Raserei

Scorn4

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Raserei

Gedreht hat die Welt sich schon immer. Sie dreht sich auch heute und wird sich wohl auch aller Voraussicht nach in absehbarer Zukunft weiterdrehen. Obgleich sich hier der Eindruck von Stetigkeit breit machen könnte, gibt es doch manche, die da behaupten, dass sich die Welt heute schneller drehe als sie es, um eine gerade Zahl zu nennen, beispielsweise vor 1000 Jahren noch tat. Fakt ist jedoch, dass sie sich in knapp 24 Stunden einmal vollständig um ihre eigene Achse dreht.
Das mag als gewaltiger Zeitraum erscheinen, wenn man bedenkt, wie langsam und zäh Minuten und gar Sekunden verrinnen können. Eine Stunde – oder wie in diesem Fall gleich 24 – mögen daher in diesem Licht als schier unüberbrückbarer Zeitraum scheinen; wie unglaublich steht dann der Kontrast zwischen 24 Stunden und 1000 Jahren!
Bedenkt man dann wiederum, um welch einen elenden Brocken aus Staub und Stein es sich handelt, der hier in ungebremster, angeblich gar fortwährend gesteigerter Bewegung rotierend durchs bloße, wabernde Nichts rast, so darf sich eine derartige Drehung dieses ungeheuren Kolosses innerhalb diesen Zeitrahmens durchaus schon als Mordsgeschwindigkeit ausnehmen.
Unfassbarer wird diese Bewegung, von deren Beweggründen erst recht nicht viel bekannt ist, gar, wenn man ihre konfuse Bahn betrachtet. Falls sie ein Ziel hat oder überhaupt zielgerichtet von Statten geht, ist sie dennoch alles anderes als geradlinig sondern eher ein Schlingern, dessen Ursache die mehrfache Drehung ist. Drehen tut sich die Welt letzten Endes nicht nur um sich selbst, ganz im Gegenteil! Zuerst dreht sich der blaue Erdball um eine Explosion, deren Ausmaße über unsere naive Vorstellungskraft hinaus wachsen. Über die monströse Dimension unserer Sonne können wir uns allenfalls in abstrakten Begriffen unterhalten; sie selbst steht jedoch selbst nicht still und dreht, rotiert und rast, ja donnert gleichfalls um etwas ungleich größeres, gewaltigeres Etwas im Nichts, dessen unheimlich-grausame Gestalt uns im glimpflichen Fall noch erbleichen ließe ...
Der Mittelpunkt der Bewegung ist möglicherweise dort zu suchen, aber auch nur möglicherweise! Wer weiß, ob dieser scheinbare Mittelpunkt nicht selbst in Bewegung ist, eventuell gar um einen anderen Mittelpunkt, dessen blasses oder alles anderes als blasses Wesen wir hier gar nicht erst beschwören möchten. Völlig aus der Mode gekommen ist die Behauptung der Mittelpunkt der Welt sei die Welt selbst; diese Meinung aufrecht zu vertreten ist angesichts der erdrückenden Beweislage nur einem Wahnsinnigen möglich. Und obgleich der wirklich wahre Mittelpunkt soweit außerhalb der Welt liegt, dass man ihn nicht zu fassen vermag, tut die Geschichte, um deren Willen diese Betrachtungen angestellt werden, etwas Aufsehen erregendes: sie verlässt die Welt der Scheinzentren, lässt die rasenden, donnernden, schlingernden Sphären hinter sich, stürmt noch an der Sonne vorbei und rast auf die Erde zu, erwischt diese auf ihren geraden und ungerade-chaotischen Bahn, dringt durch die Atmosphäre und wählt sich einen festen Mittelpunkt, den zu finden man ausgeschlossen zu haben gedachte ...

***

Sein Vater saß gemütlich im Wohnzimmer und las in der Zeitung über die heile Welt nebenan; der Teil über Gewalt und Kriege einer ganz anderen, sehr weit entfernten Welt, lag noch ungelesen auf dem Tisch. Seine Mutter stand währenddessen in der Küche und schnitt mit einem großen Messer ein Stück Fleisch zu.
Er selbst, ein 16jähriger Junge den man „Gunna“ nannte, alberte mit seiner jüngeren Schwester und jagte sie mit Geschrei quer durchs Haus ins Wohnzimmer. Die Jagd wäre hier vielleicht nicht zu Ende gewesen, das Wohnzimmer war ihr Ziel jedenfalls nicht; unterbrochen wurde sie vom Vater, dessen wochenendliche Ruhe unter dem Sturm seiner Kinder durchs friedliche Haus zu sehr litt. Nach kurzen und wirksamen Worten der Ermahnung, stand er selbst auf, und machte sich auf den Weg in Richtung Küche. Hatte er zu Ende gelesen? Wollte er mit seiner Frau sprechen oder durch die Küche weiter ins Bad? Er stand jedenfalls auf und ging, doch blieb dann abrupt stehen.
Ein Geschrei erhob sich.
Das ist vielleicht nicht ganz richtig, es könnte auch so gewesen sein, dass das Geschrei schon länger anhielt und bloß näher kam. Es war auch nicht wirklich das, was man „Geschrei“ nennt; „Kreischen“ wäre richtiger. Und es wurde lauter. Es erfüllte die ganze Straße.
Gunna stand da wie versteinert. Er sah, wie sein Vater stehen blieb, um langsam und verwundert zur Haustür zu gehen. Gunna löste sich und folgte langsam.
Sein Vater griff nach der Klinke, drückte sie langsam nach unten und öffnete vorsichtig die Haustür.
Draußen sah man Leute rennen. Sie rannten die Straße entlang, sehr viele von ihnen. Einer, der vorbei rannte, sah herüber. Sein Gesicht war zusammen gezogen und blau. Er schrie. Er blieb stehen, hörte nicht auf zu schreien und rannte nun in die Richtung, in der Gunna und sein Vater standen.
Sie schlossen die Haustür rechtzeitig. Der Mann draußen knallte dagegen. Gunna und sein Vater sahen sich erschrocken an. Da zuckte sein Vater und ging in die Knie. Er sah Gunna an. Sein Gesicht wurde blau. Er röchelte, raunte und schrie auf. Gunna lief es kalt über den Rücken. Er nahm seine Schwester, die er hinter sich erblickte, bei der Hand und rannte. In Richtung Küche. Hinter sich fing sein Vater an zu kreischen, zu schreien und zu rennen. Gunna schloss die Küchentür. Seine Mutter stand in der Küche und zitterte. Das Messer war ihr aus der Hand gefallen. Die drei sahen einander an und zuckten, als der Vater gegen die Tür stieß. Gunna bemerkte am Rande, wie ein Lied der Beatles im Radio lief, das sein Freund Charles so sehr mochte. Da ging auch seine Schwester in die Knie, seine Mutter fiel sogar auf den Boden, beide liefen blau an und röchelten.
Gunna überlegte nicht lange und griff nach dem Messer auf dem Boden. „Nein!“, dachte er, doch als seine Schwester mit blauer, schreiender Fratze nach ihm griff, stach er ihr in den Hals.
Beide erstarrten. Seine Schwester gurgelte rot und fiel um, das Messer steckte aufrecht in ihrer Kehle. Seine Mutter stand aber auf, schreiend, und rannte ebenfalls auf Gunna zu.
Da überkam es ihn auch. Er zuckte, ging in die Knie ...
Zuckend und röchelnd merkte er, wie seine Mutter an ihm vorbei rannte, und ahnte, was nun käme. „Nein!“, dachte er, und fiel vornüber auf den Boden.
Er lag da. Er wartete. Nichts geschah.
War er allein? Neben ihm lag seine Schwester und rührte sich nicht. Gunna traute sich nicht, sich umzusehen oder aufzustehen.
Dann tat er es doch. Er wollte noch das Messer aus dem Hals seiner Schwester ziehen, doch es grauste ihm davor, wie es aufrecht da ragte, rot und mit dem braunen Holzgriff nach oben. Er nahm ein anderes.
Als er aus der Küche gehen wollte traf er seinen schreienden Vater. Gunna rammte ihm das Messer unter die Hüfte und sah ihm in die Augen, bis die seines Vaters brachen. Wo war die Mutter? Er ging durch das Haus und fand sie nicht.
So ging er in sein Zimmer, setze sich auf sein Bett und dachte nach. Was war passiert? Was nun? Seine Sinne drehten sich, ihm schwindelte ...

***

Gunna wachte auf. War das ein Traum gewesen? Er setzte sich auf.
Das blutige Messer hielt er immernoch in seiner Hand.
Er atmete durch, und schaute sich um. Hier Zimmer, da das Fenster, er auf dem Bett, das Resident Evil Poster an der Wand, sein Wecker auf dem Schreibtisch, 07:12.
Was nun? Wohin? War die Welt aus den Fugen geraten? Scheiss Fragen!
Er erinnerte sich an die Pistole seines Vaters. Die Verbote seiner Eltern diesbezüglich kannte er, doch schien dies ein Ausnahmefall zu sein. Trotzdem atmete er schwer und voll schlechten Gewissens, als er vor dem schnell und gewaltsam geöffneten Waffenschrank stand. Seine Hand zitterte, als er nach der Waffe griff. Unbeholfen hantierte er damit herum. Wie funktioniert sowas eigentlich? Er probierte es aus. Hier noch Munition, laden, zielen und!
Scheisse, voll daneben.
Er seufzte.
Im Haus brach Glas. Er schreckte auf. Er hörte Geschrei ...

***

Schweiß lief ihm über die Stirn, sein Herz pochte. Die Schreie wurden leiser. Die Schreienden waren ihm in Schaaren gefolgt, aber er schien sie am Zaun abgehängt und hinter sich gelassen zu haben. Was für eine dumme Idee, das Haus zu verlassen! Wohin nun? Irgendwo rein, irgendein Versteck ...
Wo war er hier? Die Wiese kam ihm bekannt vor und auch das Gebäude vor ihm. Doch nicht seine Schule? Ein Witz, jetzt daran zu denken! Langsam und vorsichtig näherte er sich dem Gebäude. Vor der Tür blieb er stehen. Er schluckte. Er dachte an seinen Rucksack. Eilig hatte er Messer und Pistole eingepackt, als er von zuhause floh. Das war knapp gewesen.
Nun packte er beides aus und nahm die Pistole in die rechte Hand. Das Messer griff mit der Linken so, dass es nach unten ragte. Die Tür öffnete er, indem er sich dagegen lehnte.
Durch die Eingangshalle ging er zum Treppenhaus. Niemand war zu sehen. Er schlich durch die kühlen Gänge und horchte. Seine Schritte hallten, so sehr er sich auch Mühe gab, leise zu sein. Sein Herz pochte ihm in den Ohren und sein Blut rauschte.
Bitte nicht! Ein Schrei. Nein! Er rannte.
Schritte hallten durch das Gebäude, seine und fremde.
Irgendwo rein, in Sicherheit, irgendwo rein!
Er probierte eine Tür, sie ging auf.
Da waren sie, schauten ihn an und schrien.
Er schoss.
Er schoss und stach.
Und schoss ...

***

*** Aus noch unbekannten Gründen hat heute morgen ein 16jähriger Schüler ein Blutbad angerichtet. Nachdem er zuvor seine Familie durch Messerstiche brutal getötet hatte, ging er zur Schule und eröffnete direkt nach betreten seiner Klasse das Feuer. Außerdem stach er mit dem Messer auf seine Lehrerin ein. Drei seiner Mitschüler kamen um, sechs weitere und seine Lehrerin schweben noch in Lebensgefahr ... ***
 

[fN]Leichnam

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also ich finds auch nicht gut. thema ist natürlich hochinteressant, aber wie ich finde einfach ungenügend umgesetzt. so wirklich plausibel wirkt das nicht mit dieser "raserei" da. außerdem jede menge ungeschickte formulierungen. kürzen! von dem text kannste gut ein drittel rauskippen. das würde imho der sache gut tun.
 
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