutlich besser. Deutlich weniger akademischen Mittelbau, dafür mehr Professorenstellen, an denen dann aber nicht ein ganzer Rattenschwanz von WiMis inklusive eigenem Sekretariat hängt. Tenure-System begrüße ich insgesamt auch: Sechs Jahre Beamter auf Probe, danach Verbeamtung. Das sollte natürlich nicht irgendwann Ende 30/Anfang 40 sein, sondern spätestens Anfang/Mitte 30.
 

Gelöschtes Mitglied 683837

Guest
[...]
Das deutsche Bildungssystem ist da eigentlich schon insgesamt recht gut aufgestellt, insb. von den Aufstiegsmöglichkeiten her. Man sollte das aber noch deutlich stärker fördern und direkt in der Ausbildung schon das berufsbegleitende Studium stärker unterstützen, die Weiterbildungen stärker ausbauen usw.–––aber man darf sich auch nicht der Illusion hingeben, dass man aus jedem einen Atomphysiker machen kann. Das erfordert dann doch einfach weniger Standesdünkel und bessere Erziehung im Privaten wie auch in der Schule. Deswegen bin ich auch für Grundschule bis zur sechsten Klasse oder sogar länger und zwar, um allen Kindern Verständnis für unterschiedliche Voraussetzungen und Akzeptanz sowie Toleranz dafür einzuimpfen. Das flankiert mit Begabtenförderung und Förderung der Schwächeren muss nicht schlechter sein als eine Trennung nach dem vierten Jahr. Trotzdem ist mE ein dreispuriges Bildungssystem danach absolut richtig, denn wenn die Leistung zu stark auseinanderklafft macht man das Leben der Lehrer zur Hölle und ihre Arbeit unmöglich.

Dazu dann noch ordentliche Betreuung ab Jahr 0 durch qualifizierte Erzieher … und vielleicht auch dort eine erzwungene Durchmischung anstatt eine Ghettoisierung.

Achja: Sehr allgemeines Grundstudium und danach dann Spezialisierung in den "echten" Fachbereich ist genau das was mir vorschwebte.[...]

Mal als Stellvertreter für den Rest rausgegriffen und die relevanten Passagen drin gelassen: Der Thread läuft in Gefahr alles aus rein akademischer Sicht des universitären Mitarbeiters zu bewerten. Wertneutral ist daran nichts schlimm, nur sollte das eventuell stärker im ersten Post durch die Moderation herausgestellt werden.

Was du schreibst ist nicht so wirklich falsch und das meiste klingt in meinen Augen nützlich, nur ist fraglich, welcher Zweck erfüllt werden soll. Tatsächlich bricht das alte System von Schule -> Ausbildung -> Karriere auf, insofern, als das jeder (:airquote:) jederzeit (:airquote:) eine höhere Qualifikation erreichen kann. Daraus würde ich aber nicht ableiten, dass ein Studium wünschenswert wäre, oder gar nach einer Ausbildung ein (berufsbegleitendes) Studium so einfach möglich sein sollte.

Platt in den Raum gestellt, sollte ein Studium nur sehr eingeschränkt und zweckgebunden möglich sein. Klassisch sollten Studenten tatsächlich auf eine Karriere in der Forschung und Entwicklung vorbereitet werden. Ausnehmen würde ich dazu noch Berufe, für die wirklich vertieftes Wissen essentiell sind, sprich Medizin und Jura.

Aktuell sehe ich die Ausbildungsberufe zunehmend entwertet, obwohl es so viele Möglichkeiten gibt, auch mit einer soliden Ausbildung eine gute Karriere zu durchlaufen. Auch wenn es häufig in Frage gestellt wird, ein Fachkräftemangel ist sehr spürbar, der durch Bologna nur beheizt wird. Viele Fachkräfte werden auf unteren Ebenen schon durch irgendwelche dahergelaufenen Bachelor gefüllt, die von der wirtschaftlichen Praxis deutlich weniger verstehen, als es eine Fachkraft hätte. Selbst mit Studium verliert man i.d.R. gegen einen guten Fachwirt/Techniker/Meister. Es gibt ein Limit, das man im akademischen Reinraum erlernen kann, branchenspezifisches Praxiswissen wird immer mehr wert sein, das sich v.a. aus Erfahrung ergibt. Ob man jetzt als Meister oder technischer Betriebswirt noch an eine FH wechselt um einen BA abzuholen - kA. Wozu? Was kann der potentiell lernen, das ihn in seiner Branche so viel weiter bringt? Gezielte Weiterbildungen durch die Verbände sind da näher an der Praxis. Versteh mich nicht falsch, eine Aufstiegsweiterbildung ist kein Studium, auch wenn es so propagiert wird.

Inb4: Ein paar Übergänge sind evtl. noch sinnvoll, beispielsweise eine sehr gute Krankenschwester mit Zugang zu einem Medizinstudium.

Allerdings hast du Recht, durch Automatisierung und Digitalisierung fehlen mir im Bildungssystem absolute Grundkompetenzen und methodisches Handwerk bei Problemlösungen - Muster erkennen, Wissen transferieren und generelles Verständnis für Systeme. Soweit ich mir eine Beurteilung zutraue, würde ich am Schulsystem noch nicht viel ändern. Nachgelagert, konkret an Berufsschulen, sind imo zweckführender. An der Stelle öffnen sich wahre Abgründe, weil es so lange auf der Strecke blieb. Selbst Kleinigkeiten, etwa ein digitales Berichtsheft, sind eine Unmöglichkeit, selbst regional. So Kisten wie die neuen Zusatzqualifikationen im Metallbereich lesen sich super, sind in der Realität aber ohne jegliches Konzept in ein Vakuum geschmissen worden. Kein Wunder, dass die viel gelobten digital Natives mit digitalen Technologien nicht umgehen können und kein Systemverständnis entwickeln.

Interessant, und das gehört eigtl. in den Sozialstaat-Thread, ist die Frage mit dem Umgang der älteren Generationen, v.a. wenn die Kündigungswellen durch Corona so richtig anlaufen. Ich persönlich wünsche mir ein sehr, sehr viel zwingenderes und helfenderes Konzept beim Thema lebenslanges Lernen. Aktuell hat man da nur das Qualifizierungschancengesetz zur Hand, das jedoch gerade mal für innerbetriebliche Umschulungen interessant ist*. Bin mal gespannt auf die Verbesserung durch das "Arbeit von Morgen"-Gesetz, wobei das auch eine Nebelkerze zu sein scheint, das keine Anreize schafft.
Zwang hätte ich gerne insofern, als das v.a. Großkonzerne effektiv um das Thema schiffen können, weil sie sich noch an diversen Tools bedienen können: Eingliederungszuschuss, Leiharbeit, 450€-Jobs und Stopfen von Lücken via minderwertigen BA-Studenten. Wie bereits im anderen Topic erwähnt hätte ich gerne ein Ende der Leiharbeit und der 450€-Jobs. Nunja.

*Edit: Zum Thema "nutzlose Umschulungen", weil es in dem anderen Thread angegriffen wurde: Nutzlos sind Umschulungen überhaupt nicht, gerade für Betriebe und vor dem Hintergrund der Digitalisierung. Es ist völlig scheißegal, wie ich es betrachte, imo ist das der Goldstandard der Förderung der beruflichen Weiterbildung (FbW), die überhaupt möglich ist. Regional habe ich ein Heer an Helfern in der Logistik, das früher oder später von der Automatisierung wegrationalisiert wird. Via Qualifizierungschancengesetz kriege ich den Helfer umgeschult, zahle keinen Cent für die Weiterbildung, die Umschulung ist mindestens mal 33% schneller als bei einem Azubi und oben drauf krieg ich (je nach Größe) noch 50-100% des Gehalts zurückerstattet, sowie Pauschalen für Prüfungen, Hilfskurse und Übernachtungen. In der gesamten Zeit arbeitet die Person in seinem alten Job weiter, und die Person kann theoretisch auch auf die Schule verzichten, wenn er es richtig anstellt. Alles was ich dafür brauche ist eine weitere Person mit einem AdA-Schein. Übertragbar ist die Logik für jeden an- oder ungelernten und jeden Fachfremden. Noch interessanter wird's, wenn ich jemanden einstelle, der im alten Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten kann.
 
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Dem Ansatz stehe ich etwas skeptisch gegenüber. Es ist klar, dass ein Studium niemals so viel praktisches Wissen vermittelt wie eine Ausbildung im Betrieb. Das soll es aber auch gar nicht und das zu sehr in den Mittelpunkt zu stellen führt nur dazu, dass man die berufliche Perspektive der Menschen noch mehr verengt.
Es ist imo auch nicht Aufgabe des Staates und eines staatlich finanzierten Bildungssystems den Unternehmen fertige Mitarbeiter abzuliefern, die an Tag 1 das Geschäft bereichern. Training on the job wird immer nötig sein und das ist ein Investment, das vom Unternehmen getragen zu werden hat. Wir sehen jetzt schon ein Wuchern miserabel bezahlter Praktika und Trainee-Stellen, wo es früher völlig üblich war, dass man als normaler Mitarbeiter in den Job eingeführt wurde.
Solange, wie du richtig feststellst, lebenslanges Lernen ein Lippenbekenntnis ist, ist es imo der völlig falsche Weg dieses dysfunktionale Prinzip auch noch an den Berufseinstieg vorzuverlegen.
Eine breite Bildung auf wissenschaftlicher Grundlage für möglichst viele Bürger ist imo ein Prinzip, das wir stärken sollten, nicht schwächen.



@schlaef3r/Bootdiskette

Ich wollte das jetzt nicht so verstanden wissen, dass man jedem alles beibringen kann. Zur Differenzierung gehört für mich auch Selektion. In der Theorie finde ich bspw. ein dreigliedriges Schulsystem sinnvoll, aber sowas dann auch gerecht und effizient umzusetzen, ist deutlich schwerer, als sich abstrakt dazu bekennen. Darum bin ich gegenüber solchen Fragen eher agnostisch, weil ich nicht glaube, dass es im Wesentlichen auf diese Systemfragen ankommt.
Ich wäre trotzdem sehr dafür die FHs zu stärken und nicht alle an die Unis zu drücken. Gleiches gilt für die Berufsausbildung, wo es imo noch mehr Verschränkung zwischen praktischer Lehre und Hochschule gebe könnte, also eine Ausweitung des dualen Studiums.
Umgekehrt würden viele Studienfächer zweifellos von mehr Praxisbezug profitieren, wobei es hier imo durchaus eine Gratwanderung ist, wie viel wissenschaftlichen Anspruch man retten will, welche systematischen Unterschiede es geben sollte zwischen Studiengängen, zwischen Uni, FH, eventuell Berufsakademie usw.

Das Wichtigste ist imo ein kompromissloses Bekanntnis zu guter Lehre: Gute Ausstattung, vor allem mit qualifizierten und motivierten Lehrkräften, die gerade in schwierigen Umfeldern von Spezialisten (Psychologen, Sozialarbeitern etc.) unterstützt werden.
Durchlässigkeit halte ich für extrem wichtig. Selektion wird häufig mit Aussieben gleichgesetzt. Aber nichts fällt nach oben. Zur Auslese gehört, dass man Talent und Potential erkennt und so fördert, dass es den Aufstieg schafft, wenn die Rahmenbedingungen das erschweren.
In den ersten Semestern aussieben hört sich immer gut an. Aber faktisch führt es dazu, dass du Leute mit sehr unterschiedlichen Startbedingungen gegeneinander antreten lässt und viele dadurch gerade keine faire Chance haben.

Das heißt explizit nicht, dass man nicht sieben darf. Aber man sollte sich der Folgen bewusst sein und überlegen, welche Ausgleichsmechanismen man schafft, um nicht unnötig Chancen zu verbauen. Und da ist mir sehr viel lieber, man macht neben dem A-Track dann noch weitere niedrigschwellige Angebote, über die sich jene an das Fach herantasten können, denen das Niveau anfangs zu hoch ist.
Ich bin da auch einfach von der imo inakzeptablen didaktischen Kultur in der Mathematik geprägt, wo man sich immernoch mehr im Dienste des Fachs als der Studierenden sieht. Hier gibt es imo grad im amerikanischen System Vorbilder, wo ich mir zumindest vorstellen kann, dass sie zu wesentlich besseren Ergebnissen führen.
Eins der größten Probleme sehe ich darin, dass wir weiterhin sehr viele Leute auf die Studienanfänger loslassen, die zwar theoretisch eine Lehrbefähigung haben, praktisch aber dürftige Lehrfähigkeit.


Umgekehrt kann ich pinko nur darin beipflichten, dass der Anspruch in vielen "Laberfächern" zu niedrig ist.
Da werden imo vielerorts zu große Kompromisse an die Faulheit der Studis gemacht: Man verhandelt darüber, ob 50 Seiten Lektüre in einer Woche nicht doch zu viel sind. Eingangsvoraussetzungen für Seminare fehlen oft völlig. Für viele ersetzt die Teilnahme am Seminar die ordentliche Lektüre.
Das ist einerseits unfair, weil zum Teil Leistungspunkte für lau rausgehauen werden, was nicht Sinn der Sache ist. Dazu haben imo auch motivierte Studierende der Geschichte, Philosophie oder Literaturwissenschaft einen Anspruch darauf in anspruchsvollen Veranstaltungen mit Gleichgesinnten zu diskutieren.
Was die Auswahl an Lehrveranstaltungen angeht, wären mehr Vorgaben imo oft wünschenswert. Es soll Dozenten ja vergönnt sein hier und da auch in der Lehre ihre Spleens auszuleben - für die Diversität und so -, aber wenn der Seminarplan von sowas dominiert wird, dann läuft was schief.
Etwas mehr Bekenntnis zu einem Kanon dürfte da schon sein: Gewisse Kenntnisse sollte jeder mitnehmen, der ein bestimmtes Fach studiert.


@Gustavo
Ich glaube, dass Studium Generale funktionieren kann. Man sollte sich darüber im Klaren sein, wozu es da ist:
Beitrag zur Allgemeinbildung, quasi eine nachgelagerte Ergänzung zur gymnasialen Oberstufe? Finde ich nicht sinnvoll. Dann lieber die Oberstufe stärken.
Schnupperkurs, um mal zu gucken, wie Uni so funktioniert, ohne sich festlegen zu müssen? Einladung zur Zeitverschwendung.
Bei dem von Bootdiskette vorgeschlagenen Konzept wird es imo sinnvoll. Dazu muss man aber die Wahlanteile so gering wie möglich halten. Eine Aufteilung in disziplinäre Cluster, wie von dir vorgeschlagen, halte ich für notwendig, weil sich die methodisch-fachlichen Grundlagen zu sehr unterscheiden und es sonst zu oberflächlich bleibt.
Die Idee sollte sein, dass das Ganze für ein bis zwei Jahre einem rigorosen Curriculum folgt und einem ermöglicht dann direkt und ohne Zeitverlust in ein Fachstudium überzugehen.
Im Wesentlichen kommen wir bei etwas an, das den französischen Classe préparatoire ähnelt - in etwas relaxierter Form. Ich habe viel Sympathie für dieses System und wünschte, wir hätten sowas hier in Deutschland.


Achja, und alle Daumen hoch für Department-System!
 
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mein Post sollte auch nicht wie ein Angriff wirken, sondern zur Diskussion beitragen. Bin bis auf das Studium Generale recht deiner Meinung. Die anderen Bildungswege sollten gestärkt werden bzw. ihr Ruf aufpoliert.

Vermutlich war damals bei mir in Chemie (und vom Hörensagen anderen MINT Fächern) auch wirklich so, dass im Grundstudium aka Vordiplom nur das Grundwissen kam, Spezialisieren kam erst danach.
In Karlsruhe zumindest haben sie das beim Transformieren zu Bologna wohl nicht ganz so gut hingekriegt, und dürfen auch nicht mehr wirklich sieben, weil sonst irgendein Ministerium vorbeikommt. ...

Ansonsten bezüglich Startbedingungen, dank unserem förderalen Abitur ist oder war das eh der reinste Scheiß.
Anno dazumal, BaWü hatte gerade komplett umgestellt, dass jeder Abiturient Kernkompetenzfächer Mathe+Deutsch+Fremdsprache haben musste, während in z.B. Rheinland-Pfalz man noch theoretisch Abi in Sport+Geschichte machen und sich dann in ein naturwissenschaftliches zulassungsfreies Fach einschreiben konnte. War dann ein entsprechendes Massaker. Aktuell wenn ich Nachrichten bezüglich Bildungsreform und möglichem Zentral-Abi lese, ist man da immer noch kein Schritt weiter glaub.
Wegen so Müll müssen die Universitäten am Anfang so viel Mist ausbügeln.
 
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Könntet ihr bitte ein bisschen ausführen, warum Department besser als Lehrstühle sind?
Offenbar soll das ja zu mehr Professoren führen. Sicher, dass man die zusätzlichen Stellen überhaupt besetzen könnte? Ist ja doch eher ne Stelle für "Nerds". Wer die Skills dafür hat und Karriere und Moneyz machen will geht glaube doch eher in die Wirtschaft.

Ich finde btw. hier wird ein bisschen vergessen, dass die absolute Mehrheit der Studis in BWL oder MINT sitzen. So Dinge wie Verbindung zur Praxis und "Kanonisierung" sind da schon lange umgesetzt (sicherlich mit Verbesserungspotential, aber grundsätzlich vorhanden).
 
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Ich unterstütze alles was auf mehr Auslese und möglichst frühe Selektion hinausläuft sowie die Streichung von kultur- und sozialwissenschaftlichen Gammelfächern, die zum Biotop für Dauerstudenten werden. Das Studentenleben ist doch eine einzige Party und hat noch einiges an Optimierungspotential.
 
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Man könnte extrem hohe Studiengebühren einführen. Das würde verhindern, dass die Leute nur Gammeln.
:deliver:

Geschichte braucht auch kein Mensch. Ägypter, Römer und so. Die machen ihr Ding und ich mach mein Ding.
 

Benrath

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Man könnte extrem hohe Studiengebühren einführen. Das würde verhindern, dass die Leute nur Gammeln.
:deliver:

Geschichte braucht auch kein Mensch. Ägypter, Römer und so. Die machen ihr Ding und ich mach mein Ding.

Man könnte halt einfach überhaupt Studiengebühren wieder einführen, damit es zu einer zumindest unterproportionalen Selbstbeteiligung an den Kosten käme.
Überall erscheint es einleuchtend, dass man eine Sache mehr wertschätzt, wenn man zumindest teilweise an den Kosten beteiligt ist, aber beim Studium hörts auf. Imho immer noch eine der unsozialsten Quersubventionierungen der größtenteils gut betuchten Studenten, die sich das Studium auch problemlos leisten könnten, wenn es ein paar hundert € pro Semester kosten würde.

Anzahl Studenten 2.8 Mio
Anzahl Studenten mit Bafög 330.000

Statt sich was für die 330.000 zu überlegen, schenkt man 2,5 Mio einfach alles.

Eventuell hält es tatsächlich den ein oder anderen von einem Studium ab, weil er merkt dass auf Lange Sicht aufgrund von Opportunitätskosten eigentlich eine schlechte Entscheidung für ihn ist. Traurig, wenn er das erst merkt wenn es direkte montäre Kosten gibt, aber was will man machen.


https://de.statista.com/statistik/d...nzahl-der-studenten-an-deutschen-hochschulen/
https://www.bafoeg-rechner.de/Hinte... 2018 betrugen die,9 Prozent weniger als 2017.
 
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Das ist ein Thema, bei dem ich klassich unentschlossen bin. Grundsätzlich finde ich kostenlose Bildung gut und bin auch für elternunabhängiges Bafög für alle.
Aber ich sehe durchaus den Vorteil einer gewissen Anreizstruktur: Studiengebühren könnten imo durchaus Leute davon abhalten einfach nur wegen des Studiums wegen rumzustudieren und eine großzügige Erstattung bei guten Leistungen und/oder Einhaltung der Regelstudienzeit könnte das noch verstärken.
Auf der anderen Seite trägt imo auch das Gerechtigkeitsargument, dass solche Beschränkungen wieder zu mehr sozialer Bias führen.
Ich hab da derzeit keine klare Präferenz, welches Argument überwiegt.

Auf jeden Fall sinnvoll fände ich, die Unterstützung für Ausbildungen auszuweiten. Das System da ist afaik immernoch darauf ausgelegt, dass man ne Ausbildung mit 16 beginnt, derweil zu Hause wohnt und die Vergütung mehr als ein großzügiges Taschengeld anzusehen ist.
Das ist gegenüber der Förderung für Studenten eine imo völlig unangemessene Benachteiligung.
 
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Benrath

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Das ist ein Thema, bei dem ich klassich unentschlossen bin. Grundsätzlich finde ich kostenlose Bildung gut und bin auch für elternunabhängiges Bafög für alle.
Aber ich sehe durchaus den Vorteil einer gewissen Anreizstruktur: Studiengebühren könnten imo durchaus Leute davon abhalten einfach nur wegen des Studiums wegen rumzustudieren und eine großzügige Erstattung bei guten Leistungen und/oder Einhaltung der Regelstudienzeit könnte das noch verstärken.
Auf der anderen Seite trägt imo auch das Gerechtigkeitsargument, dass solche Beschränkungen wieder zu mehr sozialer Bias führen.
Ich hab da derzeit keine klare Präferenz, welches Argument überwiegt.

Auf jeden Fall sinnvoll fände ich, die Unterstützung für Ausbildungen auszuweiten. Das System da ist afaik immernoch darauf ausgelegt, dass man ne Ausbildung mit 16 beginnt, derweil zu Hause wohnt und die Vergütung mehr als ein großzügiges Taschengeld anzusehen ist.
Das ist gegenüber der Förderung für Studenten eine imo völlig unangemessene Benachteiligung.

Es gibt halt ein begrenztes Budget und die Frage die man sich stellen muss, ist ob die Millarden die in völlig kostenlose Universitätsbildung versenkt werden, nicht woanders besser genutzt werden können. Die Chance ein Studium zu absolvieren hängt imho nicht daran, dass es kostenlos ist, sondern ob ich jemals zu dem Punkt der Entscheidung komme. Und da scheitert man schon im Kindergarten/der Grundschule etc..
 
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Anzahl Studenten 2.8 Mio
Anzahl Studenten mit Bafög 330.000

Statt sich was für die 330.000 zu überlegen, schenkt man 2,5 Mio einfach alles.

Eventuell hält es tatsächlich den ein oder anderen von einem Studium ab, weil er merkt dass auf Lange Sicht aufgrund von Opportunitätskosten eigentlich eine schlechte Entscheidung für ihn ist. Traurig, wenn er das erst merkt wenn es direkte montäre Kosten gibt, aber was will man machen.


https://de.statista.com/statistik/d...nzahl-der-studenten-an-deutschen-hochschulen/
https://www.bafoeg-rechner.de/Hinte... 2018 betrugen die,9 Prozent weniger als 2017.

Also wäre dein Vorschlag: Studiengebühren, dafür mehr finanzielle Unterstützung derer, die es benötigen? Das würden dann aber sicherlich mehr werden als die 330.000.

Ich bin kein Fan von allgemeinen Studiengebühren. Dann lieber "Srafgebühren" für Langzeitstudenten.
 

Benrath

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Also wäre dein Vorschlag: Studiengebühren, dafür mehr finanzielle Unterstützung derer, die es benötigen? Das würden dann aber sicherlich mehr werden als die 330.000.

Ich bin kein Fan von allgemeinen Studiengebühren. Dann lieber "Srafgebühren" für Langzeitstudenten.

Strafgebühren für Langzeit- und Scheinstudenten wäre ich auch dabei.

Wieso sollte das so viel teurer werden? Selbst wenn ich annehmen, dass durch die z.B. 500€ extra pro Semester doppelt soviele Leute Unterstützung bräuchten, bekomme ich 500€ pro Semester von 2,2 Mio Leuten und müsste das nur auf 300k mehr Leute ausschütten. Und das ist schon ne harte Annahme. Von den 330k die jetzt Bafög bekommen, bekommen sicherlich nicht alle den vollen Satz. Aufwand der Erhebung sollte sich auch in Grenzen halten, weil es gleichzeitig mit den sonstigen Gebühren erhoben werden kann und für Bafög sind die Fixstrukturen auch schon da.

Aus meinem Link oben, scheint der Schnitt in etwa 450€ zu sein auf alle Schüler und Studenten die Bafög bekommen.
 
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Woher kommt eigentlich immer dieser Hate gegen Langzeitstudenten? Ich kann das nicht nachvollziehen und bin prinzipiell auch gegen Strafgebühren bei Überschreitung der Regelstudienzeit. Die ist in einigen Fächern ziemlich unrealistisch angesetzt. Wenn dann auch noch Nebenjobs dazukommen, kann es erst recht länger dauern.

Ich z.B. hab bis zum Masterabschluss etwa die doppelte Regelstudienzeit gebraucht. Bereichert hab ich mich dadurch imo nicht.
 
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Woher kommt eigentlich immer dieser Hate gegen Langzeitstudenten? Ich kann das nicht nachvollziehen und bin prinzipiell auch gegen Strafgebühren bei Überschreitung der Regelstudienzeit. Die ist in einigen Fächern ziemlich unrealistisch angesetzt. Wenn dann auch noch Nebenjobs dazukommen, kann es erst recht länger dauern.

Ich z.B. hab bis zum Masterabschluss etwa die doppelte Regelstudienzeit gebraucht. Bereichert hab ich mich dadurch imo nicht.

Dass Erwerbsarbeit und Einhalten der Regelstudienzeit quasi unvereinbar sind, wird immer wieder gerne (von studentennahen Organisationen) behauptet. Statistisch gibt es afaik zumindest in Deutschland dafür aber sogut wie keine stichhaltige Evidenz*. Im Einzelfall mag das stimmen**, aber solche Entscheidungen orientieren sich natürlich eher am Aggregat.

Langzeitstudierende werden natürlich nur deshalb überhaupt als "Problem" wahrgenommen, weil das Studium in Deutschland frei (d.h. von der Allgemeinheit finanziert) ist. Die Idee ist, dass Langzeitstudierende im Schnitt überdurchschnittlich hohe Kosten verursachen (Raumnutzung, Studentenvorteile wie etwa ÖVPN tickets oder Rabatte). Inwiefern das in der Praxis der Fall ist kann ich nicht beurteilen.

Bzgl. Studiengebühren: Hier könnte man sich bei der Rückzahlmethode an UK orientieren. Heißt: Studiengebühren können zinslos finanziert werden. Rückzahlung wird erst ab einer gewissen Einkommensgrenze erforderlich. Das ist meiner Meinung nach der beste Weg Gebühren auf sozialverträgliche Art und Weise umzusetzen, inbesondere sollte es einen weniger abschreckenden Effekt auf Personen aus einkommensschwächeren Schichten haben.


* Ich glaub Rolf Schulmeister hat da in Deutschland am meisten zu publiziert, siehe etwa http://rolf.schulmeister.com/pdfs/Workload und Studierverhalten.pdf
**Ich kenn deine Lebenssituation nicht, anhand deiner Beiträge schätze ich dich aber erstmal als vernünftige, vertrauenswürdige Person ein.
 

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Dass Erwerbsarbeit und Einhalten der Regelstudienzeit quasi unvereinbar sind, wird immer wieder gerne (von studentennahen Organisationen) behauptet. [...]

Es ist nicht unvereinbar, aber sehr schwer, von der Opferbereitschaft und von den Umständen abhängig. Ich war auch Langzeitstudent und hatte einen "Pflegefall" im Hintergrund, der laut Kassen keiner war. Gefühlt wäre das 1-2 Semester schneller gegangen, viel mehr ist nicht drin. Aus Gründen solidarisiert man sich mit anderen Langzeitstudenten und lernt warum das so lange dauert, im Endeffekt ist es meist ähnlich bedingt. Ein guter Teil hat Pflege von Angehörigen und/oder Kind, ein Teil ist tatsächlich SV-pflichtig (!) und kriegt es halt mit Urlaub auch nur in einem gewissen Tempo durch. Die stereotypischen Philosophen mit langen Haaren gibt's zwar auch, aber die machen eine Minderheit aus. Welche Kosten durch diese Art Studenten der Gesellschaft entstehen sehe ich jetzt nicht.
Semestergebühren durfte ich komplett zahlen, das war schon machbar, aber eine spürbare Belastung. Ich wäre gegen Gebühren und finde deinen Vorschlag deutlich besser, das würde zumindest die Härtefälle entlasten, ohne den sowieso schon gut Ausgestatteten einen Vorteil zu gewähren. Ansonsten gäbe es für manche Universitäten schon dringenden Handlungsbedarf mehr Vereinbarkeit von Pflege/Familie/Beruf und Studium zu bieten. Auf dem Papier klingt das alles nice, aber wenn allein alle Prüfungen immer über die gesamten Ferien verteilt sind, sind schon Dinge wie Pflichtpraktika etwas haarig zu organisieren. Ähnliches gilt bei angeblich teilzeitorientierten Studiengängen, deren Vorlesungen, Übungen und Seminare dann mal am Vormittag, mal am Nachmittag und seltenst im Block belegbar sind. Mehr Zeit bringt da nicht zwangsweise eine Flexiblität.
 
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Es ist nicht unvereinbar, aber sehr schwer, von der Opferbereitschaft und von den Umständen abhängig. Ich war auch Langzeitstudent und hatte einen "Pflegefall" im Hintergrund, der laut Kassen keiner war. Gefühlt wäre das 1-2 Semester schneller gegangen, viel mehr ist nicht drin. Aus Gründen solidarisiert man sich mit anderen Langzeitstudenten und lernt warum das so lange dauert, im Endeffekt ist es meist ähnlich bedingt. Ein guter Teil hat Pflege von Angehörigen und/oder Kind, ein Teil ist tatsächlich SV-pflichtig (!) und kriegt es halt mit Urlaub auch nur in einem gewissen Tempo durch. Die stereotypischen Philosophen mit langen Haaren gibt's zwar auch, aber die machen eine Minderheit aus. Welche Kosten durch diese Art Studenten der Gesellschaft entstehen sehe ich jetzt nicht.
Semestergebühren durfte ich komplett zahlen, das war schon machbar, aber eine spürbare Belastung. Ich wäre gegen Gebühren und finde deinen Vorschlag deutlich besser, das würde zumindest die Härtefälle entlasten, ohne den sowieso schon gut Ausgestatteten einen Vorteil zu gewähren. Ansonsten gäbe es für manche Universitäten schon dringenden Handlungsbedarf mehr Vereinbarkeit von Pflege/Familie/Beruf und Studium zu bieten. Auf dem Papier klingt das alles nice, aber wenn allein alle Prüfungen immer über die gesamten Ferien verteilt sind, sind schon Dinge wie Pflichtpraktika etwas haarig zu organisieren. Ähnliches gilt bei angeblich teilzeitorientierten Studiengängen, deren Vorlesungen, Übungen und Seminare dann mal am Vormittag, mal am Nachmittag und seltenst im Block belegbar sind. Mehr Zeit bringt da nicht zwangsweise eine Flexiblität.

Dein Beispiel untermauert gewisserweise meinen Punkt. Verwandtenpflege ist bei Studis die absolute Ausnahme (siehe diverse Zeitbudgetstudien). Kinder kommen schon eher vor, dort werden dann aber auch häufig Urlaubssemester genommen (die nicht auf die Regelstudienzeit gehen). Das heißt nicht, dass es dieser Härtefälle nicht gibt, und man sie nicht irgendwie berücksichtigen sollte, man muss aber auch klar sagen, dass sie nicht den durchschnittlichen Studi widerspiegeln.

Deinen zweiten Ansatz würde im übrigen Rolf Schulmeister wohl auch unterschreiben. Im Fazit seines letzten Berichtes kam er immer wieder darauf zurück, dass sich mit einem gut organisierten Studienplan (insbesondere wohl eine möglichst geringe zeitliche Fragmentierung der Veranstaltung) insgesamt ein höherer Lernerfolg und sinkende Studiumszeiten erreichen lassen. Inwiefern sich sowas praktisch mit dem derzeitigen Kurssystem umsetzen lassen würde, weiß ich allerdings nicht - zumal die Lehrstühle ja auch meist sehr unabhängig voneinander ihre Curricula austüfteln.
 

Deleted_228929

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Studiengebühren kommen raus, wenn Hitler und Stalin ein Kind bekommen und es von Pol Pot großziehen lassen. Maximal Langzeitstudiengebühren bei krassem Überschreiten der Regelstudienzeit.

Wer Angst hat, dass sich Reiche zu wenig an der Finanzierung staatlicher Aufgaben beteiligen soll für eine stärkere Progression bei der Einkommensteuer werben.


Könntet ihr bitte ein bisschen ausführen, warum Department besser als Lehrstühle sind?
Same here. Vor einiger Zeit schwirrte dazu mal ein 50-seitiges Positionspapier durch das Forum. Habe jetzt, ehrlich gesagt, nicht die Lust, das zu lesen um mir zu dem Thema eine Meinung zu bilden.


Ich unterstütze alles was auf mehr Auslese und möglichst frühe Selektion hinausläuft sowie die Streichung von kultur- und sozialwissenschaftlichen Gammelfächern, die zum Biotop für Dauerstudenten werden. Das Studentenleben ist doch eine einzige Party und hat noch einiges an Optimierungspotential.
Ja, ich finde auch, wir sollten einfach alles verbieten/abschaffen, was mich nicht interessiert, dann wird die Welt ein besserer Ort. Fangen wir am besten mit Soldaten und Juristen an. Sind a) alles Nazis und b) nerven letztere nur mit ihrer Paragrafenreiterei.
 
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Benrath

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Ich wäre gegen Gebühren und finde deinen Vorschlag deutlich besser, das würde zumindest die Härtefälle entlasten, ohne den sowieso schon gut Ausgestatteten einen Vorteil zu gewähren.

Wenn du den Schritt schon gegangen bist, bist du quasi für Gebühren. Bei den Modalitäten, ob das jetzt vor oder nachgelagert ist etc. pp, gibts Vor und Nachteile, aber die temporale Verschiebung des Zahlungszeitpunkt ändert wenig an der Policy an sich. Ob man jetzt einen Kredit mit wenig Zinsen vergibt oder später einen % des Einkommens nimmt. Who cares.

Ich finds btw. auch einen großen Unterschied die eigentlich Nutzergruppe in Zahlung zu nehmen als alle Steuerzahler. Wieso ist das bei der Rente so ein Problem und beim Studium go for it.
 
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Same here. Vor einiger Zeit schwirrte dazu mal ein 50-seitiges Positionspapier durch das Forum. Habe jetzt, ehrlich gesagt, nicht die Lust, das zu lesen um mir zu dem Thema eine Meinung zu bilden.
Afair: Deutlich mehr Professuren, weniger prekärer Mittelbau. Insbesondere steigen die Chancen für den Nachwuchs, mal eine Professur zu ergattern, statt nach 6 Jahren Postdoc mit leeren Händen dazustehen. Professoren werden einerseits entmachtet, andererseits entlastet und können sich mehr um ihre Kernaufgaben kümmern.
Die Orga ist effizienter, da auf Ebene der Institute/Departments zusammengefasst.


@Babautz

Ich habe nicht Unvereinbarkeit von Nebenjob und Regelstudienzeit behauptet. Nur dass ein Nebenjob es oft schwerer macht.
Das Paper guck ich mir irgendwann an.

Zu den Kosten: Ich bin nicht überzeugt. Studienkosten entstehen nicht dadurch, dass jemand lange immatrikuliert ist. Im Gegenteil, wer dieselbe Zahl an Veranstaltungen besucht und abschließt in 9, statt 6 Semestern, der zahlt erstmal drauf, weil er 50% mehr Semesterbeiträge bezahlt.
Das vermeintliche Argument gegen Langzeitstudenten entpuppt sich als ein Argument gegen diejenigen, die besonders viele Veranstaltungen besuchen oder besonders viele Prüfungsleistungen erbringen bzw. besonders viele Fehlversuche haben. Natürlich mag es zwischen diesen Gruppen und der der Langzeitstudenten eine Schnittmenge geben, aber ich würde bezweifeln, dass diese den Backlash rechtfertigt.
Niemand würde sagen: Guck mal der Asi, hat einfach innerhalb der Regelstudienzeit mehr Scheine gemacht, als er musste!

ÖPNV: Imo auch ein eher schwaches Argument. Hier in Berlin kostet das Semesterticket z.B. mehr als das Sozialticket, obwohl die meisten Studenten aufgrund ihres geringen Einkommens sonst auf so eins Anspruch hätten. Der Studentenstatus bringt hier also keinen Vorteil.

Rabatte: kA, was du da genau meinst. Weniger zahlen für Kino, Theater und Amazon Prime? Sehe nicht, welcher Schaden der Allgemeinheit entsteht, weil Unternehmen meinen, Studenten Rabatte geben zu müssen.

So richtig trägt das alles imo nicht.
 
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Wie gesagt, ich weiß in der Tat nicht, inwiefern dieses Argument empirisch haltbar ist. Solange ich da keine entsprechenden Studien sehe, musst du aber auch verstehen, dass mich deine Position jetzt auch nicht als die allgemeingültige überzeugt ;).
 
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ich dachte im bachelor/master System ist die Zahl der Semester, die man abgammelt, eh begrenzt? Also das Problem mit den Langzeitstudenten sollt nicht mehr so dramatisch sein wie im alten, wo die ewig Student bleiben konnten.
 
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Afair: Deutlich mehr Professuren, weniger prekärer Mittelbau. Insbesondere steigen die Chancen für den Nachwuchs, mal eine Professur zu ergattern, statt nach 6 Jahren Postdoc mit leeren Händen dazustehen. Professoren werden einerseits entmachtet, andererseits entlastet und können sich mehr um ihre Kernaufgaben kümmern.
Die Orga ist effizienter, da auf Ebene der Institute/Departments zusammengefasst.

Ich kenne mich da nicht so aus, deshalb schreibe ich da mal nicht so viel zu. Ich habe allerdings so ein Gefühl, dass man da ganz stark nach Fachrichtung unterscheiden muss.
Bei uns gab es z.B. gar keine Postdocs. Ich schätze den Bedarf auch eher gering ein, da waren die Doktoranden froh, endlich in der Wirtschaft abkassieren und mit geilem Equipment forschen zu können. Dazu wird für eine Professur glaube auch außeruniversitäre Berufserfahrung vorausgesetzt, ergo hätte man mit einem Postdoc ohnehin nichts anfangen können.

ich dachte im bachelor/master System ist die Zahl der Semester, die man abgammelt, eh begrenzt? Also das Problem mit den Langzeitstudenten sollt nicht mehr so dramatisch sein wie im alten, wo die ewig Student bleiben konnten.

Kommt auf Studiengang und Uni an.
Bei uns hatte sich von Diplom zu Bachelor außer den Bezeichnungen so gut wie nichts geändert.
 
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Sagt ja auch niemand, dass die Reform überall groß was bewirken würde. Hier (technische Uni) gibts z.B. eine geisteswissenschaftliche Rumpffakultät, die so kaputtgespart wurde, dass das Konzept unfreiwillig bereits umgesetzt ist, weil der Mittelbau nicht umgewandelt, sondern schlicht gestrichen wurde.
 

Gelöschtes Mitglied 683837

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Wenn du den Schritt schon gegangen bist, bist du quasi für Gebühren. Bei den Modalitäten, ob das jetzt vor oder nachgelagert ist etc. pp, gibts Vor und Nachteile, aber die temporale Verschiebung des Zahlungszeitpunkt ändert wenig an der Policy an sich. Ob man jetzt einen Kredit mit wenig Zinsen vergibt oder später einen % des Einkommens nimmt. Who cares.

Ich finds btw. auch einen großen Unterschied die eigentlich Nutzergruppe in Zahlung zu nehmen als alle Steuerzahler. Wieso ist das bei der Rente so ein Problem und beim Studium go for it.

Ich bin überhaupt nicht für Gebühren. Es ist eher ein "wenn, dann so", weil ich zum Zeitpunkt des Studiums bestenfalls ein sehr geringes Einkommen habe, meist mit hohen GV-Beiträgen. Ein späterer Zeitpunkt der Zahlung macht das Leben leichter und zwingt mich nicht noch mehr nebenher zu arbeiten und somit evtl. noch länger zu studieren, womit ich noch mehr zahlen muss, weil ich mehr arbeite.
 
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