Kurzgeschichte - Kritik erwünscht

justrham

Guest
1000000

Reh. Fernlicht aus. Hupe. Ich verreiße die Lenkung und sehe nur noch den Baum, der sich schnell nähert. Vielmehr nähere ich mich schnell. Zu schnell. Stille.

Meine Gedanken kreisen. Zumindest habe ich Gedanken, das bedeutet wohl, dass ich noch am Leben bin. Schwärze, kein Licht. Bin ich blind? Denk rational, versuch zu hören. Keine Geräusche. Ich versuche mich auf meine Umgebung zu konzentrieren, versuche meine Arme und Beine zu bewegen, überhaupt zu spüren. Nichts, absolut gar nichts. Ich habe so viele Horrorgeschichten gelesen von Leuten, die nach einem Autounfall querschnittsgelähmt waren, vor solch einem Leben habe ich mich immer gefürchtet. Ans Bett gefesselt…

Denk nach, alles ist so klar, so frei von äußeren Eindrücken, es fällt mir erstaunlich leicht.

Sprechen, Schmecken. Ich gehe in Gedanken mein Gesicht ab, ich habe keinen Mund, keine Zunge, zumindest spüre ich beides nicht. Eine Wirbelsäule kann nicht oberhalb des Kinns durchtrennt werden. Keine Querschnittslähmung, zumindest keine die mir bekannt ist, aber ich bin ja auch kein Mediziner. Ich spüre nicht mal die nötige Müdigkeit, um in einen erlösenden Schlaf zu fallen. Ganz im Gegenteil, mein Verstand ist glasklar. Zu klar für einen Traum? Was ist hier los?

Es ist zu früh, um an den Tod zu denken, es gibt sicher eine logische Erklärung für das was hier passiert. Ich versuche angestrengt an nichts zu denken, um irgendeinen Einfluss von außen zu bekommen.

Es war eine Birke, der weiße Stamm, das habe ich in der Grundschule gelernt. Die Grundschule…..

Nichts. Um genau zu sein, weder Schwärze, noch Stille. Was ich im ersten Moment als die Unfähigkeit wahrgenommen habe, irgendetwas zu sehen oder zu hören, zeigt sich immer mehr als komplette Abstinenz aller Sinne, ganz so als hätte ich sie nie besessen. Es ist keine Schwärze, es ist nicht so, als ob ich die Augen geschlossen hätte, es ist vielmehr so etwas wie ein optisches Vakuum, eine visuelle Leere.

Ich spüre meinen Herzschlag nicht.

Scheiße, irgendwas ist hier total falsch, verdammt, was soll der Mist? Ich versuche zu schreien, versuche wild um mich zu schlagen. Es bleibt lediglich bei dem Gedanken es zu tun. Nichts. Verlerne ich es etwas zu tun? Meine Gedanken sind so erschreckend klar, zu klar für einen Traum, viel zu klar für einen Traum.

Wie viel Zeit ist seit dem Unfall vergangen. Ich habe kein Gefühl für die Zeit. Denk logisch, schaffe dir ein Zeitgefühl. Ich fange an zu zählen. Eins. Zwei. Drei. Vier. Fünf. Sechs….. Irgendwann hat mir mal jemand erzählt, dass es unmöglich sei bis zu einer Million zu zählen, es war meine Mathelehrerin aus der Oberstufe.... Sieben. Acht. Neun. Zehn. Elf. Zwölf. Dreizehn. Vierzehn. Fünfzehn…. Ziellose Gedanken unterbrechen mich, wo war ich? Ach ja, Dreizehn, Vierzehn, Fünfzehn……

Achttausendneunhundertdreiundvierzig. Achttausendneunhundertvierundvierzig…. Diese Zahlen auszusprechen würde drei Sekunden benötigen. Wie viel Zeit ist vergangen? Bestimmt 2 Stunden. Ein weiter Weg zur Million. Man lässt sich viel Zeit, um mich ins Paradies zu holen, oder in die Hölle. Hölle. Ich bin kein gläubiger Christ und kein schlechter Mensch, was soll ich in der Hölle? Ich fang scheinbar langsam an mich damit abzufinden, dass ich tot bin. Keine Veränderung, kein Herzschlag, kein Atem, nichts. Sollte das hier etwa das sein, was nach Allem kommt? Keine Harfespielenden Engel oder eine Wiedergeburt als Baum? Achttausendneunhundertfünfundvierzig. Das kann nicht sein, ein Geist kann nicht ohne Körper existieren. Eine ewige Existenz in Sinn-loser Leere, Dantes zehnter Kreis der Hölle. Ich hab mal einen Zeitungsbericht über die Konditionierung von Kriegsgefangen mit Hilfe vollständiger Isolation gelesen. Eine Liege, Augen verbunden, Ohrschützer. Die Meisten sind nach 2 Tagen irre geworden. Werde ich irre? Ich zähle weiter…

Vierundfünfzigtausendachthundertsiebenunddreißig. Ich kann mich immer schlechter auf die Zahlen konzentrieren, meine Gedanken driften immer wieder ab. Ich frage mich, wie weit das hier noch geht. Es hat noch nie jemand geschafft bis zu einer Million zu zählen. Warum sollte man das auch machen, das bringt doch nichts. Bringt doch gaaaar nichts. Warum erwischt die Scheiße hier ausgerechnet mich? Moment, was wenn das gar kein exklusiver Zustand für mich ist, was wenn… Ich zähle weiter…

Zweihundertdreiundzwanzigtausendsiebenhundertacht. Ich zähle alle Zahlen doppelt und dreifach, jede Zahl ist so lang, dass ich schon während ich sie denke, den Faden verliere. Keine Ahnung ob ich nicht schon die Million hätte, wenn ich nur ordentlich gezählt hätte. Zählen wird öde. Ich merke mir die Zahl und zähle im Geist alle Tiere auf, die ich kenne, und stelle sie mir so bildlich wie möglich vor. Ein Hund auf einer grünen Wiese, ein kurzes Vergnügen, eine kurze Abwechslung. Pflanzen kannte ich noch nie genug. Ein Gänseblümchen. Ich spreche fließend Englisch, soll ich anfangen auf Englisch zu denken. Nein, noch nicht. Was heißt Gänseblümchen eigentlich auf Englisch? Duckflowerly? Das wäre wohl ein Entenblümchen. Ich entschließe mich weiterzuzählen…

Vierhundertausend. Runde Zahl, zwei Fünftel sind geschafft. Wenn jede gedachte Zahl eine Sekunde wäre, dann wären jetzt 6666 Komma 6 Minuten um. Dante lässt grüßen. 111 Stunden oder 4 ½ Tage. Da ich wohl jede Zahl doppelt zähle und meine Gedanken sich immer wieder verlieren, kann man das locker verfünffachen. 22 Tage. Ich habe keinen Hunger, keinen Durst. Satt und sitt. Sitt hat sich nie durchgesetzt. Kreative Wortschöpfung war nie meine Stärke. Eine Million, ich komme, was kommt danach. Zwei Millionen sind langweilig, es hat noch nie jemand geschafft bis zu einer Million zu zählen. Eine Million. Ich zähle weiter….

Sechshundertdreiundzwanzigtausendvierhundertfünfundfünfzig. Ich dehne die Zahlen immer mehr. Was kommt nach der Million, ich kann bald nicht mehr weiterzählen, gibt es mehr als eine Million? Ein Reset? Eine Million….Eins…..Zwei. Und dann? Eine Million und noch eine Million? Eine Million und noch eine Million und noch eine Million. Unbefriedigend. Während der letzten hunderttausend Zahlen habe ich auf Englisch gezählt und auf Englisch gedacht. Englisch wird langweilig. Ich wollte immer Spanisch lernen. Uno…Dos… ist das spanisch oder italienisch? Egal. Ich brauche eine eigene Sprache. Meine eigene Sprache. Alle Wörter die mir einfallen in meiner eigenen Sprache, das wär was. Aal ist Gre. Angler ist Horins. Ich behalte die Anzahl der Buchstaben bei, dann ist es leichter zu merken. Ich habe Angst vor der Million, was kommt danach?

Achthundertachtundachtzigtausendachthunderachtundachtzig eine schöne zahl symmetrisch vollkommen meine gedanken werden unzusammenhängender ich habe probleme sie zu ordnen sie zu greifen sie zu fassen ich verliere mich in den zahlen noch nie hat jemand bis zur einer million gezählt geht ja auch gar nicht warum sollte man das machen die größte zahl ist eine million die eine zahl danach kommt nichts mehr. REIß DICH ZUSAMMEN! Denk logisch, erinnere dich! Die Flügelspannweite eines Kormorans beträgt etwa 140 Zentimeter. Ich habe ein Referat in der 5. Klasse darüber halten müssen. Ein womöglich letzter klarer Gedanke: Was mache ich, wenn ich bei der Million bin? Ist das Ganze hier dann vorbei? Ich lasse mir Zeit beim Zählen, ich habe Angst vor meinem Ziel, meinem eigenen Ziel. Meinem einzigen Ziel? Ich bin ein Marathonläufer mit Angst vor seiner eigenen Courage, ich wollte immer einen Marathon laufen. Aber wohin?

Neunhundertsiebenundachtzigtausendachthundertvierundvierzig. Bald da. Wo? Seit 900000 zähle ich jede Zahl dreimal. Ich kann mein Ziel nicht erreichen, was habe ich mir dabei gedacht, es hat noch nie jemand bis zu einer Million gezählt, das ist unmöglich. Es ist einfach nicht zu schaffen. Das hier ist die Hölle. Wer verlangt von jemandem, bis zu einer Million zu zählen?

Neunhundertneunundneunzigtausendneunhundertneunundneunzig. Ich höre auf zu zählen. Ich höre auf zu denken. Wortfetzen fliegen durch die Reste dessen, was einmal mein Verstand war. Hätte ich einen Mund, einen Hals und einen Kehlkopf, würde ich wahrscheinlich hysterisch lachen.
 

shaoling

Guest
Zum ersten Absatz:

Du kannst hier nicht schreiben Fernlicht aus. Das funktioniert nicht. Es kommt auf die Assoziation der Hauptwörter an. Und mit Fernlicht aus, assoziiert man Fernlicht, das aus macht keinen Unterschied. Ich weiß nicht genau, was du sagen willst, dass das Fernlicht aus ist? Scheint mir fehl am Platze.
Mir ist auch nicht klar, was die Hupe hier soll. Hupt man als Autofahrer, wenn einem ein Reh vor die Haube läuft? Ergibt mir wenig Sinn, aber ich bin kein Autofahrer.

Vielmehr nähere ich mich schnell. Passt nicht. Wozu erzeugst du das Bild vom sich nähernden Baum, wenn du es im nächsten Satz gleich wieder auflöst? Dass sich in Wahrheit nicht der Baum nähert, ist jedem klar. Der Satz ist eine überflüssige und für die Atmosphäre schädliche Rationalisierung.

Achte etwas besser auf die Stringenz der Szenendarstellung.
 
Mitglied seit
19.09.2001
Beiträge
2.379
Reaktionen
17
das fernlicht blendet und (vor allem) verwirrt das reh. mit dem "aus"schalten des fernlichts versucht er es dazu zu bringen aus dem weg zu hoppeln...


naja, überarbeite den ersten absatz mal, das shaoding hat recht, sind dieselben sachen, die mri auch aufgefallen sind... wirkt zudem mal wieder "gewollt" und so... ich versteh eh nicht wieso leute immer wieder auf dieselben "komplizierten" arten versuchen zu schreiben. schreib mal ehrlicher... (einfacher)
 
Oben