Green Monkey
Lyric-Contest Sieger 2009, Lyric-Contest Sieger 20
- Mitglied seit
- 06.07.2001
- Beiträge
- 191
- Reaktionen
- 0
Er hörte immerzu, es sei nirgendwo einfach, nicht in diesen Zeiten. Aber er kannte die Anwort, überall war es nämlich einfacher, auch in Frankreich war es einfacher gewesen, obwohl er damals schon Soldat gewesen war. Die Erinnerung an einfache Arbeit in der Küche und einfache französische Mädchen ließen das Leben im Unterstand an der Front nunmal als nicht einfach erscheinen. Und so sehr es ihn reute nie Französisch gelernt zu haben, so ärgerte es ihn auch, dass ihn in Ungarn keiner das Reiten gelehrt hatte. Gerade er, der zu Tieren immer ein zutrauliches Verhältnis pflegte und schon in frühster Kindheit einige Pfennige verdiente, da er den Bauern die Ochsen an den Pflug gewöhnte, verstand nicht, warum man dies verweigerte. Doch so war das, denn Offiziere bestimmten seit einiger Zeit sein Handeln und letztlich musste man sich damit abfinden.
Sein jetziger Hauptmann war ein pfiffiger Kerl, ein studierter Mann aus Frankfurt, der überaus beliebt war, immer für einen Spruch gut und ein rundum anständiger Mensch. „Solang das Quecksilber nicht friert und wir genug Zeitung ham brauchen wir uns keine Gedanken machen, Männer“, so lautete seine tägliche Satzung und jeden Morgen überprüfte einer der Soldaten ob das Thermometer noch intakt war und jeden Abend stopften sie alle gemeinsam Zeitungspapier in ihre Stiefel, um die Feuchtigkeit zu vertreiben, nur um diese angetrauten Rituale am nächsten Tag von Neuem zu beginnen.
Was sich in Estland unterschied, waren die frontbedingten Unterbrechungen dieser Routinen, die jedoch bald selbst zur Routine wurden, so dass der Tagesablauf nach kurzer Eingewöhungszeit wiederum in eine erweiterte Routine mündete, die ihr Fortbestehen bis zur Unterbrechung durch eine neue Tätigkeit konkurrenzlos fristete, bis jene ebenfalls eine Routine innerhalb dieses Zirkels wurde.
Eine dieser neueren Routinen war das Gefecht in dem er sich gerade befand. Soweit wie möglich hatte er sich arrangiert mit den umherfliegenden Kugeln, den russischen Kommandoschreien aus einiger Entfernung, den deutschen Pendants aus näherer Umgebung. Auch der tote Kamerad an seiner Seite schreckte ihn nicht so sehr, wie damals als er zum ersten Mal so etwas gesehen hatte. „Kommt alle mit“, hatte der Junge gerufen, „unten am alten Schneisweg zeig ich euch etwas!“ Und fast alle Kinder rannten ihm hinterher, nur die kleinsten hatten sie nicht mitnehmen wollen. Dort hing der Mann an dem Baum, mit seinen sieben Jahren hatte er es nicht sagen können, doch heute wusste er, dass es eine Rotbuche war, wie eh sah er das Bild noch vor sich, ein großer, einsamer Baum, und um einen starken Ast der Strick, an dem schließlich der fahle Leichnam hing. „Der war doch letztens auf der Kirmes, der is aus...“ Doch mehr hörte er nicht, denn seine Knie und sein Mund erbrachen gleichermaßen, spärlich würgte er die Reste seines Marmeladenbrotes heraus, danach hatten ihn die älteren Mädchen trösten müssen.
Im Moment lauschte er dem russischen Maschinengewehr, versuchte den Rhythmus vorauszuahnen, bald würde der Lauf gewechselt werden. Ein letzter Feuerstoß und ein verräterisches leeres Klicken, kurz schaute er zu den anderen rüber, dann schnellte er nach oben, „Sprung au...“, doch eine Kugel schlug leicht schräg in seinen Kopf, durch seinen Helm, sofort klappte er zusammen, kein kleinster Gedanke umtrieb seine Sinne, bloß noch eine völlig Schwärze sah, hörte und fühlte er.
Den warmen Schwamm, den die Schwester über seine Stirn strich, nahm er als erstes wahr, als er im Lazarett die Augen öffnete und ohne wirklichen Einfluß darauf zu haben presste sein Mund die Worte „...auf, Marsch Marsch!“ hervor. Dann schloss er seine Augen wieder und erinnerte sich der weiten Felder in der Ukraine, die er damals gesehen hatte. Die schwarze Erde ließ das Korn auf schier endlosen Flächen gedeihen und es schmerzte ihn sehr, als er daran dachte, dass im Krieg das Korn nicht geerntet werden könnte, es ohne Sinn vor sich hin wuchs, in voller Pracht stand, um dann kümmerlich und achtlos zu verfaulen.
Sein jetziger Hauptmann war ein pfiffiger Kerl, ein studierter Mann aus Frankfurt, der überaus beliebt war, immer für einen Spruch gut und ein rundum anständiger Mensch. „Solang das Quecksilber nicht friert und wir genug Zeitung ham brauchen wir uns keine Gedanken machen, Männer“, so lautete seine tägliche Satzung und jeden Morgen überprüfte einer der Soldaten ob das Thermometer noch intakt war und jeden Abend stopften sie alle gemeinsam Zeitungspapier in ihre Stiefel, um die Feuchtigkeit zu vertreiben, nur um diese angetrauten Rituale am nächsten Tag von Neuem zu beginnen.
Was sich in Estland unterschied, waren die frontbedingten Unterbrechungen dieser Routinen, die jedoch bald selbst zur Routine wurden, so dass der Tagesablauf nach kurzer Eingewöhungszeit wiederum in eine erweiterte Routine mündete, die ihr Fortbestehen bis zur Unterbrechung durch eine neue Tätigkeit konkurrenzlos fristete, bis jene ebenfalls eine Routine innerhalb dieses Zirkels wurde.
Eine dieser neueren Routinen war das Gefecht in dem er sich gerade befand. Soweit wie möglich hatte er sich arrangiert mit den umherfliegenden Kugeln, den russischen Kommandoschreien aus einiger Entfernung, den deutschen Pendants aus näherer Umgebung. Auch der tote Kamerad an seiner Seite schreckte ihn nicht so sehr, wie damals als er zum ersten Mal so etwas gesehen hatte. „Kommt alle mit“, hatte der Junge gerufen, „unten am alten Schneisweg zeig ich euch etwas!“ Und fast alle Kinder rannten ihm hinterher, nur die kleinsten hatten sie nicht mitnehmen wollen. Dort hing der Mann an dem Baum, mit seinen sieben Jahren hatte er es nicht sagen können, doch heute wusste er, dass es eine Rotbuche war, wie eh sah er das Bild noch vor sich, ein großer, einsamer Baum, und um einen starken Ast der Strick, an dem schließlich der fahle Leichnam hing. „Der war doch letztens auf der Kirmes, der is aus...“ Doch mehr hörte er nicht, denn seine Knie und sein Mund erbrachen gleichermaßen, spärlich würgte er die Reste seines Marmeladenbrotes heraus, danach hatten ihn die älteren Mädchen trösten müssen.
Im Moment lauschte er dem russischen Maschinengewehr, versuchte den Rhythmus vorauszuahnen, bald würde der Lauf gewechselt werden. Ein letzter Feuerstoß und ein verräterisches leeres Klicken, kurz schaute er zu den anderen rüber, dann schnellte er nach oben, „Sprung au...“, doch eine Kugel schlug leicht schräg in seinen Kopf, durch seinen Helm, sofort klappte er zusammen, kein kleinster Gedanke umtrieb seine Sinne, bloß noch eine völlig Schwärze sah, hörte und fühlte er.
Den warmen Schwamm, den die Schwester über seine Stirn strich, nahm er als erstes wahr, als er im Lazarett die Augen öffnete und ohne wirklichen Einfluß darauf zu haben presste sein Mund die Worte „...auf, Marsch Marsch!“ hervor. Dann schloss er seine Augen wieder und erinnerte sich der weiten Felder in der Ukraine, die er damals gesehen hatte. Die schwarze Erde ließ das Korn auf schier endlosen Flächen gedeihen und es schmerzte ihn sehr, als er daran dachte, dass im Krieg das Korn nicht geerntet werden könnte, es ohne Sinn vor sich hin wuchs, in voller Pracht stand, um dann kümmerlich und achtlos zu verfaulen.
Zuletzt bearbeitet: